Dann reden wir mal über die strukturellen Probleme der Demokratie. Meiner Meinung nach gibt es da zwei ganz grundlegende. Nämlich, dass 1)jeder 2)über alles mit entscheiden darf. Es ergibt schlicht keinen Sinn, warum die Stimme eines Klimawissenschaftlers bei der Frage der Umweltpolitik genauso viel wert ist, wie die eines Kinobetreibers. Obwohl ersterer deutlich mehr Expertise in diesem Themenfeld haben wird. Genauso wie andersrum, der Kinobetreiber mehr Expertise in Sachen Kulturpolitik haben wird. Dadurch entscheiden bei nicht moralisch-ethischen Fragen immer mehrheitlich Menschen mit, die schlicht keine Ahnung von dem Themenfeld haben.
Das allein wäre nicht so schlimm, wenn man bei der Wahl nicht immer auch Sachen mit wählen würde, die man entweder eigentlich gar nicht unterstützt oder gegenüber denen man sich lieber enthalten würde. Man wählt immer einen Minimalkonsens, wodurch die Wahl weder objektiv richtigen Entscheidungen noch den tatsächlichen politischen Willen der Bevölkerung ausdrückt. Ich zum Beispiel hätte gerne die Gesellschaftspolitik der FDP mit der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Die Linke sowie der Umweltpolitik der Grünen. Vielleicht gibt es sogar Aspekte der Union, die ich unterstützen würde. Und bei ganz vielen Sachen würde ich keiner Partei meine Stimme geben, weil ich von dem Thema schlicht keine Ahnung habe. Aber so kann ich nicht wählen.
Und bitte jetzt nicht mit „Es gibt noch mehr als Wahlen“ oder „Dann gründe doch deine eigene Partei“ kommen. Denn wie wenig außerparlamentarisches Engagement bringt hat man unter anderem an der forFuture Bewegung gesehen. Klimaaktivisten müssen es mittlerweile in langjährigen und kostenspieligen Prozessen einklagen, dass ihre objektiv richtigen Forderungen umgesetzt werden. Eine relevante Veränderung im politischen haben sie nicht erreicht (Nein 10% mehr für die Grünen ist nicht relevant, da trotzdem keine Regierung ohne Parteien, die effektiven Klimaschutz verhindern, Zustande kommen wird). Und die Gründung einer eigenen Partei ist aus vielen offensichtlichen Gründen kein gangbarer Weg für Veränderung. Habe ich ausführlicher schon mal an anderer Stelle erklärt und will ich jetzt hier nicht wiederholen, weil es meiner Meinung nach offensichtlich ist, warum das nicht funktionieren wird.
Letzteres trifft auch schon jetzt zu. Die beiden ersteren werden unweigerlich folgen, wenn wir die Klimakatastrophe nicht abwenden. Denn wer glaubt, dass wir nach dem Überschreiten der 2°-Erderwärmung immer noch eine Demokratie am Leben halten können, ist mehr als naiv. In den Verteilungskämpfen, um Wasser und Nahrung, wird sich zwangsläufig eine diktatorische, autokratische Regierung bilden, sehr wahrscheinlich auch eine faschistische. Diejenigen mit einfachen Lösungen („Wir nehmen uns einfach was wir brauchen.“) und klaren Schuldigen („Die steigende Zahl an Klimaflüchtlingen.“) werden mehr Unterstützung bekommen, als jene mit komplexeren Lösungen und Ursachen. So wie es jetzt schon ist.
Wenn man ehrlich ist, wägen wir doch hier zwei Zustande ab. Auf der einen Seite die drohende Klimakatastrophe und auf der anderen unser bestehendes freiheitliches, demokratisches System. Ich hab ja bereits erklärt, warum letzteres ersteres meiner Meinung nach nicht abwenden wird und auch, dass letzteres dadurch zwangsläufig endet.
Dazu möchte ich noch hinzufügen, dass nur ein Aspekt umkehrbar ist. Eine diktatorische, autokratische Regierung kann gestürzt und wieder zu einer demokratisch-freiheitlichen werden. Aber sollten wir die 2° überschreiten, wird die Menschheit nie wieder in ein Prä-2°-Zeitalter zurückkehren können. Für mich ist das ne sehr einfache Abwägung.
Und auch deswegen ist die Frage nach dem „friedlichen“ Wechsel auch so unsinnig. Denn friedlich wird es so oder so nicht bleiben. Die Frage, die wir uns stellen sollten ist, welches Ergebnis wir nach einem gewalttätigen Umsturz haben wollen. Gerne auch, wie wir besonders marginalisierte Gruppen schützen können. Aber um diese Diskussion überhaupt führen zu können bzw. um ihr einen Sinn zu geben, muss Einigkeit darüber bestehen, dass der Ist-Zustand nicht mehr haltbar ist.