Gentrifizierung - Fluch oder Segen?

Sieht irgendwie so aus.

. Vorab: ich schreibe vom Handy (also die Orthographie etwas vernachlässigen bitte ^^) und vor allem: ich hab mich hier noch nicht oft geäußert, obschon ich fleißiger Mitleser bin seit Anbeginn.

Zur sache:

Ich mache selbst seit mehr als 15 Jahren Musik, bin neben dem musizieren auch als Veranstalter tätig und habe mehr als 4 Jahre an der bar und Al einer der 3 operativen chefs in einem eher linken Klub gearbeitet.
Meine Erfahrungen, auf Grund derer ich mich jetzt hier unbedingt äußern will, sind also eher im subkulturellen Bereich beheimatet. Soviel zur grundlage.

Für mich persönlich ist das, was man heuer als gentrifizierung wahrnimmt, bzw mit dem Begriff meint, hat meines Erachtens nichts mehr mit gesunder stadtentwicklung zu tun.
3 Beispiele: Berlin, prenzelberg: vor der „wende“ und auch noch danach ein runtergeranztes viertel, die Wohnungen waren billig und entsprechend waren die Vermieter froh, wenn sich überhaupt wer gefunden hat, der sich der Buden als Mieter annahm, scheißegal war es dann auch, wenn die Mieter sich selbst betätigten und eigeninitiativ die Wohnung verschönern würden wollen. Dass da nicht alles nach Plan verläuft und schmutzig, laut oder auch mal feierwütig wird, stört ja keinen. Wohnt ja sonst eh niemand da. Da sich meist ein eher „kreativ-künstlerisches“ Milieu an solchen Orten ansiedelt (geringe und relativ kontrollierbar kosten (im Zweifel sogar noch mit holz-/kohle-ofen…geheizt wird, wenn Geld da ist. Ist keines da, ist die bude kalt, aber zumindest erschlägt einen nicht die betriebskostenabrechnung für’s heizen, so dass man sich die nächste billige bude suchen muss, weil man sowas nich bezahlen kann); und die möglichkeit, viel selbst im habitat gestalten zu können) und dann auch Spaß daran hat, sich selbst kreativ zu betätigen, wird, nachdem die bude auf vordermann und nach den eigenen Vorstellungen hergerichtet wurde, das haus an sich oder der Garten in angriff genommen. Alles sehr frei und nonkonformistisch, was in manchen Stadtteilen schon als Angriff auf die Bourgeoisie betrachtet werden könnte, geht dort halt. Interessiert ja niemanden. Wer außer dem Mieter noch dort wohnt, ist entweder ähnlich gestrickt- oder es is ihm/ihr Wurst. Man schafft also ein soziotop, dass durch billigen wohnraum und eine gewisse „laissez-faire“-Attitüde dafür sorgt, dass sich auch eine gewisse Klientel dort ansiedeln: nämlich die, denen eine Fußbodenheizung oder ein stylisches designer-badezimmer weniger wichtig ist, als ein nachbarschaftliches miteinander, eventuellen kreativen gestaltungsmöglichkeiten und vor allem wohl wenig Kontrolle von außen. So, das " Haus" füllt sich also mit Künstlern, freigeistern und generell Leuten, die eher weniger geld für’s eigene wohnen ausgeben, aber dennoch charmant und nicht im Block wohnen wollen. Da sich das restliche viertel aber immer noch im schlummerzustand befindet und stadtentwicklungstechnisch eher dahinsiecht, siedeln sich, der billigen mieten sei dank, auch weitere Künstler an und mieten freie Räume für Ateliers, kleine Werkstätten oder sowas. Da solche Leute in ihrer Freizeit ja auch was machen wollen, kommen findige alternative alsbald auf die Idee, dass auch kleine lässige Cafés da hinein passen würden. Da besagte Cafés ja auch im Plural auftauchen können, gibt es bald auch klubhäuser, wo man auch mal livemusik spielt, weil laut stört ja erstmal keinen und so. Ein Nährboden des kreativen, sozusagen. Das geht dann ein paar Jahre und entwickelt einen Nimbus des lässigen, des kreativ-abseitigen, jenseits der Norm und laissez-faire halt. Irgendwann zieht das dann auch die ersten Investoren an, die feststellen, dass auch gutverdiener (bzw ab besserverdienenden aufwärts) eben dieses „Image“ eigentlich ganz neckisch finden und sich dort vor Ort, in diesem neudeutsch „tippen“ viertel ansiedeln würden. Is ja total entspannt da, und so nonkonform und kreativ. Dann möchten die aber gern mit Fußbodenheizung und designer-badezimmer wohnen, man kann es sich ja leisten und legt Wert auf häuslichen „Luxus“. Wo Geld ist, kommt anderes hinterher, so dass aus einem kernsanierten und gehobenen Wohnhaus schnell mehr werden. Der Nimbus des Viertels ist noch vorhanden, die ersten rümpfen aber die Nase und schauen nach alternativen, der Großteil bleibt aber. Es ist ja immer noch ihr viertel, man hat sich engagiert und eigeninitiativ die Straßen gesäubert respektive verschönert. Kiezarbeit halt, da hält man zusammen und initiiert auch mal ein Straßenfest oder ähnliches.

Irgendwann gehen aber die " neu" zugehörenden, die jetzt eine der vielen neu entstandenen lofts und luxuswohnungen behausen, auf die Barrikaden. Es ist zu laut, der Lärm aus dem Club stört den besinnlichen Feierabend, die studenten von nebenan machen auf dem Balkon ihrer ranz-bude ständig sit-ins, das nervt und soll weg. Das soll ja ein ruhiges viertel sein!
Entweder häufen sich dann die Beschwerden der Anwohner derart, dass der Club, bzw die Subkultur, die mit wenig Geld für eine Belebung des Viertels gesorgt hat und sich nicht auf Subventionen der Kommune „ausruhen“ kann, schließen muss.
Oder aber alles kleine, sei es die Werkstatt des kleinen Künstlers, das Atelier oder auch die kleine Kneipe, müssen schließen, weil der Vermieter auch die Chance wittert, sich an der gerade erhöhten nachfrage zu bedienen, und alles auf Teufel komm raus saniert. Letzteres kann man im Grunde keinem vorwerfen, der aus unternehmerischen gründen vermietet, höhere mieten bedeuten schließlich höhere Einnahmen für die Vermieter.

Im Prinzip war das jetzt eine immens lange Exposition für meine Haltung für die derzeitige Entwicklung, die ich aus eigener Erfahrung mitbekommen habe: das Sabotage in Dresden (der hippen Neustadt auch noch, welche ihren Ruf
als lesenswertes viertel durch Eigeninitiative der Anwohner zu einem hippen viertel entwickelt hat) muss schließen. Warum: neu zugezogene Anwohner beschweren sich über jeden akustischen fliegenschiss, der aus Richtung des Clubs kommt und lassen sich auch nicht zu Gesprächen bzw Kompromissen bewegen. Dass diese, beispielsweise in diesem Club aktiven, Künstler erst für eine Belebung des Viertels gesorgt und endinstanzlich dafür verantwortlich waren, dass sich ebenjene neu zugezogenen Anwohner überhaupt erst dort ansiedeln. Auf Grund des Images des Viertels nämlich, als Künstlerviertel, als alternatives soziotop.

Das 4rooms in Hypezig muss schließen weil der Eigentümer der Immobilie an einen Investor verkauft hat, der aus dem Gebäude einen luxus-loft-komplex machen will.
In leipzig-connewitz, DER linkenhochburg der Stadt, kann sich kaum einer der eher „alternativ“ eingestellten noch eine Wohnung leisten, weil dem Ruf des entspannten, coolen Images vor allem Leute folgten, die zwar das Bild, aber ganz und gar nicht die Realität des Quartiers genießen wollen und das Geld haben, sich dort anzusiedeln.

In Hamburg stehen mehrer Schließungen zur Disposition, weil die mieten steigen und die Beschwerden der neuen hipster-anwohner nicht abreißen (Club ist mit leider entfallen, ist schon etwas her, sorry).

In halle (saale), meiner Heimat, ist das derzeit recht gut am viertel der sogenannten freiraumgalerie zu beobachten: das Viertel war nach der Wende vollkommen vernachlässigt worden, nur hartgesottene mit Hang zum kohleofen und wenig Geld in der Tasche kamen da hin. Dann begann vor ein paar Jahren (ca. 4) ein studentenprojekt, dass die alten, runtergerockten Fassaden der Häuser mit Hilfe von internationalen Künstlern verschönerte. Müßig zu erwähnen, dass der Großteil der Eigentümer in den alten Bundesländern sitzt und fast kein Interesse daran hatte, dass sich was am Objekt ändert, da selbiges als reines abschreibungsobjekt dient. Diesbezüglich ist also die Annahme „Eigentum verpflichtet“ schon durch die Spekulation und den reinen gelderwerb entkoppelt.
Dennoch haben sie es geschafft, viele Eigentümer zu erreichen und für das Projekt zu begeistern.
Mittlerweile erstrahlen viele Fassaden mit den unglaublichen Kunstwerken und ziehen viele neue Leute an. Ich kenne eine Professorin, die auf Grund dieses flairs unbedingt in dieses viertel ziehen wollte- und da war sie nicht die einzige. Natürlich ist das rein vom mietspiegel keineswegs mit Berlin oder auch nur Hypezig zu vergleichen, aber es zeigt einen relativen „Standard“ in dieser gentrifizierung. In ein paar Jahren werden sich die Leute, die das Viertel überhaupt erst lebenswert und attraktiv gemacht haben, die mieten nicht mehr leisten können. Jegliche Initiative, die das Quartier erst so lebendig gemacht hat, stirbt aus, weil die Initiatoren eben nicht mehr dort leben KÖNNEN, ohne krasse Einbußen des Lebensstandards hinnehmen zu müssen, weil die mieten so angezogen haben.
Das Viertel hat irgendwie „gewonnen“ , weil es „lebenswert“ geworden ist. Im Grunde wohnen da aber die uniformierten gleichschalter, die Schmutz, Lärm und alles, was nicht zu Ihnen passt, vermeiden wollen. Ergo: hip, weil teuer, aber steril und desinfiziert wie das Regierungsviertel.

Mein persönliches Fazit: gesundes Wachstum (sowohl wirtschaftlich als auch hinsichtlich der stadtentwicklung) ist gut. Das Problem am derzeitigen gentrifizieren ist da aber, dass sich auch hier die immer weiter aufklaffende schere von arm und reich bemerkbar macht: man baut sich etwas auf, mit minimalen mitteln, und wird dann von der Entwicklung überrannt und kann eben NICHT einfach entscheiden, dass man die erhöhten Mietpreise mittragen kann. Es wird für einen entschieden, ob man weiterhin in seinem angestammten viertel bleiben DARF oder nicht.

Und ich muss leider sagen, dass ich die Aussage „man kann ja aufs Land ziehen und in die Stadt pendeln, wenn man die mieten nich zahlen kann. Und wenn man sich die Stadt nicht leisten kann, ist man selbst schuld!“ für ziemlich zynisch halte. Ich wohne sehr gerne in der Stadt, einfach weil ich neben dem relativ kurzen arbeitsweg auch gern ins Theater gehe, ins Kino, auf Konzerte oder sonstwas. Das findet man auf dem Land eben nicht! Kulturelles Angebot, nachgerade das subkulturelle, hat in Städten seine Heimat, da bringt es den interessierten einen feuchten Furz, wenn man noch 'ne halbe Stunde mit dem Auto fahren muss (Busse fahren nämlich eher selten, eine ex-freundin meinerseits wohnte in einem Dorf, in dem 2mal am tag (!) ein Bus fuhr, einmal morgens einmal abends- da ist man ohne Auto aufgeschmissen, selbst zum einkaufen musste man irgendwie die Stadt verlassen, es gab nämlich nix im Dorf) um mal ins Kino gehen zu können. Ja, auch das Land hat seine Vorteile, aber will ich mich „inspirieren“ lassen oder auch nur mehr genießen als das alljährliche feuerwehrfest auf dem Dorfplatz, MUSS ich in die Stadt. Vor allem hier, in diesem forum, werden wohl allerhand Leute wissen, dass dieser lebensentwurf eben nicht für jeden der richtige ist- leider fängt das ja heutzutage immer noch damit an, dass man ggf homosexuell ist, versuch da mal, im Dorf irgendwie „normalen“ Anschluss zu finden.
Ich kenne ein homo-pärchen, welches genau diese Erfahrungen gemacht hat, ich selbst (hetero :slight_smile: ) habe ähnliche Erfahrungen in meiner Jugend machen dürfen, einfach weil ich anders war als das, was man von der Jugend auf Dorf so gemeinhin erwartet hat.

Des pudels’ Kern jedenfalls: das Problem ist wohl nicht das gesunde „Wachstum“ von Stadtvierteln sondern die angesprochene Entwicklung, die die orginären Anwohner des Viertels vom viel schnelleren entwickeln der viertel (weil Geld von außen kommt) entkoppelt und zurücklässt. Im Kapitalismus mag das ja ganz logisch sein, und wenig beeinflussbar. In einer (mehr oder minder) „sozialen Marktwirtschaft“ , wie wir sie ja in Deutschland haben, sollte eine gewisse Menschlichkeit immer noch dafür verantwortlich sein, dass eben niemand Opfer einer fortschreitenden ghettoisierung wird, weil er sich die mieten in weniger abgelegenen (und angehängten) Stadtteilen nie wird leisten können.

Ich bin etwas überrascht, dass ein mindestverdienst von irgendwas bei 3-4k € augenscheinlich als relativ fixe Norm angenommen wird- und wer sich das nicht leisten kann, soll sich halt sterben legen, hat halt Pech gehabt. Was für eine Ellenbogen-gesellschaft wird denn mit solcherart denke gefördert? Auf dem Land findet man eben keine Jobs mehr, und selbst wenn: will man, neben der Arbeit, noch irgendwan unternehmen, was nicht nur am heimischen Rechner stattfindet (und da auch nur offline oder mit einer verbindungsgeschwindigkeit aus der Hölle, weil da ja kein tk-anbieter investiert), MUSS man wieder in die Stadt knattern. Im großen und ganzen führt solch ein „was kümmern mich andere, jeder ist seines Glückes Schmied“- Aussagen erst recht zur Verschlimmerung der jetzt schon miserablen Zustände.

Ja, eine Stadt wächst und gedeiht dadurch auf vielerlei arten- aber es ist den wenigsten geholfen, wenn sich ebenjene Stadt in eine saubere und leise wohnkohorte entwickelt, wo nix mehr passiert. Dann siedeln sich die Künstler und kreativen im nächsten viertel an- und das Spiel beginnt von vorn.

Wie immer wäre ein Mittelweg das richtige, aber solange nur das Geld darüber entscheidet, was wie und wann richtig und was falsch ist, kann sich weder eine Stadt, noch ein ideal entwickeln, was ebenjene gedankengrenzen sprengt und aus der neues entstehen kann.

So, und bevor das ganze jetzt noch länger wird, mach ich hier mal Schluss^^
Sorry dass das ganze sooo krass lang geworden ist, aber die fast 90 bisherigen posts haben Mir persönlich ein bisschen zu sehr an der theoretischen Oberflächen gekratzt
So lang derweil, Jan :slight_smile:

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Guter Aufschrieb, besser hätte man es echt kaum sagen können.

Bin seit ca 7 oder 8 Jahren 2-3 mal pro Jahr bei einem Kumpel der zum Studium nach Leipzig ging .
Dort hat er eine schöne Altbauwohnung gemietet in der Südstat, direkt an der Grenze zum Bezirk Connewitz.

Als ich das erste mal dort war, war es auch so wie von dir beschreiben, schwarze verruste Fassaden mit Einfachverglasung und im Erdgeschoss oft zugenagelte Fenster, alles voll Graffiti und man hatte immer massig freie Parkplätze, auch wenn ich mir mit einem neuen Auto dort sorgen gemacht hätte (hatte ja aber nur nen uralten Fiesta)

Die Mieten spottbillig und die Vermieter haben für Kleines Geld vermietet unter der Auflage die Wohnungen wieder herzurichten die teils ewig nicht vermietet waren bzw der Vormieter oft ewig nichts gemacht hatte und der Vermieter auch nicht.
Damals hätte man 6-12 Parteien Mehrparteienhäuser für 50k gekriegt die heute das XXfache wert sind (also die noch unsanierten)

Das zog naturbedingt Leute wie meinen Freund an, der zum Studium nach Leipzig kam und sich mit seiner Freundin dort eine Wohnung nahm.

Und da noch andere junge Leute nach und nach auch hinzogen fing eben langsam der Zyklus an den du beschrieben hast.

Und vor allem Ich, der eben nur alle paar Monate mal da war, fiel die Veränderung eben stark auf, da ich sie nicht als schleichenden Prozess wahrnahm sondern eben als hardcut.
Heute sind fast alle Häuser in der Straße mit neu hergerichteten Fassaden, Treppenhäusern und Heizungssystemen versehen (wodurch man die alten Mieter über die Umlage locker los wird) und man findet keinen Parkplatz mehr da die neuen Bewohner meist 2 Autos haben und auch diese auch eher 2 als 20 Jahre alt sind.

Im Grunde kann man also sagen, dass sobald Anwohner etwas machen, dass das Viertel lebenswerter machen (Verschönerungen, Aktionen, Nachbarschaftsbar die sich an Studenten und junge Leute richtet und nicht die bisherige Alki Eckkneipe) sie eigentlich den Stein ins Rollen bringen, vor dem sie irgendwann selbst überrollt werden.
Nur kann das ja auch nicht die Lösung sein.

Nur gibt es eben leider auch nicht den Mieter X, ab dem die Gentrifizierung beginnt sondern es ist ein Prozess.
Eigentlich müssten Anwohner, sobald sie merken das auf Einmal Studenten und co in die Gegend ziehen diese mit aller Gewalt wieder vertreiben, nur merkt das am Anfang ja niemand und am Anfang nimmt man die Gentrifizierung ja nicht als solche wahr sondern freut sich einfach über junge Leute in der Gegend und erfreut sich an den kleinen Geschäften und Lokalen.
Erst wenn dann am Straßenende die ersten Häuser saniert werden und man von Leuten hört, die Ihre Wohnung verlieren, beginnt man Angst zu haben.

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OK klingt jetzt sicher doof aber wenn ich das was du sagst richtig verstanden habe sind das Viertel gewesen, in denen man tun und lassen kann was man will und die Buden mega verranzt waren und wurden bis gentrifiziert würde.
Sorry aber sowas halte ich einfach nicht für erstrebenswert. Subkultur hin oder her.
Ruhestörung ist Ruhestörung und niemand hat da ne Extrawurst.
Wenn man ständig feiern gehen kann, weil man keiner geregelten Tätigkeit nachgeht und keine Rücksicht auf Nachbarn nimmt, die tagsüber fit sein müssen sollte man sich eher weniger beschweren und von einer Ellbogengesellschaft sprechen, wenn dann versucht wird die Rücksichtslosen Personengruppen weg zu bekommen.
Und das bestätigt grade echt meinen ursprünglichen Eindruck, der bisher eher auf den Weg in die andere Richtung war.

Zustände wie sie in der Rigaer Straße stattgefunden haben und immernoch stattfinden halte ich weder für erstrebenswert noch für tolerierbar.
Sowas verschönert nicht das Stadtbild, sondern vollbringt eher gegenteiliges.
Und das liegt nicht daran, dass da neue Häuser gebaut werden, sondern an der maßlosen Rücksichtslosigkeit und dem Egoismus der dort ehemals ansässigen, was sich auch in der Art und Weise ihres Widerstandes widerspiegelt.

Du zeichnest aber im ersten Teil schon ein ganz schön romanisiertet Bild solcher Viertel und der Wohnverhältnisse.

Man muss aber auch sage, das in Berlin (zb auch in Leipzig) die Leute die da selbst wohnen und noch als Studenten mit wenig Ansprüchen in den 90ern zugezogen sind, die Sanierung vorantreiben. Irgend wann ist man halt auch zu alt für kalte Wohnungen und muffige Flure, da hat man das Geld um es sich besser zu machen und dann hat man ein Job der verlangt das man nachts schlafen kann und man hat Kinder die ruhe verlangen.

Am ende stimme ich dir voll zu besonders die Künstler und die Szenen finden schnell ein weg sich woanders anzusiedeln.

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Wer in ein Viertel zieht wegen der tollen Kneipen und Konzertstätten und dann 10 Jahre später versucht diese wegzuklagen, ist das einfach eine Frechheit.

@Zitronenmuss
Aber das ist doch genauso wie wenn Leute aufs Land ziehen und sich dann über teilweisen Mistgestank beschweren wenn mal wieder jemand Gülle fährt.
Es gibt eben gewisse Dinge die in bestimmten Gegenden normal sind und es ist vermessen wenn Leute von auswärts kommen und sich dann darüber beschweren

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Mit dem Unterschied, dass der Mistgestank einen Zweck für die Allgemeinheit hat.

Zumindest teilweise ist das Ganze ein natürlicher Prozeß. Junge Studenten, aufstrebende Startups oder unbekannte Künstler ziehen in die Stadtteile in der Nähe des Kerns, in denen die Miete noch bezahlbar ist. Das sind dann in der Regel eben Ranzviertel. Dort steigt bald die Lebensqualität, weil das (kulturelle/sportliche/…) Angebot für die jungen Leute besser wird. Es werden ein paar Cafés eröffnet, ein paar Konzerte gespielt. Und die Künstler tragen ihren Teil dazu bei (z.B.mit Ausstellungen oder Lesungen), dass das Viertel plötzlich nicht mehr asi ist - sondern avantgarde. Nach ein paar Jahren hat dann das eine oder andere Startup gezündet. Wirtschaftskraft und Lebensqualität sind weiter gestiegen. Und die Ausstudierten sehen gar keinen Grund mehr, “ihr” Viertel zu verlassen. Auch wenn sie gute Jobs haben und ordentlich Asche verdienen. Das sind nun aber nicht mehr die Anarcho-Studis von damals, die erst um 12 Uhr mit nem ordentlichen Kater zur Uni gewankt sind. Sondern die haben jetzt Verantwortung: Job,Frau und Kinder. Denen zu erzählen: “Ihr dürft euch nicht über Lärm beschweren, weil: Habt ihr früher ja auch nicht. Und überhaupt war das hier schon immer so” - ist argumentativ eher dünn. Das ist eben ein organischer Wandel, den ein Viertel durchmachen kann.

Uncool wird es dann, wenn bei dieser Entwicklung extrem nachgeholfen wird. Wenn Vermieter den großen Reibach wittern und Menschen, die ihr ganzes Leben an einem Ort verbracht haben, nicht schnell genug rausekeln können. Wenn Architekten die einem Viertel eigene Optik mit ihren quadratischen Glaspalästen verschandeln. Wenn Marketingstrategen ein Viertel als kultig hypen, um Auswärtige noch schneller anzulocken. Wenn Städteplaner auf den Zug aufspringen, um Ärmere an den Stadtrand zu drängen und die Kaufkräftigen Richtung Kern zu lotsen. Dann hat man eben den surrealen Zustand, dass Hipster, die im Herzen stocksteife Biedermänner sind, sich mit dem kreativen Geist eines solchen Viertels schmücken wollen. Freilich ohne den Geist überhaupt einatmen zu wollen. Der coole, kreative Wohnort ist nur Fassade, Image, gewissermaßen Statussymbol. Pedantische Langweiler, die weniger langweilig wirken wollen und dafür tief in die Tasche greifen. Und nicht checken, wie langweilig sie gerade das macht. Aber naja, dann wird das kreative Viertel mit dem Anarchocharme halt ein Bonzenviertel - und in 50 Jahren beginnt die Entwicklung vielleicht von neuem.

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Ein lebendiges Viertel hat auch einen Zweck für die Allgemeinheit.

Man merkts ja jetzt schon zb in der Straße in der mein Kumpel in Leipzig wohnt.
Bars, weg.
Nachbarschaftstreff, weg.
Leute auf der Straße, kaum noch.

Und als wir im Sommer im Hinterhof des Gebäudes grillen wollten, kam nicht nur kein anderer der Bewohner dazu (da inzwischen mein Kumpel einer der wenigen von vor 10 Jahren ist die die aktuelle Miete noch zahlen kann, da seine Freundin seeehr gut verdient) sondern ein paar Tage später flatterte auch ein Brief der Hausverwaltung rein das sich jemand beschwert hätte, was zum einen so noch nie vorkam bzw sonst eben face to face geklärt wurde.

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ach komme bitte, wo ist es den normal das man sich einfach zum Nachbar dazu setzt wenn der grillt, wir haben hier ein wirklich gutes Verhältnis im Haus, im käme aber nie auf die Idee mich dazu zu wenn der Nachbar grillt.

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Man kann der Gentrifizierung auch einfach die Schuld an allem geben…

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War da aber früher immer so, sobald unten jemand den Grill anwarf kamen die Leute mit Bier und co und gesellten sich dazu.

Ok, kein riesen Thema aber das ist eben einfach ein Symptom.

Ich möchte auch mal meinen Senf dazu geben. Die Mieten sind so hoch, weil Vermieter so hohe Preise verlangen können und Leute immernoch mieten. Was ist denn die Alternative zum mieten? Eigentum erwerben. Eigentum ist aber grade in Deutschland extrem teuer. Dafür mache ich zu einem großen Teil die hohen Steuern verantwortlich. Auf Grundstück und Häusern sind extrem hohe Steuern, die die Preise unnötig in die Höhen schnellen lassen. Darüber hinaus sind auch sonst die Steuern sehr hoch, der Durchschnitts Deutsche zahlt um die 54% Steuern alleine aufs Gehalt. Wenn Eigentum wieder bezahlbarer und üblicher wäre, dann könnten die Vermieter gar keine so hohen Preise wie heute verlangen.

@Zitronennuss

Sorry, da hab ich mich, der Uhrzeit und den 3 gläsern Wein sei’s geschuldet ^^, etwas missverständlich ausgedrückt.
Natürlich geht es keineswegs darum, dass man in solchen Städten eine anarcho-zone etabliert, in der Sodom und gomhorra tagtäglich reenacted werden, um Himmels willen!^^
Mir geht es um den Fakt, dass man in solchen Vierteln halt etwas „freier“ und weniger gegängelt sein Ding gemacht hat- und bedingt durch die Historie der Gegend war das sowohl der Stadt als Fürsorger einer gewissen Ordnung als auch den Eigentümern der immos halt relativ wumpe. Dadurch konnte dann ja erst das oben elaboriert beschriebene szene-viertel entstehen, was dann in letzter Instanz das Geld anzieht und dafür sorgt, dass sich die Leute, die mit Eigeninitiative (sei es besagte Renovierung auf eigene Faust, die Entwicklung einer nicht geförderten kulturszene, Straßenfesten etc.pp) diese Entwicklung erst möglich machten, von dort verdrängt werden. Und ja, da bin ich bei dir und das meinte ich tatsächlich nicht im verstandenen Sinne: ein Quartier, was eher als sündenpfuhl mit Lärm und anderweitigen nervereien rund um die Uhr bekannt ist, will ja niemand, glaub ich. Aber in einen Stadtteil ziehen, der für seine vitale Szene bekannt ist und diese dann mit macht (vulgo: Geld) auszumerzen, ist jetzt nicht wirklich Sinn und Zweck eines gesunden Wachstums. Dass in jedweder Situation respekt für das gegenüber da sein muss, ist klar. Aber man kann ja doch von Leuten verlangen, dass sie sich bewusst gewählten Situationen anpassen und nicht versuchen, diese dann mit aller Macht an ihre komfortzone anzupassen, oder? Hier greift auch wieder das Beispiel der Familie, die aufs Land zieht (is so schön ruhig) und dann anwaltlich erwirken will, dass der Nachbar seinen Hahn schlachtet bzw „Muted“, weil der immer so viel Lärm macht. Solche Eskapaden sind doch nicht wünschenswert. Wir haben ja nun mal das Glück, dass wir unseren wohnraum frei wählen können und dies auch in Abhängigkeit der eigenen finanziellen Situation passiert, deshalb hat man ja auch eher randstädtliche Bezirke, die billiger sind und entsprechende Klientel anziehen und eben die gehobenen Varianten, wo man auch eher unter sich bleibt. Hier entsteht ja die Frustration, bzw die " Aufladung" des negativbegriffs der gentrifizierung durch die machtlosigkeit derer, die sich eben nicht jede bude leisten könnten, aber dennoch auch eine gesellschaftliche teilhabe anstreben, die über den eigenen Garten und ein paar selbstangebaute tomatensträucher hinausgeht. Wie immer im leben macht es halt einen immensen unterschied, ob man aktiv bestimmt, wo man leben möchte (mit den Konsequenzen) oder ob man bestimmt wird (passiv, durch die jeweiligen äußeren Umstände eben). Und da die arm-reich-schere ja immer weitere auseinandergeht, entscheiden immer weniger Leute indirekt mit ihrem prallen Geldbeutel darüber, wie der Großteil der mittel- bis unterscheidet zu leben hat. Und DAS, also diese machtlosigkeit angesichts der Herrschaft des Kapitals, macht viele Leute glaube ich so ratlos und wütend.
Und ja, ich habe ein recht „romantisches“ Bild gezeichnet, was aber tatsächlich auch in dem sinne als gegenentwurf zur hochtheoretisch definitionsdiskussion, die hier so stattfand, gedacht war. Selbstredend hat alles viel Licht und ähnlich viele schattige Plätze, ich hoffe aber, dass ich den Punkt, der an der ganzen g-geschichte derzeit etwas bedenklich ist, etwas besser darstellen könnte :slight_smile:

Edit: das, was das teufelshuhn sagt, bringt es etwas besser auf den Punkt, den ich meinte. Und natürlich gibt es kein Argument, dass eine Gegend, die immer laut war, auch immer laut bleiben muss. Das hab ich nicht sagen wollen. Wir reden ja immer noch von stadtentwicklung, nicht -Stillstand :slight_smile:

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und was hat das mit der gentrifizierung zu tun? dann werden in den edelvierteln eben mehr eigentumswohnungen verkauft statt wohnungen gemietet die sich ein normalverdiener nicht leisten kann bzw wenn die leute mitten in die stadt ziehen wollen nützt dir nichts wenn irgendwo anders billiger häuser gekauft/gebaut werden können

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Wenn Eigentum wieder günstiger wäre, werden auch die Mieten runter gehen in den Städten. Dann könnte man wieder günstiger in der Stadt wohnen/sich es überhaupt leisten in der Stadt zu wohnen.

ergib doch überhaupt keinen sinn weil sich nichts an verhältniss angebot und nachfrage ändert.

Grund ist das einzige in Deutschland das tatsächlich beschränkt ist. Alles andere kann man importieren.

Die Leute in Deutschland werden immer mehr.

1840: 27.000.000
1900 hatte Deutschland 50.000.000 Einwohner. (Auf mehr Fläche damals da Königsberg, etc.)

Heute 82.000.000

Ob der Grund jemals wieder günstiger wird kann nun jeder selbst abschätzen.
möchte ich dass Grund / Miete günstiger für mich wird, bleibt nur übrig eine Einkommensart zu finden, die eine größere Steigerung (z.B. durch Gehaltserhöhungen, etc. ) hat als die Grundstückspreise.

Deutschland selbst geht es dabei noch verhältnissmäßig gut oder gleichbleibend… 1950 noch gab es eine Weltbevölkerung von 2,5 Mrd Personen und und europa wohnten ca. 20 % der Weltbevölkerung. Heute gibt es mehr als 7 mrd. und in Europa wohnen nur noch 10% der Bevölkerung

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Gerade dann doch. Kaufen die Wohnungen einfach auf und vermieten die. Steuern haben wesentlich weniger Einfluss auf Geschäfte als viele denken. Zumal die Leute, die sie zahlen müssen, in der Regel irgendwie reduzieren können. Wenn du jetzt die Steuern senkst wird zwar das Eigentum entwertet bzw der Kauf günstiger, aber wer sagt dir, dass sie verkauft werden? Warum sollte ich eine Wohnung verkaufen, die ich vermieten kann, noch dazu eine, die ich jetzt günstiger kaufen kann, um sie zu vermieten?

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die entwicklung ist ja jetzt schon so, dass hauptsächlich eigentumswohnungen, für die oberen schichten, gebaut werden, die dann als investitionsobjekt und nicht als zu hause genutzt werden…