Ich nehme an, du hast den Judtih Butler Link mal angeklickt oder? Schließlich ist die Konstruktion von Geschlecht eine wesentliche Basis für Sprechakte und die Anwendung neutraler Begriffe.
Gehen wir mal einen Schritt weiter:
(De)Konstruktivismus und genealogische Methode
Das Stichwort der Konstruktion von Geschlecht, das ‚doing gender‘, ist zum Leitmotiv der jün- geren Frauen- und (insbesondere) Geschlechterforschung geworden. Butler verortet sich selbst, wenn auch nicht allzu systematisch, im Kontext feministischer konstruktivistischer Ansätze (Butler 1995: 10, 131ff.). Jenseits von Butler – und zeitlich wesentlich früher – meint Konstruk- tivismus im Kontext der Geschlechterforschung zunächst eine Perspektive, die davon ausgeht, dass das Geschlecht keine natürliche oder ontologische Tatsache darstellt, sondern als Produkt (sozialer) Praxen begriffen werden muss. Dabei wird gerade auch biologisches Wissen – in je sehr unterschiedlicher Weise – hinterfragt und als epochenspezifischer Diskurs (feministische Wissenschaftsgeschichte und -kritik) bzw. spezifisches lebensweltliches Wissen (Ethnometho- dologie, symbolischer Interaktionismus) relativiert. Allerdings sind die konstruktivistischen Per- spektiven innerhalb der Geschlechterforschung sehr verschieden. Die „Spielarten des Konstruk- tivismus“ (Knorr-Cetina 1989) reichen von naturwissenschaftlich orientierten Ansätzen im Kontext des ‚radikalen Konstruktivismus‘ bis hin zu phänomenologisch geprägten mikrosozio- logischen Studien zur Leiblichkeit des Geschlechts (vgl. Lindemann 1993). Insofern ist es nicht unproblematisch, sich wie Butler im Kontext des (feministischen) Konstruktivismus zu verorten, ohne dabei zu klären, was genau darunter verstanden wird. Mit dem Begriff der Dekonstruktion verhält es sich ähnlich: In der Frauen- und Geschlechterforschung hat sich eine sprachliche Gleichsetzung von Konstruktion und Dekonstruktion eingeschlichen, die ungenau ist. Dekonstruktion bezeichnet (vgl. Wartenpfuhl 2000) Argumentationen im Anschluss an Derrida, die sich vor allem in der Sprach- und Literaturwissenschaft gegen hermeneutische Verfahren ab- grenzen und nach textimmanenten Differenzen und deren produktiver Kraft für die Schaffung von Sinn suchen. Der Sinn eines Textes ergibt sich demnach auch daraus, dass das, was nicht gesagt bzw. geschrieben wird, konstitutiv für den explizit formulierten Sinn ist.
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Grenzen, Kritik und produktive Fortführungen
Butler stellt zentrale Fragen der feministischen Theorie neu; sie hinterfragt im „radikalen Gestus dekonstruktiver Kritik“ (Becker-Schmidt/Knapp 2000: 81) zentrale Kategorien feministischen Denkens und Tuns. Dies stimmt unbehaglich und hat ebenso Kritik wie Begeisterung ausgelöst. Ihr Entwurf eines „postsouveränen Subjekts“ (Butler 2003) hat ihr im feministischen Kontext den Vorwurf eingehandelt, Handlungsfähigkeit und eine darin begründete Chance feministi- schen Widerstands gegen hegemoniale Verhältnisse ad absurdum zu führen. Wie kann sich feministische Kritik gegen bestehende Sexismen und Herrschaftsverhältnisse richten, wenn jede Frau anerkennen muss, mit diesen Verhältnissen nicht nur heillos verstrickt zu sein, sondern die- sen die eigene Existenz als intelligibles Subjekt zu verdanken? Obwohl Butler diesen Punkt plausibel parieren kann, bleibt es einer andauernden Diskussion überlassen, an genau welchen ‚Schnittpunkten des Diskurses‘ (feministische) Kritik an Diskursregimes formulierbar wird und wie die Individuen, die dies leisten (können oder sollen), beschaffen sein müssen. Diese Frage berührt nicht nur die Analyse der Konstitution von Subjekten, sondern – und vielleicht noch mehr – die nach gesellschaftlichen Strukturverhältnissen. Denn Diskurse sind auch immer ge- bunden an ihre Seinsbedingungen, sie wirken in konkreten Räumen, zu konkreten Zeiten. But- lers Analysen vollziehen sich aber im „geschichts- und empiriefreien Raum“ (Becker-Schmidt/ Knapp 2000: 84, auch Villa 2003: 135f.).
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Insbesondere die Frage, wie die Zweigeschlechtlichkeit als Geschlechterdifferenz einerseits und ihre strukturellen Folgen bzw. Verwendungen als Geschlechterverhältnis andererseits miteinander verwoben sind, wird auch weiterhin ein weites Forschungsfeld bleiben. Hier wäre auch der Frage im Einzelnen nachzugehen, wie sich z.B. die performative Kraft von Diskursen, ihre potenziell kritischen Effekte und Sprache als eine zentrale Ressource im Kontext sozialer Ungleichheit (Bourdieu 1990) zueinander verhalten. Die Macht des Wortes ist eben nicht dasselbe wie das Recht auf das gewichtige Wort. Letzteres ist auch nicht allein auf der sprachimmanenten Ebene zu beantworten, auch wenn Butlers Diskurstheorie systematisch von Macht handelt.
Schließlich ist wichtig zu sehen, dass sich Butler mit Identität beschäftigt, wenn sie etwa von gender spricht. Meines Erachtens stellt dies eine Engführung des Begriffes dar (Villa 2003: 148ff.), denn gender ist in den Sozialwissenschaften weitaus mehr. Gender zielt hier auf Vor- stellungen, Normen und ideologische Aspekte des Geschlechts sowie ihrer institutionellen, politischen und sozialen Sedimentierungen. Anders gesagt: Butler unterschlägt die gesellschafstheoretischen Aspekte des Geschlechts und engt den Begriff auf die Geschlechtsidentität ein. Gleich- zeitig weitet sie den Begriff der Identität stark aus. Muss man aber (Geschlechts-)Subjekte not- wendigerweise identitätslogisch denken? Neuere Arbeiten, etwa zu Phänomenen der Populärkultur (vgl. z.B. Menrath 2001), zu queer theory (vgl. Hark 1996, Jagose 2001) sowie neuartige politische Interventionspraxen (vgl. z.B. www.kanak-attack.de) zeugen davon, dass zu dieser Frage produktiv weiter gedacht wird. Dass die Diskussionen mit und über Butler anregend und produktiv bleiben, daran besteht kein Zweifel – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich für Butler kein Begriff abschließend definieren lässt.
(Paula-Irene Villa)*
Weiterhin spannend könnte für dich auch der Ansatz des Differenzdenken sein:
Das Denken der (Geschlechter-)Differenz
Diese Italienerinnen [DIOTIMA] stellen in Anlehnung an Luce Irigaray (1979, 1980) die These auf, dass die Geschlechterdifferenz im abendländischen Diskurs bisher nicht als egalitäre Differenz gedacht worden sei, sondern sich innerhalb einer Identitätslogik bewege, in der Weiblichkeit nur als Negation und Komplementarität von Männlichkeit gelte. ‚Differenz‘ ist in diesem Ansatz eine offene Potenzialität und ähnelt der von Jacques Derrida (z.B. 1990) als différance benannten Kunstfigur, einer strukturellen (nicht inhaltlichen!) Qualität des Unterschieds, die weder hör- noch sprechbar ist. Diese irreduzible Differenz meint das ganz andere Andere und steht im Ge- gensatz zu Identität (nicht Gleichheit). Die meisten Vertreterinnen dieses Ansatzes lassen offen, was die Geschlechterdifferenz inhaltlich ausmacht, und lehnen die Unterscheidung zwischen biologischen und sozialen Aspekten des Geschlechts als moderne Spaltung von Körper und Denken ab. Muraro (1993, 2006) versteht ‚Geschlecht‘ als „fleischlichen Kreis“, dessen Zeichen die symbolisch-materielle Einheit des Körpers ist. Zweigeschlechtlichkeit ist in diesem Theorem eine symbolische Konstruktion, die als Differenz erst noch zu etablieren ist, in der Weiblichkeit nicht länger auf Männlichkeit zurückgeführt werden kann. Erst ein Denken der irreduziblen Ge- schlechterdifferenz ermöglicht demnach, mehr als zwei Geschlechter zu unterscheiden.
Die Differenzdenkerinnen unterscheiden neben der Differenz zwischen den Geschlechtern noch die Differenz zwischen Frauen (z.B. durch Klasse, ethnische Zugehörigkeit) und die Differenz innerhalb jeder einzelnen Frau (durch die verschiedenen Erfahrungs- und Reflexionsdimensionen). Das zugehörige Subjekt ist gespalten, fragil, immer prozessierend und jenseits der (Ge- schlechter-)Differenz nicht denkbar.
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„Mehr Frau als Mann“ –
Differenzdenken in verschiedenen Diskursfeldern
Das Differenztheorem wird insbesondere von den DIOTIMA-Philosophinnen in verschiedenen Diskursfeldern vertieft (vgl. DIOTIMA 1989, 1990, 1992, 1996, 1999a, 1999b, 2002, 2005). Bei- spielsweise hat Muraro aus dieser Sicht (1993, 2006) eine psychoanalytische Theorie entworfen (vgl. Kahlert 1996b: 111-151), Piussi (1989, 1990) wendet es auf pädagogische Fragestellungen, wie z.B. Ko- oder Monoedukation und Curriculumentwicklung an, Cavarero (1990, 1992a, 1992b) reformuliert aus Differenzperspektive die demokratischen Grundwerte und den Gesellschaftsvertrag (vgl. zur italienischen Rezeption z.B. Calloni 1995, Janowski 2002), und Zamboni (2005) zeigt aus immer neuen Blickwinkeln, wie das menschliche Begehren auf dem Weg über die Sprache – über „wahre“ oder „unverbrauchte“ Worte eben – die Beziehungen zwischen Men- schen untereinander, aber auch zwischen Menschen und den Dingen, die sie umgeben, und den Umständen, in denen sie leben, vermittelt.
Diese Differenzdenkerinnen treten seit der Flugschrift „Mehr Frau als Mann“ (Libreria 1996b) und der weiteren Ausarbeitung der Politik des ‚affidamento‘ (Libreria 1988) dafür ein, Geschlech- terpolitik als Querschnittspolitik und nicht als spezielle Politik zu betreiben und zu institutionalisie- ren, da eine besondere Frauenpolitik die weibliche Unterordnung unter das männlich-geprägte All- gemeine bestätigen würde. Zudem plädieren sie wie Irigaray für eine „Bisexualisierung“ des Rechts (Cavarero 1990). Geschlechtsdifferenzierte Rechte müssten u.a. die Freiheit von Frauen, die Unverletzlichkeit des weiblichen Körpers sowie die gegenseitigen Pflichten zwischen Müttern und Kindern, aber auch zwischen Müttern und Vätern regeln (vgl. Irigaray 1990).
(Heike Kahlert)*
*Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie, 2010.
Nun, lass mich gerne wissen, wie du Praxis dahingehend bewertest, ob wir mit Sprache nicht auch unsere gesellschaftlichen Werte zunehmend reflektieren und dahingehend Räume öffnen (sinnbildlich gesprochen) für verschiedene Identitätsprozesse und wie wir diese produktiv inklusiver über Sprache gestalten könnten, sofern es für dich möglich ist über ein generisches Maskulin hinauszudenken. Schließlich landen wir bei der Frage: Formt Sprache unser Denken oder Denken unsere Sprache? Inwieweit sind die kognitiven Prozesse formbar? Schließlich halte ich das generische Maskulinum gefärbt von einem soziokulturellen Kontext, der vorwiegend männlich geprägt ist und im Grunde erst seit den ersten Frauenbewegungen im 18. Jahrhundert mehr partizipative Diskurse zulässt. Wie ordnen wir Bedeutungssysteme und die kognitive Ebene von Sprache und Denken, hinsichtlich marginalisierter Identitäten? Das ist zum Beispiel eine Frage, die mich sehr interessiert.