Du bist Hanna

Wer ist Hanna

Du bist 17 Jahre alt, hast die Schule beendet und träumst nun davon Kunst zu studieren. Allerdings hast du dafür wohl mehr als einmal zu oft über die Stränge geschlagen. Du bist kein Mitglied der SED, nicht in der FDJ, aber stattdessen auf so ziemlich jedem Punk-Konzert, das es in Ostberlin zu besuchen gibt. Auch wenn die rar und meistens eher im Geheimen organisiert sind.

Dein Bruder hat gerade eine dicke Beförderung bekommen und ihr sitzt gemeinsam mit deinen Eltern am Esstisch, um das zu feiern. An diesem Tisch wird niemals über Politik gesprochen und dennoch wisst ihr alle, dass ihr vermutlich unterschiedlicher Meinung seid. Oder auch nicht? Wer weiß das schon. Dein Vater ist deiner Meinung nach großer Fan des Systems. Er ist hauptberuflich bei der NVA und konnte nun endlich einen Platz beim Orchester der Truppen ergattern. Sein großer Traum als Posaunist. Zumindest in eurer Liebe zur Musik seid ihr euch also einig!

Deine Mutter ist Geschäftsfrau. Sie hat jahrelang als Verkäuferin gearbeitet bis sie endlich genug Geld zusammen hatte, um sich eine kleine Bude am Volkspark, gleich um die Ecke, zu sichern. Dort verkauft sie, was es eben so zu verkaufen gibt. Weil das aber oft nicht genug ist, hat sie gerade eine Lizenz beantragt, um auch Bier und Bratwurst zu vertreiben. Kein leichtes Unterfangen im politischen System.

Deine Aktivitäten in linken Kreisen sieht deine Familie nicht gerade mit wohlwollenden Augen. Jeder fürchtet um seine Zukunft oder eben das, was er/sie sich gerade erarbeitet haben. Und mittendrin: Du, die am wenigsten davon profitiert.

Was niemand weiß: Du bist inoffiziell Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit. Spitzel, sagt man. Du bist nicht glücklich darüber, aber man hat dich unter Druck gesetzt. Wenn du nicht parierst, gibt es kein Kunststudium, keine Chance auf ein Semester in Frankreich, keine Lizenz für Mama, kein Orchester für Papa und am Ende hängt ja auch der Job deines Bruders davon ab, wie wohlwollend die Partei im und seinen Vorgesetzten gegenüber ist.

Unter diesem Druck hast du dich bereiterklärt Informationen zu liefern. Über deine Freunde, die Szene und allgemein systemkritische Aktivitäten. “So wie fast jeder!”, sagst du dir selbst immer wieder. Ob es das besser macht!? Daran hast du deine Zweifel. Allerdings musst du dir das Wohlwollen der Obrigkeit nun erkaufen und jüngst hast du das mit einem Tipp zum Konzert heute Abend getan. In der Zionskirche. Da spielt nämlich eine West-Band. Punk natürlich. Und das gefällt der Stasi in der Regel gar nicht. Da du der Vorband, Der Betrieb, recht nahe stehst, hast du gewusst, wann die Musiker über die Grenze kommen und wann das Konzert beginnen soll.

Diese Infos hast du an deine Kontakte weitergegeben. Also erwartest du, dass an diesem Abend höchstens die Ostberliner Band deiner Freunde spielen wird, als du die Zionskirche zusammen mit ihnen betrittst.

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