Ich kenne diesen Brauch der Kalkspur tatsächlich aus meiner Gegend, aber in einem völlig anderen Kontext. Bei uns ist/war das ein Hochzeitsbrauch, bei dem die beiden Wohnorte des Brautpaar miteinander verbunden wurden.
Heute sieht man das nur noch ganz selten, weil man ja meistens schon zusammen wohnt, bevor man heiratet, aber früher war es durchaus üblich, dass das Paar bis zur Hochzeit getrennt gelebt hat.
Die Kalkspur, wie oben beschrieben, dass für eine Beziehung nachgeholfen werden soll, ist halt mega übergriffig und würde hier wahrscheinlich kein Mensch mehr machen. Zumindest nicht ohne Absprache aller Beteiligten oder rein aus symbolischen Wert.
Der Maibaum ist auch nur ein riesiger Pimmel, der in Dörfern aufgestellt wurde, in dem es besonders viele Junggesellen gab.
Die Tradionen auf dem Land dürfen gerne bleiben, sofern der Kontext einen „moderneren“ Anstrich bekommt.
Und zum Thema Tratsch… Denkt ihr wirklich, in der Stadt gäbe es sowas nicht?
Denkst du, ich kenne jeden einzelnen in meinem Dorf?
Wir sind nicht wie bei Asterix, wo wir jeden Abend um ein großes Feuer sitzen.
Ich kenn die Leute drei Häuser weiter auch schon nicht mehr. Man möchte es nicht glauben, aber auch auf dem Dorf ziehen Leute weg und kommen neue dazu.
Wobei Speckgürtel ja auch nochmal was anderes ist als „Dorf“
Exakt,
wenn in Schindlers Liste, die Werbeunterbrechung für Zugreisen oder Duschzubehör kommt (so worst case auch noch an einer thematisch passenden bzw eben unpassenden stelle) ist as eben auch thematisch eher unpassend.
Im Endeffekt kann man natürlich nicht rein aus der Größe des Ortes auf die allgemeinen Umstände in dem Ort schließen, weshalb der Stadt-Land Vergleich natürlich auch immer Klischee behaftet ist.
Aber ich mein mich zu erinnern, dass hier schon „Dörfler“ davon erzählt haben, wie wichtig bei ihnen so Dorf- oder Nachbarschaftsfeste sind und dass dann schon getuschelt wird, wenn man da dann nicht auftaucht und generell dann auch eher Gerüchte die Runde machen. Also vielleicht ist dein Dorf halt eher anonymer als das in anderen Orten wiederum ist. Aber in der Kategorie „man kennt sich untereinander“ ist dann halt auch das ganze mit dem Bräuchen schnell übergriffiger, weil es eben alles ziemlich offenlegt, auch wenn man vielleicht anonymer bleiben möchte.
Diese Fluktuation hast du doch auf den Dörfern genauso. Hier kommen ständig neue Familien dazu. Viele kommen aus der Stadt aufs Land und genießen hier ihre Rente.
Die Zeiten, in denen hier Jeder Jeden kennt sind schon lange vorbei.
Und ja, natürlich gibt es sowas bestimmt noch vereinzelt.
Geklatscht nicht aber gelacht.
War beim Film „Hard Powder“ als ihn seine Frau verlässt und da der vermeintliche Abschiedsbrief liegt und es dann einfach eine leere Karte war.
Ich kann nur das sagen, wie ichs erlebt hab und ich kenn das Leben in der kleinen Gemeinde und in der großen Stadt, in der Stadt war ich allen sowas von wurscht, da machts auch nix, wenn man nur in Unterhose in der U-Bahn sitzt. In kleinen Ortschaft könnt ich mir nicht mal ansatzweise sowas leisten, ohne mit Gespött, schiefen Blicken usw. rechnen zu müssen.
Auch letztens bei ner Kafkalesung an einer Stelle alleine losgelacht und mit völligem Unverständnis vom Publikum schief angesehen worden, was nur mein Unverständnis hervorgekitzelt hat, dass die alle den Humor darin nicht gesehen haben.
ich find Kafka tatsächlich auch wahnsinnig komisch, tbh.
Gerade auch die Sprache insb. in den Dialogen… …das nehm ich häufig als ganz feine Verballhornung einer überspitzt-höflichen Umgangsform wahr… …beinahe sarkastisch/zynisch.
Keine Ahnung, ob’s vom Autor so gewollt war - aber auf mich wirkt es so
Absolut. Sehe ich genauso - erst seit Kurzem allerdings.
Durch diese Lesung (übrigens von Sven Regener gelesen) hab ich ihn zumindest für mich auf diese Weise neu entdeckt und musste mir eingestehen, dass ich den Humor bei Kafka früher einfach nicht wahrgenommen hab, weil er bzw sein Werk auch immer als dieses Düstere, abgründig-Groteske erzählt und rezipiert wurde.
Ich hab jedenfalls nach der Lesung wiedereinmal mehr Kafka (quer)gelesen und ihn eben neu lesen gelernt. Schön, wenn sowas passiert.
Um noch mehr (mehr oder weniger sinnvolle) anekdotische Evidenz in den Ring zu schmeißen:
Ich hab nur relativ kurzzeitig aufm „Dorf“ gewohnt, was nach der Definition hier gar nicht als Dorf angesehen werden würde, weil man mit einer S-Bahn in einer halben Stunde in der nächsten Stadt landet und es auch schon 5.000 Einwohner waren.
Und dennoch hab ich da trotz eher geringen Kontakt mit den umliegenden Nachbarn definitiv gemerkt, dass da einige ziemlich spießig und judgy unterwegs waren. Der Nachbar von nebenan hat z.B. uns genauestens beobachtet, als meine Eltern mal kurzzeitig an einer Stelle der Straße gehalten haben, wo man nicht parken durfte, damit mein körperlich behinderter Vater es nicht so weit bis zu unserem Haus hatte. Der hat das nicht mal unauffällig gemacht, sondern echt ungeniert rübergestarrt.
Und ich glaub das war derselbe Nachbar, der direkt die Polizei gerufen hat, als die Nachbarn in der Wohnung unter uns im Garten Geburtstag gefeiert hatten, obwohl es weder unglaublich spät, noch besonders laut gewesen ist (und an nem Samstag Abend), anstatt mal kurz selbst rüberzugehen und zu fragen, ob sie die Musik leiser stellen könnten.
Jetzt wo ich wieder in der Stadt wohne, kenne ich hier 1-2 der Nachbarn, die auch echt nett sind und vom Rest bekommt man nichts mit und die interessieren sich auch nicht für einen.