Tut mir Leid,
ich schaue mir eben nur ihren Insta account zb an und denke mir „Ja Mittwochs um 11 posten dass ein langer Waldspaziergang echt gut tut“ würde ich auch gerne, aber ich muss nunmal arbeiten.
Tut mir Leid,
ich schaue mir eben nur ihren Insta account zb an und denke mir „Ja Mittwochs um 11 posten dass ein langer Waldspaziergang echt gut tut“ würde ich auch gerne, aber ich muss nunmal arbeiten.
Ich kann verstehen, dass du das als Außenstehender so siehst.
Aber als selbst betroffene von Depressionen kann ich dir sagen: wir (oder die meisten von uns) stellen uns nicht an, sondern es ist einfach so. Depressionen sind teils recht komplex. Man ist mit so vielen Dingen überfordert, der kleinste Fliegenschiss fühlt sich für uns wie das größte Disaster. Man wird während der Therapie ja auch quasi „gezwungen“, sich mal nur um sich zu kümmern und die Dinge zu tun, die einem Spaß machen und gut tun, damit wir lernen, abzuschalten. Und dann tun wir das, können aber trotz allem nicht richtig runterkommen. Die dunklen Gedanken sind immernoch da, das Gefühl von Überforderung, Übermüdung, „Ich kann nicht mehr“, innerliche Leere, „Warum kann ich nicht so normal sein wie alle anderen?“ usw. Von außen sieht das dann aus wie „Ui, die hat den ganzen Tag Serien geguckt und gezockt“ In der Ralität war die Person geistig aber vermutlich die meiste Zeit gar nicht bei der Sache, sondern hat mit ihren inneren Dämonen gekämpft.
Lieber arbeite ich 8 Stunden am Tag, bin dabei geistig gesund und abends nur etwas zu müde, ne Serie länger als eine Stunde durchzuhalten, als den ganzen Tag frei zu haben und mit meinen Gedanken leben zu müssen, die mir schaden.
Menschen mit chronischer Depression trauen sich oft nicht zu sagen, dass sie einen guten Tag haben, in der Öffentlichkeit mal ausgelassen sein, mal lachen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, was dann wieder in die Spirale der Selbstabwertung und ins tiefe Loch führen kann.
Auch sich selbst gegenüber, weil so Glaubenssätze wie „man ist nur etwas wert, wenn man arbeitet“ u.ä. tief in uns und gesellschaftlich verankert sind.
Wenn man dann etwas nur für sich tut, was große Überwindung und Anstrengung kosten kann, wie bspw. ein Waldspaziergang, dann ist das eine Errungenschaft, die Anerkennung verdient und keine Abwertung.
Und wenn so ein verständnisloser Spruch à la „dein Leben hätt ich gern“ rausrutscht, ist das auf vielen Ebenen kontraproduktiv und kann wie Faustschlag in die Magengrube wahrgenommen werden.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das Leben nicht wirklich gerne haben würdest.
Wie gesagt, ich meine es ja nicht böse schon gar nicht zu dieser Person,
ich weiß nur nicht wie man damit umgehen soll, wenn die Person quasi auf der einen Seite sich mit einem über Serie X unterhält, wo sie jetzt einfach mal in einer Woche 4 Staffeln durchgebinget hat und auf der anderen Seite einem vorheult zu nix zu kommen.
Deswegen poste ich das ganze ja im Emotionskasten, nicht im Auskotzthread
häh, ich hab ganz normal gearbeitet während des lockdowns.
wirklicher lockdown gabs ja nur für die in bestimmten Berufen.
Und klar hab ich damals auch gelesen und co dann nach feierabend, aber man hätte sich eben gerne mit freunden getroffen etc.
Dass du überfordert damit bist, einen Umgang für dich zu finden und das für dich einzuordnen, was du nicht nachvollziehen kannst, kann ich verstehen.
Aber dann würde ich mir wünschen, dass du versuchst, die Perspektive zu wechseln, statt ihr einen Vorwurf draus zu machen. Denn Vorwürfe, so nehme ich an, macht sie sich selbst schon den ganzen Tag genug.
Und kann sie sich mit Freunden treffen, während diese arbeiten?
Überlege auch, dass du deine Freizeitaktivitäten mit freien Kopf und Gedanken machen kannst. Überlege, wie das aber ist, wenn du das alles machst, um dich von anderen sehr negativen Gedanken abzulenken. Dann ist die Aktivität weniger spaßig und manche Leute zwingen sich regelrecht dazu, was spaßig zu machen, obwohl ihnen Freude daran fehlt. Der Preis für diese angebliche Freizeit ist sehr sehr hoch. Anstatt solche Sätze rauszuhauen und nur das positive fauszufiltern, überlege, was daran hängt. Wärst du gerne in der Psychiatrie, brauchst Medikamente um zu funktionieren oder hast dann krasse Nebenwirkungen, wenn diese abgesetzt werden, damit du keiner Arbeit nachgehen musst?
Ich schreibe dir das so konkret, damit du da raus kommst, sie in ihren Leben zu beneiden, denn das halte ich nicht für förderlich; weder für sie, noch vor allem für dich.
Jeder geht damit anders um und ich kann dir da jetzt auch keine klugen Ratschläge geben. Aber der erste Schritt wäre auf jeden Fall anzuerkennen, dass sie wirklich ein Problem hat und nicht zu beneiden ist. Dass sie Zeit hat, eine Serie durchzubingen kostet halt seinen Preis: Depressionen, sich ständig beschissen fühlen usw. Vermutlich würde sie auch gerne was anderes machen, aber es überfordert sie und daher macht sie die Dinge, die am leichtesten sind: stundenlang vorm Fernseher liegen.
Ich hab damals zB den ganzen Tag den TLC-Sender geguckt. Hochzeitssendungen, Kuchenback-Wettbewerbe usw. Ich fand das nicht mal geil oder so. Aber es war am wenigsten anstrengend, es hat das Hirn nicht überfordert, einen aber dennoch zumindest minimal abgelenkt.
Mach ihr keine Vorwürfe, und nimm es nicht persönlich, wenn sie dir absagt oder dir erzählt, wie viel Zeit sie jetzt in Hobby X oder Y gesteckt hat. Das ist halt grad ihre Art, mit ihrer Depression umzugehen.
Hierzu noch: Ich weiß jetzt nicht, welche Anidepressiva sie genommen hat, aber ich habe mal versucht, Venlafaxin abzusetzen (bzw ganz langsam auszuschleichen). Die Story dürfte ich hier mehrmals erzählt haben. Es ist de facto ein verdammter fucking Entzug. Ja, Heroinentzug ist sehr wahrscheinlich deutlich schlimmer, aber ich habe mich dennoch elendig gefühlt und nach 2 Tagen abgebrochen. Es ist grausam gewesen und wenn man mal im Internet so ein bisschen recherchiert, wird man sehr viele ähnliche Erfahrungen dazu finden.
Verständnisvoll.
Das kann aber durchaus zusammen passen und Hand in Hand gehen.
Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Eigentlich möchtest du gerne x machen (ins Kino oder sowas), aber am Ende schaffst du es nicht und das einzige, wofür du Kraft hast, ist stundenlang Filme und Serien zu schauen.
Das fühlt sich echt beschissen an und dieses Gefühl „man schafft ja nichts“ hab ich zu der Zeit noch schlimmer empfunden, als wenn ich nach 8h arbeiten nur noch aufs Sofa falle.
Also aus deiner Sicht hat sie vllt viel Freizeit und macht Dinge, für die du auch mehr Zeit haben möchtest. Für sie ist das in dem Moment aber vllt das einzige, was sie um sich abzulenken machen kann und nicht das, was sie gerne machen würde.
Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es schwierig sein kann, damit umzugehen.
Aber ungeachtet der spezifischen Person, kennst du das nicht von anderen, die keine Depression haben? Wenn jemand bspw. nach dem Feierabend sich Binge watching gibt, dafür aber für nichts anderes Zeit hat (sogar komplett übermüdet ist) oder im Urlaub lieber gezockt hat, anstatt an der Gartenlaube weiterzuarbeiten.
Ich sag immer, es gibt eine unterschied zwischen „verstehen“ und „Verständnis“. Man muss nicht verstehen, dass einem bestimmte Dinge schwer fallen (das tut man als Betroffener auch nicht immer), aber man sollte Verständnis zeigen, dass einem bestimmte Dinge schwer fallen. Und es ist halt einfacher, passiv ne Serie 8 Stunden durchlaufen zu lassen, als sich einmal aufzuraffen, ne Hose anzuziehen und den Müll runter bringen. Das ist halt das Sinnbild einer Depression. Vieles alltägliche fällt unheimlich schwer. Und da kann auch mal Besuch empfangen oder der Haushalt eine totale Überforderung sein.
Eigentlich eine sehr fruchtbare und wichtige Diskussion, die @Angrist da angestoßen hat.
Deshalb, und das meine ich völlig ernst und unironisch: Danke dafür.
Denn diese Verständnislosigkeit ist für mich ein riesiges Problem. Nicht nur von meinem direkten oder erweiterten Umfeld, sondern gerade auch die Verständnislosigkeit und Ignoranz, die ich mir selbst gegenüber zeige.
Deshalb war ich auch so schnell getriggert.
Ist Neid nicht auch immer ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit der eigenen Situation?
Viele sehen halt nur diese „du hast 24/7 für dich und deiner Hobbies“. Was man nicht sieht, ist die Eingeschränktheit, ggf. das man sich in der eigenen Wohnung wie ein Gefangener fühlt, weil man nichts mehr hinbekommt. Und das man von den 24 Stunden am Tag über jeden Moment froh ist, der einen ein wenig aus diesem tristen Alltag rausholt und ablenkt.
Von daher kann ich verstehen, wenn man dann auch noch zu hören bekommt, dass man doch so viel Zeit für sich hat, dass man sich erst recht nicht mehr traut, auch mal positive Ereignisse zu teilen, weil man dann fürchtet direkt wieder zu hören, warum man dann nicht mehr macht. Was man oft nicht sieht ist eben, wie lange es gedauert hat, bis diese eine Stunde mal mal tolles gemacht zu haben, zustande kam.
This.
Dabei ist es unfassbar wichtig, dass man positive Ereignisse teilt, wenn man betroffen ist.
Da kann dann ein Waldspaziergang, so banal es für andere auch sein mag, wie ein Sechser im Lotto sein, besonders dann, wenn man es nicht mehr wirklich schafft das Haus zu verlassen. Oder ein Buch lesen.
Als depressive Person tanzt man häufig auf Messers Schneide: teilt man sein Leid mit, ist es häufig aus Sicht anderer Gejammer und man solle mal Urlaub machen und teilt man etwas Positives, dann geht es der Person plötzlich scheinbar zu gut und so schlimm kann das mit der Depression dann ja nicht sein. Es ist wirklich erschreckend, dass noch immer so viele Vorurteile herrschen, obwohl doch mehr und mehr Menschen betroffen sind.
Ich spreche da leider auch aus eigener Erfahrung. Habe hier im Forum ja auch gerne mal meine Momente, wo es gar nicht mehr geht und ich das dann mitteile (und mich hinterher furchtbar schäme ).
Was ich an dieser Stelle gerne empfehle: Erfahrungsberichte lesen. Sich schlau machen, wie man Betroffene als Angehöriger/Freund/whatever unterstützen kann. Man muss die Krankheit nicht verstehen. Das kann man nicht. Sie ist von Person zu Person einzigartig wie ein Fingerabdruck. Es gibt vll hier und da mal Ähnlichkeiten, aber am Ende ist es ein ganz eigenes Päckchen, das man da trägt. Das kann einem niemand abnehmen, aber zumindest mit Worten und Taten ein klitzekleines bisschen leichter machen.
Und selbst das Tolle ist eine Interpretationssache. Man weiß als Außenstehender nicht, weshalb da was gemacht wurde. Waldspaziergang wegen der hübschen Natur oder Waldspaziergang, weil man gerade emotional in einem sehr tiefen dunklen Tal lebt.
Es ist ja für die betroffene Person u.U. nicht mal ein positiver Nebeneffekt.
Meiner persönlichen Erfahrung nach war das bei mir so, dass ich mich zu Dingen gezwungen habe, um mich nicht den ganzen Tag zusammengerollt im der hintersten Ecke des Bettes zu verkriechen. Diese Dinge mussten eine möglichst geringe Hürde darstellen, allerdings waren sie trotzdem für mich extrem anstrengend und dabei Freude empfinden konnte ich überhaupt nicht.
Dann kam hinzu, dass ich selbst diese Dinge nicht anerkennen konnte, sondern sie in das Selbstabwertungsschema eingebaut habe „nicht mal das kannst du“ oder „aber dies/das hast du nicht geschafft“
Und wenn man dann irgendwo eingeladen ist und erzählt, dass man mehrere Stunden spazieren war, auch mal lacht und einen Witz macht, dann erntet man (offen oder hinter vorgehaltener Hand) „Wieso arbeitet der denn nicht?“ oder „Das Leben hätt ich auch gern“.
Ja dann vielen Dank auch für die nächsten 2 Wochen zusammengerollt in der hintersten Ecke des Bettes mit selbstverletzenden Kopfsalat.
Frag sie mal was für Medikamente sie bekommt, die will ich auch