Es gibt zwei Gedichte, die ich als meine Lieblingsgedichte bezeichnen könnte, denke ich:
Ein Blutfaden
Als du aufschlugst und verstandest,
dass ein Loch in Gott und Ton
nicht den Schmerz, den du empfandest,
noch den dir erbrachten Hohn
Aus den Knochen dir entbranntest
und die Stille dir nicht gleicht
auch wenn du nichts mehr entsandtest
und doch nicht zur Stille reichst
Auch wenn du das Licht benanntest
und dort deine Schatten trägst,
ist es nichts, was dir verwandt ist
und kein Schein, den du erwägst
Wie einer in jemandem verstummt
Eines Tages fehlt ein Tag
und du wirst mich verlassen
Und all die Schwüre, die du schworst
verwelken und verblassen
Der volle Mond ertränkte einst
dein Auge im Entzücken
Doch bald beim Gehn bescheint er dir
als Sichel nur den Rücken
Und ich werd dann als schräger Ton
in deines Lebens Schwingen
wie jener launenhafte Mond
versinken und verklungen
Die beiden Gedichte waren von Freysinn. Dieses Gedicht hier von Paul Celan mag ich aber auch sehr gerne:
Chanson einer Dame im Schatten
Wenn die Schweigsame kommt und die Tulpen köpft:
Wer gewinnt?
Wer verliert?
Wer tritt an das Fenster?
Wer nennt ihren Namen zuerst?
Es ist einer, der trägt mein Haar.
Er trägts wie man Tote trägt auf den Händen.
Er trägts wie der Himmel mein Haar trug im Jahr, da ich liebte.
Er trägt es aus Eitelkeit so.
Der gewinnt.
Der verliert nicht.
Der tritt nicht ans Fenster.
Der nennt ihren Namen nicht.
Es ist einer, der hat meine Augen.
Er hat sie, seit Tore sich schliessen.
Er trägt sie am Finger wie Ringe.
Er trägt sie wie Scherben von Lust und Saphir:
er war schon mein Bruder im Herbst;
er zählt schon die Tage und Nächte.
Der gewinnt.
Der verliert nicht.
Der tritt nicht ans Fenster.
Der nennt ihren Namen zuletzt.
Es ist einer, der hat, was ich sagte.
Er trägts unterm Arm wie ein Bündel.
Er trägts wie die Uhr ihre schlechteste Stunde.
Er trägt es von Schwelle zu Schwelle, er wirft es nicht fort.
Der gewinnt nicht.
Der verliert.
Der tritt an das Fenster.
Der nennt ihren Namen zuerst.
Der wird mit den Tulpen geköpft.