Also das Hauptthema ist ja die Konstruktion einer anarchistischen Gesellschaft, die jetzt auch nicht besonders glorifiziert als Paradies auf Erden dargestellt wird, im Gegenteil, sondern die auch zahlreiche Schattenseiten beinhaltet. Eine Gesellschaft, die komplett anders funktioniert, als alles was wir aus der Realität kennen. Wo Menschen nicht verstehen, was ein Gefängnis ist, bzw. man überhaupt auf die Idee kommen kann, jemanden gegen seinen Willen einzusperren. Wo alles auf Freiwilligkeit beruht. Und so werden nebenbei philosophische Dinge behandelt und es regt zum Nachdenken an über Denkmuster die in der bürgerlichen Gesellschaft verbreitet und „normal“ sind, wenn Shevek z.B. Gespräche mit Menschen aus A-Io führt, bzw. diese ihm Fragen stellen, die man so als Mensch aus einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft solchen Leuten stellen würde, nämlich z.B. warum man überhaupt arbeiten bzw. sich anstrengen soll, wenn das nicht belohnt wird und/oder es keinen Zwang dazu gibt.
Ich mag dir nichts unterstellen in Sachen geistiger Offenheit, aber um diese Aspekte positiv zu werten, hilft es natürlich von vornherein aufgeschlossen zu sein gegenüber derart progressiven Gesellschaftsentwürfen, und ich habe schon öfter Kritik am Buch gelesen, woraus hervorging, dass das hauptsächlich ideologisch begründet ist.
Denn wenn man solchen Gesellschaftsentwürfen weniger positiv gegenübersteht, dann verliert das Buch natürlich wesentlich an Wert. Ich fand die Charakter jetzt auch nicht so abstrakt, aber das ist vllt Geschmackssache.
Interessant ist nebenbei ja aber auch, dass im Buch Kapitalismus und Staatssozialismus gleichermaßen kritisch betrachtet werden.
Und nein, Feminismus hat sich nicht überlebt, auch heutzutage ist eine Gleichstellung und der Schutz von Frauen (Stichwort Feminizid), vor allem global gesehen, noch lange nicht erreicht. Zumal von welcher Rolle der Frau redest du? Auf Anarres? Das ist aber die anarchistische Gesellschaft, von der wir weit entfernt sind
ABER dazu passt auch:
„Die linke Hand der Dunkelheit“ von der selben Autorin
Auch wiederum ein Buch mit philosophischem/progressivem Einschlag, ausdrücklicher im Bezug auf Geschlechterfragen, wo es um eine Gesellschaft geht, die keine Geschlechterdichotomie kennt, und wie sich das auf soziale Beziehungen auswirkt bzw. auswirken kann/könnte.
Wie „The Dispossessed“ ein absoluter Klassiker eigtl. der Science Fiction, und vor allem der Sorte Sci-Fi wo es nicht nur um Abenteuer-Geschichten geht (die genau so gut in einem anderen Setting spielen könnten), sondern eben wirklich um „Fiktionen“, Zukunftsvisionen, Gedankenexperimente… die im Idealfall den Horizont erweitern.