Wie gesagt, kläre erstmal deine Begriffsverwendung. Du verwechselst gedankliche Bezugnahme mit Parallelen und wirfst mit unbegründeten Vorwürfen der Unüberlegtheit um dich, statt Dich rückzuversichern oder deine Sichtweise wenigstens entsprechend vorsichtig als Einschätzung statt Fakt zu markieren. Du missverstehst meinen Post, ich ekrläre ihn dir, aber darauf angesprochen willst du dich dann mit persönlicher Befindlichkeit aus der Affäre ziehen, statt deine eigene Fehlinterpretation meiner Äußerung zu reflektieren und dich ggf. dafür zu entschuldigen. War mir ehrlich gesagt vorhin zu anstrengend deinen neuen Post auch noch zu zerlegen. Wieder sprichst du von irgendeiner Parallele, kommst aber nicht auf den Punkt. Präzisiere bitte was du meinst, ich kann dir nicht folgen.
Da du offenbar diese Rückversicherung explizit brauchst: Ich spreche nicht davon „sehr zielgerichtet ganze politische Haltungen in Abrede zustellen, politischen Aktivismus und Anti-Rassismus oder auch ganze wissenschaftliche Diskurse und die darin verwendete Sprache“. Und ich kann auch nur mutmaßen, wie du darauf kommst, dass ich das täte oder vorhätte. Meine Aussage war lediglich, dass ungenaue Begrifflichkeiten einem Diskurs nicht zuträglich sind, wie auch McWhorter angemerkt hat. Das war eigentlich alles. Da hast du dann wie auch immer geschafft hineinzulesen, dass ich behauptete McWhorter und Ellis stimmten überein. Nochmal: Sehe ich nicht so, habe ich nicht geschrieben, nichtmal angedeutet. Aber in jedem Fall hast du ja ohnehin McWhorter schon gedanklich auf die „andere Seite“ eingeordnet, also sind für dich wohl sämtliche Gedanken seinerseits und seien es Sprachbeobachtungen, die er als Linguist tätigt, kontaminiert und dürfen nicht bedacht werden. Ich bin der Meinung, man kann seine Beobachtung von seinen Schlussfolgerungen und politischen Ansichten trennen und nutzen, in dem man sie bedenkt und einordnet. Ist dir das zu unheimlich? Glaubst du man übernähme automatisch vollumfänglich die Gesamtheit der Thesen eines anderen Menschen, wenn man über dessen Äußerungen nachdenkt und diese in Bezug zu anderen Gedanken setzt? Ich verstehe es ehrlich gesagt nicht.
Genau dieses furchtsame Misstrauen, das du an den Tag legst, ist ein Aspekt des Problems, das Ellis anspricht und zu dem sie mit dem Red Scare der 1950er in den USA eine Parallele zieht. Offenbar steht jeder unter Generalverdacht, wenn er nicht regelmäßig überdeutlich herausstellt, auf welcher „Seite“ er steht. Selbst wenn es anders sein sollte ist das vorherrschende Signal, dass es keinen guten Willen gibt, keinen Spielraum für Irrtümer, keine Möglichkeit Gedanken auszuführen, zu klären, ggf. begründet abzulehnen. Und beim Fehltritt gibt es keine Nachfrage „meinst du das wie folgt…?“ oder „ich verstehe es so“, sondern ein schadenfrohes „hab ich dich!“. Es gibt keinen Zweifel an der eigenen Interpretation, keine Gnade und keine Unschuldsvermutung für den nun scheinbar enttarnten verborgenen Feind. Das wichtigste ist immer die „Zugehörigkeit“, das Produkt der „richtigen“ Haltung, nicht der Prozess der dort hinführt.
Auch mir unterstellst du nur deshalb keine „Absichten oder politische Haltung“ (schon für sich eine spannende Formulierung), da ich mich ja zu McWhorter positioniert habe. Fällt es Dir auf? Ich dürfte offenbar den Diskurs nicht führen und den Gedanken nicht aufnehmen, wenn ich nicht gleichzeitig beteuerte zu den „Guten“ zu gehören. Wäre meine Meinung direkt entwertet, wenn ich mit McWhorters Ansichten mehr anfangen könnte?
Und dieses Klima der permanenten Unsicherheit und konstanten Fehlersuche bei den anderen, der Verweigerung zuzuhören oder bei sich selbst nach Missverständnissen und Fehlern zu suchen halte ich für ein großes Problem, was u.a. auch Ellis anspricht. Wenn sich schon die Leute innerhalb der progressiven, flauschigen Gemeinschaften durchweg gegenseitig misstrauen, sich immer wieder gegenseitig versichern müssen wie überzeugt und hörig sie dem großen Ideal sind und beim kleinsten Fehltritt, einer ausbleibenden Distanzierung oder auch nur abweichenden Meinungsäußerung zu was-auch-immer so sehr gegenseitig zerfleischen; wie soll dann jemals die Masse der Menschen außerhalb dieser Gruppierungen erreicht werden?
Und soetwas habe ich nicht bei Twitter erlebt, sondern im privaten Umfeld. Menschen die es gut meinen, die für die Herstellung von Gleichstellung brennen, sich gegen Rassismus in all seinen Formen wenden usw. sich aber eben laut markiert empören und nicht diskutieren, auf ihr gegenüber eingehen und die Person abholen, nicht hören was sie sagt und was sie braucht, sondern stillschweigend erwarten, dass ihr gegenüber, in Dankbarkeit vom göttlichen Boten das Evangelium empfangen zu dürfen, jubelnd ihr altes Leben hinter sich lässt. Und dann guckt das wohlmeinende Pikachu verwundert, wenn die „geläuterten“ irgendwann nur noch abwehrende Beschwichtigungen erwirdern, à la "Ja komm, dann hab halt recht, lass gut sein."¹
„The insincere apology“, wie Ellis es nannte, bzw. hier wäre es dann die unehrliche Zustimmung. Statt einer Einstellungsänderung wurde eine Ablehnung und Verhärtung erreicht.
Diese Empörungskanonaden und Predigten führen zu unehrlichen Entschuldigungen statt Perspektivwechsel und Einstellungsänderung, vielleicht sogar zu Reaktanz. Jeder selbsternannte Verteidiger der Rechtschaffenheit fühlt sich kurz gut und mächtig, man hat sich für den Moment versichert wo man steht, aber dabei nichts bewegt. Und damit stößt man schlimmstenfalls die grundsätzlich veränderungs- und hilfsbereite Menschen weiter ab, weil es langfristig ein Klima schafft, in dem niemand mehr gewillt ist öffentlich ergebnisoffen zu diskutieren oder auch nur die eigene Einstellung (öffentlich) zu hinterfragen, oder, wie Ellis es jetzt tat, die eigenen „Sünden“ aufzuarbeiten, statt weiter zu versuchen sie hinter einer Fassade zu verstecken. Diese eigenen Elemente der Schlechtigkeit und Verwundbarkeit zu thematisieren halte ich in diesem Zusammenhang für wichtig, auch um zu zeigen, dass man sich auf Augenhöhe und nicht in einem Gefälle begegnet.
Du sagt, du hättest Angst, dass jeder Diskurs über Rassismus durch den Vorwurf er sei toxisch abgewürgt würde. Statt aber das Problem, die stilisierte Empörung anstelle einer inhaltlichen Auseinandersetzung, als solches zu begreifen und anzugehen, gehst du ohne Anlass in eine extreme Verteidigungshaltung für diese Empörungskultur, legst gleichzeitig anderen Menschen mit unangemessener Bestimmtheit deine Interpretationen in den Mund und verweigerst dich begrifflicher Klärung, hinter der du scheinbar bereits Unterwanderung und Verweigerung vermutest. Das sehe ich als Ausdruck und Teil genau des angerissenen Problems einer Gesprächskultur, die sich an Lagern und Befindlichkeiten orientiert, statt sich um Klärung zu bemühen.
Ich schalte hier jetzt stumm. Nicht, weil ich mich „abseilen“ wollte, sondern weil ich merke, dass ich hier zuviel Gedanken und Zeit reinstecke und mir das aktuell nicht erlauben kann. Wie das eben so ist, als voreiliger Mensch. Also: Antworte mir gern, ich lese es dann später irgendwann und gehe entsprechend darauf ein bzw. schreibe je nach Wunsch und Bedarf eine PN.
¹habe ich beobachtet, war selbst nicht direkt beteiligt