[Archiv] Autorenwettbewerb #1

Eine Ewigkeit

In der Leere von Moment und Existenz jedes Zeitgefühl verloren. Die Wände werden Spiegel, während sich die Hände in das eigne Fleisch verbohren. Keine Ahnung wie lange schon, nur eine diffuse wie lange noch, das Warten auf den nächsten Tag wie ein Warten auf den Tod.
Sowohl Sehnsucht als auch Angst, weniger weil es endet mehr wegen der Furcht, dass man was verschwendet hat. So all augenblicklich Sinnfragen unter der Schädeldecke brennen, der Versuch der Verdrängung mit Hilfe stumpfer Unterhaltung aus Dummheit verbreitenden Medien.
Reste von Selbstachtung und Stolz stehen noch als letzte Bastion, Anspruch und Willenskraft sind schon gefallen im Kampf gegen Langeweile und Prokrastination, ungewiss wie lange ihre Mauern noch halten.
Die Gedanken sind zu frei, sie verschwimmen, verschwinden will man sie greifen, das Nachschauen ernährt fleißig die zernagenden Selbstzweifel. So viel was zu tun wäre, zu unfähig was zu machen, jede Minute die vergeht brüllt ein herablassendes Lachen.
Rekursiver Hass der wie Galle, aus dem Innerstem, nach oben schießt, ist kein Rammbock der die Ketten der Geißlung löst, sondern ein Gift was die Lähmung nur weiter vertieft. Ein Sturm zieht durch den Kopf und bis es unmöglich wird sich zu fokussieren. Ein Streifen durch das Zimmer wie ein Schiff, dass droht die Orientierung zu verlieren.
Gedächtnislücken, verschmelzende Erinnerungen, Realität und Fiktion die immer schwerer zu trennen sind. Kein Halt mehr in der echten Welt, Dunkelheit die das Sichtfeld komplett verschlingt. Eintauchen in Fantasie und Albträume, ein Gespräch über Ehrlichkeit und Liebe mit dem Teufel.
Monolog mit konträre Hintergrundmusik. Die Playlist von Schranz zu Death Metal zu Emopunkrap springt. Jeder Schlag der Bassline, ein Drücken auf die Brust. Das Hören der Songs gleicht fast einer Reanimation. Der Müll des verdreckten Apartments, und alle Kleintiere die ihm inne wohnen, bilden die Zuschauerschaft dieser skurrilen Show.
Keine Freunde, Keine Familie, keine Arbeit, keine Nachbarn die den Rettungsring werfen können. Das jämmerliche ertrinken im Meer aus Nichts scheint vorher bestimmt. Kein Kampfeswillen mehr, das Strampeln nur noch aus Reflex. Egal wie nur noch der Wunsch das es endet.
Die Zeit dehnt sich bis zum Maximum. Aus Sekunden werden Jahre, aus einer Minute ein Millennium. Aus Stunden Äonen und der Tag fühlt sich an als hätte er mit dem Urknall begonnen. Man sagt Zeit ist nur die Maßeinheit für den Fluss der Welt, doch wie misst man etwas was scheinbar auf ewig inne hält.
Wenn man glaubt, dass sich alles Rückwärts bewegt, dann ist ein Tag nur eine Bezeichnung eines lächerlichen Konzept dessen Sinn man nicht mehr versteht. Man zum Schluss nicht mehr weiß wann, wo oder wie es vorbei war, nur dass der Zeiger auf einmal hinter der Verbindung aus Eins und Zwei stand.
Nur noch ein Dumpfer Schatten bleibt von dem Gefühl und die Stille Hoffnung, trotz gegenteiliger Gewissheit, dass so etwas nie wieder passiert. So legt man sich ins Bett, träumt von Dingen an die man sich später nicht mehr erinnert. Und die letzten Worte die vor dem Einschlafen immer wieder hallen sind in unzähligen Intonationen „Was für ein Tag. Was für ein Tag?“

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"Wie Jeder Andere"

Das Messer bohrte sich mit einem haarstäubenden Kreischen in die Armaturen des aus Blech bestehenden Panzers und hinterließ einen schiefen, aber deutlich sichtbaren Strich. “Kannst du mit dem Scheiß mal aufhören?”, schrie Fried den Verursacher an, der nur gut eine Armlänge von ihm entfernt saß. Manni drehte sich um, kratzte sich mit einem vor Dreck starrenden Finger an der Schläfe bevor er sich in dem schwankenden Gefährt aufrichtete und ein Grinsen voller gelber Zähne offenbarte. “Kann ich? Ich muss, das weißt du.” Mit diesen Worten zog Manni sich das schweißnasse Shirt über den Bauch und offenbarte eine armlange Narbe, die sich quer über seinen Rumpf erstreckte. Fried wandte sich wieder dem kleinen Schlitz vor sich zu und gab Gas. Während sich der Panzer röhrend in Bewegung setze fuhr er seinen Begleiter an: “Nur weil du die Feuerprobe schon hinter dir hast, hast du mir nichts zu sagen Mann. Ich war schon drei Monate vor dir unterwegs, kann ja nichts 'für, dass ein Wühler unter dir hochgeht. Und deinen Glücksdreck kannst du dir in deinen Arsch schieben. Sind nur Kratzer.”
Manni wurde von dem plötzlichen Ruck zurück in seinen Sitz geworfen, mit dem er sich wieder den Armaturen zuwandte. Seine Finger ließ er sanft über die eingeritzten Striche gleiten, während sich sein Mund zu einem seligen Lächeln verzog. “Mach dir nichts draus Sarah”, flüsterte er leise zu dem Monstrum aus Blech und Stahl, “wir stehen das zusammen durch.” Manni wurde lauter, während seine Hände über die Tasten sprangen: “Klar kann ich dir Befehle geben, weil ich das Feuer hinter mir habe. Hast keine Ahnung was es heißt fast zu verrecken. Ist in deiner Flasche noch was?” “Ne, nichts mehr drin. Müssen auf die anderen warten. Was sagt die Karte?” Mit einem Ruck zog Manni eine verdreckte Karte hervor, positionierte sie vor sich und verglich Punkte mit Daten seiner analogen Anzeige. Mit einem zufriedenen Grunzen wandte er sich an Fried: “Alles gut, sollten wieder auf der Spur sein. Wenn wir den Hügel besetzen sind wir außerhalb der Kanonen und können die gleichzeitig sehen. Und morgen ist die Scheiße dann für uns erledigt.” Er lachte heiser. “Dann hast du auch deine Ruhe. Aber, Moment, halt mal an.” Vor Panik ergriffen sprang Manni auf, während Fried, die Ernsthaftigkeit seiner Stimme erkennend, sofort das Gefährt zum Stehen brachte. “Was ist los Manni?” fragte Fried, während Manni die Luke des Panzers aufstieß und nach außen kletterte.
Mit einem dumpfen Klatschen schlug der junge Mann unten auf und lief im Laufschritt zu seinem Platz. “Bewegung Kadett, das ist keine Übung, Feindkontakt! Bewegung!” Die Stimme des Offiziers klang noch in seinen Ohren, während sein Herz heftig in seiner weiß uniformierten Brust schlug. Ein metallisches Klirren hinter ihm kündigte das Kommen des Offiziers an, der sich erhobenen Hauptes neben ihn stellte und nach draußen starrte, vorbei an jener Bestie von Kanone, die sich bedrohlich Richtung Horizont erstreckte. Der Offizier griff mit seiner linken einen Flachmann aus seiner Uniform, öffnete seine Rechte und ließ das Wasser großzügig hineinfließen, bevor er sich mit der flachen Hand über das glattrasierte Gesicht strich. “Kadett, Hand.” Sofort öffnete der Kadett seine Rechte und empfing das Kühle nass, dass die Hitze des Tages für einen kurzen Augenblick aus seinen Gedanken verbannte. Mit neuem Fokus drehte er Kurbeln, betätigte Schalter und gab knapp zurück: “Waffensysteme bereit zum Abfeuern Herr Offizier!” Die darauf folgende Stille füllte ihn mit einer Anspannung, die er noch nie in seinem Leben erlebt hatte. Der Offizier stand ohne Regung neben ihm, die makellose Uniform fast eine Tarnung gegen den weißen Hintergrund des Bunkerinneren. Mit einem kalten Schauer fiel dem jungen Mann wieder ein, weswegen er hier saß und wandte sich sofort wieder seiner Aufgabe zu, die linke an der Kurbel, die rechte über den Tasten ruhend, gelernt, mechanisch. Als sich die Situation bis zur Unerträglichkeit zu ziehen schien, hörte er den harschen Befehl des Offizier: “Vier Grad Nordnordost.” Kaum hatte er die Stimme vernommen begann er schon zu Kurbeln was sein Arm hergab, seine Muskeln spannten sich und fast sofort stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Mit einem letzten Ruck war das Rohr perfekt ausgerichtet. “Ausgerichtet auf vier Grad Nordnordost. Waffensystem zum Abschuss bereit.” Weitere unerträgliche Sekunden folgten, bis der ruhige Befehl des Offiziers an sein Ohr drang: “Feuer!” Der Kadett presste einen Knopf und ein Knall durchschlug die Stille. Die Kanone schickte ihre tödliche Fracht in die Ferne und als der Kadett aufblickte, sah er den Aufschlag des Geschosses, eine Explosion und Rauchschwaden, die in der Ferne nach oben stiegen. Die Hitze des explodierenden Geschosses hatte das trockene Gestrüpp rund um das Ziel in Brand gesteckt und breitete sich blitzschnell aus, sodass das Gefährt innerhalb kürzester Zeit hinter schwarzen Rauchschwaden verschwand.
“Gut gemacht Kadett. Lassen Sie mich Ihnen zu ihrem Abschuss gratulieren! Der Rat ist Ihnen zum größten Dank verpflichtet.” Mit diesen Worten griff der Offizier nach einem an der Wand hängenden Buch, schlug es auf und platzierte es samt Stift vor dem jungen Mann. Dieser hob mit zitternder Hand den Stift. Er suchte auf der aufgeschlagenen Seite seinen Namen, ging in die Spalte markiert mit “Tag 1” und hörte noch wie der Offizier ihm sagte, dass er noch viele Tage wie diesen zum Dienen hätte, während er zittrig und mit einem leisen Quietschen seinen ersten Abschuss mit einem Strich markierte.

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LEBENSWEGE

Es war wieder einer dieser Tage, Karma sei Dank, mit welchem ich schon lange abgeschlossen habe. Warum sollte es mir besser gehen als der überwiegenden Anzahl der Weltbevölkerung?
Ich weiß es nicht.
Warum mir, einem Mann, mittleren Alters, ungebunden und mit einem spießigen Bürojob?
Nein wirklich, das wäre nicht fair! Ist es das, was mein Leben bestimmt, einfach alles gut sein lassen, die Chancen nicht mehr erkennen und alles zu akzeptieren und anzunehmen wie es kommt?
Ich weiß es nicht.
Aber genau das ist es doch was mein Leben bestimmt, Tag ein Tag aus.
Familie, Freunde, Arbeitskollegen von allen Seiten hört man sie doch sagen, komm Junge mach was aus dir, ergreif die Chance, Lebe dein Leben, du musst es jetzt genießen, mache jeden Tag zu etwas Besonderem… Sollte das alles also wirklich so leicht sein? Was macht einen bzw. mich denn überhaupt glücklich, ist das Leben, so wie ich es lebe, nicht genau das was ich mir ausgesucht habe?
Ich weiß es nicht.
Sollte es wirklich so leicht zu ändern sein und wenn ja, ist das erstrebenswert nur weil andere mir dazu raten?
Ich weiß es nicht.
Sicher gibt es hier und da Lichtblicke auf dem tristen Weg des Lebens. Wodurch sind diese jedoch bestimmt? Schicksal, Karma, Familie, Freunde,…. Es gibt sicher abertausende Abzweigungen die das Leben bestimmen, aber welche ist mir wichtig, welche beeinflusst mich am meisten und warum?
Ich weiß es nicht.
So ziehen die Tage also ins Land, Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr. Nun sitze ich hier und schreibe meine Gedanken auf und lasse die Zeit Revue passieren, versuche mir die positiven Erlebnisse und Gedanken wieder vor mein Auge zu führen und zu hinterfragen. Was hat mich beeinflusst, warum haben Dinge die Auswirkung die Sie haben, trifft das alles nur bei mir so zu oder geht es anderen genauso?
Ich weiß es nicht.
Sollte ich mir überhaupt die Frage stellen was mich beeinflusst oder es einfach gut sein lassen? Ich bin doch nur einer von Vielen, ich kann doch nichts bewegen. Es steht mir nicht frei mir Gedanken über den Sinn des Lebens, Karma, etc. zu machen. Ich bin nur einer von vielen, von womöglich sehr vielen. Tut es also wirklich Not, seine Zeit damit zu vergeuden, sich zu hinterfragen und zu ändern?
Ich weiß es nicht.
Ist es erstrebenswert alles und jeden zu hinterfragen? Muss ich immer wissen wie oder warum etwas geschieht? Reicht es nicht einfach, es auf sich wirken zu lassen, sich dem hinzugeben was gerade passiert? Ist der Tag, an dem ich mich leiten lasse, gleich ein verlorener Tag? Wenn ja, warum?
Ich weiß es nicht.
Neugier und Wissensdurst sind Dinge die uns gegeben sind, dem einen mehr, dem anderen weniger, jedoch kann es ratsam sein, manche Dinge zu genießen. Ich gehe ja auch nicht in eine Zaubershow, wenn ich die „Magie“ nicht zulasse oder nicht zulassen will. Ich beschäftige mich nicht mit Ernährung, um mich dann im Supermarkt über die Auswahl zu beschweren. Ich erwarte von einem Tag nicht, dass er etwas Besonderes wird. Dinge kommen und gehen, sie passieren oder nicht.
Es ist sicherlich möglich hier und da Einfluss zu nehmen, aber ist das wirklich ratsam?
Ich weiß es nicht.
Ich persönlich, das bringt der Job vielleicht so mit, hinterfrage ständig getroffene Aussagen, auffälliges Verhalten, oder ähnliches. Macht mich das glücklich? Nun einerseits sicherlich, das Abwägen und Konstruieren der verschiedenen Möglichkeiten macht mir ja Spaß, zum anderen hemmt es mich, ich weiß es und kann es nur begrenzt ändern. Natürlich wollte man sich aus diesen Fängen befreien, was bis heute nicht gelungen ist. Ist das jetzt gut oder schlecht?
Habe ich Nachteile? Ja!
Habe ich Vorteile? Ja!
Warum also Sachen ändern die sowohl positive, als auch negative Wirkungen nach sich ziehen?
Ich weiß es nicht.
Sicher strebt der Mensch nach Glück und Geborgenheit, vielleicht auch nach Geld oder anderen materiellen Dingen, aber warum verbiegen? Wenn man sich die Zeit nimmt und einmal alles erlebte Revue passieren lässt, hat man dann vielleicht nicht schon sein Leben wie man es will? Kritisiert man vielleicht auf hohem Niveau?
Ich weiß es nicht.
Wieso wollen die Menschen etwas immer noch größeres? Warum soll es noch ein bisschen mehr sein? Überall in der Gesellschaft schwankt so etwas mit. Aber aus welchem Grund? Warum muss mein Tannenbaum größer und prachtvoller sein als der meines Nachbarn, warum braucht ein Kind noch mehr Spielsachen, warum fragt mich die Fleischereifachverkäuferin jedes Mal: Darf es noch etwas mehr sein?
Ich weiß es nicht.
Es muss immer etwas geben woran man sich orientieren, zudem man aufsehen oder etwas nach dem man sich richten kann. Ist das heutzutage aber noch zeitgemäß? Der olympische Gedanke, dabei sein ist alles, ist demnach nur eine Floskel. Natürlich findet man daran Gefallen diversen Wettstreiten beizuwohnen, sei es die momentane Fußball Europameisterschaft, den olympischen Spielen oder generell allen anderen Dingen wo Menschen sich messen. Es geht hier in erster Linie um den Sieg, dass, ich muss besser sein als jemand anderes, nur so werde ich in dem bestätigt was mich antreibt. Aber warum? Ist das alles wirklich so entscheidend?
Ich weiß es nicht.
Bleibt man bei dem Beispiel Fußball, ist es da nicht erstaunlich, dass jeder Sportaffine sich über den Meistertitel für Leicester City gefreut hat? Fiebern wir jetzt nicht gerade alle mit den Isländern mit? Waren wir damals nicht alle Europameister als der Mythos Rehakles geboren wurde? Die Faszination den „Kleinen“ zu unterstützen bringt die Menschen zusammen, da ist es dann auch nicht mehr entscheidend wie das Turnier für die Isländer zum Beispiel zu Ende geht. Die Spieler sind „Helden“, haben aber faktisch nichts erreicht, der olympische Gedanke lebt also noch. Ist es also doch nicht wichtig immer zu gewinnen und besser zu sein? Ist die Tatsache den Moment zu genieße vielleicht doch wichtiger, können wir uns aus solchen Dingen vielleicht mehr „Kraft“ ziehen?
Ich weiß es nicht.
Religion ist einer der tragenden Pfeiler der Menschheit. Aus keinem anderen Grund wurden mehr Kriege geführt, oder sind mehr Menschen gestorben. Nichts gibt dem Menschen mehr „Kraft“ als ihr Glaube. Warum sollte jedoch nur eine Religion die Richtige sein? Ist es am Ende wirklich entscheidend wie das alles zusammenhängt, wer die Welt erschaffen hat, welcher Glaube jetzt der „Richtige“ ist? Reicht es nicht, dass ich für mich meine Entscheidung getroffen habe? Ich lebe doch ganz gut damit oder etwa nicht?
Ich weiß es nicht.
Wer kann sich also Herr in meinem Leben nennen?
Soll er mich führen, soll er mich leiten oder soll er mich einfach nur begleiten?
Ich weiß es nicht.
Die Gesellschaft schreibt ein Korsett vor in welchem wir uns zu bewegen haben, diese Einschränkungen verleiten aber gerade dazu hier auszubrechen. Den Menschen sein zu lassen wie er oder sie will ist das nicht schon Korsett genug oder schränkt dieses die Gesellschaft wiederum zu sehr ein?
Ich weiß es nicht.
Es gibt Dinge oder Sachen die geben der Menschheit „Kraft“.
Was mir persönlich hilft muss aber nicht gleich allen anderen helfen oder gefallen und umgekehrt.
Vielleicht ist der Weg den ich einschlage hier und da steinig, vielleicht führt er auch einmal in eine Sackgasse, dennoch ist es mein Weg, den ich am Ende des Tages doch selber gehen muss.
Das weiß ich!

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Ein Tag

„Aus dem Weg, ich hab’s eilig“
Siggi erschrak und drehte sich um. Er blickte auf einen Soldaten, welcher gut 2 Köpfe größer als er selbst war und eine Kiste trug, welche offenbar recht schwer schien und das Gesicht verdeckte. Der tiefe Bass der Stimme ließ keine Widerrede zu, sodass Siggi unwillkürlich ein paar Schritte zur Seite ging. Das anschließende Schnauben des Kistenträgers konnte man nicht richtig deuten. War es ein dankendes Schnauben, welches nur von der puren Erschöpfung durch das Tragen der Kiste verzerrt war; oder war der Träger vielleicht doch verärgert, weil Siggi nicht nur seinen Weg blockiert hatte, sondern auch noch zu lange gebraucht hatte, um ihn wieder frei zu geben? Siggi wusste es nicht, entschied sich aber, diesem Kerl vorläufig und bei Möglichkeit nicht mehr über den Weg zu laufen. Sicher ist sicher. Bestärkt wurde er in diesem Beschluss noch durch die Schulterabzeichen, die er beim Vorübergehen bemerkte. Der Hüne war 3 Ränge über Siggi. Angesichts der Tatsache, dass Siggi selbst erst frischer Rekrut war und sich wunderte, dass er überhaupt einen Rang besaß, war der Kistenträger selbst wohl nur am unteren Ende der Befehlskette. Aber drei Ränge waren immerhin drei Ränge und mit etwaigen Vorgesetzten sollte man sich besser nicht anlegen, dass hatte ihm sein Großvater mit auf den Weg gegeben.
Trotz allem stand Siggi hilflos in der Gegend, in einer Auffahrt von der er weder wusste wo genau sie lag, noch welchen Weg er nehmen musste, um zu den anderen Rekruten zu stoßen.
„Bob, sei doch nicht immer so schroff zu den neuen, du vergraulst uns noch alle Frischen“ meinte der Mann der jetzt auf die Auffahrt zuhielt und den Siggi erst jetzt bemerkte
Bob grunzte irgendwas in vor sich hin und Siggi meinte zu hören, dass Bob gar nicht Bob hieße und den Namen nicht mochte. Aber ein kurzer Blick auf die Schultern des neuen Mannes erklärte, warum Bob seinen Ärger nicht weiter Luft machte.
Fünf Ränge. Fünf Ränge trennten Bob und den Neuen. Siggi stand sofort stramm und salutierte. Der Neue war nicht sonderlich groß, wirkte in seiner Uniform aber sehr elegant und strahlte eine gewisse Überlegenheit aus. So oder so ähnlich hatte sich Siggi immer die Generäle der Armee vorgestellt.
Sichtlich amüsiert über den Salut kam der Traum-General zu Siggi hinüber. Dieser wagte keinen Muskel zu bewegen. Das Gesicht des Mannes veränderte sich als er in Siggis Nähe kam und nahm einen prüfenden Ausdruck an. Er umkreiste ihn und inspizierte scheinbar alles an Siggi. Mit seinem alten Hemd und Schuhen musste er einen lausigen Eindruck hinterlassen. Selbst der Rucksack, erst letztes Jahr gekauft, wirkte ramponiert. Jetzt rächte sich, dass Siggi auf das Aussehen seiner Privatsachen nie besonders aufpasste. Im Dorf interessierte es auch niemanden. Aber dieser Mann war offensichtlich nicht vom Dorf, er musste aus der Stadt sein, das verriet sein Auftreten. Jetzt war Siggi froh, wenigstens seine neue Hose angezogen zu haben, welche ihm seine Mutter zur Abreise geschenkt hatte.
„Was machst du hier?“ fragte der Mann, welcher seine Inspektion beendet hatte und offenbar zu dem Schluss gekommen war, das man Siggi nicht ansehen konnte, was er hier tat.
„Ich bin Rekrut und soll dieser Armee beitreten, Herr“
„Rekrut? Und warum bist du dann nicht vorne beim Haupteingang, da wartet der Pförtner auf alle Rekruten.“
„Ha-Ha-upteingang?“ stammelte Siggi. Er begriff nicht. Das hier war doch der Haupteingang, er hatte seine Karte gründlich studiert. Er entschuldigte sich und holte zur weiteren Entschuldigung seine Karte hervor und zeigte sie dem Mann. Zusätzlich begleitete sein Finger den bisher gelaufenen Weg. Der man runzelte die Stirn und sah Siggi fragend an. „Hast du diese Karte gezeichnet?“ „Ja, Herr. Ich habe sie aus einem Buch aus der Bücherei abgezeichnet“ „Und du hast dir nicht mit eingezeichnet wo Norden oder Süden ist, oder wie rum du die Karte halten musst?“
Siggi wurde erst bleich und dann schamesrot. Nein, daran hatte er nicht gedacht. Er war schon so stolz auf sich gewesen überhaupt daran gedacht zu haben, eine Karte mitzunehmen. Kaufen konnte er sich keine, da er kein Geld hatte, deswegen der Extraweg zur Bücherei ins Nachbardorf. Der Mann sah Siggi knallrotes Gesicht, welches zum Boden blickte und fing laut an loszuprusten. Als er sich nach einigen Sekunden, welche Siggi wie Stunden vorkamen, wieder gefangen hatte, erklärte er, dass dies hier die Lagerauffahrt wäre. Siggi hätte zudem Glück gehabt, dass der diensthabende Wärter, offenbar gerade seinen Klogang absolvierte oder schlief oder sonst wo seinen Dienst nicht nachkam. Dafür sei er genau an den richtigen geraten. Er werde ihn zu seinen Rekrutenkameraden bringen, quer übers Gelände. Siggi nahm dieses Angebot nur allzu gerne an.
„Wie heißt du?“
„Siggi, Herr.“
„Siggi?“ Der Man ob eine Augenbraue, als würde er nicht recht glauben, dass jemand heutzutage so heißen würde. „Du hattest es in der Schule mit dem Namen wohl nicht leicht, was?“ Siggi verstand nicht. „Meine Klasse war klein, nur 5 Kinder. Davon 4 Jungen, von denen hieß auch ein Siggi“ der Mann blickte Siggi mit unverhohlenen Unglauben an. Aber da Siggi seine Geschichte nicht änderte, sondern noch hinzufüge, dass er vom Dorf kam, begann er langsam der Erzählung zu vertrauen. Siggi fragte vorsichtig nach dem Namen des Mannes, denn er hatte nicht darauf geachtet, ob er ein Namensschild trug und was für ein Name darauf war. Jetzt konnte er auch nicht mehr danach nach suchen, denn der Mann lief vorneweg und dreht sich kaum um. „Otto“ Siggi verstand nicht, wie man sich über seinen Namen lustig machen konnte, während man selbst Otto hieß. Otto klang doch viel blöder als Siggi.
Überall auf dem Gelände wuselte irgendwer irgendwo hin. Einige trugen etwas, andere schoben etwas oder luden Sachen von Wagen ab oder auf. Hektisches Treiben überall. Was konnte man auch anderes erwarten, von einer Armeebasis eines Landes das sich seit kurzem im Krieg befand? Die Einberufungen wurden schnellstmöglich zugestellt, jede Familie sollte einen Mann schicken, oder zwei, sollte es eine größere Familie sein.
Otto führte Siggi über das Gelände, niemand versuchte sie aufzuhalten oder stellte Fragen, sodass sie recht schnell an die andere Auffahrt kamen. Und wirklich, dort sammelten sich dutzende junge Männer, allesamt frisch eingetroffen, zumindest wenn man nach den Klamotten ging, die diese trugen. Siggi schämte sich jetzt noch mehr. Nicht nur weil ihm sein Fehler mit der Karte wieder vor Augen geführt wurde, sondern auch, weil seine Kleidung nicht so neu war wie die der meisten anderen.
„So Siggi, da wären wir. Gibt dem Pförtner deine Einberufungspapiere, er wird sich dann um alles kümmern.“
„Ich habe keine Einberufungspapiere, Herr“
„Du kommst hier her und hast deine Papiere vergessen?“
„Ich hatte nie welche, ich habe mich freiwillig gemelden, Herr“
Otto schwieg und starrte Siggi an. Lange. Damit hatte er nicht gerechnet. Völlig fassungslos, aber trotzdem versucht seine Gesichtszüge nicht ganz entgleisen zu lassen, brachte er schließlich ein „Was?“ hervor. Siggi erklärte, er wurde nicht einberufen, weil sein Dorf zu klein wäre, als dass man dort noch Männer abziehen könne. Zumindest meinte das der Beamte, der durch das Dorf kam und vom Krieg erzählte und eigentlich die Einberufungen zustellte. Er war ein guter Freund seines Vaters, warum sollte Siggi ihm also nicht glauben? Im Fernsehen hieß es dann, der Sieg sei sicher, es sei nur eine Frage der Zeit. Und da dachte er sich, warum nicht Zeit und damit Leid verkürzen und die Armee mit seiner Person stärken. Er konnte nicht viel, aber sein Großvater hatte ihn oft mit auf die Jagd genommen, er konnte also gut schießen und mit dem Gewehr umgehen. Dabei zeigte er auf die Gewehre von ein paar vorbeikommenden Soldaten. „Wir haben sogar mit dem gleichen Gewehr gejagt“
Stolz durchfuhr Siggis Brust und er steckte sie stolz vor.
Otto schien von dem Elan Siggis etwas niedergeschlagen und guckte ihn an, wie man Kind anguckt, das einfach nicht begreifen will, warum man seine Hand nicht auf die Herdplatte legen sollte. „Hör zu Junge, wenn man nicht muss, zieht man nicht in den Krieg. Siehst du die Gruppe von Rekruten da vorne? Was denkst du erwartet sie hier? Eine Woche Ausbildung und dann ab an die Front, das erwartet sie hier.“ „Eine Woche Ausbildung?“ Das schien Siggi sehr wenig. Selbst wenn der Feind schwach ist, sollte man Soldaten länger auf die Front vorbereiten, da war sich Siggi sicher. Er hatte immerhin fast 2 Monate gebraucht bis er so gut schießen konnte; und ab und an verfehlte er noch immer. Nein, Otto musste sich irren.
„ Eine Woche reicht doch nicht, Herr“ entgegnete Siggi weiter.
„Genau, eine Woche reicht nicht, aber haben wir eine andere Wahl? Unsere Armee ist dem Feind unterlegen, wir brauchen jeden Mann an der Front. Da wird dann die Ausbildung verkürzt und ab geht’s.“
Unterlegen? Siggi dachte der Sieg sei sicher. Warum waren sie dann unterlegen? Erste Zweifel kamen auf und wurden schließlich von Otto noch bestärkt, der die Zweifel in Siggis Augen sah.
„Verluste, wir werden mit Verlusten siegen. Wenn die Opferzahlen bei uns so angestiegen sind, wird die internationale Gemeinschaft eingreifen; zumindest hoffen das unsere Herren Generäle. Die da“ und Otto zeigte auf die Rekruten in der Auffahrt „ werden nur an der Front verheizt, um die Verluste zu erhöhen. Ein Tag. Länger schafft es kein Neuling an der Front zu überleben.“ Siggi wurde bleich. Dafür hatte er sich freiwillig gemeldet? „Ich sehe du begreifst jetzt. Geh nach Hause“ „Ich kann nicht.“ Siggis Knie wurden weich. Er war kurz davor auf den Boden zu sinken und zu schreien.
„Was soll das nun wieder heißen? Da ist der Ausgang. Geh und komm nicht wieder“ „Ich kann nicht“ wiederholte Siggi, „Ich hab‘ mich schon eintragen lassen. Ich sollte hier nur meinen Dienst antreten, weil das die nächste Kaserne war.“
Das war’s. Siggi brach zusammen und fing an zu heulen und zu schluchzen. Er kniete jetzt vor Otto und das Bild erinnerte an einen Vater mit Sohn. Die Rekruten in der Auffahrt schauten hinüber, einige lachten. Anderen sah man an, dass es ihnen nicht viel besser als Siggi ging. Sie wollten hier nicht sein und fürchteten sich. Keiner von ihnen wusste allerdings, was Siggi wusste.
Otto war es unangenehm, vor einem weinenden Mann zu stehen. Oder Kind, Siggis Alter konnte man nur schwer schätzen. Er würde ihm sogar zutrauen, noch nicht mal volljährig zu sein. Otto überlegte während er ungeschickt die Hand auf Siggis Schulter legte. „Kopf hoch“
Otto blickte jetzt in die Augen Siggis und sah nichts weiter als zerstörte Erwartungen, Scham über die eigene Dummheit und Verzweiflung. „Aber ich werde sterben. Eine Woche und einen Tag hab ich noch, das habt Ihr selbst gesagt.“ Ja, das hatte Otto wirklich und er bereute jedes Wort. Denn jetzt fühlte er sich schuldig und dem Jungen irgendwie pflichtverbunden. Wie konnte er ihm helfen? Abmelden wäre das gleiche wie Flucht und Desertation, das schied aus. Ottos Stirn legte sich in Falten, während Siggis Tränen beim Anblick des denkenden Ottos langsam versiegten, vielleicht gab es doch noch Hoffnung.
„Nun, ich denke es gäbe da eine Möglichkeit“ die Minuten die Otto gebraucht hatte, ehe er diesen Satz sagte, kamen Siggi endlos vor. „ du musst nicht an die Front, wenn du woanders gebraucht wirst. Du kannst doch ganz gut Karten zeichnen, oder? Ich hab da ein paar Freunde in Kartografie-Abteilung, ich werd‘ dich da unterbringen. Komm mit.“
Die Sicherheit, mit der Otto das sagte, beruhigte Siggi und er rappelte sich auf und folgte Otto.
Otto hoffte nur, dass er das wirklich hinbekommen würde. So gut waren seine Kontakte nicht, eigentlich war er nur mit der Kantinendame, der Frau des Kochs, in der Abteilung befreundet. „Hoffentlich reicht das“ murmelte Otto und schwor sich gleichzeitig keinen Neuling mehr anzusprechen, bis der Krieg vorbei war.

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Zeit des Zwillings

In einem noch sehr fernen Jahr
auf unserem Planeten,
wird wohnen dann ein Zwillingspaar,
die leben in Raketen.

Mit jedem Mal, das ich diese Zeilen lese, wird die Situation kurioser und noch unrealistischer. Immer und immer wieder sauge ich die Buchstaben auf, deren Inhalt so offensichtlich ist.

Einer bleibt
der andere entflieht und geht,
wir wollen wissen, was es treibt,
fragen nur “Wie spät?”

Das Gedicht habe ich in einem Buch gefunden, das mir in die Hände gefallen ist, als ich durch die Bibliothek gestreift bin. Die alte Schulbibliothek, die während meiner Schulzeit noch deutlich besser ausgestattet war, als sie es heute ist, suche ich dieser Tage immer noch gerne auf. Die einfache Uhr auf meinem Handgelenk verrät mir, dass es viertel vor acht ist, als ich die schwere Tür öffne und die Bibliothek betreten. Ich kenne mich dort aus, ich brauche keine Hilfe und ich kenne die Regeln, auch wenn ich keine Person mehr kenne, keine Lehrer und natürlich auch keine Schüler.

Einer steht
zuhause.
Nun seht
die Pause.

In den 30er Jahren als Einstein die Relativität der Zeit vorhersagte, war das Zwillings-Paradox der zentrale Punkt von vielen Diskussionen und Streitfragen, von Experten, Physikern, Philosophen und Biologen, hinab bis zu Kindern, die kaum verstanden haben, nach welchen Regeln das Universum funktioniert. Sie griffen ein paar Begriffe auf, verdrehen und missverstehen, bis nur noch die Perversion von Information übrig bleibt.

Der andere Zwilling, der im Raumschiff sitzt,
sollte die Rakete mit einem Knopfdruck starten,
damit sie schnell, wie Licht nur blitzt,
durch Leere fliegt, er sollte einen Tag lang warten.

Das Buch, das ich in der Hand halte, enthält nicht nur die Zeilen, die ich nun schon auswendig weiß, es stehen auch noch dutzende andere Gedichte darin. Dutzende andere Kinder, die, das Vorwort verrät es, das Schulprojekt zur Relativität durchgeführt haben, kindgerechte Erklärungen von Begriffen, die selbst die Lehrer nicht verstanden haben. Niemand hat etwas gelernt, niemand wurde danach schlauer und das einzig schöne, obgleich schaurige, ist dieses Gedicht.

Einen Tag lang, zwölf und noch zwölf Stunden,
sollte die Rakete weiter, tiefer, schneller fliegen,
bis sie nach der Halbzeit unumwunden,
umdreht und so versucht, die Zeit zu biegen.

Ich habe alle Texte gelesen, doch keiner ist so wahr wie dieser. Ich habe viel von nuklearen Waffen gelesen, von großen Explosionen, von Weltfrieden oder von verrückten Männern mit weißen Haaren. Doch dieser kurze Text ist anders, er ist korrekt, er ist wahr auf eine Art und Weise, die nicht direkt dem Leser ins Auge springt. Auf eine Art und Weise, die der Autor selbst nicht gesehen hat.

Während einer fliegt durch das weite, große All
bleibt einer hier
für den Fall
aus Wissensgier.

Leise, um die Ruhe nicht zu stören, stelle ich das Buch in das Regal zurück und schleiche langsam durch die Tür, um die Schule zu verlassen. Zu viele schlechte Erinnerungen halten sich hier hinter jeder Ecke verborgen und zu viele fremde Gesichter, die mich mustern.

Als der Zwilling in dem Schiff
zurück war und daheim
sein Bruder seine Hand ergriff
und so endet dieser Reim.

Ich öffne die schwere Eingangstür der Schule und verlasse das steinerne Gebäude. Ein Blick über die Schulter lässt mich die Uhrzeit von dem großen Ziffernblatt über der Tür ablesen, bevor ich mich wieder auf den Weg durch die leeren Straßen mache. Es ist halb 12.

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Ein Tag im unglaublichen Leben des Etienne Gardé

MEP! MEP! MEP! So dröhnt der Wecker auf Eddy’s Nachttisch. Nach einem gezielten Schlag mit der Faust vergeht diesem aber das mepen. Während sich unser Held so elegant aus dem Bett windet wie ein Reh mit 3 gebrochenen Beinen, denkt er sich „Warum muss ich Moin Moin machen? Wer kam überhaupt auf die blöde Idee mit dem Morgenmagazin?! Ach ja ich, geniale Idee.“ Diese Folge war dann so aufgebaut das Etienne zwei Kaffee getrunken, 45 Minuten wütend in die Kamera blickte und aus der Bild Zeitung vorgelesen hat. In Fachkreisen nennt man so etwas high Quality Entertaiment. Nach dieser Moderationsleistung auf höchstem Niveau musste er etwas machen zu was er am morgen nicht gekommen war. Er ging auf das Klo, schaute in den Spiegel, streichelte seinem Hinterkopf und sprach „Spieglein, Spieglein an der Wand wer hat den schönsten Zopf im ganzen Land?“ Der Spiegel Antwortete wie immer nichts den der Spiegel wusste genau das es keine schönen Zöpfe bei Männern gibt. Außerdem können Spiegel nicht reden, die Geschichte soll ja doch noch etwas realistisch bleiben. Langsam wurde Gardéchen munter und checkte erstmal Facebook, Erleichterung bei der Feststellung dass sein Profil noch in seiner Hand und nicht bei Viacom ist. Nun aber erstmal Mittagspause. Eddy begibt sich dabei auf die weite Reise durch das ganze Gebäude zu Dennis R. denn der hat immer Pizza und mit etwas Glück gibt er auch etwas ab. Heute ist ein guter Tag und Denzel gibt ihn einen Teil des Randes ab. Plötzlich entsteht gegen alle Erwartungen ein kleines lockeres Gespräch wo Dennis etwas lustiges erzählen will „Hehe ich habe am Wecker klingeln gemerkt das ich schon wieder die ganze Nacht durch gespielt habe.“ Durch diese gemeine Provokation musste Etienne reagieren und auch eine witzige Anekdote vom morgen präsentieren „Hehe auf dem Weg hier her habe ich drei fette Kinder überfahren. Stell dir mal vor was los wäre wenn das echte Menschen gewesen wären. Haha da habe ich noch mal Glück gehabt.“ Denzel stimmt ihn zu und beginnt über Dark Souls zu reden. Auch hier kann der allgemein Gelehrte Eddy mit reden „ja Dark Souls ist richtig schwer, ich bin letztens wieder nicht weiter als bis zum Hauptmenü gekommen.“ Das war zu viel für Denzel und er dreht sich angeekelt weg. Etienne denkt sich nur „der wird sich noch umsehen wenn ich mit meinen Stand up Programm durch starte.“ Aber nun erstmal ein Let’s Play aufnehmen, denn irgendwie muss man ja auch nachweisen das man was gemacht hat. Gespielt wird das neue Indie Spiel XYZ. Bei XYZ können bis zu 4 Spieler gleichzeitig irgendwas Spielen und es ist der neue heiße Scheiß auf Steam (letzteres ist besonders wichtig). Und so sitzen nun Grumpyeddy (wie er liebevoll von den Kollegen und Fans genannt wird), Nils, Collin und Jan (Nicht Böhmermann) zusammen und spielen XYZ. Eddy findet das Spiel leider nicht so gut und das liegt nicht daran das er die ersten 5 Runden verloren hat, sondern aus anderen Gründen die er nicht genauer Erläutern kann. Außerdem macht es auch kein Spaß. Und er ist sowieso momentan nur so schlecht weil keiner ihm die Steuerung erklärt und der Controller auch nicht richtig funktioniert. Plötzlich schafft er es doch eine Runde zu gewinnen und feiert das mit dem Literarisch sehr anspruchsvollen Ausruf „ALLES WIRD ANDERS DIESES MAL!“ Die Runde darauf verliert er jedoch wieder und die darauf ebenfalls. Langsam passt sich die Hautfarbe unseres Helden der Farbe seiner roten Kleidung an und es kommen Ausbrüche von spontan Touret vor. Als Eddy dann wutentbrannt ankündigt Collin dem Satan Opfern zu wollen ist die Aufnahme des Tages zum Glück vorbei und es kommt der ruhigere Teil des Tages, noch etwas redaktionelle Arbeit am PC. Diese ist Arbeitszeit wird vollgendermaßen Aufgeteilt: 1% schauen was Game Magazine Berichten, 1% schauen was bei Steam momentan im Trend ist, 2% schauen was bei YouPorn im Trend ist, 6% nach Tipps und Tricks für Pokemon suchen, 90% Eintracht Forum. Nach dem mit diesen Aktivitäten mehrere Stunden gefüllt wurden hat Eddy nun endlich seinen verdienten Feierabend. Auf dem Weg raus aus dem Bohnen Hauptquartier muss er jedoch noch einmal vorsichtig sein, denn wenn er Gino trifft müsste er noch einmal Sport machen. Allein die Vorstellung, ekelhaft. Während er nun durch die Gänge schleicht erhascht er noch einen Blick auf eine andere Videospiel Session. Hier sieht man nur Simon wie er den Controller auf den Boden wirft. Etienne kann da nur mit den Kopf schütteln. „Diese Sinnlose Gewalt und dieses Ausrasten bei Games kann ich nicht verstehen. Ich meine es sind doch nur Spiele. Und nur weil er schlecht ist wirft er den Controller auf den Boden? Und am Ende geht er wieder nicht richtig wenn ich spiele.“ Nur wenige Minuten später hat er es dann endlich geschafft und sitzt im Auto „heute war ein richtig guter Tag, jetzt noch eine kleine Musikalische Perle und dann ab zur Familie“ Und so haute er von Haftbefehl – ich roll mit meinen Besten rein und rollte los.

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Des Todes Tochter

Ich öffne meine Augen. Grüne Katzenaugen, sagte meine Mutter immer. Um mich herum ist nichts als Nebel und der Gestank des Schlachtfeldes. Wo bin ich?

Meine Glieder schmerzen und fühlen sich doch taub an. Um meinen Hals schmiegt sich grausam der eiskalte Stahl meiner Fessel. Wo bin ich?

Dumpf dringen Geräusche an mein Ohr und ich schmecke Blut. Ich habe mir auf die Zunge gebissen, wieder einmal – um nicht zu schreien.

Wo. Bin. Ich?

Finsternis hüllt mich ein, als ich die Augen öffne. Ein Traum! Die feucht-kalte Luft meines Unterschlupfs lässt mich kurz schaudern. Wasser tropft unstet auf meine sorgfältig geölte Rüstung und perlt daran ab.

Ich hasse es, wenn das derbe Leder beginnt zu knarren, weil man es nicht ordentlich gepflegt hat. Ich stehe auf und gehe um die verglühenden Reste meines Feuers herum. Mein Hintern schmerzt vom langen Ritt und noch immer bin ich nicht am Ziel!

Draußen singen die Grillen ihr nächtliches Lied und eine Eule ruft zur Jagd. Ich packe meine wenigen Habseligkeiten zusammen, binde meinen Stab auf meinen Rücken und lösche die kümmerliche Glut mit einem Schluck Wasser aus meinem Schlauch. Zischend vergeht die Hitze in einer Rauchwolke. Das ist es was ihnen blüht! Genau das wird es sein, wenn ich angekommen bin.

Ich lache und gespenstisch schön lacht mein Echo mit mir.

Als ich eingeschlafen bin, glühte der späte Nachmittag eines viel zu heißen Sommers über der verwilderten Ebene.

Als ich ins Freie trete, empfängt mich die Nacht mit ihrer samtenen Schwärze. Leuchtkäfer erhellen, wie kleine grüne Sterne, die Trostlosigkeit. Schön, diese Ruhe, doch lange wird es nicht dabei bleiben.

Ein Tag, wie jeder andere. Eine Nacht, jeder anderen so gleich und dennoch außergewöhnlich, wie keine zuvor. Für die Kinder der Dunkelheit, wird die Nacht zum Tag und geleitet uns im Schutze ihrer Schatten. Ein Tag um zu rächen was niemals ungesühnt bleiben darf!

Warmer Atem streift meinen Nacken und lässt ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen. Ich hebe meine Hand und streiche sanft über die weichen Nüstern des großen, bronzenen Hirsches. Shah’nlekh, sein Name fließt rau von meiner Zunge. Er beugt seinen Kopf mit dem mächtigen Geweih zu mir herunter und zieht mich mit Leichtigkeit auf seinen Rücken. Ich beuge mich über seinen Hals und vergrabe meine Hände in seinem dichten Fell. Der Weg durch das Unterholz des, langsam ins Flachland verebbenden Waldes, ist steil, doch die weiten Sprünge meines Freundes tragen uns schnell an mein Ziel. In unwegsamen Gelände ist er einem einfachen Klepper weit überlegen.

Ich lasse mich lautlos von seinem Rücken gleiten und begegne seinem Blick. Riesige, glasklare, dunkelblaue Augen schauen mich so voller Vertrautheit an. Eine kurze zärtliche Berührung seiner Nüstern ist unser Abschied. Er wendet sich zum gehen und auch ich trete meinen Weg an.

Ich ducke mich ins Dunkel und werde eins mit der Umgebung. Ich bin keine Assassine und dennoch ist mir die Nacht eine gute Freundin geworden. Einige Meter vor mir sitzen drei Gestalten im Schein eines trägen Feuers. Grobe Scherze und schallendes Gelächter hallen durch die Nacht.

Widerliches, stinkendes Pack! Späher, die die Sicherheit ihrer Burg gewährleisten sollen. Zu nichts sind sie in der Lage, nicht einmal dazu, die einfachsten Befehle zu befolgen. Stattdessen hocken sie wie Waschweiber um ein Feuer und warten auf das Ende der Dunkelheit.

Was kommt ist eine grausame Sinfonie aus Licht und Asche. Der erste meiner Blitze, der sich zuckend aus dunklen Wolken windet, streckt den ersten Späher nieder und hinterlässt ein klaffendes, qualmendes Loch an der Stelle, an der er den schlaffen Körper wieder verließ. Die anderen Beiden stehen völlig verschreckt Rücken an Rücken, als ich mich auf einem Stein zu erkennen gebe. Sie stinken nach Angst, nach ekelhafter Ork-Angst.

Grunzend bewegt sich einer der beiden auf mich zu und versucht seine schwere Streitaxt in meinen Leib zu versenken. Ich springe behände beiseite und tauche an anderer Stelle wieder auf, um ihnen die Sicht zu nehmen. Ein weiterer Blitz schlägt krachend in die Feuerstelle ein und verschluckt mit lautem Knall und einem grellen Aufleuchten, das mickrige Feuer. Dunkelheit legt sich wie ein Leichentuch über die Senke.

„Was willst du, kleine Elfenschlampe?“

Die raue, grunzende Stimme des Orks entfacht erneut den Ekel in mir. Er ist nicht eines meiner Worte wert! Wie ein Hund hält er seinen massigen Kopf in den Wind um meinen Geruch zu wittern. Der Wind weht mir entgegen und macht sich mir so ebenso zum Verbündeten. Als sich die beiden Orks von einander entfernen, folge ich dem einen. Als er stehen bleibt, erstarrt er und wagt keinen weiteren Schritt. Die Spitze meines schlangenförmigen Stabes bohrt sich tief und schmerzhaft in seinen Rücken. Sein Atem geht stoßweise und er schaut sich panisch nach seinem Begleiter um.

„Kein Wort!“

Ein dumpfes Grunzen ist die einzige Antwort die ich bekomme, bevor ein Blitz sich zuckend aus meinem Stab schlängelt und sich mit einem schmatzendem Geräusch den Weg aus seinem Körper sucht. Leblos sackt der massige Körper vor mir zu Boden.

Genugtuung ist nicht, was man beim Töten empfinden sollte und doch tue ich es. Reue ist nicht gerade meine treueste Begleiterin. Ich wende mich von der qualmenden Leiche ab und suche im Dunkel nach dem Dritten, dem eigentlichen Opfer meines Streifzuges.
Ich bin Dunkelheit gewohnt und sehe in ihr besser als im Licht. Ich sehe, was Gesichter zu Fratzen schmilzt und was Treuebekundungen zu Heucheleien stutzt. Im Rausch aus Kampf und Blut schärfen sich meine Sinne zu spitzen Dolchen. Vergeltung und Rache sind meine Zugpferde in diesem theatralischen Abschiedsgruß. Kein Blut, keine spritzenden Gedärme, nein, alles schön sauber und vielleicht etwas verrußt.

In den Schatten versucht er sich zu verstecken, der Narr!

Eigentlich ist es fast bedauerlich, dass er nicht sehen kann wer sein Henker in dieser Stunde sein wird.

Was gehen mich Paktschwüre noch an? Was interessiert mich, wer wem die Treue gelobt, ob des winkenden Reichtums und der verlogenen Ehre, die nie eine war? Pah, ich lernte, dass die Grausamkeit in den eigenen Reihen oftmals höher wächst als die aus der Fremde.

Orks, angeheuert aus den Riegen des propagierten Feindes, gesandt um Frauen und Kinder zu meucheln. Gesandt um denjenigen das Lebenslicht zu löschen, denen man Schutz versprach. Für was? Für ein paar Münzen und einen Haufen kalter Steine. Eine Festung, deren Zinnen vom Banner eines Vasallen meines Vaters geziert werden. Nichts blieb in dieser Welt, dass mich noch bindet. Rettung fand ich, halb verdurstet, auf dem Schlachtfeld. Gerettet durch Männer und Frauen die meine Feinde hätten sein sollen. Viele Jahre ist es her und doch lastet der Gestank des Verrats an seiner grau-grünen Haut. Ein Mann, ein einstiger General unter des Feindes Banner, führte die Klinge der Magie gegen meine Fessel. Schlug den Bann in den Ketten und gab mir von seinem Wasser. Dieser Mann verdient meine Treue. Niemandem sonst gebührt sie mehr. Nicht der Königin, nicht dem Pakt.

Der, dessen Kopf ich mit einem äthernen Pfeil an die Mauern der gestohlenen Festung nageln werde, war einst einer meiner Schwurbrüder. Vereint in einem ruhmreichen Traum. So ohne Ehre brach er mit uns und wandte sich gegen den einen Bund, den wahren Bund!

Ich ziehe den Dolch, den ich der Toten abgenommen habe. Kleine, unschuldige, junge Elfe. Der Vasall war es, der ihn schickte. Ein Elf schickte einen Ork, bah! Ehrloses Gesindel.

Mehr als zwei Köpfe ragt er über mir auf, als ich hinter ihm stehe. Offene Konfrontation? Nein das hat er nicht verdient. Er wird seinen Tod nicht kommen sehen und doch wird er leiden, denn ehrloses Sterben ist das schlimmste Sterben.

Meine kalten Finger legen sich um den schwarzen Griff des Dolches. Ich nutze einen Baum um mit einem Schwungvollen Sprung alle Kraft in einen fast grazilen Hieb zu legen, der einen tiefen, roten Schnitt im Nacken des Orks hinterlässt. Nicht so, dass er gleich die Schwelle des Todes übertreten könnte, nein, oh nein! Auskosten soll er es können, wie ihm das Leben schwindet!

Als der Morgen graut, spießt ein Kopf auf einem, aus Blitzen geschmiedeten Pfeil, am hölzernen Tor der Festung.

Ich bin nicht unsterblich, aber schwer zu töten. Er wird wissen, wer das blutige Geschenk überbracht hat. Der Blitz ziert mein Banner und der Adler reitet hoch erhobenen Hauptes auf ihm. Das Banner unter dem meine Truppen im tarnenden Schatten reiten. Ich bin Callista Iduna, und mein Name wird noch in vielen Alpträumen widerhallen!

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Adams Traum

„Fuck.“

„Fuck.“

„Fuck.“

Ein Schweißtropfen bildet sich auf seiner Stirn. Schlängelt sich langsam über seine Wange, kurz am Mundwinkel vorbei bis zum Kinn. Dort hängt er einen Sekundenbruchteil, fällt geräuschlos auf die heiße Erde Kubas. Jeder Schritt bringt ihn näher an die Kapelle. Jeder Schritt bringt ein neues,
kaum hörbares „Fuck“ hervor. Jeder Schritt bringt ihn vorbei an ausgetrockneten Palmen und verfallenen Mauern mit dem Antlitz Che Guevaras. Er hasst die heiße Sonne Mantanas. Einmal muss er noch hier sein. Kleine, baufällige Häuser standen dicht an dicht und tragen durch die offenen Fenster jedes Geräusch von innen nach außen auf die Straße. Der rauschende Ton der Fernsehgeräte, spielende Kinder, laut streitende Ehepaare, erregtes Gestöhn hier und da vermischt sich für ihn zu einer misstönigen Großstadtkakophonie. Doch mit jedem Schritt seinem Ziel näher, nimmt er die Stadt um sich herum weniger war. Sein Blick ist wie apathisch auf das Gebäude am Ende der Straße gerichtet, reibt seine Finger vor Anspannung immer wieder aneinander bis sie ganz rau sind.
„Fuck.“

„Fuck.“

„Fuck.“
Ein Mantra spukt in seinem Kopf. Zwei Monate lang hatte er im tiefsten Dschungel festgesessen. Sich am Anfang nur von Abfällen ernährt, später hätten sich selbst Schweine angeekelt von ihm ferngehalten.
„Fuck.“
Seine Gedanken fokussieren sich auf die Kapelle. Die kleine Kapelle am Ende der Straße. Als er vor der ramponierten Holztür angekommen ist, hält er inne. Seine Hand fährt in sein zerrissenes Jackett und holt seinen einzigen noch verbliebenen Besitz heraus. Ein silberner Flachmann, veredelt mit einem winzigen Smaragd auf dem Drehverschluss und den Initialen Tara A. Gallaghers auf der Unterseite. Er öffnet den Flachmann und stürzt den Inhalt in einem Rutsch hinunter. Er verzieht schmerzverzerrt das Gesicht, als sich der Alkohol durch seinen Hals brennt und Tränen steigen ihm in die Augen. Er hat Whisky schon immer gehasst.
Als er hört, wie sich die Tür der Kapelle knarzend öffnet, hebt er seinen Blick und sieht einen kleinen, dicken Mann aus dem Gebäude treten. Das weiße Hemd spannt sich um seinen massigen Körper und die lange, braune Kreuzkette hebt und senkt sich mit der Wampe des Pfarrers.
Der Pfarrer mustert ihn auffällig interessiert. Er kann es ihm nicht verübeln, ist sein Jackett doch voller Blutflecken, seine Hose zerrissen und mit Einschusslöchern überseht und seine Sonnenbrille hat nur noch ein Glas. Er hat keine Schuhe an und seine Füße sind dreckig, vernarbt und blutverkrustet. Das Auge, welches man auf Grund des fehlenden Glases sehen kann, ist weit aufgerissen und von einer Augenbraue fehlt jegliche Spur. Skeptisch bleibt der Pfarrer vor der Tür stehen.
Das sichtbare Auge zuckt, er schreckt aus dem Tagtraum auf und er sieht den Pfarrer unendlich lang und ausdruckslos an. Sein Blick fällt zurück auf den Flachmann. Ein kleiner Rest seiner Notration schwappte noch im Inneren. Er hob seine Hand und bot dem Pfarrer den letzten Rest an. Die Augen des Geistlichen weiteten sich freudestrahlend und er lacht beherzt.
Der Pfarrer geht durch die Tür ins Innere der Kapelle.
„Danke.“ Sagt er.
„Ohh! No hablo alemán!“
Er ignoriert die Worte des Pfarrers und folgt ihm. Sein Blick gleitet über die karge Einrichtung. Zerbrochenen Fenster, zerschrammte Bänke und von einem Altar fehlt jede Spur. Der Pfarrer macht es sich auf einem der hinteren Bänke gemütlich und unter seinem Gewicht ächzt sie laut auf.
„Fuck.“
Er folgt ihm. Neben dem Pfarrer wird seine ausgemergelte Statur noch deutlicher. Ihm fällt auf, wie sehr er dieser heruntergekommenen Kapelle ähnelt. Sein erster Besuch in diesem Haus Gottes liegt noch nicht lang zurück, doch fühlt es sich für ihn wie ein anderes Leben an. Die Kapelle war der schönste Ort in der ganzen Umgebung. Immer gut besucht von Bewohnern, war der Altar eine Sehenswürdigkeit an sich, die Unmengen an Touristen anlockte. Noch nie hatte er so etwas Beeindruckendes gesehen. Nie wieder würde er so etwas Beeindruckendes sehen.
Als er sich von seinen erneuten Tagträumen löst, starrt er an die Stelle, an der der Altar stand. Dort sieht man seit vier Monaten ein Symbol, das auf den Boden gesprüht wurde. Ein Währenddessen lehrt der Pfarrer den Flachmann und strahlt ihn rotbäckig an. Er achtet jedoch nicht darauf und lässt seinen Blick auf der leeren Stelle ruhen.
„There’s danger on the edge of town…“ summt er leise Taras Lieblingslied und holt tief Luft. Der Pfarrer verengt fragend die Augen.
“Fuck. Pfarrer. Jesus. Gott. Ich möchte beichten. Ich möchte dir beichten wie mein erfülltes Leben, meine Freunde, mein Besitz zu Staub wurden. Ich möchte dir beichten, dass ich alle zerstört habe, die ich berührt habe. Ich möchte dir beichten, dass niemand mehr lebt um meine Sünden zu belegen. Ich möchte dir beichten, dass Mord und Vergewaltigung nicht die schlimmsten Sünden sind, die ich begangen habe. Ich hoffe du hast viel Zeit, Pfarrer. Ich hoffe Gott hört mein Geständnis um mich danach direkt in die Hölle zu werfen um den Teufel abzulösen. Den selbst der Teufel wird sich angeekelt von mir abwenden und zurück in den Himmel wollen. Nach nur drei Jahren liegt alles in Trümmern. Städte. Menschen. Ich. “
Der Pfarrer sieht ihn immer noch fragend an und wiederholt:
„Amigo. No hablo alemán.“
Er nimmt die Stimme des Pfarrers nur als störendes Rauschen war. Fokussiert seine Sinne auf seine gesprochenen Worte. Er greift in seinen Hosenbund der von seinem Jackett verdeckt war und zieht eine schwere Pistole heraus. Der Pfarrer öffnet schreckgeweitet die Augen, ist starr vor Angst. Er legt die Waffe auf seinen Schoss und seine zum Gebet gefaltet auf die Pistole.
„Fuck. Mein Name ist Gabriel und dies, Gott, ist mein Geständnis. Für einen Tag vor drei Jahren. Für einen Traum am Grab.“
Keine Wolke verdunkelte den Augenblick, kein Regentropfen trübte den Blick. Die Sonne stand hoch am Himmel, wie um der ganzen Welt von diesem Tag erzählen zu wollen. Wie um den Anschein zu erwecken, heute wäre ein Tag wie jeder andere. Schweigend standen sie vor dem tiefen Loch im Boden. Warteten auf den Sarg. Tara stand an seiner Seite und Tränen liefen seit Stunden über ihr Gesicht. Gabriel hatte den Blick fest auf die Öffnung in der Erde gerichtet. Starr. Taub und blind für alles andere. Sein ganzer Körper fühlte sich leer an. Wie ein gefülltes Glas Wasser, das auf den Boden fällt und in tausend Stücke zerspringt. Er spürte nicht, dass Tara sich an ihm festkrallte, Angst den Halt zu verlieren. Er spürte nicht, wie die letzten Gäste der Beerdigung an ihm vorrübergingen. Er spürte nicht, wie Stunden vergingen ohne eine einzige Regung. Nur ein einziger Gedanke kreiste durch seinen Kopf. Schuld.
*
Tara hatte ihren Kopf in Gabriels Schoß gelegt. Die Augen geschlossen, denn die Sonne stand hoch am Himmel, wie um diesen Tag besonders in Erinnerung zu halten. Ihnen gegenüber
_saß Taras Bruder Adam und sah verträumt in die Sonne. Als Tara begann laut zu schnarchen, lachten Gabriel und Adam laut auf und Gabriel verfrachtete ihren Kopf vorsichtig auf ein Kissen und deckte sie mit einer leichten Sommerdecke zu. Adam sah ihm dabei zu, wie liebevoll er sich um seine Schwester kümmerte. _
_„Wann willst du es ihr sagen?“ fragte er Gabriel unerwartet. Dieser sah ihn überrascht an. Doch die Überraschung wich schnell einer tiefen Traurigkeit. _
„Fahren wir ein Stück?“
„Wie du willst.“
Gabriel stand auf, stellte sich hinter Adam und nahm die beiden Griffe des Rollstuhls in die Hand. Adam löste die Bremsen und lies sich von Gabriel schieben. Eine ganze Weile
_liefen sie schweigend durch den riesigen Park, vorbei an strahlend grünen Bäumen und Sträuchern und einer kaleidoskopartigen Ansammlung hunderter verschiedener Blumen und Blüten. _
„Wann willst du es ihr sagen?“ wiederholte Adam seine Frage.
_„Adam…“ fing Gabriel seinen Satz an und ging um Adams Rollstuhl herum. Kniete sich vor ihn und legte Adams Hand in seine. Adam spürte die Hitze die von Gabriels Körper ausging und wurde sofort rot. Sein Gegenüber zog am Rollstuhl etwas nach oben und gab Adam einen langen, warmen Kuss auf die Lippen. Adam schloss die Augen und erwiderte den Kuss. _
„Bald.“
Adam lachte leise auf.
„Gabriel, seit dem ich in diesem Mistding sitze, gibt es nichts was ich mehr begehre als dich. Aber du bist mit meiner Schwester seit zehn Jahren zusammen. Jeden Tag aufs Neue geisele
ich mich selbst und denke, dass ich zurecht in diesen Ketten gefangen bin. Und ich würde mich auch erneut zehn Jahre lang geiseln. Aber ich kann das meiner Schwester nicht mehr antun. Wir drei sind….wir drei waren schon immer unzertrennlich.“
„Ich weiß, dass du Recht hast, Adam. Aber jetzt ist nicht der richtige Moment es ihr zu sagen. Ich muss mein Leben erst in den Griff bekommen.“
„In den Griff bekommen? Du meinst diese dubiosen Drogendealer die du in deinen Fällen vertreten, aber dann kalte Füße bekommen hast? Oder so etwas wie moralische Vorstellungen entwickelt hast?“
_Gabriel wich Adams durchdringenden Blick aus. Scham. _
„Gib mir etwas Zeit. Ich möchte dich und Tara nicht in Dinge verwickeln, die noch gefährlich werden könnten.“
„Was zum Teufel hast du da eigentlich getrieben?“
„Kann ich dir nicht sagen, Adam. Glaub mir einfach, dass du damit nichts zu tun haben willst.“
„Gabriel…“ Adams Stimme zitterte jetzt. „Ich liebe dich. Aber morgen musst du meiner Schwester sagen, was wir hier treiben. Lass es uns zusammen tun. Ich will dir nicht allein diese Bürde auftragen. Lass es uns ihr zusammen sagen.“
_„Morgen.“ _
„Morgen.“ Wiederholte Adam und beugte sich zu Gabriel vor um ihn erneut zu küssen. Der Kuss hielt eine Ewigkeit, eine Unendlichkeit. Es gab keinen Park. Keine Menschen. Keine Tara. Keinen Rollstuhl. In seinen Gedanken lag Adam auf Gabriels nacktem Körper und nahm die gesamte Hitze seiner Liebe in sich auf. Adam träumte und wollte sich nie wieder von Gabriel lösen.
*
_Schuld. Schuld quälte ihn vor Adams Grab. Schuld, dass er einen Fehler gemacht hatte, den er nie wieder rückgängig machen konnte. Schuld, dass er Tara belogen und betrogen hatte. Er fing an zu zittern. Ein falsches Wort war ihm damals über die Lippen gekommen. Einmal zu viel hatte er sich mit den falschen Leuten eingelassen und ihnen vertraut. Einmal zu viel wurde er Missverstanden. Die Konsequenz war Adams Grab. _
_Das Zittern wurde stärker. Setzte sich von seinen Händen über seinen ganzen Körper bis zu seinen Zehenspitzen fort. Seine letzte Kraft schwand und er fiel auf die Knie, den Kopf nach unten gebeugt. _
_„Gabriel…“ flüsterte Tara mit tränenerstickter Stimme. Doch Gabriel nahm sie nicht wahr. Gabriel würde nie wieder irgendetwas wahrnehmen. Nicht bis er das bekommen hatte was er wollte. Was er in diesem Moment beschlossen hatte. Eine Träne schlängelt sich langsam über seine Wange, kurz am Mundwinkel vorbei bis zum Kinn. Dort hängt sie einen Sekundenbruchteil, fällt geräuschlos auf die die kalte Erde des Grabes. Sein Kopf brennt. Verbrennt jegliches Gefühl. Nur ein Gedanke überlebt das Feuer. Ein Traum. Adam. Ein Traum an Adams Grab. Den Traum, jeden einzelnen zu töten, zu foltern, zu massakrieren, der nur im Entferntesten etwas mit Adams Tod zu tun hatte. _
Gabriel stand auf und drehte sich zu Tara um. Das Feuer brannte in seinen Augen.
„Fuck.“

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Werwolf nach nur einem Tag

Ich packte ein paar Sachen zusammen, zog mich an und verließ das Haus. Niemand hielt mich auf. Denn letztlich bin ich niemand. Ich musste gehen und etwas zu finden. Ich schrieb eine Nachricht an meine Mutter.
„Suche nicht nach mir.“
Mehr ließ ich nicht zurück. Ich gehöre hier nicht hin. Ich bin ein Monster, doch das sollte sie besser wissen als ich. Ich muss in die große Welt gehen und heraus finden wie ich damit leben kann.
Es ist nicht so das ich eine rebellische Phase habe oder dergleichen. Es ist etwas vorgefallen.
Ich wurde bedroht. Ich war an einem Wochenende nachts auf dem Heimweg als ein Typ mit einem Messer auf mich zu rannte und mich erstochen hat. Ja. Er hat mich erstochen. Ich blutete sehr stark, und doch schaffte ich es das Messer wieder raus zuziehen. Seltsam sind hier zwei Dinge: Ich stand noch auf den Beinen und zog mir gerade ein Messer aus dem Bauch als wäre nichts und dann noch die Tatsache das ich es Tat ohne mir überhaupt bewusst zu sein was ich gerade tat. Mein Körper zog das Messer von alleine raus. In meinem Kopf herrschte zu dem Zeitpunkt Panik. Mein Körper machte weiter in dem er das Messer auf den Boden fallen gelassen hat. Das letzte, an das ich mich erinnerte, war das ich ihn gebissen habe. Danach wachte ich ganz normal in meinem Bett auf.
Die Wunde war nicht mehr da. Erst dachte ich es war ein Traum, bis ich meine Mutter bemerkte die an meinem Bett saß und mich ansah als wäre ich ein Geist.
Sie flüsterte: „Es ist soweit. Du bist soweit.“
Der Radiowecker ging an und ich hörte die Nachrichten.
„Heute Morgen fand die Polizei eine Leiche im Wald, laut Augenzeugenberichten mit diversen Kratz- und Bissspuren die einem Tier ähneln.“
Sofort wusste ich, es war kein Traum. Erschrocken sah ich zu meiner Mutter.
„Mum, was geht hier vor?“
„Schatz, hör mir jetzt zu. Es ist alles in Ordnung. Du wirst lernen damit umzugehen. Wir bringen es dir bei.“
„WIR? Wer ist WIR?“
„Die Menschen nennen sie Werwölfe.“
„Du verarscht mich doch. Mum. Die gibt es nicht.“
„Doch. Und du bist eine von ihnen. Ich meinte… von uns.“
Mir wurde schlecht.
„Ich lass dich wohl erst mal alleine. Ich fahre zur Arbeit. Heute Abend sprechen wir nochmal.“
Das war einfach zu viel für mich. Ich legte mich erst mal wieder ins Bett. Doch nicht mal 10 Minuten später habe ich mich entschlossen zu gehen.

Mit gepackten Sachen lief ich davon. Ich ging zu Fuß. Richtung Norden in den Wald. Direkt daneben lag ein verlassener Güterbahnhof. Die Sonne ging langsam unter. Es ist Nacht.
Es verging jetzt genau ein Tag seit diesem Vorfall.
Der Mond schimmert rot. Ich wollte schlafen doch ich konnte nicht. Irgendwas sagte mir das ich jetzt in den Wald gehen muss. Es war wie ein Verlangen das ich zu stillen versuchte.
Ich ließ den Rucksack ließ ich am Güterbahnhof. Ich rannte einfach los. Ich merkte, dass ich mich übernatürlich schnell bewegte.
Doch es war mir in diesem Moment egal. Ich rannte bis ich eine Lichtung fand. Das Mondlicht strahlte rot schimmert hinein. Ein leichter Abendwind wehte durch die Büsche. Ich blieb genau in der Mitte stehen.
Danach sah ich rot leuchtende Augen rund herum aus den Büschen an der Lichtung. Alle sahen mich an.
Ich hörte Wolfsgeheul. Die roten Augen gaben sich zu erkennen.
Ein Rudel Wölfe umzingelte mich.
Dann trat eine weitere Gestalt aus den Büschen. Meine Mutter!
Sie kam näher an mich und strich mit ihrer Hand über meinen Kopf.
„Schatz, du brauchst keine Angst zu haben.“
„Mum? Wie hast du mich gefunden?“
„Wir Werwölfe sind miteinander verbunden.Und wenn ein junger Wolf erwachsen wird, schließt er sich nach einem Tag nachdem seine Kräfte zum Vorschein kommen dem Rudel an. Wir sind eine Familie.“
„Das verstehe ich immer noch nicht so ganz. Ich bin doch kein Wolf.“
Erst sah sie mich überrascht an und dann lächelte sie mich an.
„Schau mal an dir runter Kleines.“
Also tat ich dies. Ich war sehr erschrocken als ich bemerkte das ich keine Hände und Füße mehr hatte, sondern schwarze mit langem Fell bedeckte Pfoten.
„Was zur Hölle?!“
„Hab keine Angst.“
Nachdem sie das gesagt hat, transformierte sie sich in einen grauen Wolf.
Ich verstand immer noch nicht ganz, aber ich fühle mich bei dem Rudel geborgen.
Und all dies passierte an einem Tag…

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(K)ein Morgen wie jeder andere

Langsam öffnet er die Augen. Im Zimmer ist es dunkel, aber durch die gekippten Fenster kann er das Zwitschern eines Vogels hören. Es muss also früh am Morgen sein. Montagmorgen um genauer zu sein. Er dreht sich und greift nach dem Handy auf seinem Nachttisch. Das Licht des Displays blendet ihn, als er es einschaltet. 6:10Uhr. Noch viel zu früh um aufzustehen, aber aus Erfahrung weiß er, dass er jetzt nicht wieder einschläft. 11 Nachrichten in 2 Gesprächen bekommt er angezeigt. Er öffnet die Gruppe seiner Fußball-Freunde. Ein Video mit dem Siegtor des Spiels am Wochenende und sieben Kommentare wie „Nice“ und „Geil“ dieses ist. Das zweite Gespräch beinhaltet einige Spaßbilder seiner Kollegen. Er legt das Handy wieder weg ohne etwas zu schreiben. Mit einem murren schlägt er die Bettdecke zurück, steht auf und streckt sich. Sein Rücken tut weh von der zu kurzen Nacht. Er geht ins Bad und dreht die Dusche auf. Ein kurzer Blick aus dem Fenster. Langsam wird es hell draußen. Die schwarze Nachbarskatze schleicht durch den Gemeinschaftsgarten und beobachtet den immer noch zwitschernden Vogel. Er dreht das auf dem Fensterbrett stehende Radio an. Das ertönende Lied kennt er nicht. Es gefällt ihm nicht. Er nimmt ein Handtuch aus dem Regal neben dem Waschbecken, hängt es an die Tür der Dusche und steigt hinein. Das Wasser ist seit Tagen einen Tick zu kalt und der Druck stimmt nicht. Die Hausverwaltung weiß schon Bescheid. Morgen soll ein Monteur kommen.
Nach der Morgenhygiene geht er zurück ins Schlafzimmer und öffnet den Kleiderschrank. -Boxershorts, Socken, blaue Jeans, buntes T-Shirt, brauner Gürtel. Ein Blick in den Spiegel. Er sieht müde aus und zum Friseur muss er mal wieder. Seine blonden Haare hatte er im Bad akkurat zurecht gegelt, doch jetzt hingen sie ihm schon wieder etwas ins Gesicht. Vorsichtig zupft er sie noch einmal in die gewünschte Form. Vom Nachttisch nimmt er seine silberne Uhr und macht sie ans linke Handgelenk. 6:57Uhr. Immer noch viel zu früh. Er steckt sein Handy in die rechte Hosentasche und sein Portemonnaie in rechte Gesäßtasche. Im Flur zieht er schwarze Sneakers und eine schwarze Harrington an. An der Wohnungstür nimmt er seinen Schlüssel vom Brett und verlässt die Wohnung. Unten an der Treppe angekommen öffnet er die Haustür und erschrickt als die Nachbarskatze an ihm vorbei in den Flur huscht. „Mistvieh“ geht ihm durch den Kopf und er geht hinaus.
Mittlerweile ist es hell, auch wenn die Sonne es noch nicht über die Reihe der angrenzenden Häuser geschafft hat. Die Straße ist menschenleer. Er geht zu seinem Auto, öffnet die Tür und steigt ein. Aus dem Handschuhfach nimmt er eine Schachtel Zigaretten, nimmt eine heraus, steckt sie sich in den Mund, drückt auf den Zigarettenanzünder am Armaturenbrett, wirft die Packung zurück und schließt das Fach wieder. Eigentlich hatte er aufgehört, aber im Auto bewahrt er immer noch eine Schachtel auf falls es ihn mal überkommt. Er startet das Auto und öffnet sein Fenster. Der Zigarettenanzünder springt heraus. Er zündet die Zigarette an, nimmt einen Zug und fährt die Straße hinunter. Beim Bäcker an der Ecke hält er an. Er zieht noch zweimal an seiner Zigarette und drückt sie im Aschenbecher aus. Er holt sich ein Brötchen und einen Kaffee. Die Bedienung ist neu. Freundlich. Hübsch. Zurück in seinem Auto kommt schon wieder das Lied aus dem Bad. Es gefällt ihm immer noch nicht. Scheint wohl der neuste Hit zu sein, wenn der jetzt öfter läuft. Er fährt los. 7:15Uhr. Er nimmt einen Schluck aus dem Kaffeebecher. Die neue Bedienung hat den Zucker vergessen.
An der nächsten Kreuzung biegt er links ab. Zur Arbeit muss er quer durch die Stadt. Mit dem Auto dauert es fast doppelt so lang, aber öffentliche Verkehrsmittel mag er nicht. Zu viele Leute. Zu viel Verspätung. Er biegt in einen Hinterhof ein und parkt sein Auto. Scheinbar ist er der Erste. Nur der das Fahrrad des Kollegen der Frühschicht steht angeschlossen in der Ecke. Er nimmt den Kaffeebecher aus der Halterung und steigt aus. Auf dem Weg zum Hintereingang wirft er den Becher in einen Müllcontainer. Er öffnet die Tür geht hindurch und lässt sie hinter sich ins Schloss fallen. Er geht eine Treppe hoch und durch eine Tür in die Büroräume. Es ist wirklich noch niemand da. Er geht in die Küche. Er nimmt die Kanne aus der Kaffeemaschine, schüttet die Reste vom Vortag ins Waschbecken und füllt neues Wasser in die Maschine. Auch der Kaffeefilter vom Vortag ist noch in der Maschine. Er entsorgt ihn im Mülleimer und legt einen neuen ein. Er gibt neun Löffel Kaffeepulver in den Filter, klappt den Deckel zu und drückt den Einschalter. Er geht an seinen Schreibtisch und fährt seinen Computer hoch. 8:30Uhr. Er klickt sich durch ein paar neue E-Mails. Reiseunterlagen für den Flug nach Los Angeles nächste Woche. Informationen über neue Produkte verschiedener Firmen. Spam. Er geht in die Küche und holt sich eine Tasse des durchgelaufenen Kaffees mit einem Löffel Zucker. Durch das Fenster sieht er, dass die ersten Kollegen eintrudeln. Er geht zurück an seinen Schreibtisch. Zwei seiner Kollegen kommen durch die Tür und grüßen ihn. Er nickt ihnen zu und schaut wieder auf den Bildschirm. Die Kollegen werfen sich einen Blick zu und gehen in die Küche. Er nimmt sich den Kopfhörer, der auf seinem Computer liegt, setzt sich diesen auf und beginnt mit den Recherchen für den heutigen Tag.
Jemand tippt ihm auf die Schulter. Er zuckt leicht zusammen, dreht sich etwas genervt um und blickt in das Gesicht einer Kollegin. Wiederwillig zieht er den Kopfhörer von den Ohren in den Nacken. In 10 Minuten wäre er dran. Wo er denn bleibe. Er schaut auf die Uhr im unteren rechten Eck seines Bildschirms. 10:18Uhr. Er murmelt eine kurze Entschuldigung, setzt den Kopfhörer ab und legt ihn auf den Computer. Dann klickt er mit der Maus. Noch ein Klick. Und noch einer. Dann rattert der Drucker der neben seinem Schreibtisch auf der Fensterbank steht. Er schaltet den Bildschirm aus, erhebt sich aus seinem Stuhl und entnimmt die beiden Blätter, die der Drucker grade ausgespuckt hat. Eigentlich wäre er heute gar nicht dran gewesen, aber der Kollege, der im Plan stand hatte sich am Vortag kurzfristig krank gemeldet. Da er morgens schon etwas länger nicht ran musste, hatte es ihn getroffen. Die Zeit hatte natürlich nur für eine semi-gute Vorbereitung gereicht, aber meistens konnte man sich eh nur grob an einem roten Faden entlanghangeln.
Er folgte seiner Kollegin in den angrenzenden Raum. Ein weiterer Kollege war schon da und fummelte etwas an der Technik zurecht. Er grüßte ihn knapp und legte seine Vorbereitung auf den hier aufgestellten Schreibtisch. Auf einem Bildschirm lief ein Timer. Noch 6 Minuten 32… 31… 30 Sekunden. Die Kollegin kam mit einem Döschen und einem Pinsel auf ihn zu, tupfte ihm dreimal durchs Gesicht und verschwand wieder. Etwas genervt schaute er auf den Schreibtisch. Er hatte seinen Kaffee vergessen. Ein Blick auf den Timer. 4 Minuten 48… 47… 46 Sekunden. Er ging noch einmal ins Büro und nahm sich seine Tasse vom Schreibtisch. In der Küche füllte er die Tasse mit noch etwas Kaffee und ging dann zurück. 1 Minute 25… 24… 23 Sekunden. Er schaute in einen kleinen an der Wand hängenden Spiegel. Er sieht immer noch müde aus, aber nach zwei Tassen Kaffee fühlt er sich schon besser. Er setzt sich an den Schreibtisch, legt die beiden Blätter für den Ablauf zurecht und weckt den Laptop der vor ihm steht aus dem Ruhemodus. Der Kollege der noch mit ihm im Raum ist, kommt zu ihm und legt ihm ein Mikrofon an. 11… 10… 09 Sekunden. Er murmelt etwas ins Mikro. Auf einem Zweiten Bildschirm neben dem Timer erscheinen die Buchstaben OK und die Zahl 4.118. Auf einem dritten Bildschirm sieht er sich selbst zur Kontrolle. Er nimmt einen Schluck vom Kaffee. Ein Grinsen legt sich ihm ins Gesicht. Er hat den Zucker vergessen. “Vielleicht wird heute ja doch nicht so ein schlimmer Tag” denkt er. Alles ist bereit. 4… 3… 2… 1… Er schaut in die vor sich aufgebaute Kamera, lächelt und sagt mit fester Stimme: , Moin moin und herzlich willkommen zu MoinMoin, eurer Morning Show auf RBTV!“

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Nicht genug Klebeband

Arvin drang mit seinem Raumschiff durch die unbekannte Atmosphäre. Es ruckelte ein wenig, doch sie brauchten nicht lange, schon waren sie der Planetenoberfläche näher gekommen. Unter ihnen erstreckte sich karges Land, auf dem man nichts Genaueres erkennen konnte. Keine Dörfer oder Städte, keine Wälder, nicht mal eine Ansammlung von toten Bäumen oder Gestein. Arvin blickte betrüb hinab „Was ist das für ein langweiliger Planet? Hier finden wir bestimmt keine Ersatzteile, geschweige denn Zivilisation…“. Sein metallischer Freund klickte zur Antwort und zuckte mit den kleinen Ärmchen, die er im Innenraum an den Wänden trug.
„Ich weiß,“ seufzte er „ein Versuch ist es Wert.“ Sie steuerten tiefer auf den Boden zu und erblickten einen kleinen dunklen Fleck, der sich bewegte. „Siehst du das?! Das gucken wir uns genauer an!“ sagte Arvin aufgeregt und drückte auf’s Triebwerkpedal. Als sie näher kamen, erkannten sie, dass ein menschenähnliches Wesen, mit violetter Haut, ein leeres Ruderboot an einem Seil hinter sich her zog. „Wozu hat er hier ein Boot?!“ fragend schaute Arvin auf ihn herunter.
Das Raumschiff setzte sanft auf den Boden auf und überprüfte die Atmosphäre. „Genug Sauerstoff um normal zu atmen, perfekt.“ Das Cockpit klappte auf und mit einem Satz war Arvin draußen, prüfend stapfte er auf der Stelle, der Boden war überraschend hart. Dann schaute er sich nach dem Wesen um, sie waren nur ein paar Meter neben ihm gelandet. „Hey“ sein metallischer Freund rollte langsam hinter ihm her. „Warum ziehen Sie hier ein Boot?“ „Warum ziehen Sie keins?!“ gab das Wesen zurück. Arvin ignorierte diese seltsame Antwort und widmete sich der wichtigeren Frage. „Wo finde ich hier die nächste Zivilisation?“ Lachend schüttelte das Wesen seinen Kopf. "Gehen Sie einfach in diese Richtung.“ Er zeigte hinter sich „Gehen Sie so lange, bis sie auf riesig aussehende Steine treffen, dort gibt es einen Ramschladen.“ „Sind Sie sicher?! Ich habe mir die Gegend von Oben angeguckt…“ Er legte den Kopf schief. „Gehen sie einfach in diese Richtung!“ Arvin zuckte mit den Schultern, bedankte sich und stieg wieder in sein Cockpit. Das Wesen zog jetzt noch kräftiger am Seil und fing deutlicher an zu schwitzen. „Warum nur zieht er hier ein Boot, ich verstehe das nicht…“, nuschelte Arvin in sich hinein und startete die Schwebedüsen. Sie setzten vom Boden ab und begaben sich in die Richtung, in die das Wesen gezeigt hatte. „Hält das Klebeband eigentlich noch, was ich um deine Kabel gemacht habe?“ Klick klick. „Ok, dann lass uns diesen Laden schnell finden, aber wo nur, ich kann schon diesen violetten Typen nicht mehr sehen.“ Arvin drückte sich an die Scheibe „Mist…alles um uns herum sieht gleich aus…“.
Sie waren schon eine ganze Weile unterwegs ob Stunden oder doch nur Minuten konnten sie gar nicht sagen, es schien eine Ewigkeit zu dauern. Arvin frage seinen metallischen Freund immer wieder, ob er auch nicht im Kreis fliegen würde, dieser verneinte, schien sich aber dennoch unsicher zu sein. „Ich habe Hunger und…wie lange hältst du noch durch?“, quengelte er leise. Da wedelten die kleinen Ärmchen schon um ihn herum und die Scheinwerfer blinkten deutlich in eine Richtung. In der Ferne konnte man die wagen Schemen von Felsen erkennen. Arvin ist vor Verzweiflung schon im Kreis gegangen, jetzt schmiss er sich freudig in seinen Stuhl zurück und drückte die Knöpfe am Steuerknüppel durch. Mit dem festen Ziel vor Augen verging die Zeit viel schneller und Arvin hoffte dass dieser Laden überhaupt etwas Brauchbares für sie hatte. Als sie näher kamen, türmten sich die Felsen wie tiefe schwarze Schatten über ihnen auf. Der Laden war nicht schwer zu erkennen, er war zwar in die Steinwände eingelassen, hatte aber wohl so viel Plunder, das er ihn vor die Tür geschüttet hatte Arvin setzte sein Raumschiff ab und schaute sich das Gerümpel näher an. Er fing an in einem Berg aus Metallschrott zu wühlen und fischte erfolgreich ein paar Kabel heraus. Triumphierend hielt er sie hoch und grinste seinen metallischen Freund an. Im Laden sah es nicht besser aus als Draußen. Überall lag Zeug herum, die Regale quellten über und der Geruch passte sich dem Ambiente an. An der Kasse entdeckte er eine Kühltheke und dahinter ein schmieriges Lebewesen. Arvin schritt auf die Theke zu und seine Augen fingen an zu leuchten, dort stand eine ganze Palette an Eiern! „Die Kabel hier, ähm, den Schokorigel und die Eier.“ Das Lebewesen tippte etwas in seine Kasse, Arvin bezahlte und schritt mit den Kabeln und den vorsichtig balancierten Eiern aus dem Laden.
„Guck was ich gefunden habe!“ rief er freudig seinem Raumschiff zu „Jetzt gibt es wieder Omeletts!“ Klick klick. „Ja und die Kabel habe ich auch dabei.“ Lächelnd stieg er ein und packte die Eier in den Kühlschrank. Währenddessen steuerte sein metallischer Freund langsam zwischen die Felsen. Auch wenn sie bedrohlich wirkten, fühlte er sich hier sicherer.
Arvin zog sich seinen Werkzeuggürtel an und fing an, außen am Schiff eine Platte ab zu schrauben. Nun begutachtete er das Klebeband, das schon halb abgewickelt hing. „Da haben wir ja noch mal Glück gehabt“, sagte er lachend und begann das Alte gegen das Neue zu ersetzen. Nach getaner Arbeit schraubte er die Platte wieder fest, streckte sich, gähnte und schob sich den Schokoriegel rein. „So, alles fertig. Und zum Frühstück gibt es Omeletts!“
Am nächsten Morgen stand Arvin auf und schlurfte müde in die Küche. Noch in Boxershorts öffnete er den Kühlschrank und tastete nach den Eiern, doch da war Nichts. Ungläubig blicke er hinein. Leer. Arvin schaute sich um „Hast du die Eier schon raus genommen?“
kl-ick kl-ick. „Achso, du bist gerade erst aufgewacht…komisch ich hätte schwören können…ach, ich ziehe mich erst mal an und dann gucken wir, ob das Kabel gehalten hat.“ Draußen schraubte er wieder die Platte los, doch da war wieder das alte kaputte Kabel mit dem Klebeband, was ihm im Wind spöttisch zu winken schien. Arvin konnte seinen Augen nicht trauen „Weißt du was?! Das war bestimmt der Ladenbesitzer, erst lässt er alles bezahlen und dann holt er es sich in der Nacht wieder, dem werde ich’s zeigen!“ Mit dem Schraubenzieher in der Luft wedelnd stapfte er los. Aber um die Ecke des Felsens war kein Laden, nicht mal ein Schrottteil lag auf dem unberührten Boden. Arvin strich die Felswände entlang. „Der war doch Gestern noch da…was wird hier gespielt?“ Immer noch leicht wütend und verwundert ging er zurück, drückte das Klebeband noch einmal fest, schraubte zu und setzte sich ins Cockpit. „Ach man, der Laden ist weg, genau wie mein Geld…dein neues Kabel übrigens auch…lass uns hier abhauen, wir suchen uns eine Raststätte.“ Sein Raumschiff schmiss die Motoren an, fing aber an, das Cockpit aufleuchten zu lassen und blieb bei einer orangenen Farbe. Der Motor war wieder aus. „Was ist los, gehts dir nicht gut?“ Müde hebte sich ein Ärmchen und die Scheinwerfer leuchteten flackernd auf. „So ein Mist, das liegt aber nicht am Kabel, oder?“ Klick-klick. „Gut, Bordcomputer! Was ist das hier für ein Planet?“ Der Computer neben dem Cockpit blätterte in einem Buch, hielt an einer Seite inne, zeigte sie Arvin und deutete auf einen markierten Text:
Der Planet „Ulnrugna“, auch bekannt als „Ulgna“ ist bei Reisenden sehr beliebt. Durch die glatte Oberfläche und die Weiten des Nichts lockt er seine Besucher an. Wenn sie dort etwas kaufen, verschwindet es am nächsten Tag, genau wie ihr Geld. Dies sind beliebte Taschenspielertricks. Sie müssen zu „einem Tag“ gehen und es um Vergebung bitten, nur so bekommen sie ihr Hab und Gut zurück. Folgen sie einfach den Wesen mit den Booten, sie gehen immer zu „einem Tag“.
„Zu einem Tag? Machen die Wesen mit den Booten eine Zeitreise, oder was?“ Arvin verdrehte die Augen. „Dann müssen wir wohl das Wesen mit seinem Boot wieder finden, und dich muss ich wohl ziehen…“ Draußen am Cockpit band Arvin ein Seil fest und band es sich um die Hüfte. „Rollen kannst du aber noch, oder?!“ Müdes Scheinwerferaufleuchten, mehr bekam er als Antwort nicht. „Gut, dann gehen wir mal.“ Mühsam machten sie sich auf den Weg. Da der Boden aber kaum Unebenheiten aufwies, kamen sie besser voran als gedacht. Es dauerte auch gar nicht lange, da fanden sie das violette Wesen mit seinem Boot wieder. „Hey, du bist ja noch unterwegs“, rief Arvin ihm entgegen. Das Wesen blickte kurz zu ihm und wandte sich dann wieder nach vorne. „Jetzt ziehen Sie ja auch ein Boot.“ „Ein Schiff!“ „Aha, wollen Sie mir Gesellschaft leisten?!“ „Ja“, zögerte Arvin „Du gehst doch zu diesem sogenannten Tag, da muss ich auch hin.“ „Ahh…lass mich raten, ihnen wurden ihre Sachen gestohlen?“ „Genau.“ „Und jetzt wollen sie sie zurück holen?“ Das Wesen fing an tief und laut zu lachen. Arvin guckte es finster an „Was genau ist denn dieser eine Tag?“ Das Wesen verstummte plötzlich. „Nicht was, sondern wer…“ „Und wer ist das?“, wiederholte Arvin jetzt genervt. „Psst. Darüber darf man nicht sprechen, geh einfach mit und sieh, was passiert, dann darfst du bei einem Tag vorsprechen.“ Schweigend gingen sie nebeneinander her. Arvin wusste nicht in welche Richtung sie gingen und sah nichts, außer dem sandigen Boden.
Doch nach einiger Zeit gesellte sich ein neues Wesen mit einem Boot dazu und in der Ferne konnte man weitere erkennen. Das Raumschiff begann leicht zu zittern. „Es scheint zu spüren, dass es gleich beginnt“, sagte das violette Wesen ruhig. „Aber was…“ Arvin sprang zurück, der Boden begann zu beben und vor ihnen tat sich ein Spalt auf, der sich durch den Sand schlängelte. Dann gab es plötzlich einen lauten Knall, der das Raumschiff in Panik versetzte und es wie wild Lichtsignale an allen Seiten einschalten ließ. Arvin ging einen Schritt zurück und legte eine Hand auf das Cockpit. Aus dem Boden schob eine riesige runde Steinplatte hervor die laut krachend den Riss wieder verschloss. Sie hatte mehrere Meter Durchmesser, alte bröckelige Säulen zierten den Rand und in der Mitte befand sich eine kleine Erhöhung. „Ähm…ist das jetzt der…eine Tag?“, fragte Arvin zögerlich, der vor Schreck seinen metallischen Freund umklammerte. „Psst, jetzt kommt’s“, raunte das Wesen und ging auf die Knie. In der Mitte der Platte bildete sich blauer Nebel und plötzlich, stand dort eine Frau. Sie war komplett rot, von ihrer Gesichtsfarbe, bis zu ihrem bodenlangen Kleid. Ihre Arme schienen bis zum Boden zu reichen und dazu ruhten auf ihren Schultern ruhten neun identische Köpfe. Alle öffneten gleichzeitig ihre Augen und blickten in die Runde. Arvin blieb wie angewurzelt stehen, fasziniert von diesem Anblick. Die Augenpaare richteten sich ruckartig auf ihn. „Wer seid Ihr, dass ihr es wagt, nicht nieder zu knien?“, sprach die rote Frau mit fester und hallender Stimme. Arvin blickte sich kurz um. „Ich knie vor niemanden!“, sagte er bestimmend, zwinkerte ihr aber zu. Angewiedert verzog sie ihre Gesichter. „Ich bewundere deinen Mut, wer auch immer du sein magst. Warum bist du hier?“ „Ich bin Arvin, Abenteurer, mein Raumschiff startet nicht mehr und die Kabel und die Eier die ich bezahlt habe sind weg.“ „Warum kommt Ihr dann zu mir?“ „Gebt mir die Sachen wieder und macht mein Schiff klar!“ sagte Arvin ernst. „Für wen hälst du mich eigentlich?“ fauchte sie „Eine Hexe oder sowas Ähnliches…“, grinste er belustigt. „Jetzt reichst! Du verbeugst dich nicht, zeigst mir gegenüber keinen gebührenden Respekt und forderst meine Kräfte für sinnloses Zeug. Hinfort mit dir!“. Sie streckte ihre Arme aus, hob ihre neun Köpfe und ihre Augen leuchteten in einem blauen Licht. Arvin wurde angehoben, das Cockpit öffnete sich und er wurde hineingesetzt. Sein metallischer Freund fing an zu wackeln, zu leuchten und zu klicken. Arvin konnte sich nicht dagegen wehren und musste hilflos zusehen. Jetzt wurde sein Raumschiff angehoben und der Boden entfernte sich unter ihnen. Er konnten kaum noch die runde Plattform erkennen, bis sie langsam aus der Atmosphäre gedrückt wurden. Im All angekommen hörte die Kraft auf zu wirken und Arvin atmete erleichtert auf, genauso wie sein metallischer Freund die die Lämpchen auf grün schaltete.
Er schaute noch mal zurück, guckte finster, rief der roten Frau etwas hinter her und presste den Mittelfinger an die Scheibe „Die hat mich um mein Omelett gebracht!“

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Full Circle Bohnenmann

Jeden Morgen, aß K seine Bohnen.
Denn jeden Sonntag wurde er von einem Nachbarn damit versorgt.
Natürlich war K nicht der Einzige der beschenkt wurde, der ältere Herr versorgte regelmäßig die Menschen in kleinerem Umkreis mit Essen aus dem Garten.
Ablehnen kam K gar nicht erst in Frage, denn was ihm dort aufgetischt wurde schmeckte unglaublich köstlich. Nun, das lag vielleicht auch daran, dass er ein ziemlich begeisterter Koch war und dieses Hobby hätte für ihn als Student um einiges teurer ausgesehen, wenn er nicht wöchentlich seine Rationen abbekommen hätte.
Im Grunde sah jeder Tag ähnlich aus. Morgens gegen 10 bereitete er sich seine Bohnen zu, denn einen besseren Start in den Tag konnte er sich gar nicht ausmalen. Er bürstete sein strubbeliges Haar, packte seine Sachen und verbrachte den Tag in der Uni bis ihm sein Nebenjob ein wenig Ablenkung verschaffte und Abends kochte er sich dann erneut etwas Feines von den Leckereien die er auf Vorrat daheim hatte.
Des Öfteren hatte K sich schon überlegt dem netten, alten Mann eine Freude zu bereiten, denn wirklich bedankt hatte er sich bisher noch nie für diese lieben Gesten. Mittlerweile war es mehr zu einer stillschweigenden Routine ausgelaufen, ein mildes Nehmen ohne etwas zu Geben und auf diesem Gedanken konnte K nicht mehr herumsitzen.
K schaltete den Fernseher ein und überlegte was er denn tun könnte und schließlich entschied er sich den älteren Herren zum Essen einzuladen und ihn zu bekochen. Von dieser Idee begeistert, durchstöberte er einige Rezepte in Gedanken und wägte ab welches Gericht wohl angebracht wäre. Doch nach einer Weile drangen die lauten Rufe des Kommentators eines Fußballspieles zu ihm durch und ohne zu zögern schaltete er den Bildschirm wieder aus. Sport war einfach nicht sein’s, aber dass musste es auch gar nicht sein, denn er könnte auch einfach später wieder einschalten.
Mit einem roten Stift markierte K sich den kommenden Sonntag in seinem Kalender und setzte dann seinen Alltag fort.
Schließlich war der Tag gekommen an dem er seinen Plan in die Tat umsetzen würde. Er schälte die Kartoffeln, kochte die Bohnen, wusch das Gemüse und briet das Fleisch an. Pünktlich um die Zeit, an der es immer an seiner Wohnungstür geklingelt hatte, war K fertig geworden und mit dem Ergebnis ziemlich zufrieden. Doch die Zeit verging und ging und niemand klingelte. Das Essen kühlte ab und K begann sich zu fragen, ob der nette Herr heute nicht kommen würde. Als über eine Stunde vergangen war, entschloss er sich ihn daheim besuchen zu kommen denn es war unglaublich ungewöhnlich das vertraute Klingeln nicht zu hören.
Zwei Türen weiter stand das zeitlose, kleine Haus, doch kein Licht schien darin zu brennen und auch keine Menschenseele schien sich darin aufzuhalten. K klingelte selbst, mehrmals, doch niemals wurde ihm geantwortet. Er lief hinter das Haus um in den Garten zu sehen, denn es könnte ja etwas passiert sein, doch selbst dort schien sich alles in friedlicher, menschenleerer Ruhe zu befinden, bis auf eine junge Frau die selbst am Zaun stand und in den Garten blickte.
K näherte sich und fragte sie, ob sie denn wisse was aus dem alten Mann geworden war. Erst in diesem Moment hatte er auch realisiert, dass er nicht mal seinen Namen gekannt hatte.
Die blonde Frau drehte sich zu ihm. „Nein, ich weiß es nicht. Er bringt mir wöchentlich Kartoffeln und als er es heute nicht mehr tat, war ich sehr verwundert.“, nach diesem Satz ging sie.
Seit diesem Tag, hatte niemand mehr an einem Sonntag Nachmittag an Ks Tür geklingelt.
Es war erschreckend mit was für einer Selbstverständlichkeit er den Mann mit den Bohnen betrachtet hatte und nun wo er nicht mehr kam, hinterließ er eine Lücke. Aber so schien es nicht nur K zu ergehen, sondern auch allen anderen Menschen die regelmäßig Vorräte von ihm erhalten hatten. K hätte wenigstens gerne gewusst, was ihn dazu angetrieben hatte die Nachbarschaft mit Essen zu versorgen und was der Grund dafür war, dass er es nun nicht mehr tat.
Es vergingen einige Wochen bis eines Tages wieder jemand vor Ks Tür stand.
Ks kleine Wohnung war erfüllt von einem lieblichen Duft von Zitrone, Sojasoße und Hähnchen, Kartoffeln und Bohnen und als er die Tür öffnete, bekam er augenblicklich von seinen Besuchern Komplimente geschenkt. Tatsächlich war es so, dass K die gesamte Nachbarschaft zum Essen eingeladen hatte, zumindest die Wenigen, die wie er ebenfalls versorgt wurden. Es waren sowohl alte, als auch junge Menschen, Frauen als auch Männer, alle von unterschiedlicher Natur und doch platzierten sie sich gemeinsam irgendwo in dieser schmalen Wohnung, wo der Platz es zuließ, und kosteten das Essen dass aus den noch übrig geblieben Lebensmitteln des alten Herren bestand. Sie redeten über Gott und die Welt, lachten, tranken und aßen und überhäuften K immer wieder mit Lob für seine Kochkünste wo er doch nur ein Student war mit wenig Zeit und Geld.
Es war das erste Mal dass er die Menschen wirklich sah, die in seiner Nähe wohnten und interessant war es allemal. Doch tatsächlich wusste niemand, was mit dem alten Mann passiert war und es stellte sich auch heraus das sonst niemand etwas genaueres je über ihn gewusst hatte.
Das Essen bekam einen bitteren Nachgeschmack.
Doch als Tribut an seine Dankbarkeit, lies K sich den Tag gut ergehen und genoss seine letzten Bohnen.
Der Alltag trat wieder ein und bald waren alle besonderen Vorkommnisse vergessen. K war immer noch Student, arbeitete Abends, kochte sich gerne etwas Feines und zockte daraufhin vor dem Schlafen gehen noch etwas bevor er im Bett seine Tag Revue passieren lies. Selbst sein Morgenritual konnte er beibehalten, denn sein Vorrat an Bohnen war wieder randvoll. K hatte sich entschlossen, auch wenn er nicht die Zeit für alles hatte, zumindest die Bohnenstauden im Garten des alten Mannes zu pflegen und zu ernten und diese dann unter den Nachbarn zu verteilen. Die Gesten des netten Herren würden nicht mehr in die Selbstverständlichkeit abrutschen, so viel war sicher. Und niemand würde mehr auf die leckeren, roten Bohnen verzichten müssen, so viel war ebenfalls sicher.
Und bald würde sicher auch der Tag kommen, an dem der Bohnenmann von seiner Dankbarkeit erfahren würde.
Lieber zu spät als nie.

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Wie eine Mutter “Verstecken” spielt

Ich bin ein Kind. Und ich werde immer ein Kind bleiben. Ich meine, ich kann das (meistens) ganz gut verstecken.
Zum Beispiel vor den anderen Müttern im Kindergarten, wenn ich mit ihnen diese typischen „mein-Kind-ist-das-aller-tollste“-Gespräche führen muss. Natürlich ist mein Kind das aller-tollste und das dürfen gerne alle Mütter wissen.
Im Supermarkt frage ich meinen Sohn oft, was wir denn alles einkaufen müssen. Meistens antwortet Oskar: „Zucker“ oder: „Käse“, beides für Fremde wahrscheinlich nur relativ gut zu verstehen. Er ist ja erst zwei. Einmal antwortete er: „Bier“. „Bier“, so laut, dass man es sicher in der gesamten Gemüseabteilung hören konnte. Ich versuchte mich den entsetzten Blicken der anderen Kunden zu entziehen und sagte: „PAPIER?“ Oskar: „BIHIER tu Papa!“ - mein Kind IST das aller-tollste!
Als Oskar ein Jahr alt wurde, habe ich schon ein riesiges Tamtam um seine kleine Feier gemacht. Mein Mann meinte, ich solle mich nicht so verrückt machen. „Es ist Oskars erster Geburtstag. Er bekommt das alles doch gar nicht richtig mit. Wahrscheinlich ist das einzige, was er mitbekommt eine unruhige Nacht, weil am Tag so viel Trubel war.“ meinte Robert scherzhaft.
Ich habe die Wohnung hübsch dekoriert. Das heißt, ich habe das Chaos auf den Regalbrettern in die Schränke (mit Türen!) gestopft und ordentlich Staub gewischt. Unsere Familien und liebsten Freunde waren eingeladen. Neben dem Esstisch haben wir noch eine Bierbank gestellt und alles hübsch eingedeckt. Schon Tage vorher habe ich die Torten und Kuchen gebacken.Oskar war begeistert. Den ganzen Tag hat sich alles und jeder nur um ihn gedreht.
Erinnern kann Oskar sich daran sicher nicht. Dafür war er zu klein. Aber so ist das doch am Geburtstag, oder? Ein Geburtstagskind darf machen was es will, essen was es will, bekommt Geschenke und muss nicht - wie sonst üblich - bei der Hausarbeit mithelfen. Es muss überhaupt nur tun, was es mag. Und Kuchen essen. Viel Kuchen, den das Geburtstagskind natürlich nicht selbst backen musste. Es darf an diesem einen Tag im Jahr jedem seiner Lieben, mit den unmöglichsten Forderungen, ganz gewaltig auf den Sack gehen. Und niemand darf sich beschweren! Auch wenn das bedeutet, dass Schokoküsse durchs Wohnzimmer fliegen. Jedes „mein-Kind-ist-das aller-tollste“-Kind bekommt das so beigebracht.
Ich bin ein Kind. Ich war früher das aller-tollste! Und an meinem Geburtstag bin ich sogar ein bockiges Kleinkind, das den Po abgeputzt bekommen möchte. Wochenlang vorher erwähne ich immer wieder unterschwellig, was ein gutes Geschenk ist oder welchen Kuchen ich gerne esse. In der Hoffnung nur das Richtige zu bekommen. Je älter ich werde, desto mehr „Vorarbeit“ ist nötig. Drei Wochen lang habe ich Robert bequatscht, dass er sich an meinem Geburtstag frei nehmen soll. Damit ich ausschlafen kann. Bis 7 Uhr. Spätestens dann würde Oskar so laut nach mir schreien, dass man ihn aus einem Bunker heraushören würde. Mein Bequatsche muss zu unterschwellig gewesen sein. Er hat natürlich nicht frei.
Ich bin ein bockiges Kleinkind. Aber ich kann das gut verstecken.

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Ein Tag der nicht kommen will
Monster, Schlurfer, Beißer oder wie auch immer sie genannt werden sollen, sind nun
seit fünf, fast sechs Monaten auf Straßen, in Häusern, in Kanalisationen… quasi überall.
Nur wenige, kleine und immer noch unsichere Unterschlüpfe haben sich gebildet, doch
auch sie wurden immer wieder abgerissen oder viel mehr niedergerissen.
Es mussten von jedem, der in dieser Welt leben will, Dinge getan werden, auf die er
oder sie nicht stolz sind. Anfangs fiel es wohl jedem schwer ein so menschenähnliches
Wesen zu töten… doch mit der Zeit wurde nun mal jeder abgestumpfter und
gefühlloser.
Eine Gruppe von vier Leuten ist nun in einer Stadt, ihr letztes kleines Camp überrannt
von diesen Viechern. Die Stadt scheint wie alle anderen vollkommen herunter
gekommen. Eigentlich wollten die Vier ein wenig essen suchen und sich vielleicht drei
oder vier Stunden aufs Ohr hauen, doch es kam anders als sie dachten.
Allesamt in eine Sackgasse gehend, um nach Vorräten zu suchen, spürten sie alle
zeitgleich einen Schlag auf dem Hinterkopf und gingen zu Boden.
Aus dem ungewollten Schlaf erwachend schaut sich Benn, ein eher kleiner,
schmächtiger junger Mann um und bemerkt, dass ihm jegliche Sachen geklaut wurden,
lediglich vier Flaschen Wasser und vier Konservendosen wurden der Gruppe gelassen.
Langsam und leise bewegt sich Benn zu den immer noch Bewusstlosen. “Hey,” flüstert
er, “wach doch auf. Hey Dyter, steh auf.” Langsam öffnen sich die blauen Augen des
blonden, kräftigen Wuschelkopfes: “Verdammt, wo… was ist passiert – was ist mit den
anderen?” Kommt benommen aus seinem Mund. “Sie liegen auch alle noch… verdammt
was ist passiert?! - Weck du Dan ich wecke Hurt.” Ohne große Probleme werden auch
die beiden anderen der Gruppe geweckt. Der eine, Hurt, eher dicklich mit einer
Halbglatze und der andere, Dan, athletisch mit dunklen Haaren.
“Nun kommt… wir müssen weiter.”, meint Benn und stiehlt sich an die Straße zurück.
Die anderen drei folgen ihm. Es ist erstaunlich ruhig. Er sieht sich nach rechts und links
um und gibt gerade das Signal zum Rechts-Gehen, da erschallt plötzlich eine schrille und
alles durchdringende Stimme so laut, dass man sie wohl noch außerhalb der Stadt hat
hören können, der Schrei kam aus dem Gebäude neben Benn oder der Gruppe. “NEEIN
– NEIN VERDAMMT NEIN! SO HELFT MIR DOCH!! WARUM KANN MIR DENN NIEMAND
HELFEN?! HALT BITTE DURCH CARL… bitte!”, die anscheinend weibliche Stimme wird
langsam leiser und nur noch ein Wimmern ist zu hören.
“Leute wir müssen dahin verdammt… sie braucht Hilfe.”, führt Dan sofort fordernd an.
“Man alter was ist den falsch mit dir… wir können nicht helfen! Sie hat die ganze
verdammte Stadt auf sich gezogen, du bist doch wirklich irre. - Los jetzt, weiter erdammt.” “Dan man… das geht nicht, das ist doch ein verdammter Mensch!” “Bei
aller Liebe Benn, aber wir können uns nicht darum kümmern, wir wurden gerade
verdammt nochmal ausgeraubt, wir müssen eine Bleibe für heute Nacht suchen, denn
es ist mittlerweile verdammter Nachmittag!” “Meine Fresse… dann gehe ich allein.”
Benn macht sich zielgerichtet, aber leise zu dem zehn Meter entferntem Eingang auf
den Weg. Er schaut nur kurz links die Straße hinunter und sieht ein an die Wand
gefahrenes Auto, geht dann jedoch weiter. Anscheinend haben sich Dyter und Hurt nun
auch entschieden ihm zu folgen, widerwillig schließt sich auch Dan an.
Die Tür steht offen und das Wimmern der Frau ist immer noch aus dem ersten Stock zu
hören. Alle restlichen Türen, die anscheinend zu Apartments führen, stehen offen und
sind gut einsehbar, lediglich eine der Türen ist verschlossen. Benn schleicht die Treppen
hoch und kann schon nach den ersten Schritten nach oben die Frau erkennen, die
elendig zusammengefallen vor einem Loch sitzt. “Hey… was ist passiert, was ist los?” Die
Frau schaut ohne auch nur bemerkt zu haben, dass sie angesprochen wurde, in das
Loch, vor dem sie sitzt, hinein. Nun kommen auch Hurt und Dyter nach oben.
Gemeinsam treten sie an das Loch… ein scheußlicher Anblick tut sich auf. Ein Junge…
wohl ihr Junge, schaut die drei mit aufgerissenen Augen und einem schmerzverzerrtem
Blick an. Fünf Stahlstreben, die in Fundamten verbaut sind, ragen durch seinen Körper.
“Er… er sagte er könne allein nach Sachen suchen. Er sagte es wäre kein Problem… ich
bin Schuld daran, ich bin zu sehr an das alles hier gewöhnt.” Die Frau greift an ihren
Bund und holt ein kleines, aber anscheinend scharfes Taschenmesser aus der Tasche. Sie
setzt an ihrer Kehle an und zieht durch. Auch der letzte Schrei von Benn kann nichts an
ihrem Fallen ändern. Sie kippt nach vorn in das Gleiche Loch wie ihr Sohn, ein widerlich
einprägendes Geräusch, als würde man einem Hähnchen die Knochen brechen, nur viel
Mit dem Geräusch und dem Schrei von Benn kommt nun auch Dan nach oben gejagt
“VERDAMMTE SCHEIßE, was ist den hie…” Er stockt und begreift den Anlass. Benn kann
die Tränen nicht halten. “Kommt!”, fordert Dan energisch auf, “Wir müssen jetzt
gehen.”
Keiner leistet Widerstand, Dyter, Hurt und vor allen Dingen Benn sind jedoch sichtlich
angeschlagen.
Sie verlassen das Haus. Immer noch sind nirgends die Viecher zu sehen. “Dort vorne, das
Auto werde ich mir vornehmen, passt bitte auf.” Er zeigt auf das Auto, das auch schon
vorhin, an die Wand gefahren, dort stand. Die anderen nehmen seine Forderung
stillschweigend hin. Gekonnt kann Dan einige Sachen aus dem Auto fischen: Eine Tüte
Chips, eine Soda Dose, eine Packung Kaugummis und den Autoschlüssel. Dan wirft die
Sachen, bis auf den Schlüssel, Dyter zu. Er ist für das meiste Tragen zuständig. Dan
klemmt sich den Schlüsselbund zwischen die Finger, sodass er eine Art Schlagring hat. “Passt auf, dort hinten kommen zwei… sucht eine Tür in die wir können.” Die meisten
Türen scheinen zu fest vernagelt, jedoch lässt sich eine öffnen. Mit einem kräftigen Ruck
schmeißt sich Dyter gegen diese und sie öffnet sich für ihn ohne Probleme.
“Los schließt die Tür und sucht hier nach Brauchbarem.” Sagt Hurt. Ohne groß
nachzudenken tritt Dyter ein Bein von dem eher morschen Tisch im Zimmer ab. Dan und
Benn durchsuchen die Schränke, wobei Hurt auf die Tür aufpasst. Sie finden zusammen
einen Dosenöffner, einen Teller und eine Gabel. Gerade als sie ihre “Beute”
präsentieren wollen, öffnet sich die Tür sturmartig und ein massiver und großer Mann
stürzt Hurt um. “Hey… tut mir leid. Ich will keinen Stress. Ich suche…” “Was suchst du?!”
baut sich Dan auf. “Ich suche meine Frau und meinen Sohn… sie müssen hier irgendwo
sein.” “Deinen Sohn… d… deine Fr… Frau?!” Benn fällt auf die Knie. “WIESO STAMMELST
DU SO?! HAST DU SIE GESEHEN?! VERDAMMT WO SIND SIE DU DUMMES
ARSCHLOCH?!” Obwohl Dyter ihn versucht aufzuhalten, sprintet er durch den kleinen
Raum und hievt Benn mit nur einer Hand in die Luft, um ihn dann gegen die Wand zu
drücken: “WO SIND SIE?! SAG ES MIR?!” Er holt aus und der erste Schlag geht auf das
Gesicht von Benn. Im gleichen Moment lässt er ihn fallen und will sich gerade
umdrehen, doch auch er fällt, denn während des Umdrehens wird ihm von Dyter mit
voller Wucht und einer Art Kampfschrei, das Tischbein ins Gesicht gehauen.
Vollkommen bewegungsunfähig liegt er dort auf dem Boden. Benn liegt neben ihm,
kommt jedoch schnell wieder zu sich. Sein Augenlid blutet. Mit zusammengekniffenem
Auge schaut er sich um… “Verdammte scheiße…” Ist das Einzige was ihm über die
Lippen kommt. “Geht schon… ich beende es für ihn.” - “Nein… lass ihn einfach liegen
verdammt.” “Benn bitte… geh einfach. Was hat es für ihn für einen Sinn, aber auch für
uns? Geht einfach, ich komme sofort nach.” Dyter und Hurt senken kurz den Blick und
weisen Benn dann mit raus. Widerwillig folgt ihnen nach draußen.
Den bewegungslosen Körper durchsuchend findet Dan ein passables Messer, eine
weitere Wasserflasche und ein Familienfoto. Das Messer legt er dem Mann an den Hals,
atmet kurz durch und zieht mit einem Ruck durch, dann wischt er das Messer an den
Klamotten des Mannes ab. Dan steht auf und geht ebenfalls aus dem Raum, lässt
allerdings die Tür offen.
Schnell findet die Gruppe wieder zusammen. “Hey Hurt, fang!” Dan wirft Hurt den
Schlüssel zu. “Ein bisschen leiser Leute!” Versucht Hurt klarzumachen.
Nach einigen hundert Metern und vielen offensichtlich verriegelten Türen erreichen alle
zusammen das Ende der Straße, hin und wieder hörten die Vier noch Geräusche, doch
keines konnten sie wirklich zuordnen. An der Ecke zu der nächsten Straße fängt Dyter auf einmal an zu reden “Seht ihr das da
vorn… die Tür steht offen. Vielleicht können wir dort ja etwas für die Nacht finden.”
“Gut kommt.” Dan geht wieder voraus.
Mit dem Messer bewaffnet durchsucht er mit den anderen im Schlepptau das
Erdgeschoss. “Wehe ihr dreht euch um. Ich habe eine Waffe.” Hören die Vier eine…
weibliche Stimme hinter sich sagen, “Los legt eure Sachen auf den Boden.” “Hey… wir…
wir wollten nur über Nacht eine Bleibe haben…” “Man Benn, jetzt halt den Rand, sie will
nicht verhandeln, sie will unser Zeug.” “Da hat der Herr recht. Und jetzt den Scheiß auf
den Boden!” Langsam legen alle ihre Sachen auf den Boden. Messer, Schlüssel, Teller,
Flaschen, Dosen, Kaugummis, Holzbein. “Setzt euch!” Fordert die Frau, “Du da vorne…
Geh in das Zimmer direkt hier links rein, nur Benn und der große Blonde bleiben hier.
Setzt euch an die Heizung. Hier Benn du bindest den großen an die Heizung.” Sie wirft
ihm ein Seil vor die Füße.
“Gut und jetzt kommst du her, aber rückwärts.” Ein kurzes Ratschen und schon hat sie
Benn die Handgelenke mit einem Kabelbinder befestigt, “Und jetzt Abmarsch auch in
den Raum rein. - Ich komme jetzt mit der Waffe an der Schläfe von Benn zu euch rein.
Wehe irgendjemand versucht was Dummes! Also setzt euch auf den Boden.” Wie
angekündigt schreitet sie in den Raum hinein und wie verlangt sitzen alle Beide auf dem
Boden. “Verdammt was musst du für einen kranken Fetisch haben…” “Halt die Fresse!”
Mit diesen Worten wirft sie Benn in die Ecke und wirft Dan ein Seil zu. “Hier fessel’ du
den Dicken an die Kommode.” “Klar…”
“Und jetzt steh du auch auf und komm rückwärts zu mir!” “Natürlich…” Gibt sich Dan
gefügig. Bei ihr angekommen und stehengeblieben… ZACK – dreht sich Dan um und
rammt der Frau die Gabel in den Hals. Ein Schuss aus ihrer Waffe löst sich und Dan stößt
einen Schrei aus. Er und die Frau gehen zu Boden…
“DU HURE!” Brüllt er den ausblutenden Körper an, “Das ist meine verfickte Schulter!”
Das Gesicht verziehend steht Dan wieder auf und holt sich das Messer aus dem
Eingangsflur, um alle anderen loszuschneiden. “Durchsucht sie noch und dann verpissen
wir uns!” - “Ich sehe oben noch nach Verbandszeug oder so!” - “Halt die Fresse Hurt…
reiß ihr einfach die scheiß Kleider von den Titten und verbinde mich damit… der scheiß
Schuss wird mehr als nur die ganze Stadt angelockt haben!”
Aus der Tür raus macht sich die Gruppe sofort auf den Weg aus der Stadt raus. “Isn
Durchschuss… das passt schon!” “Dyter halt die scheiß Fresse und geh anstatt zu gucken
verdammt.”
Nach einigen hundert Metern außerhalb der Stadt stoppt die Gruppe wieder, es ist
mittlerweile Abend geworden. “Dyter… kannst du mich bitte noch einmal verbinden, die
Scheiße hat durchgeblutet” “Klar. - Hebt bitte schon mal Kuhlen aus.” Nach einiger Zeit und als beinahe die Sonne untergeht, sind die Kuhlen für jeden
ausgehoben, etwa 20 bis 30 Meter abseits der Straße.
“Was ein verdammter Scheiß Tag…!” “Das kannst du laut sagen Dan.” “Und wie ich das
kann. Lasst bitte morgen etwas essen…” “Geht klar.” Wird einstimmig beschlossen.
Sie haben es ein weiteres Mal geschafft. Sie haben noch einen Tag in der Hölle überlebt,
wenn auch nur knapp, aber das ist nun mal mittlerweile normal. Es ist schwer zu sagen,
ob sie stolz darauf sein können es gemeistert zu haben, aber… sie haben es und das ist,
was jetzt erstmal zählt.
Nun liegen sie da, in der dunklen und äußerst ruhigen Nacht und träumen wohl von alle
dem was sie auch an diesem Tag gesehen haben, was ihnen niemals wieder aus dem
Kopf gehen wird, sei es der Junge, die Mutter oder was auch sonst.
Doch vor allen Dingen, warten sie, auf den einen Tag der nicht kommen will.

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Heute war ein wunderschöner Tag. Es war Ende Frühling und das spürte man auch. Die Vögel sangen freudig ihre Lieder und es war beinahe so, als ob sie die Schönheit eben dieses Tages beschreiben würden. Am azurblauen Himmel waren nur vereinzelt Wolken zu sehen, die regelrecht wie Watte aussahen und die freundlich scheinende Sonne am Firmament schmückten. Eine leichte Brise wehte durch die Vorstadthausreihen und brachte den süßlichen Geruch der prachtvoll blühenden Blumen aus den Vorgärten mit sich.
Ich atmete noch kurz diese reine Luft und genoss noch einmal den herrlichen Anblick, der sich mir bot, bevor ich mich in meinen Wagen setzte, um zur Arbeit zu fahren. Selbst die Straßen, die an diesem Tag leerer waren als üblich, sahen heute schöner aus. Ich konnte meinen Blick kaum von ihnen abwenden, während ich an jedem anderen Tag wohl lieber die Landschaft, an der ich vorbeisauste, betrachtet hätte. Aber heute war es anders, ich genoss den Anblick des harten Teers unter meinen Reifen geradezu und fuhr langsamer als sonst, um die Strukturen und Muster im Straßenbelag zu finden. Mein Herz raste geradezu vor Begeisterung für diese heimliche Schönheit, die, wie es sich anfühlte, keiner außer mir erkannte und dieses Gefühl versetzte mich in bloße Euphorie. Heute war ein wunderschöner Tag.
Obwohl die Autofahrt länger dauerte als sonst, kam ich eine halbe Stunde zu früh mit einem breiten Grinsen im Gesicht im Büro an; anscheinend hatte ich mich wieder nach der Uhr in meinem Schlafzimmer gerichtet, die stehengeblieben war und deren Batterien ich immer noch nicht ausgetauscht hatte. Immerhin hatte dieser Irrtum die positive Wirkung, dass ich pünktlich bei der Arbeit war, ohne auf den Genuss der sich mir darbietenden Schönheit verzichtet gemusst zu haben. Der Uhrzeit entsprechend waren nur vereinzelt Leute im Büro, denen ich wie jeden Tag ein Lächeln und ein „Guten Morgen“ schenkte, was heute noch wärmer und freundlicher war. An meinem Arbeitsplatz angekommen fing ich aber noch nicht sofort an, zu arbeiten. Zuerst räumte ich meinen Schreibtisch auf, legte den Haftnotizzettelblock rechts neben meine Tastatur und die Stifte, die über den Tisch verstreut lagen, kamen wieder in den Schreibtischbutler, den mir Tom zur Beförderung geschenkt hatte. Ich betrachtete ihn genauer; er war schwarz und matt, mit einer rauen Oberfläche, bei deren Berührung man das Geräusch der darauf kratzenden Fingernägel deutlich wahrnehmen konnte. Mir war das zuvor noch nie aufgefallen, aber nun, da ich es so deutlich hörte, klang es geradezu wie Musik. Ich begann, die Melodie meines Lieblingsliedes nachzukratzen und musste kichern. Nie zuvor hatte es sich so schön angehört wie in diesem Moment.
Als ich mein Lied fertiggespielt hatte, war es schon voller im Büro, aber es war noch immer vor Arbeitsbeginn. Ich beschloss, nun meinen allmorgendlichen Ritualen nachzugehen und erst einmal Kaffee zu kochen, bevor ich meinen Bericht für den letzten Monat, der heute fällig war, Sophie. Sie lächelte breit und sagte, halb schwärmend, halb seufzend: „Wie immer sind Sie der Einzige, der seinen Bericht pünktlich abgibt. Und dazu immer so umfassend. Wenn doch nur alle so engagiert wären wie Sie.“ Ich nickte ihr zu und holte mir eine Tasse Kaffee, wobei mir Frank beim Eingießen auf die Schulter klopfte und sich für das Kaffeekochen, das ich jeden Morgen übernahm, bedankte. Auch ihm nickte ich zu und antwortete: „Keine Ursache.“, während ich nun der Arbeit an meinem Schreibtisch nachgehen wollte. Diese ging mir heute noch leichter von der Hand und ich hatte sogar Spaß daran, genoss sie förmlich, genauso wie das Geräusch der Tasten, wenn ich sie sanft anschlug. Es war tatsächlich ein wunderschöner Tag.
Bevor ich mich versah, waren die acht Stunden auch schon vorbeigegangen und ich machte mich auf den Heimweg. Der spätnachmittägliche Verkehr hinderte mich allerdings daran, erneut die Schönheit der Straßen zu bewundern, sodass ich stattdessen die Autos betrachtete. Mal hatten sie einen matten, mal einen glänzenden Lack, mal hell, mal dunkel, blitzend sauber, leicht verstaubt, es gab so viele Variationen und alle waren besonders auf ihre ganz eigene Art und Weise. Leider konnte ich die Autos nie länger betrachten, weil sie immer zu schnell weg waren, aber das war auch gar nicht schlimm. Diese vielen, kleinen Eindrücke hatten mich so sehr verzaubert wie es ein großer wohl nicht gekonnt hätte. Nie zuvor erlebte ich einen so wunderschönen Tag.
Zuhause angekommen nahm ich erneut den Duft vom heutigen Morgen wahr. In ihm lag nun auch etwas anderes, dieser Geruch vom einbrechenden Abend verlieh der Luft eine angenehme Note, die mich dazu einlud, mein Abendessen diesmal draußen auf der Terrasse einzunehmen. Dem Wetter entsprechend wollte ich etwas Leichtes und Gesundes, aber Sättigendes zu mir nehmen und entschied mich deshalb für eine Gemüsepfanne. Also zerkleinerte ich die Zutaten, wobei mir dabei auffiel, wie schön es sich anhörte, Gemüse zu schneiden; das immer wieder ins Fruchtfleisch eindringende, scharfe Messer führte geradezu eine Symphonie vor, deren Musik allein für mich gespielt wurde. Das Zischen des Öls in der Pfanne, wenn die Zutaten sanft angebraten wurden und die Aromen, die dabei freigesetzt wurden, versetzten mich in einen Rausch, sodass ich mein Abendessen sogar beinahe hätte anbrennen lassen. Ich richtete mein Menü, so perfekt wie es mir möglich war, an, um dessen Zauber noch länger zu erhalten und zur Geltung zu bringen. Passend dazu öffnete ich auch meinen besten Rotwein, den ich seit Jahren für einen besonderen Anlass aufgehoben hatte und der so teuer gewesen war, dass es mich an jedem anderen Tag abgeschreckt hätte, auch nur einen Tropfen davon zu mir zu nehmen, aber heute war die perfekte Gelegenheit, um ihn zu trinken. Heute war wirklich ein wunderschöner Tag.
Draußen nahm ich dann mein Abendessen zu mir und genoss noch einmal die Schönheit eben dieses Tages, der sich nun langsam seinem Ende näherte. Die Schmetterlinge tanzten in der Luft und aus der Ferne konnte man schon ein leichtes Grillenzirpen wahrnehmen. Der vorhin noch so blaue Himmel bestand nun aus einem Farbenspiel aus gelb, rot und violett und schien, als hätte man ihn gemalt. Die Farben gingen ineinander über ohne erkenntliche Grenzen und so konnte ich nicht anders als über dieses prächtige Machwerk Mutter Naturs zu staunen. Dann beschloss ich, dass es Zeit war, wieder ins Haus zu gehen, spülte mein benutztes Geschirr ab und stellte die halbvolle Flasche in den Kühlschrank. Ich vergewisserte mich, dass alles sauber war und öffnete dann die Schublade meines Sideboards. Dieser entnahm ich den darin verwahrten Revolver und auch er schien heute noch schöner zu sein als sonst. Ich führte ihn an meine Schläfe und in dem Moment, bevor ich abdrückte, gab es nur zwei Gedankengänge in meinem Kopf: 1. Wie würde wohl das Farbspiel meines Blutes auf dem Parkett aussehen? Und 2. Heute war in der Tat ein wunderschöner Tag, um zu sterben.

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Tagesleben

Inhaltsangabe:
Ein Mann überlebt einen Flugzeugabsturz und treibt auf dem offenen Ozean. Was geht ihm durch den Kopf? Wird er es schaffen? Und was ist das Wesen, das ihn unbedingt in die Tiefe ziehen will?

Meine Geschichte:
Wenn ich den Kopf leicht nach hinten
lege und meinen Atem anhalte, dann trete ich in die Vergangenheit;
dann kann ich in den Momenten der Stille zwischen den dumpfen
Schlägen meines Pulses ein fernes und immer leiser werdendes
Rauschen und Knirschen hören, das von tief unten zu mir herauf
dringt, solange ich das drängende Brennen meiner Lungen ignorieren
und das elementare Bedürfnis meines Körpers nach Sauerstoff
verdrängen kann; doch wenn ich dann endlich meinem Körper nachgebe
und hektisch die verbrauchte Luft ausstoße, vertreibt das Geräusch
meines Atems aus meinen Ohren all die anderen feinen, leisen und
trübsinnigen Töne aus der Tiefe.
Jedes Mal, wenn ich die Luft erneut
anhalte und in die Ruhe zwischen den Herzschlägen lausche fällt es
mir schwerer, etwas von der sich verflüchtigenden, langsam
undeutlich und verschwommen werdenden Vergangenheit zu erhaschen und
zumindest für einen kurzen Moment noch bei mir zu halten. Bald ist
es fort, und mein Blick ins Gestern trübt sich.
Am Anfang waren die Geräusche noch
näher gewesen und unter das Rauschen hatte sich neben anderen Lauten
ein grollendes Dröhnen gemischt, das aber rasch verstummt war und
Platz gelassen hatte für Spekulationen, während ich die Dinge um
mich herum betrachtete.
Das Stofftier neben mir, ein kleiner
Affe, das ich sehen konnte, wenn ich den Kopf leicht nach links
wandte, war dunkel und fleckig von Blut, Benzin und Öl, der ehemals
weiche Stoff war verschmutzt und wurde immer dunkler, während es
sich vollsog und immer tiefer im Wasser lag. Von all dem Treibgut,
das um mich herum von den sanften Wellen bewegt wurde, mochte ich
dieses dreckige Ding am liebsten.
Es war nicht so nichtssagend wie die
kleinen und großen Plastikteile, die formlos, halb zerschmolzen,
halb zerbrochen, herumdümpelten; oder so langweilig banal wie die
zerfetzten und verbrannten Kleidungsstücke die auf der Oberfläche
trieben; und auch nicht so grausig und furchtbar wie die
verstümmelten Körper, die hin und wieder an mich stießen und die
ich dann entsetzt von mir wegschob.
Es war einfach ein lustiger kleiner
Affe, den jemand mit geschickten Händen aus Stoff geformt hatte und
der bestimmt mal von kleineren, unschuldigeren Händen herumgetragen
worden war. Vielleicht war er ein Geschenk gewesen.
Mit der Zeit versanken immer mehr
Gegenstände – die Plastikteile, die Kleidungsstücke und zum Glück
auch die entstellten Körper – bis zuletzt nur noch der kleine
aufgedunsene Affe sacht neben mir auf den Wellen schaukelte.
Immer, wenn ich aus der Vergangenheit
zurückgekehrt war und die Augen aufgeschlagen hatte, hatte ich nach
meinem freundlichen Begleiter gesehen und mich vergewissert, dass er
mich noch nicht verlassen hatte; und lange Zeit war er bei mir
geblieben. Aber als die Sonne am Rand der Welt aufgegangen war und
den Himmel mit einem hellen Glühen und Strahlen erfüllt hatte, war
auch der kleine Affe aus Stoff schließlich versunken. Es war, als
hätte er nur darauf gewartet, dass die Sonne endlichen aufgehen
würde; als hätte er mich durch die schrecklich finsteren Stunden
vor dem Morgengrauen begleitet, um danach, als sein Dienst erfüllt
war, endlich loszulassen und befreit von jeder Last hinab zu sinken.
Und so trafen mich die ersten
Sonnenstrahlen eines neuen Tages allein, mitten in einer riesigen
Lache aus regenbogenschillernden Schlieren Benzins treibend, auf der
sich kräuselnden Oberfläche eines leeren und gesichtslosen Meeres;
und meine Rettungsweste begann in strahlendem Signal-Orange weithin
sichtbar zu leuchten.
Inzwischen steht die Sonne höher und
ich gönne meiner Lunge und meinen Gedanken eine Pause, indem ich
hinauf in den raumlosen Himmel starre und in seinem grenzenlosen Blau
versinke. Ich lasse mich in dem Himmel ebenso treiben, wie ich mich
im Wasser treiben lasse.
Ich habe die übliche Position
eingenommen, die man in solch einer Situation einnehmen soll:
Mein alter Sportlehrer in der Schule
hat es immer den Seestern genannt, bei dem man seine Arme und Beine
vom Körper abspreizt um so den Auftrieb zu verbessern und weniger
Kraft für das Schwimmen aufwenden zu müssen. Er war ein dummer,
lauter und grausamer Mann mit Halbglatze und haarigem Nacken gewesen,
der uns Kinder geschunden und gequält hatte, wo er nur konnte. Aber
mit diesem kleinen Trick hat er recht gehabt, und so lasse ich mich
als orange leuchtender Seestern mit weit ausgestreckten Armen und
Beinen vom Wasser und meiner Rettungsweste tragen und von den Wellen
sacht schaukeln.
Weiter weg von mir steigen einige große
Blasen an die Oberfläche und zerplatzen mit einem leisen Plopp –
es ist der letzte Rest Luft aus dem Flugzeug, der den langen und
beschwerlichen Weg nach oben geschafft hat.
Ich habe einen Kloß im Hals, als ich
daran denke, dass das Wrack inzwischen den Meeresboden erreicht haben
muss und ich somit das Rauschen des Wassers, das während des
Hinabsinkens an ihm vorbei strömt, nicht mehr hören kann. Die
Blasen verraten mir, dass sich mein Tor in die Vergangenheit
geschlossen hat, dass die Geräusche der sinkenden Trümmer – das
Zeugnis des Geschehenen, das mich hierher gebracht hat – für immer
verstummt sind. Meine letzte Verbindung zu ihr,
die zusammen mit dem Flugzeug versunken ist.
Die Endgültigkeit dieser Erkenntnis
erschlägt mich und salzige Tränen rinnen über mein Gesicht in das
noch salzigere Wasser.
Bald versiegen meine Tränen wieder und
die Hitze des neuen Tages wischt ihre Spuren aus meinem Gesicht,
nichts als getrocknetes Salz hinterlassend.
Es ist ein heißer Tag und die Sonne
sendet unerbittlich ihre grausamen Strahlen zu mir herunter, aber
zunächst störe ich mich nicht daran, denn sie wärmt meinen Körper,
der knapp unter der Wasseroberfläche dahintreibt. Von Zeit zu Zeit
ändere ich meine Position und bewege meine Arme und Beine, um die
Blutzirkulation anzuregen; dabei trete ich im Wasser und merke an den
Füßen, wie kalt es unter der warmen Oberfläche wird. Fröstelnd
lehne ich mich dann wieder zurück und treibe als großer Seestern
weiter dahin, allein mit meinen Gedanken.
Hin und wieder spiele ich mit dem
Gedanken, die Signalpfeife auszuprobieren, die an der Rettungsweste
baumelt, aber ich kann mich nicht dazu aufraffen, die allumfassende,
friedliche Stille zu stören, die mich umgibt. Im Wasser höre ich
nichts als die Geräusche meines eigenen Körpers, das sanfte Wispern
meines Atems, das stete pulsieren meines Herzens, das fast unhörbare
Strecken und Knirschen meiner Muskeln und Sehnen – und wenn ich den
Kopf aus dem Wasser hebe, verstummen sogar diese Laute.
Es ist eine friedliche Welt durch die
ich treibe.
Während die Sonne höher steigt und
anfängt mich zu blenden, sodass ich schließlich ein Stück von
meinem mitgenommenen Hemd abreiße und mir über die Augen lege,
frage ich mich, wieso ich keine Angst spüre. Vielleicht stehe ich
unter Schock, oder ich klammere mich unbewusst an die Hoffnung, dass
ich trotz allem noch gerettet werden kann, obwohl ich weiß, wie groß
der Ozean ist und dass eine unsichtbare Meeresströmung mich
wahrscheinlich bereits Kilometer von der Absturzstelle weggetragen
hat. Aber womöglich ist auch das Gegenteil der Grund – das
absolute Fehlen jeglicher Hoffnung auf Rettung oder Besserung, denn
eigentlich bin ich bereits beim Aufprall des Flugzeugs auf das Wasser
gestorben.
Zusammen mit ihr…
Ich habe den Geruch ihrer Haare
in der Nase und spüre die Weichheit ihrer Haut, während ich
an sie denke – und obwohl ich weiß, dass es sich dabei um
Einbildungen handelt, lächele ich und das Herz wird mir einen Moment
leichter; fast vergesse ich, wo ich mich gerade befinde.
Aber dieser Zustand hält nicht lang
an, denn plötzlich spüre ich, wie sich ein großer, rauer Körper
an mir reibt. Er ist unbemerkt zu mir gekommen, von unten, aus den
bodenlosen Weiten einer anderen Welt, hat sich an mich
herangeschlichen und die Lage abgeschätzt, bis er sich vergewissert
hatte, dass es sicher sei, diesen ersten Vorstoß zu wagen, um sich
mir unvermittelt anzunähern.
Meine Finger ertasten eine lange spitze
Flosse und Sandpapierhaut, dann ist der Körper wieder verschwunden
und ich reiße das Stück Stoff von meinen Augen, obwohl ich weiß,
dass ich außer Wellen nichts werde entdecken können. Das Wesen
lauert unterhalb der Oberfläche.
Ich beruhige mich nach dem ersten
Schrecken schneller als ich es gedacht hätte und registriere ein
neues, bis dahin unbekanntes Geräusch. Es ist ein feines,
blubberndes Zischen und kommt von meiner rechten Seite – dort, wo
mich das Tier gestreift hat. Nach einigem Suchen finde ich die Quelle
des Geräuschs und eine neue Erkenntnis wächst in mir heran:
Das Zischen stammt von einem kleinen
Riss in meiner Rettungsweste, aus der nun langsam aber stetig die
Luft entweicht, die zahnbewehrte Haut des Hais hat sie aufgerissen.
Jetzt weiß ich, dass ich den nächsten Tag nicht mehr erleben werde,
aus der bloßen, leicht zu verdrängenden Ahnung wurde Gewissheit.
Aber traurig oder erschüttert bin ich deswegen nicht.
Dieses Wesen ist ein Fremdkörper, ein
ungerufener Gast in meinem friedlichen Kosmos der Stille, eine
ungebetene Quelle der Unruhe in meiner Welt zwischen dem endlosen
Blau des Himmels und dem tiefen Blau des Meeres. Doch ich kann den
Hai nicht vertreiben und so lasse ich es schließlich zu, dass er
Teil meiner Welt wird.
Ich lasse einfach die Stunden an mir
vorüberziehen, während der große Körper unter mir seine Bahnen
zieht und mich hin und wieder behutsam streift und die Sonne langsam
gen Westen wandert. In den Momenten, in denen mir der Hai ganz nah
ist, zeigt er sich mir in seiner ganzen Größe; seine graue Haut ist
von Narben zerfurcht und eines seiner Augen ist blind und tot. Er ist
alt, aber noch nicht kraftlos und so werden seine Berührungen immer
fordernder und drängender und wachsen sich mit der Zeit zu groben
Stößen aus. Es kommt mir so vor, als würde das Tier langsam
ungeduldig werden; als würde es nur darauf warten, dass ich endlich
aufgebe, die Verschlüsse meiner immer schlaffer werdenden
Schwimmweste öffne, sie abstreife und mich von ihm in die Tiefe
ziehen lasse. Aber diesen letzten Tag lasse ich mir nicht nehmen.
Bald, – verspreche ich dem
ungeduldigen Wesen – darfst du mich mitnehmen. Aber noch nicht.
Lass mir diesen letzten Tag, bis die ersten Sterne am Himmel
erscheinen, dann komm mich holen; dann darfst du mich zu ihr
bringen auf den Grund des Meeres.
Und tatsächlich verhält sich der Hai
danach ruhiger. Er begnügt sich damit, neben mir, knapp unter der
Oberfläche zu schwimmen und gemächlich seine Kreise zu ziehen.
Die Haut meines Gesichts brennt und
fühlt sich straff gespannt an, als wäre sie geschrumpft und drohe
zu reißen, weshalb ich hin und wieder den Kopf unter Wasser tauche,
um sie etwas zu kühlen.
Jedes Mal kommt dann der Hai näher
heran, so als wolle er mich frühzeitig mitnehmen, als würde er mein
Untertauchen aus Vorschnelligkeit missverstehen. Wenn ich dann den
Kopf wieder aus dem Wasser hebe und blinzelnd zur Sonne blicke, die
sich zielstrebig dem Horizont im Westen annähert, meine ich eine
gewisse Niedergeschlagenheit in den Bewegungen des Tieres ausmachen
zu können, während es auf seine gewohnte Kreisbahn zurückkehrt.
Bald jedoch taucht die Sonne den Himmel
in leuchtendes Rot und nun weicht der Hai nicht mehr von meiner
Seite, er weiß, dass mein Tag bald endet, dass meine Zeit bald
gekommen ist.
Ein letztes Mal lasse ich meine
Gedanken schweifen und lausche mit angehaltenem Atem in die Stille
der Tiefe; jetzt höre ich kein fernes Rauschen mehr.
Mit den ersten Sternen öffne ich die
Verschlüsse meiner Rettungsweste und streife das schlaffe Stück
Stoff von mir ab.
Ich leere meine Lungen und tauche hinab
in die dunkle, kühle Schwärze; der Hai ganz nah bei mir.
„Komm zu mir“, sagt er mit ihrer
Stimme und zieht mich sanft immer tiefer und tiefer.
Und als der Monde aufgeht bin ich
bereits verschwunden, und nur ein signal-orangener Fetzen treibt
einsam auf dem großen und stillen Meer.

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Wie man erfolgreich seine Heimat verlässt

7:35 Uhr
Der Wecker schreit mich an. Weil meine Augen sich so vertrocknet anfühlen, habe ich Angst, dass sie zu Staub zerfallen, falls ich sie öffnen sollte.
Ich entscheide mich, sie zu zu lassen.

7:55 Uhr
Dumpfes Klopfen.

7:56 Uhr
Starkes Klopfen. Und ich höre meinen Namen. Jemand schreit ihn.
Es ist schon fast ein Kreischen.

7:57 Uhr
Ich entscheide mich zu antworten.

„Ja?“

„Willst du nicht langsam mal aufstehen?!“ Ja, es war definitiv ein Kreischen.

Ich murmelte. „Warum nochmal?“

Eigentlich wusste ich es. Ich wusste, dass ich an diesem Tag losfahren würde. Umzug, Auszug. Was auch immer. Die Sachen waren seit Tagen gepackt. Die Pläne schon seit Monaten gemacht. Ich hatte mich nach längerem Grübeln, Verzweifeln und schlaf-geringen Wochen dazu entschieden erst einmal wegzugehen. Die Stadt, in der ich groß geworden bin, hielt mich ab vom Denken und Entscheiden.
Darum entschied ich mich damals, ganz originell (ich weiß), ins Ausland zu fahren. Weg von immer-den-gleichen Menschen. Immer-den-gleichen Häusern. Immer-der-gleichen Luft. Immer-den-gleichen Gedanken und Gesichtern. Natürlich auch von meinen Eltern. Endlich eigenständig sein, weil „ich bin jetzt achtzehn, ich bin groß und mit der Entgegennahme meines Abitur-Zeugnisses überkam mich auch die Weisheit.“ Und seitdem wusste ich, wie der Hase läuft.
Ich wusste, wie man lebt. Vor allem wusste ich es besser als meine Eltern.

„Schwing’ deinen Arsch hoch!“

Ich drückte mich aus meiner Matratze hoch und öffnete meine Augen. Sonderlich hell war es aber noch nicht. Vielleicht irrten sie sich in der Zeit?
Meine Mutter betrat mein Zimmer und zog meine Jalousien hoch. Die Sonne berührte den Rand meiner Dachfenster und der Strahl, der mein Zimmer erhellte und mich endgültig weckte, machte den Staub sichtbar, der aufwirbelte, wenn man sich in meinem Raum bewegte. Ups.
Mürrisch steuerte ich aus meinem Zimmer auf das Bad zu.

8:02 Uhr
Ich dusche, mehr oder weniger freiwillig. Mehr: da meine Haare mir durch den nächtlich angesammelten Schweiß und dem ständigen Plätten, da ich auf dem Rücken schlafe, an dem Schädel kleben. Weniger: weil es verdammt noch mal erst kurz nach acht ist…?!

8:06 Uhr
Unfreiwillig abtrocknen. Ich hasse es mich abzutrocknen. Wenn ich meine eigene Wohnung habe, hole ich mir definitiv einen massiv großen Föhn.

„Unser letztes gemeinsames Frühstück.“ Meine Mutter schniefte. Sie schniefte wirklich. Das schreibe ich nicht, damit es sich besser anhört. Echtes Schniefen. Verrückt.

Ich konnte nur zustimmend Brummen. Wenn ich sentimental geworden wäre, so wäre ich an diesemTag sicherlich nicht losgefahren.
Ich schaute auf den Tisch. Er war ganz gut gedeckt. Es war schon etwas mehr los als sonst. Honig, Pflaumenmus, Gauda, Stinke-Käse, Quittengelee, Jagdwurst, frisches Mett, normale Salami, Salami mit Pfeffer, Salami mit Kapern, gekochter Schinken, geräucherter Schinken, Butter mit Salz, Butter ohne Salz, Butter mit Öl – oh man, wer sollte so viel Butter essen?
Meine Mutter nahm die frisch aufgebackenen Brötchen aus dem Ofen. Sie rochen so wie immer. Neben dem Essen kamen, wie immer, die gleichen Themen auf den Tisch. Und ich aß mich, wie immer, in der gleichen Reihenfolge durch den Aufschnitt.

9:30 Uhr
Habe den Kofferraum geöffnet und erst jetzt realisiert wie mickrig mein Besitz doch ist. Und den allerwertvollsten lasse ich zu Hause.

Ich legte den ersten Gang ein. Ich winkte ihnen.
Sie standen dort wie ein angebrochenes Kit-Kat, das man mit beiden Hälften zurück in die Verpackung gelegt hatte, weil man auf einmal doch keine Lust mehr auf sie hatte. Mir tat plötzlich alles Leid. Dass ich groß geworden bin, dass ich mein Abitur geschafft hatte, ohne weitere Anläufe, dass ich mich nicht für ein Studium in der Nähe entschieden hatte, dass ich keine Ausbildung machen würde, nicht dort wohnen würde. Nie wieder dort wohnen würde.
Ich winkte ihnen und dem Haus. Und dem Garten. Und dem Baum im Garten mit der Schaukel dran. Die in meinen Gedanken, immer noch von dem letzten Mal als ich auf ihr meine Beine weg streckte und anwinkelte, hin- und herschwang.
Ich kurbelte mein Fenster runter.

„Keine Sorge, ich komme zurück!“ Sagte ich mehr zu mir selbst, als es irgendjemanden zu versprechen.

10:25 Uhr
Ganz schön busy auf der Autobahn. Ich gucke alle fünf Minuten auf meine Uhr. Die Zeit fühlt sich trotzdem nicht unter Druck gesetzt und geht es gemütlich an.

10:30 Uhr
Wann will ich eigentlich meine erste Pause machen?

10:35 Uhr
Bin gerade an der Raststätte vorbeigefahren, an der meine Eltern früher immer für mich anhalten mussten. Ich war die Art von Kind, die, obwohl sie „direkt vor dem Losfahren noch einmal auf Toilette waren“, urplötzlich mal mussten.

10:40 Uhr
Ich hoffe, meine Kinder werden mal weniger anstrengend.

10:45 Uhr
Habe gerade überlegt, ob ich noch einmal den ganzen Weg zur Raststätte zurückfahre, da ich urplötzlich das Gefühl habe, dass ich meine Blase nicht mehr lange dicht halten kann. Aber habe seitdem schon zirka 20 Kilometer hinter mir…

Während der Fahrt dachte ich über viele Dinge nach. Plante Sachen bis ins kleinste Detail, um sie eine halbe Stunde später wieder über den Haufen zu werfen. Machte mir Gedanken über den finanziellen Part der Reise. Schrieb in meinem Kopf schon zehntausend Briefe an all meine Freunde und Bekannten von den entferntesten Orten. Obwohl mir noch nicht einmal genau klar war, wo ich in drei Monaten sein würde. Diese Tatsache hatte sich in den ersten hundert Kilometern von einem unheimlich geilen Freiheitsgefühl in beängstigende Ungewissheit verwandelt.
Mein Leben war noch nie so planlos. Und planlos leben wäre super. Wenn man das in unserer Gesellschaft nicht so arg verachten würde.
Man muss doch einen Plan haben. Man muss wissen was man will. Am besten schon mit sechzehn. Oder dann halt spätestens mit achtzehn. Okay, du machst noch ein freies Jahr? Dann halt mit neunzehn.
Oder wenn es überhaupt möglich wäre.
Früher war jeder Tag strukturiert. Ich wusste am Abend davor genau, wann ich am Morgen danach aufstehen würde. Was ich essen würde. Mit welchen Themen ich mich beschäftigen müsste. Wann meine Eltern nach Hause kämen. Wann es Essen gäbe. Wann ich schlafen würde.
Alles, was ich in den letzten sieben Jahren erlebt hatte, war ein Spiel vorprogrammierter Züge des Lebens mit immer den gleichen Gesichtern verschiedenster Mitspieler. Selbst, dass ich den ein oder anderen Freund dazugewann oder verlor, war total voraussehbar.
Und das alles realisierte ich erst während einer mehrstündigen Fahrt ins Ungewisse.

13:14 Uhr
Meine Tankanzeige blinkt.

„Das macht dann drei Euro und fünfzig Cent.“ Räuspern. „Drei EURO und fünfzig CENT.“

Ich schüttelte mich aus meinen Gedanken wach. Der etwas zu klein für sein Gewicht gewachsene Mann streckte mir mittlerweile schon seine Hand entgegen. Ich lächelte und kramte Kleingeld aus meinen Hosentaschen. Er nahm es schnaubend an.
In meinem Kopf hatte sich während der Fahrt eine Art Tunnel errichtet, aus dem ich schlecht wieder entfliehen konnte. Wörter, Sätze, Texte flogen durch ihn hindurch. Als würde ich einen Aufsatz schreiben, in dem ich jetzt erst einmal mein Leben reflektieren würde.
Ich hatte mein Auto mit Benzin gefüllt und danach noch einen Abstecher bei den Toiletten und den Burgern gemacht. Meine Blase war nun wieder geleert und der Burger duftete herrlich fettig aus der Tüte zu meiner Nase hoch.

„Danke.“

Ich nickte und lächelte noch einmal extrem, in der Hoffnung, dass der kleine pummelige Verkäufer es mir nicht übel nehmen würde. Falls ich je dort wieder einmal essen würde. Falls er dann noch dort arbeiten würde. Nur zur Vorsicht.
Ich schlenderte an den besetzten Plätzen vorbei zu einer Couch mit Tischchen, gerade so viel Platz wie für eine einzelne Person nötig war. Mich. Die anderen Gäste waren eher nicht allein. Neben mir ernährten sich noch ein Pärchen mit Baby, zwei Rentner und eine Großfamilie mit vier kleinen, lauten Kindern ungesund.

„Hihihihi, Ahhhhhhhh. Ahhhh, Hiiiiiii! HEY! UH!“ So die Kinder.

Mir war das in meinem Alter natürlich alles zu laut. Genervt beobachtete ich wie der eine kleine Junge dem einen noch kleineren Mädchen an den Haaren zog. Mein Blick wanderte zu den verantwortlichen größeren Menschen, die aber nur genüsslich ihren Burger mampften. Bis das Mädchen schrie. Die Mutter sprang wie vom Blitz getroffen auf und schleuderte ihren Kopf Richtung Kinder.

„MA-XI-MILI-AAN!“

Die Art, wie sie beinahe zeitlupenartig seinen Namen aussprach, versetzte mich sofort in meine Zeit des Testen der Grenzen zurück. So wie man mir erzählt hatte und anhand vorheriger aufgeführter Beispiele, Stichwort Toiletten-Geschichte, hatte ich die Sache auch gut drauf gehabt.

„Zieh der Mira nicht an den Haaren! Und überhaupt könnt ihr eure Lautstärke mal runterschrauben! Hier sind noch andere Leute.“ Sie schaute sich bedeutend in dem kleinen Raum um.

Mir wurde schlagartig bewusst, dass für mich ab jetzt niemand mehr plötzlich aufspringen würde. Mir meine Fehler aufführen würde. Oder überhaupt bemerken würde, wann ich mich falsch verhalte. Etwas falsch einschätze oder sehe. Oder mir sagen würde welches das beste Waschmittel sei.
In der Zeit, die zwischen meiner letzten Prüfung und heute morgen um 7 Uhr 35 lag, hatte ich nichts gemacht. Wenig erzählt. Und genau so wenig gedacht. Einfach mal entspannt. Natürlich mit Ausnahme der paar Tage, die ich genutzt hatte, um für diese Reise zu planen. Ich hatte mir nicht den Kopf über Verantwortung zerbrochen.

17:52 Uhr
Habe Deutschland erfolgreich verlassen. Fühle mich meiner Heimat sehr entfernt. Eventuell zu weit.

18:00 Uhr
Komische Straßenschilder. Ich muss mich sehr konzentrieren. Die Frau im Radio spricht so schnell als würde sie vor den Wörtern fliehen. Ich stelle auf CD um.

Der Fahrtwind durchströmte meine Haare. Ich schüttelte mich – der Fahrtwind würde meine Haare durchströmen, wenn ich nicht hundertdreißig auf dem linken Fahrstreifen einer Autobahn gefahren wäre und mich deshalb entschieden hätte das Fenster geschlossen zu lassen. Stattdessen blies mir die Lüftung gut Sauerstoff ins Gesicht.
In ein paar Stunden würde ich in Calais ankommen. Ich würde auf die Fähre fahren und auf die See Richtung Dover reisen. England war mein erstes Ziel. Der Gedanke dahinter war, dass ich erst einmal mein Englisch stabilisieren wollte. Dann würde ich vorbereitet sein für den Rest der Welt. Also für den Rest der Welt, den ich bereisen wollte.
Während ich an wunderschönen Landschaften vorbei fuhr, von denen ich nur ein Drittel wahrnahm, hatte ich das Gefühl, dass ich alle Zweifel und Unstimmigkeiten hinter mir ließ. Und ich ganz unabhängig und gleichzeitig eins mit den ganzen anderen Menschen auf der Straße war. Ich lächelte die tiefstehende Sonne an. Dieser Moment war so filmreif kitschig, dass ich mich im Nachhinein fast für ihn schäme.
Ich fuhr noch eine Weile gut gelaunt vor mich hin und freute mich über lustige Kennzeichen-Kombinationen.

22:23 Uhr
Pünktlich bei der Fähre gelandet. Steh jetzt in einer Schlange. Vor mir stehen noch zehn Autos. Bin aufgeregt. Entscheide mich die Musik lauter zu stellen.

22:25 Uhr
Habe die Musik wieder leiser gestellt. Mir ist ganz mulmig im Magen.

22:27 Uhr
OK! Mir ist immer noch übel. War der Burger schlecht?

22:28 Uhr
Ich glaube, ich bin einfach jetzt schon seekrank.

Ich parkte das Auto auf dem Platz, der mir zugewiesen wurde. Schnell kramte ich alle wichtigen Sachen vom Beifahrersitz zusammen und sprang heraus. Die Menschenmassen strömten in Richtung einer Tür, die offensichtlich an die oberen Decks führte.
Ich hatte das Gefühl, dass alle meine Aufregung teilten.
Sie waren meine Begleiter des ersten Tages einer Reise. Zur Festigung. Selbstfindung. Zum Entdecken. Und obwohl ich niemanden dieser Leute kannte, hatte ich das Gefühl, sie würden mich stützen und mir helfen. Ich hatte unheimliches Vertrauen. Mir wurde wohler.
Als ich endlich das Deck betrat und auf den Hafen gucken konnte, begannen meine Augen feucht zu werden.
Diese Reise war auch ein sehr langer Abschluss mit meinem vorherigen Leben.

Und dann rief ein Kind neben mir. „Tschüss Deutschland!“ Voll das Bild zerstört.

„Das ist nicht Deutschland, Schätzchen!“

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Der vergessene Tag

“Heute ist der Elfte. Alle sagen zwar, heute ist der Zwölfte, aber das stimmt nicht.
Ich kann es auch beweisen. Weil gestern der Zehnte war, muss heute der Elfte sein, weil nämlich der Elfte
nach dem Zehnten kommt. Das war schon immer so. Die Anderen müssen sich irren.”
“Nein Peter. Heute ist der Zwölfte. Es steht auch hier in dieser Zeitung, die ich dir
mitgebracht habe. Ich kann verstehen, wenn du mir nicht glauben willst, aber der Zeitung
wirst du doch wohl glauben.”
Der Arzt legte die Zeitung in die Mitte des Tisches, wo der Patient sie hätte erreichen können.
Er sah den Arzt an. War es eine Falle? Was würde die Zeitung ihm sagen?
Er überlegte, rutschte auf seinem Stuhl hin und her, bis er es nicht mehr aushielt. Seine Hand
schnellte nach vorn wie der Kopf einer Schlange, die nach einem besonders fetten Mungo
schnappt.
Dort stand es, ganz klein in der rechten oberen Ecke. Zwölf. Er schloss die Augen, zählte bis
Elf, als wäre es ein Gebet, und öffnete sie dann wieder. Immer noch. Zwölf.
“Aber… Das muss ein Fehler sein. Lassen sie mich da anrufen. Ich werde ihnen erklären, dass
sie einen Fehler gemacht haben. Das kann so nicht stimmen. Heute ist der Elfte.”
“Nein Peter. Lass gut sein. Die Zeitung irrt sich nicht. Ich möchte das du versuchst, zu
verstehen, dass heute der Zwölfte ist. Gestern war schon der Elfte. Wir können nicht zweimal
nacheinander den Elften haben.”
“Aber… Nein! Ich meine … Ich… Ich… weiß nicht.
Heute ist der Zwölfte?”
“Ja Peter. Heute ist der Zwölfte. Gestern war der Elfte, also muss heute der Zwölfte sein.”
“Aber…”
“Nein Peter.” Der Arzt unterbrach ihn. Ganz sanft und ruhig, um ihn nicht aufzuregen.
“Ich habe dir gesagt welcher Tag heute ist. Der Pfleger hat es dir gesagt und nun auch die
Zeitung. Ich möchte dich bitten, mir zu glauben. Es würde mich sehr freuen, wenn du mir das
glauben könntest. Kannst du das?”
Der Patient rutschte wieder auf seinem Stuhl hin und her. Sein Blick wanderte über die
schneeweißen Wände auf der Suche nach einem Kalender. Niemals hing ein Kalender an den
Wänden und es ist ihm bisher nie aufgefallen, dass dort keiner hing.
Doch jetzt, wo er ihn suchte, fehlte er.
“Bitte glaube mir. Ich will dir nichts Böses, wenn ich dir sage, dass der Zwölfte ist. Und
eigentlich ist es doch auch egal, oder Peter?”
Er sah in die freundlichen, ehrlichen Augen des Arztes. Der stachelige, rotbraune Bart hob
sich zusammen mit seinen Mundwinkeln zu einem sanften Lächeln.
“Ja. Ich denke heute ist der Zwölfte. Sie werden wohl Recht haben.”
Nachdem sie das schneeweiße Zimmer ohne Kalender verlassen hatten, brachten Arzt und
Pfleger den Patienten in sein Zimmer.
Ruhig auf seinem Bett liegend mit einer Zwölf in seinen Gedanken, überlegte der Patient wo
von es alles zwölf Dinge gab.
Zwölf Stunden eines Tages. Zwölf Monate eines Jahres. Zwölf Eier in einer Packung.
Außerhalb seiner Gedanken und seines Zimmers, den Flur hinunter gehend, sprachen Pfleger
und Arzt miteinander.
“Ich hätte nie gedacht, dass er ihnen das abnimmt.”, sagte der Pfleger. “Ich hätte mir bestimmt
nicht so einfach einen ganzen Tag wegnehmen lassen.”
Ruhig, als würde er mit einem Patienten sprechen, erwiderte der Arzt:
“Doch, das hätten sie.” und ging einen anderen Weg.

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Säulen

Ein Frösteln durchzuckte seinen Körper. Er zog die Beine näher an sich und drehte knurrend den Kopf Richtung Boden. Doch das Licht fand seinen Weg in seinen Traum. Helle Flecken wechselten sich hinter seinen Augenlidern mit der Dunkelheit ab. Taumelnd tauchte er aus dem Schlaf an die Oberfläche des Erwachens.
Er blieb noch einen Augenblick mit geschlossenen Augen liegen und fühlte die feinen Härchen der Decke an seinem Gesicht und den Fingern. Endlich erreichten auch die ersten Geräusche sein Bewusstsein. Das feine Säuseln des Windes und ein gleichmäßiges Schaben. Bevor er die Augen öffnete, stellte er es sich vor: Sie, am Eingang, gebeugt über das Fell des gestern Erlegten, ihr energisches Hin-und Her, unterbrochen nur durch das Säubern der Klinge.
Er rappelte sich auf, zog grunzend das Fell an die Wand und rollte es dort zusammen. Die Härchen seiner Haut stellten sich auf, er fröstelte. Der Herbst nahte.
Als er an den Eingang trat, sah sie auf. Sie wechselten einige Worte, sie reichte ihm ein Stück Trockenfleisch und er wandte sich kauend der Grasfläche vor ihm zu. Sein Gang führte ihn einige Meter weit entfernt zu einem tiefen Erdloch, wo er sich erleichterte. Er legte die Hand an die Stirn und sah auf die Ebene, die vor ihm lag und die ihm so bekannt war. Er schaute in den Himmel und erblickte einige Schwalben, die, kaum auszumachen, am Sichtrand ihren Tanz vollführten. Es würde ein schöner Tag werden.
Er stieg hinunter zum Fluss und tauchte seine Hände tief ins Wasser. Er betrachtete sie, die mit Lichtflecken übersät waren und im Wasser zu schwanken schienen. Die Sehnen waren fest und er sah das Spiel seiner Muskeln, als er seine Hände zu einer Schale formte, bevor er sich einen Schwall Wasser ins Gesicht warf. Er leckte die Tropfen von seinen Lippen und wandte sich erneut seinem Zuhause zu.
Sie war gerade dabei, das Fell von den Pflöcken zu befreien und klaubte dabei die letzten Reste Fleisch herunter. Er sah einige Schweißperlen auf ihrem Rücken und ihrem gewölbten Bauch, hörte ihr angestrengtes Atmen. Sie würde noch den ganzen Tag mit dem Hirsch beschäftigt sein. Die Fleischstücke, die im hinteren Teil unter einigen Felsblöcken lagen, mussten noch getrocknet und das Feuer zum Räuchern geschürt werden. Sie musste den ganzen Tag Holz heranschleppen und die Fliegen verscheuchen.
Er drehte ihr den Rücken zu, ging zu dem kleinen Regal an der seitlichen Wand, nahm den Feuerstein und seinen ledernen Beutel an sich. Er ergriff den leichten Speer daneben und legte sich die dünne Decke um. Er wollte heute einen weiten Weg zurücklegen. Ihm würde warm werden.
Er rief ihr einige Wort zu, als er ins helle Sonnenlicht hinausging. Ein leichter Wind strich über seinen Oberkörper, als er sich nach rechts wandte und den Weg in Richtung des Wasserfalls einschlug. Seine Beine führten ihn den Weg entlang, den er schon so oft gegangen war. Er verfiel in den leichten Trab, den er immer einschlug, wenn er allein durch die Wildnis zog. Sein Atem ging gleichmäßig, er beobachtete die Äste rechts und links, die an ihm vorbeizogen, die kleine Lichtung zwischen den Stachelbeersträuchern, die Amseln, die zeternd seinen Weg kreuzten.
Als er das Grasland erreichte, verlangsamte er seinen Gang und schaute sich aufmerksam um. Der Wind bewegte das Gras, als würden Millionen Insekten es im Gleichklang bewegen. Er verließ den alten Pfad, dem er bisher gefolgt war und begann wieder zu traben. Der Speer lag locker in seiner Hand und das Gras gab ein sachtes Geräusch von sich, wenn er mit seinen Beinen an ihm vorbeizog. Er bereute nun kurz, dass er die Decke mitgenommen hatte, doch er wusste, später am Tag würde sie ihm gute Dienste tun.
Gleichmäßig bewegte er sich durch die weite Ebene. Dohlen und Raben stoben auf, ansonsten regte sich kein Lebewesen in der Nähe. Er trabte schnurgerade in Richtung der Sonne, die schon fast ihren Zenit erreicht hatte. Seine Hand fuhr in den kleinen Beutel, zog ein Stück Trockenfleisch heraus, führte es zum Mund. Er sah sich um, doch nichts hatte sich verändert. Bald verschwand der Hügel seines Zuhauses am Rand des Horizonts, überall nur noch Sonne und wogendes Gras. Er beschleunigte kurz seine Schritte und stieß ein glucksendes Lachen aus. Doch dann erinnerte er sich an sein Ziel und kehrte wieder zu seinem bisherigen Tempo zurück. Er würde seine Kraft noch brauchen.
Der Boden wurde unebener und das Gras spärlicher. Zwischen den Grasbüscheln lagen Geröll und kleine Steine, die ersten seltsamen Gegenstände lagen vereinzelt herum. Einige gaben leise heulende Geräusche von sich, wenn der Wind durch sie hindurch pfiff.
Er blieb nicht stehen und behielt seinen trabenden Gang bei, doch sein Blick wanderte von der weiten Sicht über die Landschaft zum Boden vor ihm. Er wurde aufmerksamer, sprang über kantige Steine und die spitz aussehenden Gegenstände. Er hatte schon oft einen von ihnen aufgehoben, doch keinen Nutzen darin entdeckt. Nun sah er sie nur noch auf seinem Weg an, als sie nach und nach mehr wurden und schließlich häufiger zu sehen waren als die letzten vereinzelten Grasbüschel. Die Gegend um ihn herum war grau geworden, nur manchmal blitzen einige der seltsamen Gegenstände im Sonnenlicht kurz auf oder gaben ihre wispernden Stimmen von sich.
Er suchte nun immer öfter den Horizont ab, wann würde es auftauchen? Er war erschöpft.
Dann endlich, weiter rechts als er vermutet hatte, sah er den ersten. Eine kleine Erhebung in der flachen grauen Landschaft. Er wandte sich ihr zu und beschleunigte seinen Schritt. Seine Hand umfasste fester den Speer und er lief gebeugt weiter. Die Erhebung wuchs vor ihm auf, während er sich flink wie ein Luchs näherte. Er starrte gebannt auf sein Ziel. Plötzlich blieb er stehen und lauschte. Doch nur der Wind war zu hören. Er spürte, wie sein Puls sich beschleunigte und er konnte nicht verhindern, dass seine Schritte schneller wurden.
Die Erhebungen waren nun gut zu erkennen. Wie Säulen ragten sie schwarz in den Himmel. Je näher er kam, desto mehr von ihnen tauchten in seinem Blickfeld auf. Einige waren gerade wie gemeißelte Blöcke, andere waren oben spitz und schief und sahen aus wie geborsten, abgesägt oder zersplittert. Alle von ihnen trugen tausende Löcher, die wie Augenhöhlen dunkel in die Ebene blickten. Unten zwischen den Säulen lagen große Blöcke, auch sie unkenntlich in ihrer Form, aufgehäuft und eingekeilt.
Der Boden veränderte sich ein weiteres Mal. Seine Füße berührten nun flachen, harten Boden, das Geröll war verschwunden und er stieß erleichtert einen Atemzug aus. Hier und da waren Risse im Stein, auch Geröll lag umher, doch dies konnte er leicht umgehen.
Er erreichte bald die erste Säule. Langsam schlich er weiter und duckte sich, so tief er konnte. Er spürte seinen Atem, merkte, wie der Schweiß ihm den Rücken hinunterlief.
Er erreichte ein steinernes Dach, davor einige der seltsamen Gegenstände, doch diese waren nun so groß, dass er um sie herum gehen musste. Die Gegenstände waren von brauner Farbe, doch an einigen Stellen sah er, dass sie früher einmal eine andere Farbe besessen haben mussten. Er näherte sich einem von ihnen und blickte durch eine Öffnung hinein, Leere. Ein muffige Geruch schlug ihm entgegen und er wandte sich ab. Sein Ziel lag irgendwo im Inneren zwischen den Säulen, das wusste er.
Der Weg wurde immer beschwerlicher. Die großen Blöcke versperrten seine Richtung, mehrmals kletterte er einen Block mühsam hinauf um dann zu erkennen, dass es hier kein Weiterkommen gab. Er versuchte, die direkte Nähe zu den Säulen zu vermeiden, doch bald musste er Wege an ihnen entlang suchen, um voranzukommen. Seine Gedanken waren voll Schrecken. Bei jedem Geräusch verharrte er regungslos und lauschte. Er duckte sich hinter Steinen und den seltsamen Gegenständen, lag minutenlang unter einer zerbrochenen Platte zwischen wilden Kräutern und horchte mit weit aufgerissenen Augen. Als er weiter rannte, sah er sein Ziel: Eine der kleineren Säulen, halb auf die Erde gedrückt, wie ein Baum, der vom Blitz getroffen ein letztes Mal neue Blätter sprießen lässt. Er verließ die letzte Deckung vor der Säule und huschte über den davor liegenden freien Platz.
Da hörte er sie.
Er blieb wie erstarrt stehen und lauschte. Kein Zweifel, sie hatten ihn entdeckt. Er kauerte sich zusammen, blickte hektisch in alle Richtungen, lähmende Furcht. Sie kamen.
Er hatte sie schon früher beobachtet, hatte gesehen, wie sie seinen Sohn erwischt hatten, seine gellenden Schreie, die zwischen den Säulen widerhallten. Er schloss die Augen. Damals war er ihm gefolgt, dem furchtlosen Jungen, der den Erzählungen nicht glauben wollte, musste mit eigenen Augen sehen, dass es eine Welt neben ihrer Welt gab, andere Menschen, die sich nicht hatten trennen können von ihrem Leben in der Vergangenheit, die nicht wahrhaben konnten, dass es vorbei war, ein für alle Mal, die in der Stadt zurückgeblieben waren, nach dem Es passiert war, seit über hundert Jahren, nicht gelernt hatten, sich selbst zu versorgen, nur darauf warteten, dass einige von den Restlichen, den Anderen, wie er einer war, gezwungen waren, zurückzukehren. Wie jetzt, um seinen Sohn zu retten.
Er schlug die Augen wieder auf, konnte die Erinnerung nicht ertragen. Doch nun wiederholte sich das Bild, wieder kamen sie langsam auf ihn zu, in ihrer zerschlissenen Kleidung aus der Vergangenheit, ein Durcheinander von allem, was ihnen geblieben war von damals, zerrissene Hosen, Kleider, Röcke, einige trugen sogar noch Hüte, er erblickte einen mit einem Motorradhelm. Auch ihre Waffen die Waffen einer anderen Zeit, Gewehre, Revolver, Schlagstöcke. Er wusste, dass die Waffen kein Feuer mehr spien, schon seit er klein war, konnten sie es nicht mehr, doch fürchten musste er sie trotz allem. Sie waren viele und sie hatten den Kreis um ihn fast geschlossen.
Er stand auf. Drehte sich, suchte mit Blicken den Anführer, erblickte einen Mann mit einem langen Mantel und stechenden Augen. Er erhob seine Stimme in der alten Sprache und hoffte, dass sie ihn noch verstehen würden.
Der Kreis hatte sich geschlossen, es wurde still. Nur seine Stimme tönte zwischen den Säulen. Er sprach von seiner Not, seiner Frau und dem Kind, das sie erwartete, der Medizin, die im Krankenhaus direkt vor ihm war, dem Schrecken der letzten Geburt, ihrem Zustand danach und seiner Angst damals. Er hob die Stimme und erinnerte an die Zeit vor der Katastrophe, vom Zusammenleben aller Menschen, von der Hilfsbereitschaft, der gemeinsamen Sache und ihrem fürchterlichen Untergang. Seine Stimme tönte laut zu ihm zurück, er redete von dem Wild, dass er jagen konnte, den Fertigkeiten der Wildnis, die er ihnen beibringen konnten, damit sie diesen verfluchten Ort endlich verlassen konnten, der Schönheit der Welt außerhalb der Säulen, dem Sonnenlicht, dem Wind zwischen den Hügeln und dem Gluckern des Flusses.
Der Schatten zwischen den Säulen wurden länger. Er merkte, wie seine Stimme schwächer wurde. Seinen Blick hatte er nicht abgewandt vom Mann im Mantel, er starrte ihn an, als er auf die Knie sank und seine Stimme in ein Flüstern überging. Er blickte nach Westen, doch seine Augen erblickten keine Sonne mehr, sie war zwischen den Säulen verschwunden. Er hörte auf zu sprechen.
Der Mann im Mantel sagte leise ein Wort, das er nicht verstand.
Sie kamen langsam auf ihn zu.

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26,8 Jahre

Ein Mann saß auf einem Stuhl in der Einöde. Bis zum Horizont sah man nur rötlichen Staub, der gelegentlich vom Wind aufgewirbelt wurde und es war unmöglich zu sagen, was der Mann vorhatte oder worauf er wartete. Er wusste es tatsächlich selbst nicht so richtig.
Er saß einfach da und schaute in den Himmel, in dem man nur ein paar dünne Wolkenfetzen erkennen konnte, während der feurige Stern unbarmherzig glühend seine Bahn zog.
Am späten Nachmittag schließlich, vernahm er ein Geräusch. Ein lautes Donnern schallte über ihn hinweg und der Mann - Toben war sein Name - stand auf. Ein dunkler Punkt war weit über ihm zu erkennen, der schnell immer größer wurde. Toben berührte den Stuhl und er faltete sich zu einem handlichen Würfel zusammen, den er in seinen Rucksack steckte. Dann wartete er.
Was nun ein paar Minuten später passierte, konnte man beruhigt erstaunlich nennen. Ein Raumschiff der Größe eines Kleinfamilienhauses landete vor ihm. Das war aber weniger erstaunlich, weil es sich um ein Raumschiff handelte, sondern eher, weil es ein nagelneues zu sein schien. Die Außenhülle war sauber und lackiert, hatte keine Dellen, Kratzer oder mit Metallplatten überschweißte Stellen. In Anbetracht dessen, mit wem er hier verabredet war, war ihm das suspekt. Für gewöhnlich reiste sie mit den billigsten Schrottkisten, mit denen sie aus unerfindlichen Gründen ihr Ziel immer unbehelligt erreichte.
Toben hatte sich immer geweigert in so einem Kasten mitzufliegen. Er fürchtete darin einen grausamen Tod zu finden und es am Ende doch immer getan, obwohl er es hasste. Diesmal hätte die Entscheidung eigentlich viel einfacher sein sollen, doch es war ihm völlig klar, dass es hier unmöglich mit rechten Dingen zugehen konnte.
Eine Luke öffnete sich an der Seite des Schiffes und eine Leiter kam herruntergefahren. Über ihm stand die verrückte und einzigartige Chloe.
“Na.”
Toben schüttelte fragend den Kopf. “Kannst du mir das irgendwie erklären?”
“Erst, wenn du an Bord bist.”
“Besteht die Möglichkeit, dass ich das bereuen werde?”
“Jap.”
“Könnte es sein, das ich von ein paar mies gelaunten Typen gefangen genommen, gefoltert und dann getötet werde?”
“Definitiv.”
“Hast du irgendeinen Plan?”
“Sicher, den erzähle ich dir, sobald wir im Orbit sind. Also los!”
Er machte auf der Stelle kehrt und marschierte davon. Er ging lieber eine Woche durch die Wüste als an Bord dieses Schiffes. Wozu brauchte sie ihn überhaupt? Für gewöhnlich musste er dafür sorgen, dass nichts unterwegs kaputt ging. Dieser Raumer schien makellos zu sein.
“Ach komm, warte doch mal!”, rief sie. “Ich habe einen Androiden!”
Er blieb stehen und legte den Kopf ungläubig zur Seite und wurde sauer.
“Hast du nicht!”
“Schau her.”
Er drehte sich widerwillig um. Es war unfassbar, aber da war wirklich ein Androide, wo zuvor Chloe gestanden hatte. Und noch dazu einer der neuesten Generation.
“Was zum… wo hast du das alles her?”
“Komm an Booooord”, sang sie verführerisch.
Fiese, unfaire Frau, dachte er. Sie hatte es wieder geschafft.
Kurz darauf saß er auf einem der Sitzplätze direkt hinter dem Cockpit, neben dem Androiden. Während Chloe damit ausgelastet war sie vom Planeten zu manövrieren, knetete Toben nervös seine Hände und schielte immer wieder zu der intelligenten Maschine hinüber.
“Du also… äh… du bist also ein A.I.A.? Version 4.2, oder?”
Der Androide drehte ihm auf so ungelenke und starre weise das Gesicht zu, dass es ihm kalt den Rücken runterlief.
“Das ist korrekt. Und du bist ein Mensch, männlich”, gab er selbst mit einer monotonen, männlichen Stimme zurück.
Toben nickte eifrig. “Ja! Haben sie bei dir auch schon eines der neuen, künstlichen, neuronalen Hirne verbaut?”
“Auch das ist korrekt, zusammen mit einem Cube-Core und einem Speicher, der alle nötigen Kernheuristiken von MIVAC enthält.”
“Das ist ja unglaublich! Ich habe leider nie einen Androiden getroffen, mich aber immer sehr dafür interessiert. Eure Fähigkeiten sind einfach… und eure Kraft! Wie stark bist du? Warte! Hast du auch die… Kernheuristiken… von…”
So langsam dämmerte ihm, was der Roboter zu ihm gesagt hatte. Ein breites Grinsen erschien auf dem künstlichen Gesicht. “Du hattest mit allem recht.”, lachte er. “Wirklich mit allem.”
Chloe gackerte ebenfalls auf ihrem Pilotensitz und Toben spürte wie er rot anlief.
“Ihr habt mich verarscht! Du bist kein scheiß emotionsloser Roboter, sonder ein richtiger A.S.I.A.! Eeech, ich hätte da bleiben sollen, das ist mir zu blöd.”
“Ach komm, war doch nur ein kleiner Scherz.” Er gab ihm einen freundlichen Klapps gegen den Arm. “Ich heiße übrigens Feynman.”
“Toben, aber das weißt du sicher schon. Also… erzählt mir einer von euch, wo dieses Schiff herkommt und was ich hier soll?”
Die anderen beiden wechselten Blicke. “Nun ja, ich hatte vor dieses Schiff zu stehlen und du lagst auf einer möglichen Fluchtstrecke. Da dachte ich, falls ich einen fähigen Techniker brauche…”, erklärte Chloe.
“Was? Du hast einen Androiden. Was kann ich, das er nicht kann? Wieso muss ich überhaupt mit?”
Sie blieb ihm eine Antwort schuldig, denn etwas zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.
“Unsere neuen Freunde sind da.”
Toben schaute auf die Scheibe des Cockpits , die gleichzeitig ein Bildschirm war. Wenn er sich nicht verguckte, wurden sie von fast zwanzig Raumschiffen abgefangen und zu seinem schrecken erkannte er auch eines der Modelle.
“Das sind Reißer und nur das Militär hat solche Dinger! Was hast du getan?”, fragte er entsetzt. Chloe zuckte nur mit den Schultern.
“Nichts, nur dieses Schiff gestohlen.”
Währenddessen kam ein Funkspruch, der sie dazu aufforderte, sich zu ergeben.
“Jaha, wahrscheinlich. Muss ein sehr wichtiges sein. Weißt du was passiert, wenn die auf ernst machen?”
“Wenn ihnen das Schiff so wichtig ist, werden sie wohl kaum auf uns schießen. Der Antrieb ist eh gleich aufgeladen, dann sind wir weg.”
“Ich würde sagen: Das ist ist eine solide, logisch gültige Schlussfolgerung und ich bin ein Computer.”, warf Feynman ein.
“Das ist alles kein Scherz mehr. Was ist wenn etwas gefährliches an Bord ist? Dann würde ich uns auch lieber zerstören, als es dieser Frau zu überlassen!” Er zeigte auf Chloe und war sich damit sicher, alle Gegenargumente zerschlagen zu haben.
Wieder eine Warnung über Funk und diesmal klang sie sehr bedrohlich.
“Sie machen ihre Waffen scharf.”, sagte Feynman. “Chloe, mach dich bereit, die meinen es wirklich ernst.”
Toben schluckte schwer.
“Sie feuern! Los!”
In leichter Panik schlug Chloe ihre Hand aufs Pult und auf den Knopf für den Sprungantrieb, in der Hoffnung, dass er genug Saft bekommen hatte. Unmittelbar folgte ein fürchterlicher Schlag gegen Tobens Kopf und ihm wurde schwarz vor Augen. Er kämpfte damit bei Bewusstsein zu bleiben. Aus der Ferne drang eine Stimme zu ihm. Erst schwach, doch dann verstand er etwas und ein synthetisches Gesicht erschien direkt vor seinem eigenen.
“… du mich hören? Toben? Ah, da bist du ja.”
“Was w- das?”, brachte er nur irritiert hervor. “Sind wir tot?”
“Androiden kommen wohl kaum ins Totenreich, also denke ich eher nicht.”, hörte er Chloe geschwächt sagen. Auch sie hatte es erwischt.
“Dem Computer zufolge sind wir gesprungen. Wenn ich mir aber so die Sensordaten ansehe, kann das nicht ganz stimmen.”
“Sprich Klartext, Feynman.”
“Okay, ich hab mal alles geprüft und durchgerechnet. Es wird euch nicht gefallen. Die Sensoren sind etwas unpräzise, aber offenbar bewegen wir uns mit ungefähr 0,999999994815162342 facher Lichtgeschwindigkeit.”
“Das ist unmöglich. Wir hätten springen müssen. Du hast doch den Sprungknopf gedrückt?”
“Nun… es könnte sein, dass ich vor Schreck mehrere Knöpfe erwischt habe…”
“Selbst wenn, es hätte uns zerschmettern müssen.”
Der Androide hob einen Finger. “Anscheinend verhindert ein Kraftfeld, dass das passiert.”
“Toll, da hat wohl jemand an alles gedacht. Dann gibt es bestimmt auch irgendwo einen Ausschalter.”
Feynman schüttelte den Kopf und hielt seine Hand demonstrativ gegen die Rückwand der Kabine. “Nach dem Start hat sich das Antriebssystem abgeschottet. Ich kann keine Eingaben mehr machen oder Befehle zusenden. Es gibt nur regelmäßig ein paar Messwerte aus. Demnach wird das Kraftfeld nach ungefähr… einem Tag nachgeben.”
“Und dann?”, fragte Toben, der die Antwort bereits ahnte.”
“Dann ist entweder eine Systematik verbaut, die das Schiff stoppt… oder wir lösen uns in unsere Einzelteile auf.”
“Dieser Ausflug wird einfach immer schlimmer, ich will in meine sichere Wüste zurück.”
“Das kannst du auch noch, wenn dieser Flug hier vorbei ist. Wir würden dann vermutlich auch nicht mehr gesucht werden. Also wenn wir das überleben, natürlich.”
“Wie meinst du das?”, fragte Chloe. “Ach, Zeitdilatation…”
“Richtig. Bei der Geschwindigkeit vergeht die Normzeit knapp zehntausend mal schneller, als für uns. Das heißt nach unserem Tagesausflug sind für alle anderen fast siebenundzwanzig Jahre vergangen.”
Toben klappte der Mund auf und er starrte Feynman ungläubig an. “Siebenundzwanzig Jahre… “
“Nicht mal ich kann ausrechnen, wie weit fortgeschrittener die Technologien sein werden.”
“Ey, das ist doch super! Ich wollte schon immer mal ‘ne Zeitreise machen. Außerdem haben wir dann auch gleich ein Schiff. Ein Neuanfang.” Chloe glühte regelrecht vor Vorfreude.
“Falls wir überleben. Und man kann nur in eine Richtung Zeitreisen, also gibt es kein zurück. Außerdem ist das nicht genug Zeit, dass uns jede Person und jede Datenbank garantiert vergessen haben wird.”, erklärte Toben und bremste ihren Elan. “Also können wir nichts tun, als zu warten?”
Feynman nickte und setzte sich wieder auf seinen Platz. “Ich fürchte ja.”
“Gut, nützt ja alles nichts.” Mit diesen Worten klappte er seinen Sitz nach hinten und schloss die Augen. Fünf Minuten später war er eingeschlafen und gab regelmäßig ein leises Pfeifen von sich.
“Er regt sich die ganze Zeit auf und beschwert sich, kann aber einfach einschlafen, obwohl wir bald verrecken könnten.”, flüsterte Chloe kopfschüttelnd zu Feynman, der nur mit den Schultern zuckte.
Den restlichen Tag schliefen sie, überprüften die Messwerte oder unterhielten sich. Dabei lag der Fokus besonders auf Spekulationen über die Zukunft. Den beiden Menschen fiel vor allem auf, als wie außergewöhnlich sich Feynmans Intellekt herrausstellte. Er vereinte Kreativität mit der Fähigkeit, viele komplizierte Berechnungen anstellen zu können.
Schließlich näherten sie sich dem entscheidenden Punkt.
“Schnallt euch an. Ich rechne damit das genau so gebremst wird, wie beschleunigt wurde - das heißt, wenn alles funktioniert. Mehrere Dutzend Mikrosprünge im Bruchteil einer Sekunde.”, empfahl ihnen Feynman.
Dann ging ein zittern durch das Schiff. “Es ist soweit.”
Toben’s Gedanken rasten. Waren das seine letzten Momente? Eingesperrt mit einer Irren und einer Maschine, die wertvoller und fähiger war als tausend Menschen? Aber was hatte er schon zu verlieren… er hatte keine Familie, sein Job war schlecht bezahlt und er langweilte sich oft. Das war auch der Grund, weshalb er sich immer so leicht zu solchen Abenteuern hat überreden lassen. Vielleicht war er diesesmal zu neugierig gewesen und bezahlte jetzt dafür. Das Schiff erbebte erneut, dieses mal heftiger. Dann nochmal, direkt gefolgt von einem üblen Knall und Schlag, ähnlich schon wie beim Start.
Wie sich herrausstellte, hatte es tatsächlich eine Automatik gegeben.
“Ein Glück…”, seufzte Toben.
“Den Sternkonstellationen nach sind wir wie erwartet circa siebenundzwanzig Lichtjahre weit gereist. Also springen wir wie abgemacht nach Mintauri? Kara sollte groß genug sein, um eine Vorstellung vom Jetzt bekommen zu können.”
“Habe die Koordinaten bereits eingegeben.”
“Drück bitte diesmal nur den richtigen Knopf!”
“Ja, ja…”
Sie mussten noch etwas warten, um den FTL abkühlen zu lassen. Dann sprangen sie. Sie landeten erfolgreich in dem knapp dreißig Lichtjahre entfernten System und nahmen mit den Sublichttriebwerken Kurs auf Kara.
Doch als sie näher kamen fiel ihnen auf, dass etwas nicht stimmte.
“Was ist das?”
Chloe zeigte auf den Planeten und Toben schnallte sich ab, um sich nach vorne beugen zu können.
“Kannst du was erkennen, Feynman?”
Die Augen des Androiden waren wesentlich besser.
“Feuer… die Städte stehen in Flammen. Und das da…”, er zeigte woanders hin “… das sind Schiffe der Vereinten Flotte. Sie sind schwer beschädigt und ohne Energie.”
“Sie wurden angegriffen! Es gibt niemanden, der so was schaffen könnte.”
Feynman hob wieder seinen Finger. “Du meinst es gab niemanden. Wir haben nur ein Viertel der Galaxie kartographiert.”
“Dieser Tag toppt echt alles”, sagte Toben emotionslos. “Was machen wir jetzt?”
“Wir machen weiter, würde ich sagen. Als erstes brauchen wir was zu essen. Ich habe Hunger.”
“Zur Not könnt ihr euch ja gegenseitig essen”, scherzte Feynman.
Toben seufzte. Was solls, dachte er. Was soll jetzt noch spannendes passieren.

* A.S.I.A. - Artificial Sentient Intelligence Avatar
* FTL - umgspr. für Überlichttriebwerk

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