So, ich muss jetzt was zu „Testo“ schreiben.
Erstmal zur Einleitung, was ist das Überhaupt?
„Testo“ ist eine deutsche Miniserie, produziert von Kida Khodr Ramadan für die ARD Mediathek.
Sie umfasst aktuell zwei Staffeln mit jeweils sieben Folgen à ca. 15 Minuten.
Worum gehts?
Vier Strafgefangene nutzen ihren Freigang um einen Banküberfall zu begehen. Nach einem Zwischenfall sitzen sie in der Bank fest und müssen die Kunden und Angestellten als Geisel nehmen.
Ich habe die Serie angefangen und war erst völlig vom Hocker gerissen.
Es ist kein klassisches „coole Gangster von der Straßen mit denen man connected, erobern die Sympathie der Zuschauer durch ihre charmante Underdog-Rolle“.
Es fängt schon mit der Kameraarbeit an – alles wirkt ungefiltert, roh und ungeschliffen. Fast dokumentarisch. Du riechst den Knastschweiß förmlich.
Die Kamera ist meist in Bewegung, oft nah an den Figuren, was ein Gefühl von Unmittelbarkeit und Nähe erzeugt.
Es wird überwiegend mit vorhandenem Licht gearbeitet, was der Serie eine düstere, authentische Atmosphäre verleiht.
Die Bildsprache ist instabil, gelegentlich wackelig – was zur inneren Unruhe der Figuren passt.
Kaum symmetrische Einstellungen oder Tiefenschärfe-Spielereien – die Bilder wirken ungeschönt, fast beiläufig.
Schnell, hart und manchmal sprunghaft – nicht elegant, sondern funktional.
Keine Hochglanzästhetik, sondern Dreck, Ecken und Kanten.
Die Charaktere sind am Anfang super.
Mega authentisch. Alles unterschiedliche Typen, fast alle mit einem ordentlichen Schaden unterwegs und bis auf wenige Ausnahmen brutal unsympathisch.
Und anders als z. B. bei Haus des Geldes sind hier eben keine Profis am Werk sondern schlichte Kleinkriminelle denen die Situation schnell über den Kopf wächst. Sie machen massig Fehler, gehen sich an die Gurgel, zerstreiten sich, dröhnen sich unangenehm zu, schikanieren die Geiseln mit ihrer Macht, etc.
Keiner von denen wirkt souverän und abgeklärt - und das fand ich super. Das wirkte halt „echt“. Wie würden echte Kleinkriminelle mit Drogen- und Gewaltproblem in so einer Situation handeln?
Z. B. dreht einer von den Protagonisten schnell durch und richtet eine Geisel gnadenlos hin, ohne mit der Wimper zu zucken, weil er so unter Stress steht und glaubt der Polizei etwas beweisen zu müssen.
Die Geisel haben in Todesangst Panikattacken und verhalten sich glaubhaft irrational.
Es ist wirklich unangenehm zu sehen, wie diese ekligen Kriminellen ihre Macht ausnutzen und sich brutal unmenschlich zeigen. Man leidet mit den Geiseln richtig mit und traut den Protagonisten einfach zu jederzeit auszurasten und wieder wahllos zu töten oder zu verletzen.
Du weißt nicht, was als Nächstes passiert. Jeder Dialog kann eskalieren, jede Szene kippen. Und das hält dich am Ball.
Besonders perfide: In einer Folge, die später noch hart eskaliert, sieht man die Protagonisten erst als kleine Kinder, die von ihren Träumen erzählen (Pilot werden, ein Haus bauen, etc.) nur um sie Sekunden später als diese gescheiterten Existenzen zu erleben. Wirklich stark.
Wenn „Testo“ so weitergemacht hätte wie in den ersten drei, vier Folgen – wir würden heute von einem Genre-Meilenstein reden.
Aber dann wirds… komisch.
Es kommen immer mehr Logiklöcher dazu und zum Schluss macht man sich nicht mal mehr die Mühe zumindest halbwegs plausible Erklärungen zu bieten.
Beispiel gefällig:
Eine Bankräuber „Pepsi“ wird am Anfang angeschossen und verblutet in der Bank nach und nach während er sich mit Koks irgendwie bei Bewusstsein hält. In der letzten oder vorletzten Folge stirbt er auch. Die anderen legen ihn vor die Bank und bitten die Polizei um einen Leichenwagen. Okay, die Polizei holt also die Leiche vor der Bank weg.
Kurz vor Schluss, gibt es dann eine Szene, wie er sich im Leichenwagen einfach aufsetzt, als wäre nichts geschehen und lustig grinst. Hä?
Okay, hat die Polizei wohl nicht gemerkt, dass der noch lebt, weil… naja, sind halt inkompetent.
Viel schlimmer ist aber noch, dass ihr toller Fluchtplan von einer Polizistin durchschaut wird. Sie sind also mit ihrem Auto auf einem Parkhaus und wollen gerade runter fahren, als sie sehen, dass der Weg von x Polizei- und SEK-Wagen und Einsatztrupps mit schwerem Gerät versperrt ist. Tja, das war es dann wohl. Denkste.
Schnitt, sie sind am Flughafen und kaufen verkleidet Tickets um sich ins Ausland abzusetzen. WHAT???
Mit sowas sind die letzten beiden Folgen leider voll.
Naja, egal.
Alleine wegen der ersten Folgen immer noch eine brillante Serie.
Jetzt haben wir also Staffel zwei geguckt.
Was in Staffel 1 noch wie ein düsterer Heist aus der Unterschicht wirkt, wird plötzlich zur absurden Actionfarce mit Interpol-Agenten, japanischer Mafia, Falschgeld, Diamanten und einem gottverdammten Fabergé-Ei.
Die Authentizität? Weg.
Die Charaktertiefe? Weg.
Der Ernst? Erschossen, erschlagen und in ’nem brennenden Wohnwagen versenkt.
Es ist, als hätte man zwischen den Staffeln die Regie an einen pubertierenden Quentin Tarantino auf Speed übergeben.
Ey, hier passt gar nichts mehr.
Niemand hier verhält sich mehr irgendwie nachvollziehbar.
Ich habe überhaupt nicht verstanden, wer warum wie handelt.
Es wirkt, als hätte jede Folge einen anderen Regisseur mit komplett neuer Vision bekommen – und niemand hat sich um einen roten Faden geschert.
- Die Cops (Interpol!) verhalten sich wie Amateure mit Gedächtnisschwund.
- Die Gangster haben mehr Glück als Verstand – aber halt so auf Wile-E.-Coyote-Niveau.
- Manchmal wirkt es, als wäre ein Gag wichtiger als irgendeine sinnvolle Erklärung.
- ein fucking 60 Jahre alter Taxifahrer (von dem man auch nicht versteht, warum er auf einmal in der Serie ist und hilft (ist aber auch egal, weil er irgendwann einfach geht und einer Polizistin sein Taxi schenkt mit einem Zettel „Sorry“ drauf)) recherchiert aus einem Internetcafe besser als die Spezialisten von Interpol.
- Warum zum Henker macht da eine Polizistin einen Alleingang? Sie reist einfach in Zivil den Gangstern hinterher. Und zum Schluss hilft sie ihnen noch. Warum???
- Trotz mehrfachem (!!!) Mord, Geiselnahme und landesweiter Fahndung schaffen es die Figuren, scheinbar unbehelligt durch die Republik zu reisen. Polizeipräsenz? Kontrollsysteme? Öffentlichkeitsfahndung? Alles wie weggewischt.
- Die Yakuza taucht auf wie ein schlecht geschriebener Bossfight – rein fürs Spektakel, ohne innere Logik.
- Und ständig wachen Tote wieder auf.
Die Rückkehr der Toten:
- Keko Wird im Flugzeug gewürgt und verliert das Bewusstsein. Kein Puls, keine Atmung. Wiederbelebungsmaßnahmen bis zur Notlandung. Immer noch tot. Die Sanis im Auto versuchen alles - mit Defi und Spritzen. Er bleibt tot. Also begraben ihn seine Freunde ohne Sarg in der Erde. Aber, LOL, letzte Folge ist er einfach wieder da. Einfach so, ohne Erklärung. Eyyy, ne Stunde ohne Atmung und Puls sind halt nicht so wild.
- Die Polizistin wird von einem der Gangster erwürgt und sie begraben auch sie ebenfalls einfach in der Erde. Eine Folge später buddelt sie sich aus ihrem Grab aus. Also, sie war lang genug unter 40-50cm Erde begraben, damit die Gangster einen neuen Kollegen begrüßen können, das Auto wechseln und das Grab verlassen können. Hatte die heimlich ne Sauerstoffflasche versteckt, oder was?
- Moritz Bleibtreu wird aus nächster nähe (ca. 1m) mit einem Sturmgewehr (!) erschossen - von Interpol. Interpol hat nämlich eine Bar umstellt, in der sich die Schurken versteckt haben. Zum Glück checkt Interpol nicht, ob der tot ist und lässt ihn einfach liegen. Und rennt 5 Min später mit allen (!) Einsatzkräften (also auch die Kollegen aus den Technikwagen und so) in die Bar, so dass Moritz einfach aufstehen kann, seine schusssichere Weste unter seinem Hemd zeigen kann und munter ohne Stress weg spaziert.
Also wirklich, ich habe selten eine so schlechte Serie gesehen.
Was besonders ärgerlich ist, wenn man weiß, wie gut die ersten Folgen waren.
Von sozialrealistischem Milieu-Thriller zu alberner Gangster-Groteske mit Klamauk, Action und Comicfiguren.
„Testo“ ist der Beweis, wie grandios deutsches Fernsehen sein kann – und wie erbärmlich es abstürzen kann, wenn niemand auf Kontinuität, Logik oder Tonalität achtet. Staffel 1 ist roh, intensiv, brutal gut. Staffel 2 ist ein schlecht geträumter Drogentrip in Serienform. Der Kontrast ist so krass, dass man fast glauben möchte, das Ganze sei ein Meta-Witz. Aber dafür ist es leider zu ernst gemeint.