Ja, tust du, ich bleibe dennoch dabei dabei, dass Depressionen kein Identitätstag sein sollten. Gerade bei Depressionen sehe ich dort die Gefahr, dass Betroffene sich mit der Situation versuchen zu arrangieren und sich keine professionelle Hilfe suchen. Natürlich kann der/die Streamer/in da gut zureden und von seinen/ihre Erfahrungen mit der Störung und Therapie erzählen, um Leute dazu zu motivieren sich selbst Hilfe zu suchen, aber die Therapie funktioniert auch nur so gut, wie sehr der/die Betroffene auch dahinter steht. Das ist mit Depressionen mega schwierig, aber ich finde diese parasozialen Beziehungen über Streams verzerren die eigene Wahrnehmung nur noch mehr. Wenn die Leute Rückschläge erleiden sollten meiner Meinung nach nicht ausgerechnet Depressive dann für ihre depressive Community da sein um sie aufzubauen. Wie gesagt, die triggern sich am Ende wieder nur gegenseitig. Das Mindset und die Sprache sind da nicht ungefährlich. Und da können wir auch zu dem hier springen:
Ja, Gruppentherapie ist super, aber sie wird, wie du selbst anmerkst, eben moderiert. Nicht nur um darauf zu achten, dass die Leute sich nicht gegenseitig zu arg triggern, sondern um die Selbstreflexion zu fördern und zu beobachten wie die Patienten sich verhalten, wenn es kein Einzelgespräch nur mit dem Therapeuten gibt. Jetzt kann es aber trotzdem mal vorkommen, dass es eine Person gibt die in der Gruppe so derbe über die Stränge schlägt, dass der/die Therapeut/in jemanden rausschicken muss und das verlangt Feingefühl. Du kannst online solche Leute einfach bannen, aber gerade in der Klinik sind das Leute die trotzdem Hilfe eigentlich brauchen. Da stößt du denen im Netz ja nur noch mehr vor den Kopf, weil man selbst nicht deren Therapeut sein kann.
UND
Ja natürlich, aber das wird ja trotzdem überwacht und später in Einzel- oder Gruppentherapie reflektiert. Die Leute therapieren sich ja nicht selbst in der Klinik, da sind Therapeuten, die ihre Arbeit machen. Wie oben geschrieben funktioniert die Therapie nur so gut wie sie vom Patienten auch angenommen wird, aber nochmal: Patienten können nicht Patienten therapieren. Kurz über lang ziehen die sich nur gegenseitig runter. Nicht nur deswegen ist die Zeit in der Klinik ja begrenzt und nicht länger als nötig und genauso sollte man nicht mehrfach die Woche ambulant zum Therapeuten gehen, weil das der Therapie nicht förderlich ist.
Die Dauer der Therapie variiert natürlich stark von Patient zu Patient, aber ich kann mir vorstellen, dass man, wenn man sieht, dass auch andere unter Depressionen leiden, eher in das Mindset gelangt: „schon scheiße, aber zumindest bin ich nicht alleine damit“ und seine inneren Ängste und Leiden damit zu beruhigen versucht. Ist das gesund? Nein. Ist das depressiv? Ja.
Das Problem was viele mit Depressionen haben ist ja, dass die Leute das Mindset nicht nachvollziehen können. Wenn ich mir nun aber andere Leute mit dem Mindset suche, holen die sich nicht aus dem Mindset raus, sondern verstärken das meiner Ansicht nach nur.
Ich will euch nicht zu nahe treten, aber ihr beide tut in den darauffolgenden Antworten exakt das. Und auch diese selbstironische Herangehensweise als coping kenne ich nur zu gut, aber coping ist keine Dauerlösung.
Ich hoffe der Text wird nicht aus dem Zusammenhang gerissen, aber ich würde eventuell einen Vergleich zu trockenen Alkoholikern ziehen. Die können sich natürlich gegenseitig von ihren Erfahrungen berichten, aber wenn dann da ein Alkoholiker dazu kommt und anderen wider besseren Wissens etwas einschenkt wird da erst mal jeder auf die Probe gestellt. „Klar, müssen ja nicht trinken“, aber sich dann online potentiell immer wieder neuen Alkoholikern zu stellen ist einfach nicht die Aufgabe von Trockenen in so einem unmoderierten online Raum. Die Leute sprechen immer von safe spaces, aber so hart es klingt muss man Depressive auch einfach vor Depressiven schützen, wenn die sich gegenseitig unwissentlich mit ihrer Rhetorik immer wieder mal einen einschenken.