Über dieses Bild, die Ansicht von Delft, viel mehr die kleine gelbe Mauerecke hat Herrndorf einen sehr hübschen Text geschrieben.
Leider liegt das Buch im Atelier, sonst würd ichs abfotografieren.
Ah halt, alles zurück, ich hab ihn gefunden, hier ist er (Sogar Original aus dem Forum, Wir höflichen Paparazzi, in dem er eine Zeit lang unter dem Pseudonym Stimmen(was auch der Titel der letzten posthumen Veröffentlichung von Herrndorf ist) geschrieben hat - Dann halt als Zitat, wenn das mit dem Screenshot nicht klappt):
Ich bin Proust zuerst in Den Haag begegnet, vor 12 oder 13 Jahren. Das heißt, natürlich nicht Proust. Aber Wolfgang Müller ist Proust ja auch nicht begegnet. Ich war in Den Haag, um mir die beiden Vermeers anzuschauen. Sie hängen im Mauritshuis, ‚Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge‘ und die ‚Stadtansicht von Delft‘. Das Mauritshuis ist das schönste Museum der Welt, es ist klein und alt, quadratisch und fast menschenleer. Die Vermeers warfen mich um. Es gibt nur wenige Bilder, von denen ich das sagen kann, und ich weiß nicht einmal, ob das heute noch ganz genauso wäre. Aber ich bin damals auf der Suche nach Vermeer durch halb Europa gereist, und je mehr Bilder man sieht, desto weniger berühren sie einen wie am Anfang. Mittlerweile setze ich keinen Fuß mehr in Gemäldegalerien. Ich würde hier auch einen Link zur ‚Stadtansicht von Delft‘ reinstellen, wenn das Bild reproduzierbar wäre. Ist es aber nicht.
Nachdem ich lange vor dem Bild gesessen hatte, sprach mich ein Amerikaner an. Er wollte über Vermeer reden, und er störte, wie Leute im Museum immer stören. Selbst wenn man in einer Gemäldegalerie ganz allein ist, kommt immer noch jemand vom Personal angeschissen. In der National Gallery in London, die auch zwei mittelklassige Vermeers beherbergt, hat mich ein Aufseher einmal rausgeschmissen, weil ich eine Stunde lang vor der ‚Virginalspielerin‘ stand und schließlich zu weinen anfing.
Ich machte ein wenig Konversation mit dem Amerikaner und verschwand dann in die Caféteria des Mauritshuis. Nach kurzer Zeit tauchte der Amerikaner wieder auf und setzte sich an meinen Tisch. Er war eigentlich gar nicht unsympathisch, aber er hatte etwas Dringendes an sich. Er fragte, ob ich Proust gelesen hätte und erzählte, daß in dessen ‚Recherche‘ die ‚Stadtansicht von Delft‘ vorkomme und daß da diese Mauer „with a little piece of yellow“ gemalt sei und ob ich wohl dieses little piece of yellow bemerkt hätte. Als ich dem Amerikaner mitteilte, daß ich bei einem „girlfriend“ in Amsterdam wohne, verlor er das Interesse an mir und verschwand.
Ein paar Wochen später sah ich Proust in der Buchhandlung liegen und kaufte ihn wegen des little piece of yellow. Die Geschichte kommt nach ca. 3000 Seiten und geht so: „[Der Schriftsteller Bergotte] starb unter folgenden Umständen: Ein verhältnismäßig leichter Anfall von Urämie war die Ursache, daß ihm Ruhe verordnet worden war. Aber ein Kritiker hatte geschrieben, daß Vermeers ‚Ansicht von Delft‘ (die das Museum im Haag für eine Ausstellung holländischer Kunst leihweise zur Verfügung gestellt hatte), ein Bild, das er liebte und sehr gut zu kennen meinte, eine kleine gelbe Mauerecke (an die er sich nicht erinnerte) enthalte, die so gut gemalt sei, daß sie allein für sich betrachtet einem kostbaren chinesischen Kunstwerk gleichkomme, von einer Schönheit, die sich selbst genüge; Bergotte aß daraufhin nur ein paar Kartoffeln, verließ das Haus und trat in den Ausstellungssaal. Schon auf den ersten Stufen, die er zu ersteigen hatte, wurde er von Schwindel erfaßt. Er ging an mehreren Bildern vorbei und hatte einen Eindruck von Kälte und Zwecklosigkeit angesichts einer Kunst, die nur künstlich war und nicht gegen das Fluten von Luft und Sonne in einem venezianischen Palast oder einem einfachen Haus am Meeresufer aufkommen konnte. Endlich stand er vor dem Vermeer, den er strahlender in Erinnerung hatte, noch verschiedener von allem, was er sonst kannte, auf dem er aber dank dem Artikel des Kritikers zum ersten Mal kleine blaugekleidete Figürchen erkannte, ferner feststellte, daß der Sand rosig gefärbt war, und endlich auch die kostbare Materie des ganz kleinen gelben Mauerstücks entdeckte. Das Schwindelgefühl nahm zu; er heftete seine Blicke - wie ein Kind auf einen gelben Schmetterling, den es gern festhalten möchte - auf die kostbare kleine Mauerecke. ‚So hätte ich schreiben sollen, sagte er sich. Meine letzten Bücher sind zu trocken, ich hätte mehr Farbe daran wenden, meine Sprache in sich selbst so kostbar machen sollen, wie diese kleine gelbe Mauerecke es ist.‘ Indessen entging ihm die Schwere seiner Benommenheit nicht. In einer himmlischen Waage sah er auf der einen Seite sein eigenes Leben, während die andere Schale die kleine so trefflich gemalte Mauerecke enthielt. Er spürte, daß er unvorsichtigerweise das erste für die zweite hingegeben hatte. ‚Ich möchte dabei doch nicht, sagte er sich, für die Abendzeitungen die Sensation dieser Ausstellung sein.‘
Er sprach mehrmals vor sich hin: ‚Kleine gelbe Mauerecke unter einem Dachvorsprung, kleine gelbe Mauerecke.‘ Im gleichen Augenblick sank er auf ein Rundsofa nieder; ebenso rasch dachte er schon nicht mehr, daß sein Leben auf dem Spiele stehe, sondern in wiederkehrendem Optimismus beruhigte er sich: ‚Es ist eine einfache kleine Verdauungsstörung, die Kartoffeln waren nicht ganz gar, es ist weiter nichts.‘ Ein neuer Schlag streckte ihn zu Boden, wo die hinzueilenden Besucher und Aufseher ihn umstanden. Er war tot.“ (Übersetzung: Eva Rechel-Mertens)Die Romanfigur gleicht in vielem Anatole France, aber auch dem Autor selbst. 1921 besucht Proust eine Ausstellung holländischer Meister im Musée du Jeu de Paume, erleidet vor den Bildern einen Schwächeanfall und stirbt bald darauf. Ich hatte Jahre später noch einmal die Gelegenheit, die ‚Stadtansicht von Delft‘ zu sehen, bei der großen Vermeer-Retrospektive in Den Haag, der schrecklichsten, überfülltesten Ausstellung aller Zeiten. Die kleine gelbe Mauerecke konnte ich auch da nirgends entdecken.
Wegen Wien und Tod und so. Hab ich zwei Sachen gefunden.
Keine Ahnung wie gut die sind, weil selbst noch nicht gesehen/gehört, aber ich lass die mal hier.
Einmal eine 3sat Doku:
Und einmal Deutschlandfunk Kultur:
Ja wirklich ein hübscher Text.
Muss zugeben schon auch von dem Mädchen mit den Perlenohringen sehr fasziniert zu sein…
Von Vermeer wahrscheinlich mehr, als von jedem anderen Maler.
Danke auch für die Links.
Kannst du das lesen? Bei mir ist der Screenshot irgendwie fürchterlichklein und ich weiß nicht wie ich den größer bekomm…Hm.
Musste mich anstrengen, aber ja es ging…
Für die Augen ist es nicht so gut, weiß jetzt ad hoc auch nicht wie man es größer kriegt…
Ahh ich sehe, Problem gelöst.
Die Geschichte hat hier halt vorallem auch trauriger weise mit der NS-Zeit zu tun.
Toller Podcast der sich in dieser Folge die Geschichte des Friedhofs vornimmt:
Im Extra gibts sogar die gesamte Fürhung zu hören, auch sehr gut:
Hier noch mal Wiki:
Aber der ist echt mal einen Besuch wert.
Wenn das mit dem Reisen wieder einfacher geht, würd ich bei einem Wienbesuch echt vorschlagen, sich da um eine Führung zu kümmern.
Also ich fand das letzten Herbst echt schön dort.
so was finde ich ja immer abgefahren das es Machbar ist anhand von Amateur Videos und Dokumenten so was zu erstellen
es ist trotzdem traurig das es zu solchen Videos kommt!
Eine Geschichte der Zeit
Liesel
Dazu weiterführend vielleicht Interessant, die bizarre Geschichte von Angelo Soliman, einem schwarzen Hofdiener in Wien, der im 18. Jahrundert hoch angesehen war und nach seinem Tod präperiert wurde.
Standard - Hochgeschätzt und ausgestopft: Wer war Angelo Soliman?
Wurde auch vor garnicht allzulanger Zeit verfilmt. Hab ich allerdings nicht gesehen und kann nix dazu sagen.
In dem Trailer wirkt es so als ob er auch eine Art Hofnarr war, geht aus dem Wiki aber nicht so hervor?
Was mit ihm nach seinem Tod passiert ist lässt einen mit Groll auf den Kaiser und das „Antiaufklärerische“ Wien schauen.
Ach darum geht es bei Körperwelten?
Ja, dem Trailer nach, wird er scheinbar eher nur auf dieses Hofkuriosum eingegangen. Er dürfte ja interessanter Weise recht gebildet gewesen sein und kam wohl auch zu einem kleinen Vermögen.
Laut dem Standardartikel zählte Soliman selbst wohl zu den „aufklärerischen und reformatorischen Geistern“ seiner Zeit.
Interessante Figur auf jeden Fall, ich weiß aber ehrlich gesagt auch zu wenig.
Ohja.
Naja, Körperwelten ist eine (Wander)Austellung echter menschlicher Präparate, die aufwendig auf unterschiedlichste Weise inszeniert sind.
Die Verbindung hab ich halt gemacht.
Er scheint auf jedenfall zu Lebzeiten einen Platz in Wien gefunden zu haben, der nicht nur dadurch gekenzeichnet war, dass er degradiert wurde. Er konnte sich Emanzipieren und Selbstbewusst sein Leben gestalten, wenngleich ihm seine „Exotik“ natürlich trotzdem übergestempelt wurde…
Was mit ihm nach seinem Tod gemacht wurde lässt mich schaudern.
Absolut.