WARUM gibt ES KEINE “FARBIGEN”?
Noch immer beharren einige Menschen in Deutschland interessanterweise auf der Unterscheidung zwischen hellhäutigen und dunkelhäutigen Schwarzen Menschen und outen sich indirekt als Rassisten indem sie aufmunternd sagen “och, du bist doch gar nicht RICHTIG schwarz” (ganz als solle man das als Kompliment auffassen).
Die einzelnen Bezeichnungen dafür, wie hell- oder dunkelbraun (wo ist die Grenze?) oder zu wie viel Prozent “rein” Schwarzer oder weißer „Abstammung“ jemand sei, sind Relikte aus der noch nicht sehr lange zurückliegenden Zeit der Rassentrennungspolitik und führen zu nichts als künstlichen Unterscheidungen. Diese Unterscheidungen gingen früher mit einer Politik unterschiedlicher “Wert-Einstufungen” der Menschen einher, eine Ideologie, die sich heute ein wenig subtiler fortsetzt.
Die Folgen davon sind die Schwierigkeiten von heute. Da “Unterschiede zwischen hell-schwarz und dunkel-schwarz“ ausschließlich dafür konstruiert wurden, um Zwiespalt und Divergenzen hervorzurufen, und da sie ein Relikt aus der Zeit der Versklavung und Kolonialisierung sind, sind solche Einstufungen und Kategorisierungen nicht nur wahllos, sondern auch gefährlich. Auf den französischen Antillen beispielsweise nennt man noch heute Schwarze Kinder, die ein weißes Elternteil haben und „hellhäutig genug“ aussehen, “sauvé”, “gerettet”! Hellhäutigkeit ist bei diesen Kategorisierungen zumeist direkt verbunden mit mehr sozialen Privilegien, „besserer“ Entsprechung der europäischen Schönheitsideale und stellt damit eine Fortführung der kolonialen Einteilung von Menschen aufgrund ihres phänotypischen Aussehens dar.
Die Aussage „Du bist doch gar nicht richtig schwarz“ ist also sowohl Irrtum als auch Beleidigung, denn wer in unserer Gesellschaft sehr wohl als Schwarz wahrgenommen wird und dadurch mit diversen Widrigkeiten zu kämpfen hat, braucht bestimmt nicht oben drauf noch eine ungefragte rassialisierte Fremdeinordnung.
Selbstverständlich gibt es neben der Pigmentierung auch noch andere als “typisch Schwarz” geltende Merkmale, aufgrund derer noch immer versucht wird, so genannte “Rassen” zu kategorisieren, zu definieren und zu pauschalisieren.
Niemand darf Menschen in “Nicht ganz Schwarz”/”Ziemlich Schwarz”/”Ganz Schwarz”-Schubladen mit den entsprechend darauf abgestuften Behandlungen und Erwartungshaltungen stecken, und wer anderen dies untersagt, wehrt sich zu recht.
Es ist außerdem bemerkenswert, dass bei Einigen der Drang zu bestehen scheint, Schwarze Menschen generell zuallererst mit einem Sachwort zu bezeichnen, das Auskunft darüber gibt, von welchem „rassischen Reinheitsgrad“ oder genauer “wer oder was”(!) sie seien („Farbiger“).
“Farbig” soll in Deutschland in der Regel auch als eine „höflich gemeinte“, weil schwächere Form von „Schwarz“ dienen. Damit soll “abgeschwächt” werden, dass jemand Schwarz ist, und genau das ist das Problem: Das Gegenteil ist der Fall. Denn wir haben es hier eindeutig wieder mit einem „Beschönigungs“versuch zu tun. Eine Beschönigung wird ja aber nur dann verwendet, wenn es tatsächlich etwas zu beschönigen gibt. Farbig zu verwenden, heißt zunächst, dass “Schwarz” als Makel, als negativ gedeutet wird. Das heisst, dass, wer das Wort “farbig” für Menschen verwendet, ein Problem mit Selbstbezeichnungen hat.
Um wirkliche “Farbe” geht es hier sowieso nicht, denn wie uns sicher allen schon aufgefallen ist, verfügen Weiße zumeist über ein weitaus beeindruckenderes Repertoire an verschiedenen Farbnuancen ihrer Hautoberfläche. Für diese gesellschaftspolitischen Begriffe braucht es keine Beschönigungen.
Es gibt noch einen anderen Grund dafür, dass der Begriff “farbig” nicht okay ist:
Es klingt so, als sei weiß quasi der “Normalzustand”, die “Ausgangsposition” und als sei ein “Farbiger” sowas wie ein “angemalter” oder “eingefärbter” Weißer (dass die evolutionäre Wirklichkeit wie auch die der Proportionalitäten der Weltpopulation eine ganz andere Sprache sprechen, ist hinlänglich bekannt).
“Farbig” ist also das Konstrukt einer “Abweichung von Weiß”. Und das ist natürlich Quatsch. Genauso wenig, wie Weiße nur Schwarze mit Pigmentschwäche sind, sind Schwarze Menschen eingefärbte Weiße.
Es ist bei dem ganzen Thema tatsächlich höchst denkwürdig, dass unsere Gesellschaft ausschließlich Schwarzen Menschen gegenüber einen dermassen verbissenen Hautfarben – “Kategorisierungsdrang” zeigt und sich einbildet, ohne “Rassenabstufungen” (denn darum geht es hier letztlich) nicht auszukommen. Das hätte eigentlich vor ffünfundsechzig Jahren als Lernziel abgehakt sein sollen.
Manche Menschen mögen sich auch dagegen wehren, in jedweder Form kategorisiert zu werden oder auch gar nicht als “Schwarze” oder sonstwie bezeichnet zu werden, oder Selbstbezeichnungen für sich verwenden, die andere Schwarze Menschen nicht akzeptieren. Das muss als Selbstbezeichnungspraxis akzeptiert werden, es ändert jedoch wenig an den Gegebenheiten respektvollen und zivilisierten sprachlichen Umgangs. (Wenn vereinzelte Blondinen gerne mit “Baby” angesprochen werden, heißt dies ja auch nicht, dass das dadurch eine legitime Bezeichnung von blonden Frauen wird.)
“Wie soll ich denn jetzt zum Beispiel in einem Artikel ein Mädchen nennen, das das Kind eines Nigerianers und einer Deutschen ist”, so und so ähnlich wurden wir oft gefragt. Die Antwort ist: Genau wie man das Kind eines blauäugigen Hessen und einer rothaarigen Brandenburgerin nennt: “ein Mädchen”.
Siehe auch: Informationen für Journalist_innen zu diskriminierungsfreier Sprache 4/2008 – Es gibt keine “Farbigen”