Es kommt nicht auf die absoluten €-Zahlen an, sondern auf die Kaufkraft.
Es ist also nicht entscheidend, ob ich 100 € mehr in der Tasche habe, sondern vieviele Brötchen/Schrippen/Semmeln oder Kühlschränke ich mir davon kaufen kann.
Und Inflation ist nicht per se etwas schlechtes. Die EZB spricht von einer „optimalen Inflationsrate“ von etwa 2-3%. Warum ist das so? Weil es Konsumanreize bietet. Darum geht es, um den Konsum. Denn wenn ich befürchten muss, dass mein Geld an Kaufkraft verliert, dann neige ich eher dazu jetzt zu konsumieren oder zu investieren als damit zu warten. Denn Konsum → erhöhte Nachfrage → erhöhte Produktion → erhöhte volkswirtschaftliche Leistung.
Mit Steuern und mit Inflation nimmt der Staat außerdem Geld aus dem System, das er vorher über sog. Staats"schulden" reingegeben hat. Dabei sind Staatsschulden erst mal bis zur Vollbeschäftigung kein wesentliches Problem, von Vollbeschäftigung sind wir allerdings weit entfernt (Und das ist von Kapitaleignern auch nicht gewollt, denn das würde ihre Machtposition stark schwächen, vgl. Zeit der Vollbeschäftigung in der BRD und damit verbundene Arbeitsgesetzänderungen zugunsten der Arbeitskraftgebenden).
Also sind Steuern u.a. (ich würde sagen v.a.) Umverteilungsinstrumente (Und vor allem anderen nichts per se schlechtes und zudem nicht für staatliche Investitionen nötig).
Dass Arbeitkraftgebende am Produktivitätswachstum beteiligt werden müssen, erleben wir gut in den vergangenen 30 Jahren, in denen das zunehmend weniger wurde als in den Jahrzehnten davor. Und damit geht die Umverteilungsschere weiter auseinander.
Wenn ich jetzt sage, anstelle von Lohnanpassungen und Lohnkämpfen müssen Steuern für die niedrigen Lohnsektoren gesenkt werden, ändere ich zum einen nichts an der Entkoppelung der Lohnentwicklung vom Produktivitätswachstum, ich verstärker das sogar noch. Denn es gibt den Arbeitskraftnehmern überhaupt null Anreize, die Arbeitskraftgebern am Produktivitätswachstum zu beteiligen.
Aber natürlich sind auch Steuerentlastung für im Niedriglohnsektor Beschäftigte und von Armut betroffene sinnvoll. Da fällt bspw. sofort die MwSt auf Grundnahrungsmittel auf, die man ja auch mal während des Corona-Preisschocks (die Gewinnmitnahmen der produzierenden und v.a. auch handeltreibenden Gewerbe mal außen vor, die nicht umverteilt wurden) gesenkt hat und starke Entlastung bot. Oder die Steuern im Gaststättengewerbe, deren Sektor auch heute noch nachhaltig geschwächt ist und sowohl von fehlendem Personal als auch von den eklatanten Preissteigerungen betroffen ist. Und Gaststätten sind ein Ort der sozialen Teilhabe und somit auch demokratiestärkend.
Noch ein Wort über das bedingungslose Grundeinkommen. Ich schwanke immer zwischen find ich gut und find ich blöd. Skeptisch zu sehen sind mMn v.a. 2 Dinge. Zum einen kann es dazu missbraucht werden, keine anständigen (d.h. am Produktivitätswachstum beteiligende) Löhne zu zahlen und somit wie auch jetzt auch mit Bürger-Hartz den Niedriglohnsektor zu subventionieren und zum anderen birgt es die Gefahr, alle staatlichen Sozialleistungen (auch infrastrukturelle wie bspw. Kindergärten, Mobilität u.v.m.) darunter zu subsummieren und dann wegfallen zu lassen. Wenn also schon proprietäre Libertäre ein BGE fordern, ist da mit einiger Skepsis drauf zu schauen.
sorry, viel text: tl;dr
Unterm Strich: Es braucht beides Lohnerhöhungen (gemeint sind v.a. am Produktivitätswachstum teilhabende) und gezielte Steuerentlastungen aber auch -belastungen, um Umverteilung und gesellschaftliche Teilhabe, zu gewährleisten. Und eine gewisse Inflationsrate ist gut und gewollt (zumindest im bestehenden kapitalistischen System), d.h. auch, dass in 20 Jahren alles nominal teurer ist, also mehr Euros kosten wird. Das ist normal und gewollt. Aber ob die Kaufkraft oder ob die Teilhabe an der Produktivität steigt oder sinkt, ist eine andere Frage und mit reinen €-Zahlen nicht beantwortet.
Edit:
Und wenn man den Abstand des Existenzminimuns, das das Bürger-Hartz gewährleisten soll, zum Niedriglohnsektor erhöhen möchte (und somit Anreize schaffen möchte), dann muss man die Arbeitskraftnehmenden dazu zwingen, anständige (am Produktivitätswachstum teilhabende) Löhne zu zahlen anstatt die Entkopplung zugunsten der Arbeitskraftnehmenden auch noch zu subventionieren. Ein Mittel wäre da bspw. Mindestlohnerhöhung.