Jedes Mal, wenn mein Vater und ich uns unterhalten, werden uns neue Gemeinsamkeiten klar. Ich finde das immer wieder toll und super spannend, weil wir gefühlt die erste Hälfte meines Lebens kaum miteinander geredet haben und ich heute noch die Chance habe soviel über ihn zu lernen und zu erfahren.
Als ich das erste Mal mit 19 für 6 Wochen in stationärer Psychotherapie war und er mich am Wochenende immer dort abgeholt hat, haben wir das erste Mal uns auf den Fahrten so richtig miteinander unterhalten und dabei ist uns auch zum ersten Mal aufgefallen wie ähnlich wir uns charakterlich in Warhheit sind.
Von da an wurde unsere Beziehung zueinander immer besser.
Gestern haben wir uns mit meinem Freund und meiner Mutter zum Essen getroffen und es ging darum, dass mein Vater auch schon sein ganzes Leben mit Schlafstörungen zu kämpfen hat. Ich sagte dann „ja, das habe ich auch von dir“ , worauf er sich entschuldigte und ich gesagt hab, dass ich aber auch seine dicken, dunklen Haare weitervererbt bekommen habe, man nicht alles haben kann und es ja auch ungerecht verteilt wäre, wenn ich ausschließlich gute Sachen bekommen hätte. Er ist auch mit den Jahren mir gegenüber immer offener geworden und seit ich meine Traumatherapie begonnen habe, erzählt er mir auch Dinge aus seiner Kindheit, die er bisher immer von sich abgekapselt hat und so gut wie möglich verdrängt hat, weil sie eben auch sehr traumatisch für ihn waren und er heute noch darunter leidet.
Plottwist: ich weiß nun seit gestern auch, dass wir beide auf Ariana Grande stehen
Ich hab aufgrund von Traumata Probleme mit älteren Männern, die auf junge Frauen stehen, die ihre Töchter sein könnten.
Aber trotz der radikalen Cuts, die ich zu toxischen Familienmitgliedern gemacht habe, kann ich jetzt gerade die Aussage „es ist nun mal mein Vater“ irgendwie besser nachvollziehen.
Zudem kann ich eine Schwärmerei zu einem Promi differenzieren. Ich hab genug Erfahrung mit der wirklich gefährlichen Kehrseite davon, die nichts mehr mit harmloser Schwärmerei aus der Distanz zu tun hat. Und mein Vater ist ein ganz anderer Mann als die anderen aus meiner Familie.
Deswegen konnte ich da gestern gut drüber lachen, auch, wenn oder gerade, weil es für andere so wierd anmutet.
Wenn man als Familie bei anderen auch schon immer negativ aufgefallen ist, lernt man das vielleicht auch mit dem heranwachsen für sich anzueignen und über sich selbst zu lachen, ehe es wer anderes tun könnte. Ich will immer anderen zuvorkommen. Noch so ein Gut, dass ich nach dem Mobbing in der Schule perfektionieren konnte.
In solch einer disfunctionalen Familie voller teils unverarbeiteter, weiter vererbter Traumata , sind solche Sachen, aber auch manchmal nur so etwas wie nötiger Comic relief, um das alles besser verarbeiten zu können, damit nicht alles immer so schwerlastig ist, wir auch mal lachen können: immer noch seltsam und öffentlich mit einem Raunen und Kopfschütteln bewertet, aber für uns wo soviel scheiße lief mal zur Abwechslung etwas harmloses im Gegensatz zum Rest.
Noch viel harmlosere Gemeinsamkeit zum Schluss, um den Post noch etwas mehr zu entschärfen: Mein Vater hat gestern mit einer Mischung aus Stolz und Verlegenheit ganz aufgeregt erzählt wie er es beim Essen immer wieder schafft sich das Ohr vollzukleckern, obwohl der doch so weit weg vom Mund ist. Da musste mein Freund besonders laut lachen und sagte dann zu mir „ach das hast du also von ihm“. Das fand ich auch sehr süß.
Achja und meine Mutter hat das Familienbild aus WhatsApp raus genommen und dafür nun wieder sich und Papa als Profilbild.