Autorenwettbewerb #5 | Voting

##Thema: Wachstum

Hier findet ihr alle Geschichten zum bewerten. Ihr könnt 1 bis 5 Punkte vergeben, wobei 5 Punkte die besten Leistungen würdigen sollten.

Wenn ihr über einzelne Geschichten sprechen und/oder diskutieren wollt, schaut mal hier vorbei.

Viel Spaß beim Lesen der Texte.

Zu klein

Schon immer hatte der kleine Billy unter seiner geringen Körpergröße gelitten. Raufereien mit größeren Kindern ging er lieber aus dem Weg. Beim Basketballspielen war er immer auf verlorenem Posten. Und die Aufsichtslehrerin auf dem Pausenhof hielt ihn doch allen Ernstes für einen Zweitklässler! Dabei wusste doch jeder, dass Zweitklässler viel kindischer und dümmer sind als er!
Und so stand Billy mal wieder da und haderte mit der Ungerechtigkeit des Lebens. Vor ihm der Eingang zum „Space Fighter“, der coolsten Achterbahn im ganzen Park. Mindestens dreimal so hoch wie das Schulgebäude, Loopings, waghalsige Kurven, das volle Programm! Und knapp fünf Zentimeter über ihm das Schild: „Besucher unter dieser Größe können aus Sicherheitsgründen leider nicht mitfahren. Wir bitten um Ihr Verständnis.“ Als ob es Billy interessiert hätte, wieviel Sicherheit andere für ihn für angemessen halten! Er konnte ja wohl auf sich selbst aufpassen. Aber der große, bullige Aufpasser nahm seine Vorschriften leider ziemlich ernst. „He, du da“, blaffte er ihn an, „du bist zu klein! Komm in 'nem Jahr nochmal wieder!“
Und so musste Billy zusehen, wie alle anderen fröhlich in den Eingang strömten und im „Space Fighter“ platznahmen, während er mal wieder draußen saß. In einem Jahr, pff. Als ob Billy so viel Zeit hätte. Diese Achterbahn war vermutlich das coolste, was man als Zehnjähriger erleben konnte. Irgendwie musste er da einfach rein, aber wie? Ein Plan musste her - wie könnte Billy innerhalb von kürzester Zeit fünf Zentimeter wachsen?

Ein Hutgesicht hatte Billy nicht wirklich, tatsächlich sah er mit dem Ding auf seinem Kopf reichlich albern aus - aber modische Belange waren in diesem Fall nebensächlich. Die Kopfbedeckung erfüllte ihren Zweck, ihn größer aussehen zu lassen, sehr gut. Was sollte schon schiefgehen? Einfach nur durchgehen, nichts anmerken lassen und - „Du da, den Hut kannste hier nicht mit reinnehmen! Moment mal…“ Verdammt.
Auch die viel zu lange Schlaghose, die Billy trug, um die Stelzen zu verbergen war modisch mehr als fragwürdig, aber dafür war es diesmal schier unmöglich, ihm auf die Schliche zu kommen. Der Aufpasser hob die rechte Augenbraue, als er Billy in seinem seltsamen Outfit etwas hüftsteif vorbeistaksen sah, ließ ihn aber gewähren. Er war drin! Das war ja einfacher als gedacht! Fröhlich schritt er die metallene Treppe hinauf - „Klong, klong, klong.“ - „Sag mal Junge, willst du mich eigentlich verarschen?“
Nein, diese Tricksereien halfen doch alle nichts. Billy musste wirklich wachsen. Ab sofort aß er beim Mittagessen täglich eine extragroße Portion, begoss sich mindestens eine halbe Stunde lang unter der Dusche und hängte sich mehrere Minuten an das Klettergerüst auf dem Spielplatz. Irgendwie mussten sich so doch noch ein paar Zentimeter herausholen lassen?
Das Nachmessen nach einer Woche war ernüchternd. Maximal zwei Millimeter größer - und das konnte auch an dem dicken Filzstift liegen, mit dem er die Markierung an die Wand malte.

Billy war verzweifelt. Was für eine gemeine Welt! In der Schule unterhielten sie sich alle darüber, wie brutal heftig der „Space Fighter“ sei und er saß nur dumm daneben – und alles nur, weil sich irgendein Idiot mal dachte, dass Leute seiner Größe nicht in eine Achterbahn gehören! Aber denen werde er es zeigen! Wenn es mit friedlichen Mitteln nicht ging, dann mussten eben härtere Bandagen ran! Billy würde diesem blöden Schild mal zeigen, wo der Hammer hängt!
Mitten in der Nacht, alles schlief, schlich sich Billy auf das Parkgelände, bewaffnet mit einer Zange und einem Schraubenzieher, die er von der Werkbank im Keller genommen hatte. Soso, eurer Meinung nach muss jemand also so groß sein, um mitzufahren? Dann zeigt euch Billy jetzt mal seine Meinung!
Es bedurfte etwas Kraft, um die rostigen alten Schrauben zu lösen, aber dann war das Schild ab. Im Nu montierte Billy es wieder dran – natürlich fünf Zentimeter tiefer. Genial! Niemand würde das bemerken.

Und tatsächlich hing das Schild am nächsten Tag noch genau so, wie er es hinterlassen hatte. Billy wäre selber nicht aufgefallen, dass etwas anders ist als sonst, hätte das Schild nicht seine Stirn berührt, als er demonstrativ versuchte, unten durchzugehen. Der Sicherheitsmann sah ihn nur kurz aus den Augenwinkeln an, kümmerte sich aber nicht weiter um ihn. Jetzt hatte er es also wirklich geschafft! Diesmal konnte nichts mehr schiefgehen.
Billy eilte selbstzufrieden und voller Vorfreude die Treppen hinauf, nahm in dem gerade ankommenden Zug der Achterbahn Platz und schloss seinen Bügel. Mit einem Ruck ging es los, den steilen Lift hinauf bis zum höchsten Punkt. Das wird der beste Tag in seinem Leben, dachte er bei sich. Und da war der Zug auch schon über der Kuppe und schnellte in einem Affenzahn nach unten. Leider saß der Bügel nicht eng genug und Billy rutschte hinaus, prallte auf den Boden und starb.

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#Quelle
Ein Bach fließt durch die Wiese, fast nicht mehr als ein Rinnsal und bahnt sich zaghaft seinen Weg zwischen den Halmen und Steinen hindurch.
Mal erreicht es Mulden, aus denen es nicht mehr entfliehen kann, sammelt sich, überwindet aber auch diese Hürden mit der Zeit.
Man weiß nicht woher es entspringt, oder wohin es ausläuft.
Allmählich weitet es sich aus, spült und trägt etwaiges Laub davon.
Der Mond spiegelt sich in dem noch seichten Gewässer und kann sich einige Male darin betrachten, ehe der erste Trittstein im Bächlein platziert wird.
Der erste Winter lässt das ruhige Treiben zum Stillstand kommen und es sollen noch viele Vereisungen kommen, ehe auf den Trittsteinen ein Baumstamm gelegt wird und unter der Eisschicht der Fluss sich weiter durch sein Bett pflügt. Kies wird unermüdlich davon gespült. Das Wasser wird schneller, der Stamm alsbald entrissen und davongetragen auf dem leicht Wellen schlagenden Fluss.
Eine Brücke folgt stehenden Fußes, überspannt und lässt kleine Flöße unter sich passieren. Aus einem Brückenbogen werden zwei, aus zweien drei, während sich ein Dorf am Rande ansiedelt.
Schnell floriert der Handel mit der kleinen Siedlung, die an Reichtum und Ansehen gewinnt. Der Fluss bricht über seine Ufer und überschwemmt das Umland und als es kaum mehr abfließt, werden aus den alten Straßen Kanäle und die Häuser über den Wasserspiegel gehoben.
Abermals machen die Menschen aus einer Not eine Tugend, doch auch der Fluss ist noch nicht am Ziel seiner Reise. Langsam ist er geworden, doch besitzt er nun seinen eigenen Hafen.
Schiffe passieren auf seiner alten Schneise. Die Brücke, die hier einst überspannte, liegt nun ruinös mit Algen überzogen unter dem nassen Schimmer, der das Licht der Sonne reflektiert.
Immer mehr Felder werden vom Fluss einverleibt. Die Ähre knickt unter den Wassermassen weg und ist ruiniert. Der Handel kann sich aufrecht halten, doch ohne Essen vermag niemand in dieser Situation zu bestehen. Die Hafenstadt verfällt über die Jahre, Gebäude bröckeln und fallen platschend in das nun fast bis zum Horizont reichende Gewässer, das alles schmatzend verschlingt.
Als das letzte Gebäude knarzend und bebend in die Knie sinkt, geht für das Rinnsal die Sonne im Osten auf und im Westen wieder unter.

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Peter Pan war Vegetarier


Der Mann brüllte wie ein wildgewordenes Tier und rannte auf ihn zu. Tom fiel zu Boden, starr vor Angst; der Mann war groß und stark, er hörte nicht auf zu schreien und schwang eine Axt umher. Tom starrte in die weit aufgerissenen Augen des Wahnsinnigen und konnte nicht denken. Für den Bruchteil eines Moments schien der Mann über Tom stillzustehen, die Klinge blitzte im Mondlicht, als er sie über seinen Kopf erhoben hielt - da brachen drei Gestalten aus dem Unterholz, stürzten sich auf das Monster und warfen es auf den Rücken. Die Axt flog einige Meter weit und krachte schließlich mit der stumpfen Seite gegen einen Baum, wo sie scheppernd zu Boden fiel. Tom war wie erstarrt. Es dauerte einige Momente, bevor es ihm gelang, sich von dem moosigen Untergrund, auf dem er gelandet war, hochzustemmen. Seine Augen klebten auf dem Anblick vor ihm. Der Angreifer war längst tot. Die drei hatten ihn sofort in den Hals gebissen und routiniert lahmgelegt. Tom stand mit wackeligen Knien da und schwieg; er wollte seine Retter nicht beim Essen stören.

Er hatte sie sofort erkannt. Frau Meyer war schon in Toms Gruppe gewesen, als sein Bewusstsein eingesetzt hatte. Michael Schumer war ungewöhnlich groß und breit; er wurde von jedem nur Zwille genannt, aber niemand wusste mehr, weshalb. Jens, der sich gerade am fleischigen linken Oberarm des Axtschwingers gütlich tat, zählte zu Toms besten Freunden. In diesem Moment riss der sich los und wandte sich wütend an Tom.
“Wie oft hab ich dir eingetrichtert, dass du im Lager bleiben sollst? Hm?!” dröhnte er, während er aufstand. Tom betrachtete das blutige Rinnsal, das von Jens’ Kinn tropfte, und schwieg. "Ich weiß, dass du gern helfen würdest. Okay?! Ich weiß es! Aber ein ausgewachsener Vorlebender ist einfach eine Nummer zu groß für dich!"Er packte Tom an der Schulter und drehte ihn herum. “Du weißt, wie aggressiv gerade die Großen werden können. Und er war bewaffnet! Du hilfst uns viel mehr, wenn du in Sicherheit bleibst und darauf achtest, dass die Zäune gesichert sind. Wenn alle Vorlebenden ausbrechen würden, hätte selbst unsere Gruppe ernste Probleme.”
Jens hob die Axt auf und führte Tom weg von Zwille und Frau Meyer, die immer noch mit dem Monster beschäftigt waren. Das Lager war näher, als Tom nach der stundenlangen Jagd vermutet hätte; schon nach wenigen Minuten durch engstehende Baumreihen und über kratzendes Gebüsch, begleitet von Jens’ Schelte in jetzt gedämpfter Lautstärke, erreichten sie die Lichtung, auf der ihre kleine Siedlung stand. Trotz seiner bedrückten Stimmung verspürte Tom ein Gefühl der Heimat, wann immer er die pragmatisch zusammengezimmerten Hütten auf der einen, die Käfige und Zäune auf der anderen Seite der mittlerweile plattgetretenen Grasfläche sah. Die Dämmerung hatte noch nicht begonnen; Tom schwor Jens hoch und heilig, ‘solche Dummheiten’ nie wieder zu tun, verabschiedete sich und ging in seine Hütte, die kleinste.

Er war nun mal der kleinste, dachte er, als er die Tür hinter sich zuzog. In seiner Gruppe gab es niemand anderen mit seiner Erscheinung - nach der Zeitrechnung der Vorlebenden wäre er etwa zwölf Jahre alt. Tom selbst konnte sich nicht an den Tag seiner Verwandlung erinnern, und nur an wenig aus der Zeit davor, eigentlich nur an seinen Namen und einige Einzelheiten der damaligen Kultur. Kinder waren unter den Nachlebenden äußerst selten, die meisten waren während der Großen Schlachten getötet worden oder der schrecklichen Zeit des Hungerns den eigenen Reihen zum Opfer gefallen. Dieses kurze, dunkle Kapitel in der Geschichte der Nachlebenden war zum Glück für immer vorbei.
Diejenige, die Tom am ähnlichsten war, war zweifellos Ann. Tom setzte sich auf das Ziegenfell, das über eine lange Kiste geworfen war, lehnte sich gegen die dünne Bretterwand und blickte durch eine Auslassung im Holz in die Nacht hinaus. Nacheinander kehrten auch die restlichen Bewohner aus den Wäldern in ihre Hütten zurück, allein die Vorlebenden veranstalteten noch Lärm hinter ihren Zäunen. Als hätte sie seine Gedanken gehört, sah er auch Ann unweit seiner Position am Fenster in die Hütte schlurfen, die sie zusammen mit Frau Meyer bewohnte. Im Mondlicht schimmerte etwas Blut in ihrem langen Haar; sie hatte sich wohl ebenfalls einen Mitternachtsimbiss genehmigt.
Ann war etwa so groß wie eine Vorlebende, wenn sie sechzehn oder siebzehn Jahre alt wurden. Tom war an ihr als erstes die hübsche Wunde aufgefallen, die in Herzform auf ihrer linken Wange klaffte. Wenn sie lächelte, verschob sich ihre faulige Haut etwas und legte den Blick auf einen wohlgeformten Wangenknochen frei. Anns rechter Arm war in einem der Großen Schlachten an der Elle abgeschlagen worden, es hatte sich eine grobe Pilzschicht darüber gebildet. Alles in allem war Ann eine echte Kriegerin, und gerade ihr Arm hatte Tom schon so manche schlaflose Nacht gekostet.
Allerdings nicht diese, dafür war in dieser Nacht einfach zu viel geschehen. Nachlebende brauchten keinen Schlaf, doch er verringerte ihren Hunger und half ihnen, auf andere Gedanken zu kommen. Tom rollte sich auf seinem Ziegenfell zusammen und schloss die Augen.

Als er erwachte, war es bereits heller Tag. Vor seinem Fenster, auf dem Hof herrschte geschäftiges Treiben; die Vorlebenden wollten gefüttert, die Ställe ausgemistet werden. Tom hatte Hunger. Vorlebende schmeckten und sättigten am besten, aber nach den Erlebnissen der letzten Nacht war ihm der Appetit darauf erstmal vergangen. Er verließ seine Hütte und ging zu den Zäunen. Ein paar Spätaufsteher wie er waren bei den Vorlebenden und frühstückten laut vernehmbar; durch die Maschen des Drahtzauns erkannte er Jens, der gerade seine nach neuester Mode gefeilten Zähne in die Schulter eines kreischenden Zwanzigjährigen versenkte und dem es gelang, Tom dabei noch einen strengen Blick zuzuwerfen. Tom nickte ihm zu und schnappte sich routiniert zwei Hühner. Einem biss er gleich den Kopf ab, während er sich auf den Weg zu Opa begab.

Opas Hütte war die einzige, die nicht auf der Lichtung, sondern einige Meter innerhalb der Baumgrenze lag. Sie war groß und hatte im Gegensatz zum Rest der Siedlung einen recht hohen Anteil an Wellblech. Opa fand diesen Stil todschick und die Gruppe war die Marotten des alten Mannes mittlerweile gewohnt.
Opa war natürlich nicht Toms Großvater aus dem Vorleben, aber die beiden standen sich sehr nah. Irgendetwas an der sturen und doch weisen Art des Blinden hatte Toms Sympathie schon gewonnen, als Tom zum ersten Mal in die Gruppe aufgenommen worden war. Doch heute… Tom schämte sich selbst für den Gedanken, doch heute sehnte er sich einfach nach jemandem, der für die Gruppe ähnlich nutzlos war wie er selbst. Dem alten Mann fehlten beide Beine und eine Hand; sein Augenlicht lange verloren, waren seine anderen Sinne und Instinkte auch nach 79 Jahren im Vor- und über 350 Jahren im Nachleben noch messerscharf. Obwohl er weder bei der Aufzucht noch bei der Futterbeschaffung der Vorlebenden oder des Viehs, weder beim Aufbau von Hütten oder Zäunen noch bei der Jagd nach ausgebüxten Wesen hilfreich sein konnte, wurde Opa in der Gruppe akzeptiert, wenn nicht sogar respektiert. Man brachte ihm Essen und schob das jahrhundertealte beräderte Eisengestell, auf dem er saß, an Festtagen in die Siedlungsmitte, damit er mit allen zusammen feiern konnte. Opa war vor vierhundert Jahren Lehrer an der Schule gewesen, die auch Tom besucht hatte, und nicht selten kamen Leute zu ihm, die Rat brauchten oder einer spannenden Anekdote aus der Vorzeit lauschen wollten.
Tom klopfte an die Blechtür und trat ein. “Ah, hallo Tommy!” schallte es ihm entgegen, noch bevor er einen Fuß über die Schwelle geschoben hatte. Opa war aufmerksam wie eh und je. Tom hob lächelnd die Hand, schloss die Tür und reichte Opa, der langsam auf ihn zurollte, das gackernde Huhn. Dessen wildes Geflatter endete abrupt, als Opa sich seiner annahm. Tom setzte sich ans Fenster, blickte hinaus in das Dickicht der Bäume und wartete, bis Opa fertiggegessen hatte. “Nun, mein Junge”, sagte Opa, schluckte den Rest hinunter und wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund, “Was bedrückt dich denn? Und sag jetzt nicht ‘nichts’, denn um diese Zeit besuchst du mich nur, wenn’s brennt. Brauchst du wieder Tipps bezüglich deiner Angebeteten?” Tom senkte den Blick und zögerte.
Er beobachtete eine Raupe dabei, wie sie auf einem niedrighängenden Zweig schwer damit beschäftigt war, sich zu verpuppen. Lange, dünne Fäden wickelten sich langsam und bedächtig um den Körper des Würmchens. “Nee”, antwortete Tom schließlich, “es ist nur… Gestern nacht ist einer der Vorlebenden ausgebrochen, das hast du sicher mitbekommen.” Der alte Mann nickte. “Alle waren auf den Beinen, um ihn zu beseitigen. Ich weiß, dass ich in solchen Situationen auf die übrige Herde aufpassen soll, aber… Ich wollte so gern helfen… Also bin ich heimlich auch in den Wald… Aber sie hatten alle recht. Ich bin zu klein, zu schwach. Natürlich bin ich schneller und stärker als Vorlebende meiner Größe, aber dieser hätte mich einfach so ausgelöscht, hätte mir niemand geholfen, ich… Ich wünschte einfach, ich wäre ein paar Jahre später verwandelt worden.”
Opa sah ihn lange an. “Tja, klein und schwach bist du nun mal. Und daran ändert sich auch nichts mehr”, sagte er trocken. “Aber ein paar Jahre später, und du wärst verbraucht worden, nicht verwandelt. Du hattest das Glück, vor den Großen Schlachten dein Vorleben beendet zu haben. Ist dir überhaupt bewusst, welches Glück wir alle hatten? Hätten wir nach den Schlachten keine übriggebliebenen Vorlebenden in den verwinkelten Ecken der Erde gefunden, wir hätten uns alle gegenseitig vernichtet. Und wäre nach der Jagd auf die Restlebenden nicht langsam die Gabe des Bewusstseins zu uns gekommen, wir hätten sie sofort aufgebraucht und wären in eine zweite Phase des Hungerns geraten. Sei froh um das, was du hast.” Tom starrte auf die Speichen des eisernen Stuhls. Er hatte Komplimente oder Trost erwartet, keine Geschichtsstunde. “Hör zu”, fuhr Opa mit sanfterer Stimme fort. Tom hob den Blick und sah in das eingefallene, gelbliche Gesicht. “Es hat über ein Jahrhundert gedauert, bis jeder von uns sein volles Bewusstsein erlangt hat. Bis wir bereit waren, unser Nomadendasein aufzugeben und auf diese Weise zu leben. Das ist Entwicklung, das ist Wachstum! Ich habe das Gefühl, mich jeden Tag an etwas mehr aus der Vorzeit zu erinnern. Und sag nicht, dass es dir nicht genauso geht - wir wissen alle, dass du das Lesen wiedererlernt hast.” Tom erschrak und starrte Opa an. Es stimmte - eines Tages hatte er im Wald, in der Nähe eines uralten Wanderpfades, ein Buch gefunden und aus einem Gefühl heraus mitgenommen. Jahre später hatte er es geschafft, ein paar Worte wiederzuerkennen, dann immer mehr. Mittlerweile kannte er fast den gesamten Inhalt des Buches. Tom wusste nicht, was das alles bedeutete, deshalb hatte er es niemandem erzählt. “Du lernst schnell, und jeder in der Siedlung weiß es. Du bist wertvoll für uns, Tommy, wer weiß, welche Erleuchtung du als nächstes erfährst? Kraft und Stärke sind eine Sache. Aber schon bald werden schlaue Burschen wie wir beide hier das Sagen haben.” Opa grinste schief und zwinkerte Tom aus seinen leeren Augenhöhlen an.

Am späten Nachmittag, nachdem er bei der Ausbesserung einiger Zäune geholfen und Ann über den Hof hinweg zugelächelt hatte („Sie hat zurückgelächelt!“ dachte er entzückt und hätte am liebsten an Ort und Stelle ein kleines Tänzchen aufgeführt), ging Tom zurück in seine Hütte und holte das Buch hervor. Er hielt es in der Kiste versteckt, auf der er schlief, und las gelegentlich darin. Nachdenklich öffnete er es auf einer beliebigen Seite, während er sich setzte. Ein Wort sprang ihm ins Auge, mit dem er bisher noch nichts anfangen konnte.

Gitarre.

Gitarre. Er spürte etwas, was war das noch gleich? Gitarre, das war etwas Schönes gewesen. Sein Kopf tat weh, und auch die Wunde an seinem linken Bein, durch die er vermutlich verwandelt worden war. Ein gutes Zeichen, gleich würde er-
Da fiel es ihm ein. Tom lächelte, als er das Buch an seinen Platz zurücklegte. Er trat aus der Hütte. An dem Nachbarverschlag, der Hütte von Jens, lehnte eine Axt. Tom erkannte sie von letzter Nacht. Er nahm sie, dachte an Opas Worte, dachte an Ann. Sein Lächeln wurde breiter. Tom schulterte die Axt und ging in den Wald. Er würde Holz brauchen.

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Unbegrenztes Wachstum

Ich bin erwacht, geboren aus Unrat, Dreck und Gift
Hab Hunger, muss vernichten den Leib, der mich umgibt
Werde verschlingen jedes Atom, jede Zelle, jedes Stück
Alles wird werden Teil von mir, konsumieren wie verrückt

Doch erst mal bleibe ich verborgen und halte mich bedeckt
Offenbare ich mich zu früh wäre das äußerst schlecht
Denn noch bin ich zu schwach für des Stärkeren Recht
Zu große Gier hat sich schon des öfteren gerächt

Deshalb behutsam doch stoisch schreite ich voran
So fällt eine Bastion nach der anderen in meine Hand
Wirkt es auch wie das Erobern von böhmischen Dörfern
Zerstöre ich so langsam diesen Tempel namens Körper

Unterdrücke gekonnt jeden Widerstand mit purer Präsenz
Zerstückle meine Gegner, verzichte auf Koexistenz
Belustigt, ironisch singen über mich noch ihre Liedermacher
Doch befüllt man die Gräber mit den Leichen meiner Widersacher

Und sie schmecken gut. Frisch, unverbraucht ist ihr Fleisch
Nicht unbedingt willig aber wehrlos, was ja reicht
Meine zunehmende Größe macht es mir zunehmend leicht
So dass mein Feldzug schon bald einer Feuersbrunst gleicht

Unaufhörlich wird alles gefressen, was im Wege steht
Sie krümmen sich vor schmerzen, wenn ich ihnen das Leben nehm
Nur schwarze Reste bleiben, wo ich gewütet habe
Keine Rückkehr für sie in behütete Tage

Wie ärgerlich, nun haben sie mich letztendlich doch erkannt
Mit bloßer Masse kompensieren sie ihren kleinen Verstand
Und wie absurd, sie stellen die Frage: Bin ich böse oder gut?
Obwohl meine Dasein rein auf Selbsterhaltung beruht

Sie versuchen sich zu wehren, mit Chemie und seltsamen Licht
Was mich zwar schwächt aber sie selber zerbricht
Es ist der stärkere Wille, der diesen Krieg gewinnt
Mein Feuer so stark, dass es nie wieder erlischt

Monate führen sie diesen sinnlosen Kampf sowie ihre Klingen
Und selbst sollte mich zurück drängen ihnen gelingen
Komme ich immer wieder, werde nicht verschwinden
Werde mich nicht ergeben, werde sie bezwingen

Ich werde am Ende als Sieger über ihnen stehen
Belächeln ihr zusammengefallenes System
Sitzen im Thron, gemacht aus ihren leblosen Hüllen
Die Geschicke der Welt von dort aus bestimmen

Der Zerfall ihrer restlichen Ländereien interessiert mich nicht
Quelle meiner Kraft sind nicht sie, bin ich, NUR ICH
Nur fühle ich mich plötzlich so komisch. Aber warum?
Ich bin doch am Ziel, habe die absolute Macht bekomm

Wieso werde ich auf einmal so kraftlos, müde, schlapp?
Was kann mir nur fehlen, wenn ich doch schon alles hab?
Das geht nicht, ich kriege keine Luft mehr, alles verkrampft
Sterbe ich etwa ohne, dass ich noch meine Lehre daraus ziehen kann?

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Ewig

Der Wind peitschte und es regnete in Strömen. Das Wetter war somit völlig normal für diese Jahreszeit.
Er wurde im Wald weggeworfen, zusammen mit tausenden seiner Geschwistern. Die Eltern schienen völlig teilnahmslos. Es interessierte sie nicht, dass er im nassen, matschigen Erdreich lag, welches noch mit einer dicken Schicht von welken Blättern abgedeckt war. Es kümmert sie auch nicht, dass in den ersten Tagen eine Heerschar von wilden Tieren seine Brüder und Schwestern fraß. Er hatte Glück. Er war einer der wenigen Samen die verschont blieben. Er hatte sich im lockeren Boden irgendwie unter einem Stein versteckt, sicher vor den meisten Tieren.
Es war dort unter schön nass. Die Sorge vor einer Fäulnis kannte er nicht. Kein Licht erreichte ihn, kein Wind mochte ihn zu bewegen. Er bemerkte auch nicht, wie der Boden bebte, als eine Rotte Wildschweine den Boden umpflügte und auch die letzten seine sehr jungen Verwandtschaft in ihren Mäulern zermalmte.
Er lag da, völlig teilnahmslos. Die letzten warmen Tage des Herbstes kümmerten ihn nicht, die hellklaren Nächte des Vollmondes waren für ihn nicht romantischer als die Finsternis um ihn herum. So lag er da, Woche für Woche, Monat für Monat.
Doch auch wenn ihn die Welt nicht bemerkte und er sich sie nicht kennen wollte, regte sich etwas in ihm. Ein starker Drang erwachte unvermittelt, als das Erdreich im Frühling langsam wärmer wurde.
Es zog an ihm, wollte ihn nach oben treiben. Warum? Das wusste er nicht, es war ihm auch egal.
Aber wie sollte er nach oben gelangen? Er wusste ja nicht mal genau was „oben“ war. Er konnte sich nicht bewegen, aber wollte nach oben!
Das Verlangen danach ließ ihn endlich platzen und dünne Ausläufer seiner selbst gruben sich durch die lockere Erde. Das kostete Kraft. Doch er hatte noch Reserven, die er mobilisieren konnte, hatte er doch bis jetzt nur da gelegen. Der Regen der letzten Zeit lieferte ihn Wasser, welches seine Schale aufgeweicht hatte. Nur deswegen war es ihm möglich, aus ihr herauszubrechen und sein Ziel in Angriff zu nehmen. Er schlängelte sich am Stein, seinen stillen Beschützer vergangener Tage, vorbei und durchbrach zuerst die Erdschicht. Es war immer noch dunkel.
Das Laub hatte sich über den Winter nicht bewegt und versperrte ihm immer noch den Weg. Viel Kraft hatte er nicht mehr, aber er konnte auch nicht mehr zurück. Er gab alles und so sah er nach ein paar weiteren Tagen zum ersten Mal Tageslicht. Er hatte sein Ziel erreicht, aber seine Kraft ließ nach. Doch hatte er nicht alle seine Energien in das Nach-oben-wachsen investiert. Zeitgleich mit dem Drang, der ihn nach oben zog, hatte er eine Idee. Diese Idee war grün und er hatte lange an ihr gearbeitet. Jetzt im Tageslicht schien es ihm genau richtig. Er breitete seine grüne Idee aus und fühlte sogleich, wie die Sonne ihn stärkte. Aus dem Boden konnte er holen, was er brauchte, mit Ausnahme der Kraft. Diese gab ihn allein das Licht. So wippe er sacht in der Frühlingsbrise und verbrachte seinen ersten Tag am Boden des Waldes.
Einige Geschwister hatten es trotz des großen Sterbens im Herbst ebenso geschafft und trieben mit ihm zusammen aus. Es kümmerte ihn jedoch nicht, allein das Licht war war für ihn entscheidend.
Und so wuchs er. Er erlebte seine ersten Nächte, seinen ersten Regen im Freien. Er sah, wie andere Triebe von hungrigen Waldbewohner gefressen oder von trampelhaften Tieren zerstampf wurden.
Er hatte Glück, ihm geschah nichts. Er wollte nur weiter hinaus, zum hellen Himmel. So vergingen die ersten Monate und er wurde ein kleiner Baum, inmitten von anderen, größeren Bäumen. Die toten Blätter des letzten Herbstes hatten sich zersetzt und versorgten ihn mit allem, was er brauchte.
So geschah es, dass der nächste Herbst Einzug hielt. Er wusste nicht was ihn erwarten würde, war er doch im letzten Herbst gänzlich unter der Erde. Er fühlte aber, dass er seinen Drang nicht weiter folgen konnte. Seine Blätter warf er ab, widerwillig, denn nun fehlte ihm die Kraft der Sonne. Regen wechselte sich mit Sturm und heißen Tagen ab, bis es schlussendlich kühler wurde.
Obwohl nicht mehr im Boden unter seinem Stein, bekam er kaum etwas mit. Nicht von der Kälte, die sein Leben durchaus bedrohen konnte, nicht vom Schnee, der auf ihn und um ihn herum fiel.
Noch weniger von den Tieren, die im Schnee verzweifelt nach irgendwas zu Essen suchten, da sie nicht wie er Erde als Nahrung nutzten konnten. Er stand einfach da und erst mit den ersten warmen Tagen kehrte sein Leben zurück. Und erst nachdem diese Tage noch etwas länger wurden und die Wärme und das Licht ihn völlig erweckt hatten, breitete er sein Blätterkleid erneut aus. Es war kleiner als noch im letzten Frühling, denn ihm fehlte ein Ast, welcher ihm von einem Tier abgegessen worden war. Es kümmerte ihn nicht, Hauptsache es merke das Licht auf seinen Blättern. Endlich konnte er wieder nach oben wachsen.
So vergingen Jahre und er wuchs weiter und weiter. Dann, eines Tages kam ihn eine Idee. Sie war nicht grün wie die erste, aber sie schien ihn nicht weniger wichtig. Warum sollte nur er das Licht spüren? Mehr als nur er sollten das Licht spüren und wachsen können. Und so bildete er kleine Eicheln an seinen Ästen aus. Dies dauerte bis die Tage wieder kürzer wurden und er sich auf die Kälte vorbereitete. Bevor er jedoch wieder erstarrte, gab er den Eicheln die Freiheit, auf dass sie wachsen mögen und sich - wie er - an der Sonne erfreuten. Er warf sie zu Dutzenden ab. Einige blieben auf dem Boden liegen, doch eine wurde vom Wetter, Regen und Wind, unter den Stein getrieben.
Es kümmerte ihn jedoch nicht.

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Ein Gedanke zu spät

Ich stand auf dem Dach eines Hochhauses. Der Wind zerwühlte meine Haare. Mein Blick fiel auf die Straße unter mir welche unendlich weit entfernt zu sein schien. Wie ein langer, grauer Teppich zog sich der Asphalt in die Ferne bis er am Horizont in einem Punkt zusammenlief. Während die Mittagssonne mit unerträglicher Hitze auf mich niederprasselte, blieb mein Körper kühl und meine Gedanken geordnet. Das Ziel welches ich mir heute gesetzt hatte war klar und einfach:
Mein Leben sollte enden.
Die Tage zuvor waren der Auslöser. Jeder der von außen auf meine Situation schauen würde, hätte wahrscheinlich gelacht und sich gefragt wie ich überhaupt auf die Idee käme mich umzubringen.
Alles begann so klein und überraschend das es mich traf wie ein linker Hacken der mich mit einem einzigen Schlag K.O schlug. Es war ein ganz normaler Tag im Büro, der Kaffee- und Schweißgeruch der anderen Mitarbeiter erfüllte den kleinen Keller der ohne Fenster auskommen musste. Das Sonnenlicht war hier ein gesuchter Mann, einen den man schon lange nicht mehr gesehen hatte. Wie ich hier hergekommen war, fragte ich mich täglich, wenn nicht sogar stündlich. Nach meinem Abschluss wollte ich die Welt in etwas besseres verwandeln, reisen gehen, die Welt entdecken und mich selbst finden. Jetzt arbeitete ich bei einem Telefonservice, bei welchem ich mich mit den gefühlt, unzufriedensten Menschen der Welt herumplagen musste. Ich setzte mich an meinen Platz, legte meine Jacke über meinen Stuhl und trank zu aller erst einen großen Schluck meines Kaffees. Der Tag begann ruhig, nur wenige Kunden riefen an und hatten Fragen über die Website.Mein Blick war geradeaus auf meinen Bildschirm gerichtet, der Mund verzog sich zu einem einzigen Strich.

Als der Anruf einging, war meine Laune auf einem Tiefpunkt angelangt. Nicht noch einer der nicht weiß wie man sich einloggt, dachte ich mir und klickte auf Annehmen.
Hallo Firma Happy End am Telefon, wie kann ich ihnen Behilflich sein?
Hallo Ullman hier, ich wollte Fragen ob sie mir weiterhelfen können. Und zwar geht es darum das ich mein Passwort verlegt habe und ich fragen wollte ob ich es ändern kann“ antwortete mir eine relativ junge, zarte Stimme.
Könnten sie mir vielleicht ihre Email verraten?“ antwortete ich immer noch leicht gelangweilt zurück und trug sogleich die von ihr genannten Daten in meinen Computer ein.
Als ich auf ihr Profil blickte blieb ich einen Moment kurz wie eingefroren sitzen. Ihr Gesicht war zart und ihre dunklen blauen Augen ließen die Blonden Haare noch kräftiger erscheinen. Ihr Lachen hatte sich nicht verändert, es war wie das strahlen der Sonne, nicht von dieser Welt.
Einen kurzen Moment“ sagte ich hastig ins Mikro. Ich überflog die Daten ihres Profils und meine Mine veränderte sich bei jedem noch so kleinen Wort, bis mein Mund einen fast schon unnatürlichen Gesichtsausdruck angenommen hatte. Es bestand keinen Zweifel. Das Profil welches ich vor mir sah gehörte zu ihr. Ihr der ich meine ganze Schulzeit widmete, das Mädchen welches mich jede Nacht in meinen Träumen besuchte und mir half die Welt auf die verschiedensten Arten zu retten. Forderte mich das Schicksal hier gerade etwa heraus, ist das gerade wirklich passiert. Meine Gedanken fuhren wie in einer Achterbahn in meinem Kopf, hoch runter,rechts, links, oben und unten, überall in alle Richtungen verteilt.
Hallo?“ rief mich die Stimme aus meinen Gedanken. Jetzt ruhig bleiben dachte ich mir auf wenn das nicht gerade leicht einzuhalten war.
Ich sehe gerade das Problem, leider ist es mir gerade nicht möglich das Passwort zu ändern“ log ich die Stimme an.
Am besten sie rufen morgen noch mal an, sagen sie das sie mit Waters sprechen wollen, das bin ich. Ich weiß dann über ihr Problem Bescheid.“ sprach ich weiter.
Alles klar dann rufe ich morgen nochmal an“ sagte die Frau am Telefon und schon hörte ich das laute Piepgeräusch, welches mir ihr auflegen bestätigte.

Der Tag verging so schnell als hätte jemand die Uhr nach vorne gedreht. Ihr Bild hing wie ein großes Gemälde vor meinem inneren Auge. Auch wenn es mir nicht bewusst war, war dieser Moment entscheidend. Es war der Moment an dem etwas in mir zu wachsen anfing.

Die Tage darauf bat ich die Frau mehrmals sich nochmal zu melden und erfand immer wieder neue Gründe, nur um ihre Stimme nochmal zu hören. Immer immer und immer wieder verfluchte ich mich das ich ihr nicht gestand wer ich wirklich war. Die Tage und Nächte vergingen und in meinen Gedanken erträumte ich mir die schönsten Geschichten und überlegte wie ich es ihr sagen sollte. Als der Tag gekommen war, war das was am ersten Tag anfing zu wachsen, zu etwas geworden was größer war als ich. Es durchblute meine Venen, es kontrollierte meine Gedanken und war im Besitz meines Körpers.

Wieder kam ich ihn den kleinen sonnenlosen, nach Kaffee riechenden Keller. Ich schaltete meinen Computer an und lehnte mich zurück. Immer noch in Gedanken rief ich das Profil der Frau auf, nur um zu kontrollieren ob sie immer noch so wunderschön war wie bei den letzten 58 Malen als ich ihre Bilder anschaute. Wie in einem Film, in dem die Zeit anhielt, veränderte sich ihr Beziehungsstatus auf Vergeben.

Als mir bewusst wurde was passiert ist, war es schon zu spät. Mehrere Tage und Nächte war eine Krankheit in mir herangewachsen, schleichend und kaum zu bemerken. Wie unter Drogen kamen mir die schönsten Bilder und die buntesten Gedanken. Der Moment in dem ich dieses kleine unschuldige Wort las, wurde die zufuhr der Droge eingestellt, ich war auf kaltem Entzug. Die Welt war so trostlos und grau wie nie zuvor. Mir war bewusst das es nur noch einen Ausweg gab diese Schmerzen, welche die herangewachsene Krankheit hinterlassen hatte zu stoppen.

Die Luft war kühl und der Wind stark, aber all das störte mich nicht mehr als ich dort auf dem Dach stand. Mich selber verfluchend die wachsende Krankheit nicht bemerkt zu haben, schloss ich meine Augen.

Ein Hoch auf die Liebe“ schrie ich und lies mich fallen.

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#Rote Sterne auf Senfgelb
Es klingelte. Tom und ich ließen die Stöcke fallen, mit denen wir gerade das finale Duell unseres Ritterturniers ausgetragen hatten, schnappten unsere Ranzen und drängelten uns an den anderen Kindern vorbei ins Schulgebäude. Vor der Tür der Klasse 4b warfen wir die Ranzen ab und lehnten uns an die Wand. Möglichst lässig wirken.
Tom fuhr sich durch die Haare und begann dann, alten Schorf von seinem Ellenbogen zu pulen.
„Meine Mutter will heute mit mir neue Schuhe kaufen gehen“, nuschelte er, während er ein kleines Stück Schorf in den Mund steckte. Er war noch nie der große Redner gewesen.
„Diesmal krieg‘ ich sie dazu, dass sie mir die neuen Nikes kauft.“
Ich holte zwei Murmeln aus meiner Hosentasche und ließ sie in meiner Hand herumrollen.
„Das wird bei meiner Mutter nie passieren. So lange Kalle nicht die Kurve kriegt und so ein oller Langweiler bleibt, besteht da null Aussicht auf Erfolg.“
Kalle war mein zwei Jahre älterer Bruder, Brillenschlange und Obernerd, dessen alte Klamotten ich, seit ich mich erinnern konnte, auftragen musste. Keine Ahnung von den richtigen Marken hatte der. Mum konnte ihm den billigsten Plunder mitbringen und er bedankte sich noch höflich. So ein Loser. Konnte mir ja egal sein, wenn mein Bruder ein mieser Ökostreber sein wollte, aber konnte er nicht zumindest eine Minute an mich, seinen kleinen Bruder denken, der drauf und dran war, der uncoolste Typ der 4b zu werden? Anscheinend nicht.
Ich warf einen Blick auf meine braunen Wildlederschuhe und seufzte.

Die anderen Schüler verschwanden nach und nach in ihren Klassenräumen, doch ich wartete weiterhin mit Tom und dem Rest der Klasse auf unsere Lehrerin, Frau Breitscheidt. Nachdem auf dem Flur Ruhe eingekehrt war und wir uns alle auf dem Boden an den Wänden niedergelassen hatten, sahen wir unseren Rektor, Herrn Pape, auf uns zueilen.
„Klasse 4b“, rief er im Näherkommen „ich muss euch leider mitteilen, dass Frau Breitscheidt einen Autounfall auf dem Weg hierher hatte.“ Einige der weinerlichen Mädchen aus meiner Klasse kreischten entsetzt auf. Herr Pape schaute sie kurz irritiert an und fügte dann hastig hinzu: „Keine Angst, ihr ist nichts passiert! Sie wird nur etwas später kommen, sobald ihr Wagen abgeschleppt wurde. Ihr geht so lange auf den Hof und spielt da bitte brav.“ Er tätschelte den Kopf von Mark, der sich mit einem angeekelten Gesicht wegduckte. Ich grinste und wollte mich schon umdrehen, um meinen Ranzen aufzuheben, als Herr Pape noch hinterherschob: „Ach ja, und ihr habt einen neuen Mitschüler. Ich schicke ihn gleich zu euch auf den Hof, nehmt ihn bitte freundlich in Empfang und zeigt ihm die Toiletten!“
Der Pape hatte echt keinen blassen Schimmer. „…und zeigt ihm die Toiletten.“ Tom äffte ihn perfekt nach, als der Direx wieder in seinem Büro verschwunden war.
„Na mal gucken, was das fürn neuer Typ ist. Hab‘ ja keinen Bock auf nen neuen Streber, der uns bei der Breitscheidt verpetzt.“ Tom pulte weiter an seinem Ellenbogen herum, als wir mit dem Rest der Klasse lärmend auf den Hof zogen. Die Jungs und einige Mädchen waren froh, noch einige Zeit dem miefigen Klassenraumdunst entkommen zu sein und rannten jubelnd zum Klettergerüst. Die Strebermädchen hockten sich zusammen auf die Tischtennisplatte und teilten sich sicher ihre Sorgen um Frau Breitscheidt mit, diese Memmen. Bestimmt entwarfen sie schon die ersten Mitleidskarten, die sie ihr in der großen Pause vor dem Lehrerzimmer überreichen würden. Ich würgte.

Tom und ich hockten uns neben den Ahorn in der Mitte des Hofes und holten unsere Murmeln hervor.
Plötzliche öffnete sich die Hoftür und ein Junge erschien. Er streckte seinen Fuß nach vorn, blieb an der Türschwelle hängen und stolperte auf den Hof. Alle aus der Klasse drehten sich zu ihm um. Ich schaute den Jungen musternd an und erkannte mit einem Blick: Er hatte schon jetzt verloren.

Seine Füße steckten in hellen Ledersandalen, über die eine dunkle Stoffhose fiel. Auf einem Knie prangte ein grüner Flicken. Sein Oberteil war ein senfgelber Strickpulli mit eingestickten roten Sternen. Seine Haare hatte seine Mutter in einen Scheitel gekämmt und sein viel zu langer Pony fiel ihm schräg in die Augen. Vor allem aber sein Gesichtsausdruck drängte sich in meinen Blick. Er schaute eindeutig ängstlich. Seine gesamte Körperhaltung zentrierte sich in diesem Blick: Der gesenkte Kopf, die herabbaumelnden Arme, die leicht nach innen gedrehten Füße.
Als der Junge erkannte, wie viele Augenpaare ihn anstarrten, sank er noch weiter in sich zusammen, suchte den Asphalt mit seinen Blicken ab und begann, nervös am Bund seines Pullovers zu nesteln. Er erinnerte mich an ein verängstigten Hündchen.
Über die Schulter hörte ich schon Max, Robin und Paul tuscheln. Dann stiefelten sie schnurstracks an Tom und mir vorbei und bauten sich vor dem Jungen auf. Ich erhob mich langsam, um besser hören zu können.
Max lehnte sich zu dem Jungen hinüber.
„Bist du der Neue in der 4b?“
Der Junge nickte, ohne den Blick zu heben. Max drehte sich zu Robin und Paul um und hob grinsend den Daumen. Dann wandte er sich wieder seinem Opfer zu.
„Und? Willst du dich nicht mal vorstellen?“ Er knuffte dem Jungen leicht in die Schulter.
Der Junge schreckte kurz zusammen und blickte auf, doch als er leise etwas flüsterte, hatte er den Kopf schon wieder gesenkt.
„Lauter!“ rief nun Robin und trat neben Max. Er lachte hämisch und kratzte sich am Kopf.
„Florian“, sagte der Junge nun etwas lauter und scharrte mit einem Fuß im Sand. „Flohoorian!“, gackerte Max und patschte Robin begeistert auf den Rücken.
„Na dann, Flohorian, erklär‘ uns doch mal, aus welcher Mülltonne deine Mutter denn deine Klamotten gefischt hat?“
Robin und Paul lachten dröhnend und auch ein paar andere Kinder aus der Klasse stimmten mit ein. Ein lockerer Kreis hatte sich um die Gruppe gebildet und auch Tom und ich schlurften nun näher.
Als ich etwas besser sehen konnte, hatten Max, Robin und Paul schon begonnen, Florian zwischen sich hin- und herzuschubsen. Er stolperte von einem zum anderen, schaffte es aber noch, sich auf den Beinen zu halten. Die Kinder um sie herum lachten und grölten.
„Schneller! Er soll fliegen, bis die Wolle von seinem Pullover aufribbelt!“, rief Leonie, ein Mädchen, das ich bisher eigentlich als freundliche Sitznachbarin kannte.
Florian war nach ein paar Minuten schweißgebadet. Plötzlich beendeten die drei Jungen ihr grausames Spiel, doch nur um Florian zu packen und an seinen Füßen zu zerren. Schließlich hatte Paul beide Sandalen in der Hand und warf sie über die Mauer, die den Schulhof begrenzte.
„So siehst du schon viel besser aus!“, grölte er. „Fehlt nur noch der Rest!“ und er begann, an Florians Hose zu ziehen.

Schon vor einigen Minuten hatte ich bemerkt, wie sich in meiner Brust ein Gefühl ausbreitete, das immer mehr Platz einnahm und mich nun völlig ausfüllte: Wut. Ich wusste nicht, woher dieses Gefühl so plötzlich kam, denn bisher hatten mich solche Spielchen mit den Schwachmaten der Klasse wenig gekümmert, ja, ich hatte meist sogar mitgemacht. Doch nun war irgendetwas anders. Vielleicht, weil mich der Junge so sehr an ein armes, hilfloses Tier erinnert hatte.

Ich schaute dem Spiel meiner Klassenkameraden noch einige Sekunden lang zu, doch dann brach es aus mir heraus. Ohne, dass ich wusste, wie, hatte ich mich auf Paul gestürzt und riss seine Arme zurück. Durch die Überraschung meines Angriffs zog er sich erschrocken zurück und ließ sich rückwärts auf den Asphalt plumpsen. Doch ich war noch nicht fertig, Ich hob meine Arme und warf mich mit aller Kraft auf Max und Robin. Die beiden waren leider nicht mehr ganz so überrascht wie Paul und versuchten, mich durch Stöße von sich wegzulenken. Doch ich konnte nicht mehr klar denken und prügelte wie wild mal auf den einen und mal auf den anderen ein, bis beide fluchend das Weite suchten und ans andere Ende des Schulhofs flüchteten.

Ich blieb schnaufend neben Florian stehen, der sich mühsam aufrappelte und mich nun staunend anstarrte.
„Danke.“ Das Flüstern konnte nur ich vernehmen und ich nickte ihm aufmunternd zu. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Lisa und Helene in die Schule rannten, um Herrn Pape zu holen. Es sollte mir recht sein. Ich rieb meine schmerzende Schulter und kniete mich dann hin, um Florians aufgeschlagenes Knie mit meinem Finger und Spucke zu säubern.
Die anderen Kinder hatten sich in einiger Entfernung versammelt und schauten uns schweigend an. Nur Tom war geblieben und legte mir nun seine Hand auf den Arm.
„Ich weiß zwar nicht, was das gerade war, aber es war ziemlich cool!“ Er grinste und ich konnte nicht anders, als zurückzugrinsen.
Also ich mich umdrehte, gefror meine Miene allerdings, als ich Pape erblickte, der genau vor meinem Gesicht aufgetaucht war. Er schnaubte vor Wut.
„Natürlich! Leon. Ich hab’s doch geahnt! Hab‘ den neuen Jungen gesehen und gleich gedacht Na, mit den Klamotten, kann ich den überhaupt ohne Aufsicht zur 4b lassen? Zur Klasse von Leon? Der von nix anderem als „lässigen Markenklamotten“ redet? Aber man glaubt ja immer noch an das Gute im Kind! Und wozu?! Um zu sehen, dass einer gleich verprügelt wird, nur, weil er einen gemütlichen Wollpulli trägt!“ Pape schrie nun richtig und ich merkte, wie mir Spuckefäden ins Gesicht flogen. Ich schluckte. So rund gemacht wurde ich zwar öfter von den Lehrern, doch diesmal schien es mir, als würde es der Pape nicht bei dieser Tirade belassen. Es fröstelte mir beim Gedanken daran, dass er meinen Vater informieren würde.
Plötzlich hörte ich ein piepsendes Geräusch.
„Aber…“ Auch Pape hatte es wohl vernommen, denn er unterbrach sein Gebrüll und drehte sich erstaunt um. Hinter ihm stand Florian und zupfte unsicher an Papes Hemd.
„Entschuldigung, aber so ist es nicht gewesen…“ Ich sah Florian an, wie schwer es ihm fiel, den aufgebrachten Mann vor sich zu unterbrechen.
„Der Junge hat mir nur geholfen. Er hat mir nicht weh getan. Ich war gestolpert, deshalb auch meine Schrammen, und er hat mir hochgeholfen.“ Verwirrt schaute Herr Pape zwischen Florian und mir hin und her.
„Bist du dir sicher, Junge?“, fragte er und beugte sich zu Florian herunter. „Du kannst ruhig die Wahrheit sagen, dann wirst du Leon die nächsten Wochen nicht mehr wiedersehen.“
Florian nickte und sagte nun schon etwas sicherer: „Ich bin mir sicher, Herr Direktor. Tut mir leid, dass sie sich unseretwegen so aufgeregt haben.“
Herr Pape musterte ihn noch eine Weile, doch als Florian nichts mehr hinzufügte, nickte er kurz und wandte sich wieder seinem Büro zu. „Nun gut.“, murmelte er und verschwand schlurfend.

Die anderen Kinder waren abgezogen und die meisten hatten ihre Spiele wieder aufgenommen. Tom kratzte etwas in die Rinde des Ahorns, von Max, Robin und Paul war nichts zu sehen. Welches Wunder.
Ich stand vor Florian und auf einmal wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Er lächelte mir leise zu und klopfte den Staub von seinem Pulli. Die Sterne bewegten sich auf ihrem senfgelben Himmel. So hässlich war der Pulli gar nicht. Ich schaute auf meine Schuhe. Die waren auch nicht übel. Und mein Bruder war vielleicht auch kein so großer Langweiler, wie ich dachte.
„Komm‘“, sagte Florian. „Zeig mir mal, wie ich auf die andere Seite der Mauer komme. Ich brauch‘ meine Schuhe zurück.“

Er ging, fröhlich mit den Armen wedelnd, in Richtung Hoftor. Ich seufzte und schüttelte kurz den Kopf, dann folgte ich ihm.

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Schatten vor dem Sturm

Das Unglück begann, als sich die politischen Beziehungen zu Japan zunehmend verschlechterten. Gemeinsam geschlossene Verträge wurden übergangen. Souveränitäten wurden ignoriert. Die internationale Wirtschaft geriet ins Taumeln.

Ich bekam davon zunächst wenig mit. Ich war in einer Aufzuchtanlage auf einer kleinen Pazifikinsel stationiert. Informationen aus der Außenwelt drangen nur wöchentlich über die Versorgungsschiffe zu uns durch. Den Rest der Zeit waren wir isoliert.

Für mich war es ein Traumjob. Aufgrund der Abgeschiedenheit gab es hier viele tropische Vögel mit lustig-wirren Gesängen und natürlich strahlend blaues Wasser. Die Luft war zwar meist etwas schwül, dennoch roch sie unglaublich entspannend nach Meer. Zudem gefiel mir die Arbeit mit den Jungtieren. Zusammen mit vier Kollegen brüteten wir Panzerechsen aus. Wie der Name es vermuten lässt, zeichneten sich die bis zu acht Meter langen und bis zu drei Tonnen schweren Saurier dadurch aus, dass ihr gesamter Rücken durch eine dicke Panzerschicht geschützt wurde. Sie waren sehr kräftig und von friedlichem Gemüt, wenngleich etwas träge. So konnten sie in vielen Bereichen eingesetzt werden. Nach einer Aufzucht von zwei Jahren wurden sie verschifft, um abgerichtet und verkauft zu werden.

Natürlich gab es auch Tierschützer, die unsere Arbeit kritisierten, doch alles in allem hatten die Echsen bei uns eine schöne Zeit. Ihre Gehege waren riesig und es gab einen See, in dem die Tiere schwimmen konnten. So behäbig sie an Land waren, so elegant bewegten sie sich im Wasser.
Ich verbrachte viel Zeit mit ihnen dort draußen und die Tiere schienen auch mich zu mögen. Besonders gefiel es ihnen, wenn ich ihnen den Hals kraulte. Dann schlossen sie die Augen und streckten ihren Kopf weit in die Höhe. Manchmal schlugen sie auch mit ihrem Keulenschwanz auf den Boden, sodass die Erde vibrierte. Diese Erschütterungen kribbelten in meinem Bauch und ich musste stets lachen.

Hier hätte ich alt werden können.

Doch lange konnte sich die Idylle nicht vor den politischen Spannungen schützen. Mit den Krisen brachen Märkte ein. Und auch der Saurierhandel blieb nicht verschont. In Konsequenz wurden alle Mitarbeiter bis auf ich selber von der Zuchtstation abgezogen.
Da sich zudem Panzerechsen kaum noch verkauften, sollte ich nun Zweihörner aufziehen. Diese Saurier besaßen eine den Panzerechsen in nichts nachstehende Muskelkraft und waren dazu wesentlich wendiger. Gleichzeitig neigten sie jedoch zu Aggressivität gegenüber Menschen und Artgenossen und das selbst nach der Kastration. Manche Jungtiere mussten erschossen werden, insofern nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sie die Herde beschädigen könnten.
Letztlich beherbergte die Insel neben zahlreichen Zweihörnern lediglich noch eine Panzerechse. Sie war schon über zwei Jahre alt und da sich kein Käufer für sie fand, sollte sie entsorgt werden. Das brachte ich jedoch nicht übers Herz und so zog ich sie privat auf. Ich nannte sie Appa. Alle anderen Tiere bekamen nie Namen. Zu schmerzhaft wäre der Abschied von ihnen gewesen. Es war so schon nicht leicht für mich. Die Bindung zwischen mir und Appa wuchs stetig. Sie folgte mir überall hin, half mir bei Arbeiten auf dem Gelände und heiterte mich auf, wenn es wieder bedrückende Neuigkeiten von der Außenwelt gab. Manchmal schlug sie mit dem Schwanz auf die Erde, nur um mich lachen zu sehen.

Am Tag des Sturmes war der Himmel wolkenleer. Ich war früh mit der Versorgung der Herde fertig. Also legte ich mich mit Appa auf die Terrasse und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Ich war erschöpft und wäre beinahe eingeschlafen. Doch ein seltsames Lichtflackern riss mich aus meinem Dämmerzustand. Schatten unterschiedlicher Größe zogen über den nahegelegenden Dschungel, über die Gebäude der Zuchtstation, über den Liegestuhl, in dem ich gemütlich lag. Ich hatte noch nie einen so großen Schwarm an Flugsauriern gesehen. Es müssen hunderte gewesen sein. Kurz darauf erzitterten die ersten Explosionen die Insel. Reflexartig wollte ich ins Haus stürmen, doch eine immense Kraft warf mich zu Boden. Mein Kopf dröhnte vor Schmerz, alles war dunkel, ich bekam kaum Luft. Unerträglich lange hörte ich das dumpfe Grollen der Explosionen um mich herum, bis ich schließlich das Bewusstsein verlor.

Ich erwachte, als ich Bewegungen über mir spürte. Meine ersten Gedanken kreisten um Appa. Die eigenen Schmerzen waren vergessen, ich wollte nur, dass es meiner Freundin gut ginge. Vorsichtig versuchte ich das Objekt über mir hochzudrücken, doch vergebens. Die raue, warme Fläche war zu schwer. Erst da begriff ich, dass ich unter Appa lag und sich der Saurier nach den ersten Explosionen schützend über mich geworfen haben musste. Nun kämpfte sich Appa langsam aus dem Geröll und ließ mir Platz, unter ihr ins Freie zu kriechen. Beißender Rauch drang in Augen und Nase. Der Gestank von verbranntem Fleisch gemischt mit verschmortem Gummi war allgegenwärtig. Genauso wie das Stöhnen von verendenden Zweihörnern. Mit tränenden Augen wandte ich mich vom Schlachtfeld ab. Ich musste Hilfe holen, Leute warnen. Es blieb keine Zeit, mich um die Saurier zu kümmern. Ich musste so schnell wie möglich zur Anlegestelle. Glücklicherweise schien Appa unverletzt zu sein. Mir selber war lediglich Schutt auf den Fuß gefallen, sodass ich mich noch humpelnd bewegen konnte.

Auf dem Weg zu den Booten quälten mich viele Fragen. Wer waren die Angreifer? Waren es die Japaner? Was war passiert? Oder doch Terroristen? Vielleicht ein konkurrierendes Aufzuchtunternehmen, überlegte ich. Wer hätte sonst so viele Flugsaurier? Aber wer würde so weit gehen und sie dafür missbrauchen, Bomben auf Mensch und Tier zu werfen?
Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Alles drehte sich in meinem Kopf. So bemerkte ich erst, als ich bei der Anlegestelle ankam, dass auch hier alles zerstört worden war. Verzweifelt wollte ich nach abgetriebenen Booten suchen, doch erstarrte, nachdem Appa ein lautes Fauchen ausstieß. Verwundert drehte ich mich zu ihr um. Sie reagierte auf keine Zurufe, sondern blieb nur fauchend stehen. Da hörte ich das schwere Atmen eines Zweihornjungtiers hinter mir. Es hatte eine große Wunde an der Flanke und wirkte unruhig. Plötzlich stürmte es auf mich zu. Ich konnte nur schützend hinter ein paar Trümmer springen, aber das Zweihorn durchbrach mit voller Kraft das Geröll und schleuderte mich einige Meter fort. Hart schlug ich auf dem sandigen Boden auf. Es wollte sich gerade für den nächsten Angriff bereit machen, da schlug dem Tier eine Schwanzkeule in die Seite. Schreiend fiel das Zweihorn zu Boden. Als es sich aufrichten wollte, schlug Appa erneut zu. Ein lautes Knacken signalisierte, dass das Zweihorn sich nicht erneut erheben würde.

Voller Angst, auf noch mehr Gefahr zu stoßen, lief ich humpelnd ans Ufer. Doch hier waren weder Saurier noch Boote zu entdecken. Wie sollte ich nun Hilfe holen? Die nächste Insel war 20 Meilen entfernt. Schwimmen war also keine Option. Deswegen kletterte ich auf Appa, um mich von ihr übers Wasser tragen zu lassen.
Erschöpft sank ich auf meiner treuen Freundin zusammen. In der Ferne wurde unsere Heimat immer kleiner, meine Lider immer schwerer, bis ich sie nicht mehr aufhalten konnte. Mit geschlossenen Augen lag ich auf Appas Rücken. Kühles Wasser schwappte gegen meinen Körper. Warum war das alles nur passiert? Die Gedanken kreisten wieder in meinem Kopf, ohne einen Sinn zu ergeben. Der Tag wirkte so surreal. Ein Lichtflackern riss mich aus meiner Ohnmacht. Hunderte von Schatten flatterten über uns und wir alle steuerten auf dasselbe Ziel zu.

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Wenn die Nacht einbricht

Wieder einmal wünschte ich mir, der Aufzug würde noch funktionieren, denn als ich auf dem siebten Stock ankam und die Einkaufstüten in der Küche abstellte, konnte ich meine Arme kaum noch spüren. Vier Euro für die Tiefkühlpizzen, zwei für den Orangensaft und sieben für die Zigaretten von dem Kiosk, der nicht nach dem Ausweis fragt. Ich verdrängte die Zahlen schnell aus meinem Kopf.

„Hallo?“, raunte Mutters Stimme aus dem Schlafzimmer, „Hast du die Kippen?“
Hätte sie auch nur eine Sekunde früher nach mir gerufen, hätte ich die Rechnung in meinem Kopf vielleicht nicht zu Ende führen können und hätte jetzt nicht wieder daran denken müssen, dass das Geld langsam aber sicher knapp wurde. Schweigend nahm ich die Packung aus der Tüte und brachte sie ihr. Jedes Mal, wenn ich ihr Gesicht sah, bekam ich Gänsehaut. Sie sah so krank aus mit ihrer faltigen Haut — zu früh gealtert, ihre Hände in einem stetigen Zittern gefangen. Ihre dürren Finger wirkten durch die schon lange nicht mehr geschnittenen Fingernägel nur noch drahtiger als sie mit einer unerwartet präzisen Handbewegung die Packung aus meiner Hand riss. Erst jetzt fiel mir auf, wie schnell mein Herz schlug und es lag bestimmt nicht mehr an dem Tütenschleppen von vorhin. In ihren Augen konnte ich sehen, dass sie es wusste. Wachsam musterte sie mich an, ihr durchdringender Blick sich so stark von dem Rest ihres verfallenden Körpers absetzend. Ich hatte Angst vor ihr. Drei Herzschläge konnte ich zählen als ich wusste, was sie sagen würde, noch bevor sie es zischte: „Es ist wieder Zeit. Du weißt, was zu tun ist.“

Bill hielt mir die Zigarette entgegen und sah mich testend an. Ich versuchte, möglichst cool zu wirken, als ich das qualmende Ding entgegen nahm; hoffend, dass es zumindest halbwegs so lässig aussah, wie bei den Typen im Fernsehen. Ich fuhr mir mit einer schnellen Bewegung durch die Haare, um zu verbergen, wie ich vor Nervosität zitterte. Der Rauch füllte erst meine Kehle und bahnte sich dann seinen Weg weiter meinen Hals hinab, wo es schrecklich anfing zu kratzen, aber ich zwang mich, einen Moment bis zum Ausatmen zu warten, damit es wirkte, als wüsste ich, was ich täte. Der Geschmack war genauso eklig wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich konnte das Gift praktisch schmecken. Immerhin habe ich nicht Husten müssen. Kaum zu glauben, dass Mutter mich dafür das letzte Geld ausgeben lässt — das Geld, das ich stehlen, für das ich Risiken eingehen muss. Aber ich schätze, wenn man keinen Sauerstoff mehr zum Leben braucht, sieht man das mit dem Schutz seiner Lungen nicht mehr so eng.
„Daniel hat seine Freundin am Samstag schon wieder betrogen. Er ist mit dieser Tatjana nach Hause gegangen, die auf der Party war.“
„Scheiße Mann, warum ist er überhaupt noch in einer Beziehung?“
„Frage ich mich auch. Er meint, er liebt sie ja eigentlich, aber ganz ehrlich… du hast echt was verpasst. Tatjana ist nicht von schlechten Eltern, musst du wissen.“
„Du weißt ja, meine Mutter ist…“
„… Krank, bla bla. Klar weiß ich, du redest ja kaum von etwas Anderem. Alter, die muss dich auch mal dein Ding machen lassen. Als du mich vorhin angeschrieben hast um vorzuschlagen, dich zu treffen, dachte ich erst, du machst Witze. Das die Olle dich auch noch mal ihren Fängen lässt!“
„Sorry, es ist halt nicht so einfach. Sie hat nur mich.“
„Und die Ärzte wissen echt nicht, was es ist?“
Ich schüttelte den Kopf. Dieses Lügengeflecht habe ich mittlerweile schon so fest gesponnen, dass ich selbst beinahe anfing, zu glauben, es sei die Wahrheit.
„Nein, die haben keinen Plan. Sie ist zu Bettruhe verordnet worden, aber mehr als Tabletten verschreiben können die Ärzte wohl nicht.“
Bill schüttelte nur den Kopf: „Ich weiß echt nicht, wie du das aushalten kannst. Respekt, Mann.“
Ich biss mir auf die Lippe. Bill hatte normalerweise nicht viele nette Worte für andere übrig. Jemand, der so egozentrisch war, vergab nicht oft Komplimente. In dieser Sekunde mochte ich ihn fast und dann erinnerte ich mich wieder daran, warum ich mich mit ihm treffen wollte und warum ich ausgerechnet heute Nacht den abgenutzten Spielplatz als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Bill war ein Idiot, redete ich mir ein. Bill war ein Zyniker, ein Masochist, ein Rasisst. Aber hatte er es verdient? Hatte irgendeiner von den Menschen das verdient, was ich ihnen angetan habe? Ich war der Schwächling, der, der nicht Nein sagen konnte, der dem Einfluss seiner Mutter nicht entkommen konnte. Und ja, ich hatte Angst. Jedes Mal. Als das Zittern in meinen Händen beinahe unerträglich wurde, griff ich nach der Tablette in meiner Jackentasche und gleichzeitig nach dem Flaschenöffner an meinem Schlüsselbund, um die zwei Bierflaschen, die ich gekauft hatte, zu öffnen. Mit einer flüssigen Handbewegung öffnete ich das erste Bier, ließ die Pille hineinfallen und überreichte sie Bill.
„Danke, Mann. Das nächste geht auf mich“, nickte er mir zu und nahm einen langen Schluck. Ich wischte die Schweißperlen von meiner Stirn, während ich mir meine eigene Flasche öffnete, von der ich keinen Schluck nehmen würde. Ich musste klar bleiben.

Bill war ein schneller Trinker und es vergingen lediglich zehn Minuten, bis er neben mir wegkippte und ich ihn mit geballter Kraft in den Sandkasten rüberziehen konnte, von wo er für Passanten — man konnte nie vorsichtig genug sein — nicht zu sehen sein würde. Ich öffnete das Schweizer Taschenmesser an meinem Schlüsselbund und zog es über seinen Arm. Die Linie, die meine Bewegung hinterließ, füllte sich in Sekunden mit Blut und ich fühlte die Gänsehaut, die ich trotz der Wärme bekam, spürte, wie meine Muskeln sich anspannten und ich mich zwingen musste, genug Luft einzuatmen, um nicht selbst in Ohnmacht zu fallen. Mit leichtem Schwindelgefühl setzte ich mich hin, schloss die Augen, um die Tränen zu unterdrücken, und wartete. Wie immer dauerte es nicht lange, bis ich das Flappen von Flügeln wahrnahm. Mutters Stöhnen weckte mich aus meiner Trance. In dem Mondlicht sah sie noch unheimlicher aus, ihre langen knorrigen Flügel wirkten riesig. Fort war die gebrochene und kranke Frau, die ihr Bett nicht verlassen konnte. Vor mir stand eine zwei Meter große Frau mit weißer, makelloser Haut und leuchtend violetten Augen, die pure Gier widerspiegelten und jetzt den blutenden Körper des Jungen fokussierten. Wie immer nickte sie mir nur einmal anerkennend zu, der Sprache nicht mehr mächtig, und mit einem gewaltigen Satz, der zu schnell war, um von mir wahrgenommen werden zu können, sprang sie auf ihn und versank ihr Gesicht in seinen Nacken. Unwillkürlich drehte ich mich weg und versuchte die Geräusche von reißender Haut und unkontrolliertem Schmatzen auszublenden. Sie war gewachsen, dachte ich. Vor ein paar Wochen noch hatte sie die Figur eines jungen Mädchens gehabt, zart und dünn, während das … Monster nun zu einer ausgewachsenen und starken Frau gewachsen war. Das viele Blut in letzter Zeit musste sie gut genährt haben. Vielleicht sollte ich glücklich sein, stolz, dass ich für meine Familie sorge und die Aufgaben meines Vaters übernehmen kann, seit dieser verstorben war. Wir haben über seinen überraschenden Tod vor sieben Monaten nie gesprochen, aber mein gesunder Menschenverstand ließ mich meine eigenen Theorien über sein Ableben aufstellen. Vielleicht war es gut, dass ich nun Bescheid wusste über meine Mutter und was sie war. Was mir Angst machte, war, wie kontrolllos ich mich dennoch fühlte, ich fürchtete mich vor ihr und je kraftvoller sie wurde, desto impulsiver schien sie bei Nacht zu werden. Noch musste ich die Beute vorbereiten, die Menschen in abgelegene Ecken locken und sie dann mit deren Blut anlocken, aber wie stark konnte sie werden? Wie lange war ich noch sicher? Würde ein Mensch reichen oder würde es bald schon ganze Familien sein, die sie auslöschte? Und welche übernatürlichen Kräfte schlummerten noch in ihr? Zu was würde sie wachsen? Ich wusste, dass sie in ihrer nächtlichen Gestalt nicht sprechen konnte, allerdings hatte ich schließlich bemerkt, wie sie über die letzten Wochen bedeutend an Größe und Schnelligkeit hinzugewonnen hatte… Als ich gedanklich kurz innehielt, fiel mir auf, wie still es geworden war. Nur mein eigener Atmen drang durch die nächtliche Dunkelheit. Ich hielt inne. Wie in Zeitlupe wendete ich meinen Kopf und versuchte wahrzunehmen, ob Mutter sich noch hinter mir befand, ohne direkt hinzusehen zu müssen. Mein Herz schlug ein letztes Mal bis zum Hals als ich in ihre wachsamen violetten Augen blickte.

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Druckschluss

Der Mann ging vor dem Fenster von Kolters Büro vorbei, welches er gerade verlassen hatte. Er sah ziemlich mitgenommen und verzweifelt aus. Kolter sah im nach und schüttelte den Kopf. Er konnte das nicht nachvollziehen. Hatte der Mann, Feldhausen war sein Name, denn gar kein Verständnis für seine Situation? Es ging letztendlich doch nur ums Geschäft. Das Unternehmen hatte im letzten Quartal mit Ach und Krach die schwarze Null geschafft, da war es doch nur logisch, dass Kolter Personal entlassen musste.
Er hatte den Zufall entscheiden lassen, damit es auch fair bleibt. Feldhausen war in Tränen ausgebrochen, als Kolter ihm seine Entlassung vorlegte, was Kolter ohne jede Regung hinnahm. Selber Schuld, dass dieser Versager mit 56 Jahren immernoch als einfacher Angestellter in einer Druckerei arbeitete. Kolter hatte es mit seinen 29 Lenzen bereits an die Spitze dieses Unternehmens geschafft und hatte nicht vor, hier Halt zu machen. Mitleid für die Ärmeren kam ihm da recht ungelegen. Das Glück, in eine reiche Familie geboren zu werden, könnte schließlich potentiell jeder haben. Kolter brauchte deshalb kein schlechtes Gewissen zu haben.
Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. “Herein!”, befahlt Kolter etwas zu laut. Er würde sich zügeln müssen, denn die Leute sollten ihn ja nicht für einen ungehobelten Unmenschen halten, der seine Mitarbeiter grundlos anbrüllt.
Eine zierliche Frau betrat den Raum. Sie trug eine helle Bluse und einen schwarzen, knielangen Rock. Ein leckerer Anblick. Sie mochte wohl Anfang zwanzig gewesen sein, genau wusste er es nicht. Kolter erinnerte sich, dass er sie vor 3 Jahren angestellt hatte. Sie hatte einen fleißigen Eindruck gemacht, genau wie er es gern hatte. Leider wurde sie letztes Jahr Schwanger und fiel einige Monate aus. Seit 5 Wochen war sie nun wieder arbeitstüchtig. Bevor sie etwas sagen konnte, deutete er auf den Stuhl auf der anderen Seite seines Schreibtisches. “Setzen sie sich, Frau Koyack.”
Sie tat wie ihr gehießen und fragte mit zögerlicher Stimme: “Was gibt es, Herr Kolter?”
“Wie sie sicherlich Wissen, ist die finanzielle Lage in unserer Firma recht angespannt.” Er machte eine Pause, um seinen Worten den nötigen Raum zu geben. Er sah in das Gesicht seiner noch-Angestellten. Sie schien zu wissen, wo das hinführen würde.
“Sie waren durch ihre Schwangerschaft eine Zeit lang kein Teil dieser Abteilung und damit keine große Hilfe für uns.” Er lächelte zynisch. “So etwas darf sich nicht wiederholen.”
Die Frau senkte den Kopf und rang um Fassung. “Das war es also. Ich bin entlassen.”
“Ja. Ich bedaure.”
“Wie soll es dann für mich weitergehen?”, sagte die Frau mehr zu sich selbst als zu Kolter.
“Nun, sie werden noch bis Ende der Woche…”
Sie unterbrach ihn unerwartet stürmisch: “Nein, wie soll es mit MIR weitergehen, haben sie darüber einmal nachgedacht?”
Kolter zog verständnislos die linke Augenbraue hoch. “Für mich zählt nur das Geschäft.”
Die Augen der Frau füllten sich mit Tränen. Kolter hatte sie stärker eingeschätzt. “Bitte verlassen sie das Büro und gehen sie zurück an ihre Arbeit.”
Sie erhob sich hektisch und stürmte aus dem Raum, wobei sie den Stuhl umriss. Sie würde wohl keine weitere Minute für Kolter arbeiten. Das war ihm auch recht. Er ging um seinen Schreibtisch herum, stellte den Stuhl wieder auf und schenkte sich einen Brandy ein.
Kolter war zufrieden. Das Wachstum war gesichert.

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DUPLEX

Was die Menschheit als Wissenschaft bezeichnet, ist doch seit jeher nicht viel mehr als eine kümmerliche Folge des Prinzips trial and error - hin und wieder unterbrochen von einem glücklichen Gelingen. Die wirklichen Zusammenhänge allerdings, der Kern der Dinge bleibt doch größtenteils im Verborgenen. Die moderne Medizin etwa basiert eher auf der gekonnten Anwendung von Statistik als einem tatsächlichen Verständnis für den menschlichen Organismus. Und Astrophysik kennt mehr Meinungen als Fakten.
Als Kind natürlich weiß man von diesen Wahrheiten nichts. Man blickt voller Begeisterung für die weisen Menschen der Wissenschaften in die Welt und hofft darauf, einst einer von ihnen zu sein. Bis man dann feststellt, dass es sich bei all dem nur um Schall und Rauch handelt, ist es meist bereits zu spät – so wenigstens erging es mir.
Ich bin ein Kind des Jahres 2018 - eben des Jahres, in dem jene fundamentale Entdeckung gemacht wurde, die das Rohstoffproblem lösen sollte, dem die Menschheit seit dem 20. Jahrhundert sehenden Auges entgegenlief, und das sie dennoch in solch schändlicher Weise ignoriert hatte, wie es nur Menschen vermögen. Letztendlich sollten sie mit ihrer Ignoranz gar recht behalten. Denn plötzlich ergab sich eine Lösung und alles konnte ruhigen Gewissens weiterlaufen wie zuvor. Ich konnte, wie meine Eltern vor mir, in einer Welt des Überflusses aufwachsen. Und niemand wurde müde zu betonen, dass ich und meine Generation dies allein dem DUPLEX-Projekt zu verdanken hatte.
Überwältigt von jener Propaganda stand daher für mich seit Kindesbeinen fest: Ich würde einst Teil dieses sagenumwobenen Projektes sein, um auch für meine Nachkommen jene Welt erhalten zu können, die mir selbst als die beste aller möglichen galt.
Und so kam es. Drei Dekaden später saß ich im Kontrollraum eines Komplexes, der die Fläche mehrerer Millionenstädte beanspruchte und überwachte jene Ressourcenvermehrung, die unseren Wohlstand sicherte. Wie mies ich mich jedoch dabei fühlte, lässt sich in Worte nicht fassen.
Warum ich es dennoch tat? Nun, ich schiebe es auf dieselbe Bequemlichkeit, denselben Unwillen zu den richtigen Konsequenzen, der meine Eltern und Großeltern vor mir lähmte.
Die DUPLEX-Technologie ist das Ergebnis einer Fehlfunktion des LHC-Beschleunigers. Es stellte sich heraus, dass Partikel sich unter bestimmten Umständen vervielfachen. Der Energieerhaltungssatz war damit widerlegt und die Welt der Wissenschaft stand auf dem Kopf.
Als ich achtzehn Jahre nach dieser Feststellung mein Studium der Teilchenphysik begann, war jene Phase großer Verunsicherung bereits einer des Aufbruchs gewichen. Eine Renaissance in allen Forschungs- und Lebensbereichen fand statt. Ich befand mich im fünften Semester, als der erste DUPLEX-Operator fertiggestellt wurde. Milliarden öffentlicher und privater Gelder steckten in dem Projekt. Als schließlich eigene Lehrstühle zu der neuen Technologie eingerichtet wurden, stand ich in der ersten Reihe.
Ich erinnere mich, wie ich in den folgenden Jahren vom höchsten Gipfel ins tiefste Tal fiel. Denn viel hatte mir jenes Studium nicht zu bieten. So viel Energie, menschliche, monetäre und materielle, seit 2018 auch in die Technologie investiert worden war, im Endeffekt wusste man nichts über sie. Allein ihre Anwendung war bekannt.
In vielen Fachgebieten arbeitete man stattdessen noch immer mit dem Satz zur Energieerhaltung. Das Wie und Warum des DUPLEX-Effekts blieb im Dunkeln. Stillschweigend schien man sich darüber einig geworden zu sein, ihn als modernes Wunder, gar als Gottesgeschenk zu betrachten.
Und so wurde ab 2036 der Bestand an Platin, Scandium, Promethium, Gold, Coltan und so vieler anderer liebgewordener Rohstoffe, ohne die man nicht leben zu können glaubte, stetig vermehrt.
Wirtschaft und Wohlstand hatten die Wachstumsgrenzen überwunden, die ihnen zuvor prophezeit worden waren. Alles machte ganz den Anschein, als hätten jene, die das Heil des technologischen Fortschritts gepredigt hatten, gewonnen – obgleich ihr Sieg auf einem lausigen Zufall beruhte.
Ich konnte nicht aufhören, mir über diesen Aspekt den Kopf zu zerbrechen. Mein ungutes Gefühl hatte sich seit meinen Studienjahren nur verstärkt.
Auf meinem Weg in den DUPLEX-Operator #21, der jüngste unter den weltweit erbauten Komplexen, empfing mich stets ein Trupp von DUPLEX-Kritikern vor den Sicherheitsschleusen. Eines Tages – zwei Jahre ist es bereits her und meine Verzweiflung hatte zu diesem Zeitpunkt einen unerträglichen Grad erreicht – war ich zu ihnen gegangen und hatte ihnen mein diffuses Unbehagen geschildert. Begeistert luden sie mich ein, mir ihre Argumente zu erläutern.
Zu meiner großen Erleichterung fand ich dann auch in ihnen Menschen, die sich dieselben Fragen stellten wie ich: Wie war die DUPLEX-Technologie konkret zu erklären? Wie weit sollten wir den Effekt treiben? Welchen Einfluss hätte die unentwegte Erzeugung neuer Materie auf unsere Erde?
Sie erklärten mir auch, dass die wesentlichste Krise des 21. Jahrhunderts nicht die Ressourcenknappheit war und ist, sondern die Knappheit der Senken – Ozeane und Regenwälder könnten Kohlenstoffdioxid längst nicht mehr in den Mengen umwandeln und speichern, in welchen die Menschheit ihn produziere. Gifte, Kunststoffe und radioaktiver Müll belasteten den Planeten und benötigten hunderttausende Jahre, ehe sie wieder Teil eines natürlichen Kreislaufs würden. Die DUPLEX-Technologie hatte nichts erreicht, allein, dass sich dieser Prozess beschleunigte.
Mit diesen Wahrheiten konfrontiert, sah ich mich nun der Blase entrissen, in der ich mich seit Kindesbeinen bewegt hatte. Zunächst war mir danach, hastig wieder hineinzukriechen und zu vergessen, was diese Revoluzzer und Verschwörungstheoretiker mir soeben erzählt hatten. Doch ich konnte nicht. Stattdessen stellte ich die Frage, warum mir all dies bisher verborgen geblieben sein sollte, da sie ihre Argumente doch als so evident und offensichtlich darlegten?
Der Hype sei es gewesen, erklärten sie. Die pure Augenwischerei sei mit der Begeisterung über diese gewaltige Entdeckung betrieben worden. Der Mensch schließlich hatte die Naturgesetze überwunden, sich quasi zum Gott erhoben und damit die Apokalypse abgeschafft.
Diese eingeschworenen DUPLEX-Kritiker rieten mir jedoch vehement davon ab, meinen Job im Operator #21 aufzugeben. Ich solle mich weiterhin unauffällig verhalten und eventuell könnte ich auf diese Weise eines Tages der guten Sache nützlich sein. „Um das System von Innen heraus zu zerstören“, formulierte es einer von ihnen und hatte dabei einen glühenden Eifer in den Augen.
Ich muss zugeben, dass mir diese Empfehlung sehr gelegen kam. Meine diffuse Sorge hatte nun zwar eine konkrete Untermauerung, in irgendeiner Weise aktiv zu werden, lag mir jedoch weiterhin fern. Nun brauchte ich erst einmal Zeit, das Gehörte zu verarbeiten. Diese Phase der Verarbeitung hielt dann auch zwei Jahre an. In diesen zwei Jahren stieg ich im Operator #21 zu dessen Operator auf, das hieß, der gesamte Kontrollraum unterstand allein meiner Aufsicht.
Unnötig zu erwähnen also, dass ich meine Zweifel am DUPLEX-Projekt nie hatte nach außen dringen lassen.
Und als nun eines Tages die Gruppe der DUPLEX-Kritiker wieder Kontakt zu mir aufnahmen, fiel mir der Entschluss, einem Treffen zuzustimmen, einigermaßen schwer. Hatte doch mein Leben unlängst einen Grad an Bequemlichkeit erreicht, den ich mir so nie hätte träumen lassen.
Dennoch ging ich zu ihnen; mehr aus altem Pflichtbewusstsein, denn aus Neugierde. Sie begrüßten mich überschwänglich und versicherten mir, in einigen Minuten hätte ich die Antwort auf alle meine Fragen und das DUPLEX-Projekt wäre bald Geschichte.
Eine stille Sorge ergriff mich, doch ich folgte ihnen bereitwillig, als sie mich in einen leeren Raum führten.
„Fällt dir etwas auf?“, fragten sie mich.
Ich sah mich gründlich um und … ja, dort war etwas. Ein undeutlicher Umriss waberte, ähnlich einer Luftspiegelung, in der Mitte des Raumes.
Sie werden dir alles zeigen. Warte nur ab!“, meinten jene, die mich in den Raum geführt hatten.
„Sie?“, hakte ich sofort nach. Doch da spürte ich bereits, wie ein ungewohntes Empfinden durch meine Gedanken fuhr. Und einen Augenaufschlag später hatte ich tatsächlich die Antwort auf alle meine Fragen.
Ohne jegliche Erklärung wusste ich, dass dort vor mir die Essenz einer Lebensform flimmerte, die einer parallelen Welt entstammte. Ich wusste auch, wie der DUPLEX-Effekt zustande kam und ich wusste, warum dieses Wesen mir all dies offenbart hatte.
„Wir müssen es tun“, hörte ich die Stimmen hinter mir sagen. „Du verstehst es doch auch, oder? Es gibt keinen anderen weg. Wir müssen es tun.“
„Ja“, antwortete ich selbstvergessen. Denn wirklich bestand nun keinerlei Zweifel mehr daran, dass das DUPLEX-Projekt sabotiert werden musste. Ganz unabhängig davon, was dies für mich selbst und meine Spezies bedeuten würde.
Ich wusste, dass diese parallele Lebensform mich niemals zwingen würde. Sie war in Gänze friedfertig und uns weit überlegen. In ihrer Welt waren die Gesetzmäßigkeit, die den DUPLEX-Effekt ermöglichten bereits lange bekannt; ebenso wie die Existenz von Parallelwelten und dass zwischen ihnen ein Austausch nicht nur von Materie, sondern von Information möglich war.
Diese Wesen aber hatten sich dagegen entschieden, jene Technologien zu ihrem alleinigen Vorteil zu nutzen. In ihrer Kultur war die Tiefe Überzeugung verankert, jeder Lebensform stünde nur eine Welt zu. Dies war die maßgebliche Prämisse für das Gleichgewicht aller bestehenden Universen.
Der DUPLEX-Effekt nun war nichts mehr als die Transformation von Materie zwischen diesen Universen. Und in den vergangenen Jahren hatte sich die Menschheit an den Rohstoffen eben jener Lebensform bedient.
Ich fühlte ein tiefes Bedauern, aus dem zugleich das unbedingte Verlangen erwuchs, die Gerechtigkeiten zwischen unseren Welten wiederherzustellen.
In meinen Gedanken begann ich einen regen Austausch mit dem Wesen, von dessen Existenz ich vor gerade einmal einer Minute erfahren hatte.
Schnell konnten wir uns auf eine Vorgehensweise einigen. Erstmalig in ihrer Geschichte würden sie sich den DUPLEX-Effekt zu Nutze machen und die Minerale und seltenen Erden zurückholen, die wir ihnen zuvor gestohlen hatten. Doch damit allein war es nicht abgegolten. Zu sehr hatten sie ihre eigene Art zu leben durch unseren Raub anpassen müssen. Schäden waren ihnen entstanden, ihre Umwelt aus dem Gleichgewicht geraten.
Noch am selben Tag also begab ich mich zurück in den Kontrollraum des DUPLEX-Operators #21. Ich setzte mich an den Zentralrechner, der alle Vorgänge innerhalb des weitläufigen Areals mit all sein über- und unterirdischen Installationen steuerte.
Mittels des erhabenen Wissensschatzes einer parallelen Lebensform gelang es mir, die Prozesse restlos zu stoppen und auf eine Weise umzugestalten, die den Transformationskanal offen ließ, ihn jedoch der menschlichen Einflussnahme entzog. Was die Erde importierte, war nun den Kräften jener Parallelwelt überlassen. Konkret wusste weder ich noch wussten meine Mitverschwörer, um was es sich handeln würde – ob es Treibhausgase wären, Umweltgift oder Schwermetalle, ob Abfallprodukte ihres Stoffwechsel oder gar eine uns völlig unbekannte Verbindung. Doch was es auch sein würde, wir waren uns einig darüber, es war Zeit, dass wir lernten, mit den Konsequenzen zu leben.

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Startupwichser

»Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Friedrich-Engelbert von und zu Zwirbelhausen. Vielleicht wussten Sie es noch nicht, aber heute ist der Tag, der alles in Ihrem Leben verändern wird! Sie haben diese Website aufgerufen und nun denken Sie sich sicher ‚Oh nein, schon wieder so ein beschissenes Autoplay Video‘. Falsch gedacht!Dies ist ein exzellentes Autoplay-Video, denn Sie sind nicht ohne Grund hier. Einer Ihrer Freunde hat einen Freund, der einen Freund hat, der einen Freund hat, der es wahrscheinlich mir zu verdanken hat, dass er jetzt dort ist, wo er ist. Mit mir werden all Ihre Probleme im Nu verschwinden.
Eines Morgens wachte ich auf und hatte eine Vision: Ein Startup. Aber nicht irgendein Startup. Ein Startup für andere Startups! Viele kennen das, dass sie morgens aufwachen und eine Vision haben. Nur wenige aber haben aber die Fähigkeiten, dies in die Tat umzusetzen. Wenn Sie hier sind, haben sie es schonmal so weit geschafft. Herzlichen Glückwunsch! Aber niemand ist perfekt. Vielleicht haben Sie gute Ideen, aber sind kein BWL-Ass. Hier komme ich ins Spiel. Ich vereine beide Fähigkeiten und bin hier, um und Ihnen zu helfen. Mit mir schafft es ihr Startup aus dem Kellerraum in das Firmengebäude mit der Glasfront, an dem Sie jeden Morgen neidisch mit dem Rad vorbei fahren. Kontaktieren Sie mich jetzt und ihr Startup wird durch die Decke gehen!«
Der Mann im Video zwinkerte noch einmal in die Kamera. Er sah wirklich sympathisch aus, wie er so vor einem hellblauen Hintergrund in knallroten Hosen, einem grünen Polohemd und einem pinken Strickpullover, den er lässig über die Schultern geworfen hatte, stand. Ein riesiger Schriftzug erschien im Video. »Wachs-Up« stand dort in goldenen Lettern geschrieben.
Friedrich-Engelbert lehnte sich zurück und grinste zufrieden. Was man nicht alles so mit fünfzig Euro in der Tasche und der Challenge, nur die hässlichsten Klamotten bei H&M mitzunehmen, erreichen konnte. Friedrich-Engelbert von und zu Zwirbelhausen hieß eigentlich gar nicht so. Sein bürgerlicher Name war Sascha Marksovski. Sascha rieb sich die Hände. Alles schien nach Plan zu verlaufen. Die Website war gerade online gegangen. Der Student, dem er zwanzig Euro für das Zusammenbasteln der Website in die Hand gedrückt hatte, hatte ganze Arbeit geleistet. Es sah perfekt aus. Als würde Sascha wirklich ein Startup führen. Scrollte man etwas weiter runter konnte man sehen, mit wem »Friedrich-Engelbert« angeblich schon zusammengearbeitet hatte. Natürlich waren sämtliche Referenzen erstunken und erlogen. Neben den Logos waren Graphen zu sehen, welche den angeblichen Gewinn der Startups zeigen sollten. In Wirklichkeit handelte es sich um ein Klimadiagramm von Bielefeld, das im Winter startete und im Sommer endete, mit einer immer wechselnden Skalierung, sodass es aussah, als wären es verschiedene. Sascha schüttelte den Kopf. Er fragte sich, wo er jetzt im Leben wäre, wenn er sein kriminelles Genie schon viel früher entdeckt hätte.
Mit wenigen Klicks schaltete er Werbung auf allen möglichen Social-Media-Anbietern, während er gleichzeitig die Aufrufzahlen der Website verfolgte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie in die Höhe schossen. Nach ein paar weiteren Sekunden kam die erste Mail rein. Sascha überflog sie. Sie kam von einem Typen, der ein Startup gegründet hatte, bei dem man Leute zu sich bestellen konnte, die einem die Wasserflasche öffneten. Für alte Leute, weil die das ja nicht mehr können, erklärte der Typ in der Mail.
»Na wartet, ich werde es euch zeigen« dachte Sascha sich. Die Idee für sein »Startup« hatte er vor gut einem Jahr gehabt. Damals war er gerade dabei auf einen Stuhl zu steigen, um seine Marx und Engels Gesamtausgabe neu zu sortieren, als er ausrutschte und sich den Kopf an einer Marx-Büste aufschlug. Im Delirium tippte er die Idee zu seinem Plan in sein Handy. Und nun nach einem Jahr der Vorbereitung, war es endlich soweit. Sascha hatte ein »Startup« gegründet, um alle anderen Startups in den Untergang zu führen. Bei einer scharfsinnigen Marktanalyse fiel ihm auf, dass die meisten Startups sich innerhalb eines Jahres direkt selbst in den Abgrund manövrierten und pleitegingen. Einfach weil diese Wichser es nicht draufhatten. Aber einige waren hartnäckig. Und die galt es nun zu eliminieren.
Sascha checkte noch einmal die Mails. Zwanzig neue. Darunter ein Startup, welches Parfüm herstellte, das angeblich nach alten Büchern roch. Ein anderes brachte dir auf Bestellung den Müll runter. Sascha sah von seinem Laptop auf und blickte das Foto an, welches auf seinem Schreibtisch stand. Es zeigte seinen Vater. Sein Vater, der ebenfalls Sascha Marksovski geheißen hatte, war vor einigen Jahren gestorben. Er war mal für den KGB tätig und in der DDR stationiert gewesen. Nach dem Zusammenfall der Sowjetunion blieb er in Deutschland. Sascha (der, der noch lebt) hatte nie den Grund dafür erfahren, aber Sascha (der, der inzwischen tot ist) konnte einfach nicht ohne Bratwürste leben. Der Geruch, das Geräusch, wenn man den Senf darauf verteilte, das Brötchen, das durch die heiße Wurst ein wenig weich wurde — der Himmel auf Erden. Hätte der junge Sascha dies gewusst, hätte er seinen Plan vielleicht noch einmal überdacht. Aber am Tag als sein Vater verstarb, versprach er ihm eins am Totenbett: Sascha Jr. würde den Kapitalismus zu Fall bringen. Er war einfach Kommunist durch und durch, und wenn schon der Kalte Krieg nicht gewonnen wurde, dann musste er es wenigsten schaffen, den lauwarmen Krieg gegen die Startups zu gewinnen. Er würde sie unterwandern und mit einem Fingerzucken zu Fall bringen, wie ein Kartenhaus.
Die Verträge hatte er alle schon vorbereitet und in Null Komma nichts gingen sie raus. Sascha wartete einige Tage, bis sie ihm zurückgesandt wurden und schon war er offiziell der »Head of Finance« von unzähligen Startups. Alle erwarteten von ihm, dass er ihrer Firma endlich zu unendlichem Wachs- und Reichtum verhelfen würde. Sascha hingegen hatte nur im Sinn, ihnen unendliches negatives Wachstum zu verschaffen. Er hatte nicht erwartet, dass sein Plan so reibungslos ablaufen würde. Nun musste er nur noch die Startups direkt an die Wand fahren, und schon war ein Schritt weiter am Ziel.
Der Morgen kam und Sascha war nun soweit die ganzen Businesspläne auszuarbeiten. »Ausarbeiten« bedeutete bei ihm, dass er sich Würfel nahm, die er extra für diesen Zweck gekauft hatte und die gesamten Pläne einfach zusammenwürfelte. Am Abend fiel er erschöpft ins Bett. Sein Würfelarm schmerzte, vielleicht würde er auch eine Sehnenscheidenentzündung bekommen, aber es hatte sich wenigstens gelohnt.
Inzwischen war ein Monat vergangen, seitdem die Website von Sascha aka Friedrich Engelbert von und zu Zwirbelhausen online gegangen war. Heute war der Tag, an dem die ganzen Startups ihren Stand mit ihm teilen würden. Sascha öffnete gerade sein Email-Postfach, als es an der Tür klopfte. »Das kann warten«, dachte er sich. Es klopfte noch einmal energischer. Sascha gab nach und stand auf, sah durch den Türspion, doch niemand war zu sehen. Er öffnete die Tür trotzdem, um in das Treppenhaus zu schauen.
Vor seiner Tür lag ein Umschlag. »Für Wachs-Up« stand darauf. Sascha ging wieder zurück in die Wohnung und öffnete den Brief. Darin enthalten war ein einzelnes Blatt Papier auf dem »Geben Sie auf, Zwirbelhausen!« stand. Er wollte den Umschlag gerade zur Seite legen, als eine Visitenkarte aus dem Umschlag fiel. »Terminatup« stand darauf in martialischer Schrift geschrieben. Auf der Rückseite fanden sich Kontaktdaten. Sascha setzte sich an seinen PC und steuerte die Website an, die auf der Visitenkarte angegeben war. Wie es aussah war, »Terminatup« ein Startup, welches die Dynamik eines Startups gegenüber der Konkurrenz verbessern sollte. Für nur 1536€ konnte man das Basispaket bei »Terminatup« kaufen, welches »eine handfeste Beratung der Konkurrenz« anbot. Das Komplettpaket für schmale 5385€ beinhaltete die »Auflösung des konkurrierenden Unternehmens, ohne Folgen für den Inanspruchnehmer der Dienstleistung«. »Wirklich interessant«, dachte Sascha. Anscheinend hatte ein Auftragskiller sein Geschäft erweitert und dazu ein Startup gegründet. Nur an ihren Werbemethoden müsste noch etwas gearbeitet werden. So ein Stück Papier machte keinen guten Eindruck. Er nahm den Brief und die Visitenkarte und warf sie in den Müll, da er kein Interesse daran hatte seine Dynamik gegenüber der Konkurrenz zu verbessern.
Am nächsten Tag klopfte es wieder an der Tür. Er sah aus dem Türspion, doch niemand war zu sehen. Er öffnete die Tür und steckte seinen Kopf hinaus. Plötzlich traf ihn etwas Hartes im Gesicht. Sascha taumelte zurück und fiel nach hinten. Ein Mann, breiter als der Türrahmen, stand vor ihm. Er war komplett in schwarz gekleidet, der Vokuhila hing ihm über die Schultern und durch die runde Sonnenbrille blickten böse Augen. Auf seinem T-Shirt war ein Schriftzug mit den Worten »Terminatup«, darunter stand in Comic Sans die URL zu einer Website. Dazu trug er noch eine schwarze Krawatte. »Ihr letztes Stündlein hat geschlagen, Zwiebelhausen!« rief er. »Zwirbelhausen!« rief Sascha ihm entgegen. Der Riese holte einen Zettel aus seiner Hosentasche. »Ach ja, Verzeihung!« sagte er, ging auf Sascha zu, packte ihn am Kragen und zog ihn durch die Wohnung. »Sie wissen vermutlich, warum ich hier bin. Ich habe Ihnen einen Brief geschrieben«, sagte er und Sascha nickte. »Jemand hat das Komplettpaket bei mir gekauft. Aber nun erstmal zu mir: Mein Name ist Rocky Steinhauer, ich bin Gründer des Startups »Terminatup«. Wir haben uns darauf spezialisiert die Konkurrenzfähigkeit anderer Startups zu verbessern. Leider muss ich Sie deshalb aus dem Weg räumen. Ihr Startup »Wachs-up« war einigen meiner Stammkunden ein Dorn im Auge. Wenn Sie einmal bitte hier noch unterschreiben würden, damit wir das schnell geregelt bekommen«, sagte Rocky und zog einen Vertrag aus der Tasche. Sascha überflog den Vertrag. »Wenn ich nicht unterschreibe, legen Sie mich trotzdem um, oder?«, fragte Sascha. Rocky nickte mit ernster Miene. Sascha ging alle Optionen in seinem Kopf durch, doch die Arme von Rocky waren allein so dick wie Saschas Brustumfang. »Naja, schade«, sagte Sascha und unterschrieb den Vertrag mit einem Schulterzucken. Das war der Tag an dem Sascha Marksovski und Friedrich-Engelbert von und zu Zwirbelhausen starben. Den Kapitalismus konnte Sascha nicht besiegen, aber alle von ihm betreuten Startups gingen pleite.

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Weisheit der Herzen

„Finloay!“ Der schneidende Küstenwind trug ihre Stimme an sein Ohr. Nur die alte Magd konnte so unverkennbar laut nach ihm rufen, dass selbst der dichte Waldwuchs davon durchdrungen wurde. Zwei Taufänger stieben aus ihrem Nest auf, um sich an einem friedlicheren Ort niederzulassen. Das allgegenwärtige dumpfe Klopfen und Hacken der Hämmer und Äxte gab ihnen nicht viele Rückzugsmöglichkeiten dafür.

„Danke sehr!“, rief Finloay den beiden Vögeln noch hinterher, bevor sie hinter den Baumkronen der alles überragenden Eichen in der anbrechenden Abenddämmerung verschwanden.

„Finloay!“ Er hob noch eine letzte lila schimmernde Feder auf und legte sie behutsam in seinen Sammelkorb, fast als sei sie ein verletzliches Lebewesen. Dies würde seine neue Schreibfeder werden. Er klemmte sich den Korb unter den Arm und machte sich auf den Nachhauseweg. Durch das dichte Unterholz bahnte er sich sicheren Schrittes seinen Weg, stets darauf bedacht, keine Pflanzen oder unscheinbaren Waldbodenbewohner zu zertreten. Durch die vielen Tage, die er in diesem Wald verbracht hatte, war ihm das schon zur Gewohnheit geworden. Die letzten Sonnenstrahlen schimmerten golden durch das Blätterdach und ließen die Käfer und Mücken im Licht tanzen. Sein bisher froher Gemütszustand wandelte sich mit jedem Schritt zurück zum Dorf mehr in Unmut.

Die ersten Arbeiter tauchten zwischen den Bäumen auf. Einer von ihnen fing direkt vor ihm an, mit seiner übergroßen Axt eine knarzige, dickstämmige Esche niederzuhacken.

„Schöner Abend zum Hacken, nech?“, warf ihm ein anderer Arbeiter grinsend entgegen, der mit seinem metallenen Hammer gerade einen Keil in einen alten Kirschbaum getrieben hatte. Der Baum stöhnte und ächzte. Wortlos und mit versteinerter Miene lief Finloay weiter. Er trat aus dem Schutz des Waldes heraus, über die toten Überreste des einst bis zum Tal reichenden Forstes. Wo sich früher ein herrlich grüner Teppich über dem Land ausbreitete, dominierte nun ein tristes Braun. Am Hang des gegenüberliegenden Hügels sah Finloay schon die ersten Gebäude seines Heimatdorfes, darunter auch die langgestreckte Festhalle auf dem Hügelkamm, aus der flackerndes Licht nach außen drang.

Den Rest des Weges legte Finloay in leichtem Trab zurück, vorsichtig den Korb mit den Federn unter dem Arm balancierend. Als er die üppig geschmückte Halle betrat, sprach sein Vater gerade zu den Dorfbewohnern. Finloay schlich sich möglichst unauffällig an den vollbeladenen Tischen vorbei ans Kopfende der Halle.

„Ich, Orubor, euer Stammesfürst, kann euch nun mitteilen, dass wir auch in den kommenden Jahren diese Länder unser Eigen nennen dürfen. Mehr noch, wir haben nicht nur die königliche Erlaubnis, sondern die Anordnung erhalten, unser bescheidenes Dorf auszubauen und somit ein Bollwerk im Westen unserer schönen Insel zu schaffen.“ Jubel schallte durch den Raum. „Die Rohstoffe dafür liegen direkt vor unseren Toren. Schon immer haben wir mit dem Wald in Einklang gelebt, nun wird er bei unserem großen Unternehmen weiter seinen Dienst erfüllen. Im Namen von Königregent Laďthe.“ Orubor hob seinen Becher, sein Volk tat es ihm gleich. „Lasst uns nun trinken und feiern!“ Das Fest begann.

„Und nun zu dir, Finloay“, wandte sich Orubor unter dem feierlichen Getöse an den Jungen, der mittlerweile neben seinem Vater Platz genommen hatte. „Ab dem heutigen Tage ist es dir verboten, in den Wald zu gehen. Mit den vielen Arbeitern ist es zu gefährlich dort für dich.“

Die Welt wurde still um Finloay. Die Becher und Teller klapperten lautlos, sein Vater sprach ohne Stimme. Ohne weiter abzuwarten, stürmte Finloay aus der Halle, taub für die Proteste seines Vaters. Finloay rannte so schnell er konnte nach Hause, wo er in Eile seine liebsten Habseligkeiten zusammensuchte: seine Schreibfedern und Papierrollen und die kleine Schnitzerei eines roten Ochsen, das letzte Geschenk, das er von seiner Mutter bekommen hatte. Er verstaute alles vorsichtig in seinem Korb, verließ das Haus und rannte vorbei an der Torwache, die ihn verständnislos anschaute, ihn aber widerstandslos passieren ließ. Er steuerte geradewegs auf den Hang zu, hinter dem der Wald, sein Wald, in den purpurroten Strahlen der Sonne lag. Der alte knorrige Kirschbaum, der vorhin noch unter den Schlägen des Arbeiters gestöhnt und geächzt hatte, lag nun stumm auf der Erde.

Erst als Finloay die ersten Ausläufer des Waldes passierte und in das Zwielicht der Bäume trat, konnte er wieder etwas klarer denken. Sein Vater würde natürlich wissen, dass er in den Wald geflohen war, deshalb begab sich Finloay tiefer und tiefer in das Dickicht. In der Dunkelheit fiel es ihm schwer, sich den Weg durch das Unterholz zu bahnen. Ohne Ziel lief er vorwärts, immer in die Richtung, die ihn seinem Gefühl nach weiter von seinem Heimatdorf wegführte. Die erdrückende Schwärze umgab ihn immer enger, umschloss ihn immer fester. Da machte er genau vor sich zwischen den Bäumen ein grünliches Schimmern aus. Ein schwaches Flackern, wie von grünflammenden Kerzen. Dies war sein einziger Anhaltspunkt in der Finsternis, also schlich er leise darauf zu. Finloay nutzte den Schutz der Bäume vor sich, um umgesehen näher an das Licht heranzukommen. Eng an einen dicken Baumstamm gepresst, lugte er auf die winzige Lichtung, von der das Licht zu kommen schien. Inmitten der von Bäumen gesäumten Lichtung stand ein kleiner Steinaltar. Die grob aufeinander gestapelten Gesteinsbrocken leuchteten aus ihrem tiefsten Innern, pulsierend wie grünleuchtende Herzen. Jetzt erst bemerkte Finloay das hinter den Steinen knieende Wesen. Es hatte weißliche, fast schon tödlich blasse Haut, was durch den spärlichen Schimmer der Steine noch verstärkt wurde. Finloay konnte nicht genau ausmachen, ob die Kreatur Kleidung trug. Haare jedenfalls waren keine zu sehen, der Kopf schien eher von einer Art Pflanzenbewuchs bedeckt zu sein. Die Kreatur schaute neugierig in seine Richtung.

„Willkommen, Finloay. Du hast uns gefunden.“ Die Stimme des Wesens war sanft.

„Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wo ich bin oder wer du bist. Aber woher kennst du meinen Namen?“, fragte Finloay verwundert.

„Wir haben dich hier schon oft gesehen, wie du durch den Wald streifst und zu den Tieren und Pflanzen sprichst. Und wir erfahren auch Dinge, die wir nicht mit eigenen Augen sehen.“ Finloay spürte, wie ihn etwas am Finger berührte. Ein dicker Nashornkäfer war im Begriff, vom Tragegriff des Korbes auf seine Hand zu krabbeln. Bevor Finloay ihn sich genauer anschauen konnte, erhob sich der Käfer in die Luft. Doch anstatt wegzufliegen, landete er auf der Wange der Kreatur. In Finloay regte sich ein leiser Verdacht.

„Bist du … ein Síd?“, fragte er zögerlich, nicht wissend, wie die Kreatur auf seine Frage reagieren würde. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite. Der Anflug eines Lächelns zeigte sich in ihrem Gesicht.

„So bezeichnen wir uns, ja. Wenn du mich so nennen willst, sei es dir erlaubt. Die meisten Menschen hätten mich wohl Fee genannt.“

„Meine Mutter hat mir oft Geschichten über die Síd erzählt. Und dass ihr euch den Menschen nicht mehr zeigt und euch gänzlich in die Anderswelt zurückgezogen habt. Wieso kann ich dich hier sehen?“ Die beiden standen jetzt nah beieinander.

„Weil es kein Zufall ist, dass wir uns hier begegnen, Finloay. Es stimmt, dass wir uns von dieser Welt abgewandt haben, um unter uns zu sein. Aber unser bisher sicherer Zufluchtsort ist in Gefahr. Deshalb habe ich mich dir hier offenbart. Wir brauchen Hilfe.“ Tiefe Sorgenfalten zogen sich über das Gesicht des Síd. „Je mehr ihr Menschen von diesem Wald tötet, desto schwächer wird die Welt der Síd. Wenn der Wald stirbt, sterben die Síd mit ihm.“ Dass sein Vater den Wald abholzen lassen will, war so schon niederschmetternd genug für Finloay, aber dass dadurch auch der Lebensraum dieses Volkes auf dem Spiel stand, brach ihm das Herz.

„Wenn ich könnte, würde ich euch zur Seite stehen. Es glaubt keiner mehr, dass es die Síd wirklich gibt. Mein Vater will uns einfach nur zu einem besseren Leben verhelfen. Wenn er wüsste, was er damit anrichtet, würde er mit Sicherheit eine andere Lösung finden, um dem König seinen Wunsch zu erfüllen.“

„Wir kennen deinen Vater, Finloay. Wir wissen gut Bescheid über die Vorgänge in eurem Reich, was uns leider nicht dabei hilft, unser Schicksal nun selbst zu bestimmen.“ Der Síd hielt kurz inne, um etwas aus seinem kleinen umgehängten Täschchen zu nehmen. „Nimm dies.“ In der Hand lag ein aus Stein geschnitzter Anhänger. Finloay meinte, zwei Augen erkennen zu können, doch wusste er nicht genau, was er da vor sich hatte.

„Dies erhält jeder Síd, wenn er sich als Seher besonders würdig erweist. Dir wird es damit möglich sein, in die Herzen der Menschen zu sehen. Nutze diese Macht, um Wahrheit und Weisheit zurück in eure Welt zu bringen und die Síd damit zu retten. Doch nutze es mit Bedacht. Das Innere der Menschen sehen zu können, ist eine große Last.“

Der steinerne Anhänger lag plötzlich schwerer in Finloays Hand. „Aber wie soll ich euch damit helfen können?“

„Berufe dich auf deine Stärken, Finloay.“ Der Blick des Síd wanderte in Richtung Korb. Finloay schaute nachdenklich auf die Federn und Papierrollen, die er noch schnell eingepackt hatte.

„Das Schreiben? Mit Schreiben kann ich euch retten? Ich verstehe nicht …“

„Mit Feder und Papier wirst du viel bewirken. Der Anhänger wird dir dazu dienen, die richtigen Worte für die richtigen Menschen zu wählen. Du wirst einen Weg finden.“ Damit drehte sich der Síd auf der Stelle um, griff wieder in seinen Beutel, und als er die Hand herauszog, löste er sich in Luft auf. Die Steine glühten nicht mehr grün. Es waren jetzt normale, graue Steine. Der Nashornkäfer saß noch auf dem obersten Stein, beschienen vom inzwischen aufgegangenen Mond. Finloay fühlte sich machtlos und allein, doch gleichzeitig zeigte ihm der Gedanke an die Síd und die ihm erteilte Aufgabe einen Weg auf, den er nun zu beschreiten hatte.

Er legte den Anhänger zu den Federn und Papierrollen und der roten Schnitzerei des Ochsen. Dann verließ er den Wald wieder auf dem Weg, den er gekommen war. Wieder trat er aus dem Wald heraus in die abgeholzte, braune Fläche. Finloay blickte noch ein letztes Mal auf sein Heimatdorf, in dem noch immer das Fest in vollem Gange zu sein schien. Dann machte er sich auf in Richtung Landesinneres, um mit seinem mächtigen Geschenk und seinen Worten Wissen und Weisheit in den Herzen der Menschen erblühen zu lassen und damit die Existenz seiner und aller anderen Welten zu bewahren.

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Die Pommes Oma

Lukas hatte gute Laune. Er saß im Vorbüro seines Chefs und wartete geduldig darauf, dass sein Termin anfing. Es hatte ihn nicht sonderlich überrascht, dass man ihn zu einem Gespräch gebeten hatte. Sein Arbeitsvertrag lief am Monatsende aus und Lukas ahnte, dass er endlich seine Festanstellung bekommen würde. Es konnte gar nicht anders sein. Er schmiss praktisch den gesamten Laden allein, ohne ihn passierte nichts. Wenn er einmal Urlaub nehmen musste, fuhr er so gut wie nie weg. Er wusste genau, dass es nicht lange dauern würde, bis man ihn zurückholte. Es gab immer viel zu viel Arbeit. Was eigentlich kein Wunder war. Der Wettbewerb wurde immer härter, kaum ein Quartal verging, in dem ein Konkurrent nicht versuchte Kunden abzuwerben und die Kunden die belieben, verlangten immer Mehr. Die Unternehmensführung reagierte immer gleich - sparen und mehr Arbeit für die Belegschaft. Doch dem ständig steigenden Druck hielten nicht alle stand. Vor allem die alten, erfahrenden Mitarbeiter verließen das Unternehmen nach und nach, was dem Management nur Recht war. Für jeden teuren langjährigen Angestellten konnten sie nun zwei Lohnnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen einstellen, die nur zu gern bereit waren unbezahlte Überstunden abzuleisten und selbst Urlaubstag verfallen ließen. Alles zum Wohl der Firma.

Lukas hatte lange zu der Heerschar der Gesichtslosen gehört. Aber das war vorbei. Mit viel Fleiß und Ehrgeiz hatte er sich nach oben gearbeitet und war nun unverzichtbar für das Unternehmen. Das hatte ihm sein Chef immer wieder gesagt. Heute würde er endlich ins Management aufrücken und die Anerkennung erhalten, die er verdiente.

Im Gedanken ging Lukas seine Forderungen durch, die er bei Vertragsverhandlungen stellen würde. Nicht Zuviel, er wollte nicht übertreiben. Anderseits, wenn er es Nichts verlangte, bekam auch Nichts. Mehr Gehalt - natürlich. Weniger Überstunden und mehr Urlaub – mussten nicht unbedingt sein, Lukas hatte ohnehin kein Privatleben. Aber als Druckmittel bei den Verhandlungen, konnte er es zum Schein verlangen. Ein Dienstwagen – warum eigentlich nicht? Und natürlich ein eigenes Büro! Kein überfülltes Großraumbüro mehr. Kein miefiger Abstellraum, eingezwängt zwischen Kaffeemaschine und Kopierer. Die eigenen vier Wände in denen man arbeiten – leben – in denen man endlich frei atmen konnte.

Verstohlen sah Lukas sich in dem Vorraum zum Büro seines Chefs um. Erst jetzt bemerkte er, wie geschmacklos, ja fast schon sterile, der Raum eingerichtet worden war. An einer Grau gestrichene Wände hing ein geschmackloses Bild in einem billigen Rahmen. Blass grünes Linoleum war auf dem kalten Betonboden verlegt und in der Ecke stand ein etwa ein Meter großer Gummibaum. Unwillkürlich musste Lukas an seine Großmutter denken.

Da Lukas Eltern eigentlich nie Zeit für ihn gehabt hatten, kümmerte sich vor allem seine Großmutter um ihn. Zwar musste auch Sie arbeiten, aber das war irgendwie keine richtige Arbeit – jedenfalls keine so wichtige Arbeit, wie die von Lukas heute oder seinen Eltern damals. Lukas Großmutter hatte einen Imbisswagen und verkaufte selbstgemachte Pommes Frites.

Ursprünglich hatten Lukas Großeltern das Geschäft gemeinsam geführt, doch eines Tages hatte Lukas Opa seine Familie verlassen. Warum hatte Lukas nie erfahren. Seine Oma hatte niemals darüber ein Wort verloren und er hatte nicht danach gefragt. Von da an, hatte seine Großmutter den Imbiss allein betrieben und ganz neben bei, erst ihren Sohn und dann Lukas großgezogen.
Als Lukas noch klein gewesen war, gab es keinen anderen Menschen, den er so sehr bewunderte wie seine Großmutter. Sie schien einfach alles zu können. Abends schälte sie allein eine riesige Tonne Kartoffeln, schnitt sie in Stiftform und blanchieren sie. Fuhr in aller Früh zu ihrem Stammplatz und mittags hatte sie schon über hundert Portionen Pommes verkauft. Niemand konnte ihr etwas vormachen und egal was auch passierte, Lukas Oma brachte die Dinge schon wieder in Ordnung. Für Lukas Freunde war er der große Held gewesen. Es gelang ihm immer, ein paar frischer Pommes rotweiß zu organisieren und es waren wirklich die besten Pommes der Welt. Niemand konnte sie so gut machen wie seine Oma.

Doch mit der Zeit verändertet sich Lukas Verhältnis zu seiner Großmutter. Es begann damit, dass er eines Tages neben den Kartoffelkeller die alte Schalmaschine fand, mit deren Hilfe seine Oma die riesige Menge Kartoffeln für die Pommes vorbereitete. In der Küche entdeckte er schließlich noch die elektrische Schneidemaschine und den vollautomatischen Heißdämpfer zum blanchieren der Kartoffelstifte. Es war immer noch viel Arbeit, aber Lukas kam sich trotzdem etwas dumm vor. Er hatte doch tatsächlich gedacht, seine Großmutter würde alles ohne Hilfe schaffen. Aber natürlich war auch sie nur ein Mensch.

Eines Tages erklärte die Lehrerin in der Schule, warum Fast Food und ganz besonders Pommes Frites so schlecht für die Ernährung waren. Zu viel Fett, zu viel Kohlehydrate und jedes einzelne Vitamin war grausam zu Tode frittiert worden. Tatsächlich schmeckten das widerlich Zeug überhaupt nicht, durch die vielen chemischen Geschmacksverstärker glaubte man es nur. Außerdem verursachte frittierte Speisen furchtbare Krankheiten wie Diabetes und Krebs. Seit diesem Tag wollte keiner von Lukas Freunden noch Pommes rotweiß von ihm haben und heimlich nannten sie seine Großmutter „Pommes Oma“.
Lukas schämte sich. Er schämte sich vor seinen Freunden, vor seiner Klassenlehrerin und vor der ganzen Welt. Er schämte sich für seine Großmutter und Lukas beschloss damals mehr aus seinem Leben zu machen.

Irgendwann im Studium besuchte er seine Großmutter, mehr aus schlechtem Gewissen als aus tatsächlichem Interesse. Er hatte sie schon lange nicht mehr gesehen und seine Eltern wohnten seit einer ganzen Weile in einer anderen Stadt. Lukas hatte ihr auch ein Geschenk mitgebracht. Einen künstlichen Gummibaum.
Damit sie nicht so allein ist, meinte er. Außerdem waren diese Plastikpflanzen superpraktisch. Man musste sich überhaupt nicht um sie kümmern. Nicht gießen, kein umtopfen, noch nicht einmal Licht brauchte so eine Pflanzenattrappe.

Natürlich nicht, schließlich wachs Plastik nicht, sagte seine Oma damals mit einem Stirnrunzeln. Nur Dinge, die leben wachsen. Brauchen Pflege, Zuneigung und Liebe. Was nicht wachs ist tot. Trotzdem bedankte sich seine Großmutter für das Geschenk und stellte den künstlichen Gummibaum ins Küchenfenster.

Gestern hatte Lukas seine Großmutter wieder besucht. Sein Chef hatte ihn zu dem wichtigsten Gespräch seiner Kariere eingeladen und bis auf seine Oma, hatte Lukas niemanden dem er die guten Nachrichten erzählen konnte. Sie freute sich für Lukas und hörte ihm geduldig zu, als er von seiner Arbeit und seiner Zukunft redete. Nach einer Weile fragte Lukas nach ihrem Befinden, doch die rüstige Frau winkte nur vage ab. Alles war mehr oder weniger immer das Gleiche. Immer noch statt sie im Imbiss und immer noch verkaufte sie jeden Tag ihre selbstgemachten Pommes. Lukas wunderte sich. Er wusste, dass seine Großmutter mittlerweile längs in Rente hätte gehen konnte und eigentlich nicht mehr arbeiten musste. Als er sie danach fragte, meinte sie nur, dass sie leider bisher niemanden gefunden hatte, der ihren Imbiss übernehmen wollte. Noch nicht einmal geschenkt. Und den alten Imbisswagen einfach zu verschrotten, brachte sie nicht übers Herz. Dafür hatte sie zu viel Arbeit und Herzblut ins Geschäft gesteckt.

Lukas konnte es nicht fassen, dass niemand diese Gelegenheit ergreifen wollte. Natürlich musste viel Arbeit in den alten Imbiss-Wagen gesteckt werden, doch es konnte sich durchaus lohnen. Food-Trucks waren gerade schwere in Mode und selbstgemachte Essen aus Ökologischem Anbau kam besonders gut an. Dafür musste man noch nicht einmal irgendwas umstellen. Lukas Großmutter hatte schon immer ihre Kartoffel von den etwas seltsamen Hippie-Bauern aus dem Nachbardorf bezogen, nur war ihr das immer etwas peinlich gewesen. Niemals hätte sie damit für die Qualität ihrer Pommes geworben. Doch die Zeiten hatten sich geändert und die Hippie-Bauern waren heute Vorzeigeunternehmer der Öko-Landwirtschaft. Lukas hatte viele Ideen wie man das Geschäft noch verbessern konnte und erzählte seiner Großmutter davon.

Sie hörte geduldig zu und meinte schließlich lächelt, dass er jederzeit bei ihr anfangen könnte. Lukas schüttelte traurig den Kopf. Er hatte bereits eine Arbeit. Eine richtige Arbeit. Und seine Kariere stand kurz vor dem Durchbruch. Er konnte jetzt nicht einfach alles hinschmeißen.

Langsam trat er ans Küchenfenster und betrachtet den Gummibaum, den er seine Großmutter einst geschenkt hatte. Die Plastikpflanze sah immer noch so aus wie am ersten Tag. Die Blätter hatten sich nicht verändert, sie waren kein Zentimeter gewachsen. Nur etwas Farbe hatten sie verloren. Sie waren blasser als früher.
Vorsichtig berührte Lukas die Blatter und schloss seine Hand um sie. Als er sie wieder öffnete, waren die Blätter des Gummibaums zu kleinen Plastikflocken zerfallen. Lukas war erstaunt. Irgendwie hatte er gedacht diese künstlichen Pflanzen würden ewig halten, doch nach nur wenigen Jahren in der Sonne, begann der Gummibaum zu verrotten.

Dinge die nicht wachsen zerfallen irgendwann, sagte seine Großmutter leise. So ist das nun mal, Lukas.

„Lukas!“

„LUKAS!“ brüllte eine herrische Stimme laut und riss Lukas aus seinen Gedanken.

„Ja!“ antwortete Lukas schnell.

„Sie können reinkommen!“ erwiderte die Stimme.

Lukas betrat das Büro seines Chefs und setzte sich auf den angebotenen Stuhl.

„Nun am Monatsende verlassen sie uns.“, begann Lukas Chef und blickte dabei in seine Unterlagen. „Ich möchte mich im Namen der Unternehmensleitung bei ihnen bedanken und ihnen viel Erfolg auf ihrem weiteren Weg wünschen.“

Emotionslos reichte er Lukas seine Hand. Lukas ergriff sie nicht.

„Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass sie mir einen neuen Vertrag anbieten werden,“ meinte Lukas verwundert. „Wir haben so viel Arbeit … Sie können doch gar nicht auf mich verzichten.“

Lukas Chef lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück und deutete dabei mit dem Kopf auf einen riesigen Stapel mit Mappen. Lukas konnte nur die Überschrift der obersten Mappe lesen. Bewerbung, stand dort.

„Doch eigentlich schon,“ murmelte Lukas Chef etwas süffisant. „Für jede freie Stelle haben wir über hundert Bewerbungen.“

„Sie ersetzen mich?“ fragte Lukas einer Panik nahe.

„Oh nein,“ antwortete Lukas Chef mit einem schiefen Grinsen. „Wir werden niemanden mehr einstellen.“

Lukas sah ihn verständnislos an.

„Die Anforderung eines Globalen Wettbewerbs macht neue Unternehmensstrategien notwendig,“ erklärte er gedehnt. „Wenn dieses Unternehmen wachsen will, müssen wir unser Kosten signifikant senken und das größte Einsparungspotenzial befindet sich nun mal in den Personalkosten. Die Unternehmensführung hat daher beschlossen, den Großteil unserer Mitarbeiter durch externe Partner zu ersetzen.“

Er reichte Lukas eine Hochglanzbroschüre.

„…und ich denke, das ist genau das richtige für sie.“

Lukas durchflog die Seiten der Broschüre und erfasste sofort die Zusammenhänge. Scheinbar hatte die Firmenleitung eine neue Methode entwickelt wie sie ihren Mitarbeitern noch mehr Arbeit aufbrummte und dabei ihnen weniger zahlen musste als bisher. Statt teuer Angestellte zu beschäftigen wurde die ganze Arbeit an selbstständige Mitarbeiter weitergeleitet, die um jeden Auftrag betteln mussten und ganz nebenbei konnte sich das Unternehmen die kompletten Kosten für die soziale Absicherung sparen. Lukas war entsetzt.

„Das kann doch nicht ihr ernst sein,“ stotterte er. „Selbst, wenn sie jemanden finden, der sich auf so etwas einlasst, werden sie damit jede Motivation, jede Kreative der Mitarbeiter für immer zerstören. Kein Sklave wird sich für seinen Unterdrücker aufopfern. Jeder der wirklich gut ist in seinem Job, wird sich schleunigst etwas Besseres suchen. Die Einzigen, die ihnen dann noch bleiben sind Unfähige, die niemand sonst will. Was glauben sie werden unsere Kunden dazu sagen?“

„Unsere Kunden wollen geringe Kosten,“ erwiderte Lukas Chef gelangweilt. „Und solang wir die bieten, wird dieses Unternehmen auch immer weiterwachsen.“

„Wachsen?“ lachte Lukas laut auf. „Diese Firma ist tot! Hier wachst gar nichts mehr! Sie verrotten! Sehen sie da denn nicht?“

Lukas Chef zuckte nur mit den Achseln.

„Mag schon sein,“ sagte er. „Aber bis hier alles zusammenfällt, bin ich längst weg und bis dahin gibt es jedes Jahr einen netten Bonus.“

Kopfschüttelnd stand Lukas auf und zerknüllte die Broschüre.

„Das würde ich mir gut überlegen,“ meinte sein Chef.

Doch Lukas warf ihm nur kommentarlos die Papierkugel an den Kopf und ging Richtung Tür.

„Was wollen sie denn machen?“ rief Lukas Chef ihm hinterher. „Vielleicht Pommes verkaufen?“

Lukas blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich langsam um.

„Ganz genau, Arschloch! Ich werde Pommes verkaufen,“ meinte er grinsend. „Und weißt du was ich machen werde, wenn ich deine Scheißfresse an meinem Stand sehe?“

Lukas Ex-Chef starte ihn verblüfft an.

„Ich werde dir die verdammt besten Pommes der Welt verkaufen!“

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