Ein Jahr ist es her, dass “Avengers: Infinity War” in den Kinos lief und das große Finale rund um Captain America, Iron Man, Thor & Co. einleitete. Aufgrund eines riesigen Cliffhangers hieß es für die MCU-Fans dann aber warten und über etliche Theorien sinnieren, was mit all den beliebten Superhelden passieren wird und ob es einen Weg gibt, den Oberschurken Thanos aufzuhalten bzw. seine Tat umzukehren. Beim Nachfolgefilm “Avengers: Endgame” haben die Marvel Studios die Regie-Zügel erneut den erfahrenen Russo-Brüdern übergeben und was dabei herausgekommen ist, ist ein Superheldenfilm, der mir ein wenig Kopfschmerzen bereitet.
Ich bin jemand, der bei weitem nicht jeden Marvel-Film mag, dafür aber die “Avengers”-Filme schon immer gerne geschaut hat. Es macht einfach Spaß, all diese Charaktere miteinander interagieren zu sehen, sodass auch bei mir über die Jahre eine gewisse Grundsympathie für die chaotische Heldentruppe entstanden ist. Trotzdem hat mich “Endgame” überraschenderweise kalt gelassen.
Ohne diesen Film nun in alle Einzelteile zu zerlegen, möchte ich grob auf das eingehen, was ich mochte und was mich geärgert hat. Für die erste Stunde hat sich “Endgame” das Wort Trauerbewältigung auf die Fahne geschrieben. Die nach der von Thanos durchgeführten Säuberungsaktion übrig gebliebenen Helden verbringen die folgenden Wochen zurückgezogen, leidend und voller Zweifel. Besonders hart getroffen hat es Hawkeye und Iron Man. Ersterer muss entsetzt feststellen, wie sich seine Familie vor ihm urplötzlich auflöst und Tony Stark schwebt irgendwo im Weltall herum, Luft- und Essensreserven protokollierend und an seine geliebte Virginia Pepper Potts denkend. Starks minutenlange Abschiedsmonologe geben die (vermeintliche) Tonalität dieses Films an. “Endgame” nimmt sich ca. eine Stunde Zeit, um über die Folgen des Schnipsers mit dem Infinity Gauntlet zu grübeln und den Verlust der halben Menschheit ansatzweise zu realisieren.
Dabei finde ich es wirklich fantastisch, wie ruhig und mitreißend dieser Film beginnt. Die Anfangsszene mit Hawkeye schafft es mit wenigen Mitteln, bei mir ein Gefühl von Steinen im Magen zu erzeugen. Doch umso enttäuschender finde ich es dann zu sehen, wie Captain Charakterlos Marvel plötzlich die Bühne betritt und Tony Stark nicht nur absolut mühelos, sondern auch binnen weniger Sekunden rettet. Der große Bruch mit der Tonalität steht aber noch bevor, denn was danach kommt, ist Slapstick der irritierendsten Art. Captain America, Black Widow und Ant-Man fassen einen Plan und wenden sich dafür an Thor und Hulk, die aber mittlerweile einen sehr speziellen Lebensstil pflegen. Nach 60 Minuten Trübseligkeit sehen wir plötzlich einen Thor mit Bierbauch, der mit seinen Ragnarok-Kumpels auf der Couch hockt, säuft und Fortnite spielt. Hulk hingegen hat sich besser unter Kontrolle denn je, knipst mit Kindern Selfies und scherzt mit Ant-Man herum. Lethargie weicht also Slapstick.
Je länger man den vierten Teil der “Avengers”-Reihe schaut, desto mehr bekommt man das Gefühl, dass die Russo-Brüder mehrere Marvel-Filme in einen großen Topf geworfen, mit eine Prise Zeitreise versehen, kräftig umgerührt und auf das Resultat “Endgame” geschrieben haben. Dies hat zur Folge, dass sich dieser Film für mich stets wie ein Best-Of-Marvel angefühlt hat. “Endgame” klaubt sich viele Schlüsselszenen aus den vorigen MCU-Filmen zusammen und klatscht sie mit einer Menge Fanservice-Kleister aneinander. Dies sorgt zwar für den einen oder anderen ergreifenden bzw. unterhaltsamen Moment, wirkt aber auch sehr an den Haaren herbeigezogen.
An dieser Stelle kommt dann ein weiteres Problem mit ins Spiel: das Writing macht es sich unfassbar einfach und verlangt dem Zuschauer dadurch eine riesige Menge an suspension of disbelief (willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit) ab. Generell biegt sich “Endgame” so viel zurecht, dass das Ergebnis getrost als hanebüchen bezeichnet werden kann. Marvel benutzt die Zeitreise-Thematik ohne irgendwelche Sinnhaftigkeit als bequemes Transportmittel für Fanservice und Emotionen. Sobald man auch nur anfängt, das Zeitreise-Konstrukt oder auch allgemein das Drehbuch zu hinterfragen, merkt man, dass es so dicht ist wie ein Sieb.
Was macht übrigens Thanos in all der Zeit? Er mischt dank Vergangenheits-Nebula und Vergangenheits-Gamora ebenfalls im Zeitreise-Game mit und fungiert im gesamten Film lediglich als ultimative Kampfbestie. Unterhaltsam, aber ohne jeglichen Tiefgang. Zumindest hat er in “Infinity War” genug Screen Time und Präsenz bekommen.
Im letzten Drittel angekommen steht nur noch Action auf dem Programm. Wer sich schon bei “Infinity War” dachte, dass man einen derartigen Bombast an Farben, Explosionen, Action und Tumult nicht mehr toppen kann, wird hier eines Besseren belehrt. Die Marvel Studios gehen All-In und schmeißen alles in den Pot, was sie an CGI, Kampf-Choreos und Fanservice in petto haben. Was folgt, ist die ultimative Spezialeffekte-Abrissbirne und so ziemlich das Beeindruckendste, was man an Superhelden-Action auf der Leinwand bisher gesehen hat. Eingefleischten Marvel-Fans wird in den letzten 45 Minuten der Mund mehrfach offen stehen und man muss dem ganzen Team hinter diesem Werk für die unverschämt gute Inszenierung auf jeden Fall großen Respekt zollen. Die Marvel Studios und die Russo-Brüder bringen hier so viele Helden zusammen und inszenieren eine derart wuchtige und knallige Action, dass man nicht anders kann, als auf die vor sich flimmernden Bilder zu gucken und zu staunen.
“Endgame” geht ca. 180 Minuten, fühlt sich aber aufgrund des schwankenden Pacing und der sprunghaften Orts- und Zeitwechsel doppelt so lange an. Das überbordende Finale trägt zusätzlich dazu bei, dass dieser Film für mich in vielen Belangen too much wird. Es fühlt sich fast so an, als hätte man nicht einen, sondern drei Filme gesehen. “Infinity War” ist hingegen deutlich griffiger und in sich stimmiger.
Fairerweise muss ich “Endgame” aber auch Lob aussprechen. Ja, ich hatte hier und da sogar sehr viel Spaß, denn visuell ist dieser Film eine Wucht, die Schauspieler machen einen tollen Job und bei den Kämpfen hatte ich direkt Lust zurückzuspulen, um mir die schicke Choreographie erneut anzusehen. Das neueste Mammut-Werk der Russo-Brüder hat einige Momente, in denen es einen mitreißt - egal, ob jahrelanger Fan oder skeptischer Beobachter. Umso heftiger wurmt es mich, dass es all die oben genannten Patzer und Unstimmigkeiten gibt. Ich finde es richtig schade, dass mich das Ende u.a. dadurch emotionslos zurückgelassen hat. Vielleicht war es ja der immer lauter werdende und pompöse Soundtrack, der mir ständig versucht hat einzubläuen, wie krass und episch und tragisch das doch alles ist und dass ich gefälligst mitfühlen und mitschluchzen soll, wenn einer der Helden den letzten Atemzug macht oder endlich das langersehnte Leben führen kann. Es stimmt - “Endgame” beschert vielen MCU-Helden einen würdigen Abschluss, vergisst dabei aber als ein in sich schlüssiger und kohärenter Film zu funktionieren.
Unter’m Strich ist “Avengers: Endgame” eine Enttäuschung auf hohem Niveau. Auch wenn dieser Film mehr epische und beeindruckende Szenen bereithält, mag ich “Infinity War” deutlich mehr. “Endgame” ist stellenweise quälend langatmig, hanebüchen geschrieben, erlaubt sich alle Bequemlichkeiten der Welt und macht unschöne Patzer bei der Tonalität. Gleichzeitig ist er aber feinstes Popcorn- und Event-Kino mit einigen unvergesslichen Momenten. Hätte ich den Infinity Gauntlet, würde ich jetzt am liebsten einmal schnippen und all die Patzer dieses Films verschwinden lassen. So aber gibt es einen knallharten Abzug bei der Gesamtwertung.