Stranger Things ist zwar immer noch schnell wegzuschauen und durch ein hohes Maß an Kunstfertigkeit recht unterhaltend, aber vor allem dramaturgisch und narrativ sehr vorhersehbar und z.T. repetitiv. Dort ist etwas passiert, dass vor allem dem derzeitigen Blockbustermarkt zum Verhängnis wird: Vollkommene Aneignung der popkulturellen Strömungen durch die Linse der Zuschauerschaft. Die Kunst steht noch weniger als zuvor für sich alleine und auf eigenen Beinen. Natürlich ergibt es Sinn mit Blick auf den Konsumenten wohlüberlegte Entscheidungen zu treffen, aber mittlerweile hat man das Gefühl, sie kanalisieren das Feedback, die Wünsche und anderweitige Hoffnungen zu einem Drehbuch, das dadurch zur banalen Fanfiction verkommt. Kunst die allen gefallen soll. Und Kunst die aufgrund von marktwirtschaftlichen Erwägungen allen “gefällt”, ist schlicht und ergreifend trivial; sie entwertet sich selbst. D.h. aber im Umkehrschluss nicht, dass es keine Kunst geben kann, die sehr vielen Menschen gefällt. Nur sollte man das Pferd eben nicht von Hinten aufsatteln. Sprich: Nicht darauf schauen, was die Leute erzählt bekommen wollen, sondern was ich (der Künstler) den Leuten erzählen kann und will. Dafür braucht es Visionen. Dafür braucht es Mut. Dafür bedarf es Menschen mit Ingenium. Die gibt es mit Sicherheit. Und Staffel 1 von ST erschafft trotz seiner vielen popkulturellen Anspielungen und Gefälligkeiten durch eine gute Durchmischung von Themen und erzählerischen Motiven ein Look & Feel, der sich mitunter tatsächlich einzigartig anfühlt. Es muss also nicht immer das Rad neu erfunden oder bekannte Motive ausgeklammert werden. Es geht auch nicht um l’art pour l’art. Man sollte nur wieder dahin kommen, mehr Eigenständigkeit und Ungleichförmigkeit zu fördern.
Um es mal anhand des Kunstbegriffs zu verdeutlichen:
Formeller Kunstbegriff: “Kunst ist bei Vorliegen bestimmter Werktypen gegeben” - Ist nicht wirklich schwierig zu entscheiden. Sowohl der Film als auch die Serie sind seit eh und je als solche anerkannt.
Materielle Kunstbegriff: “Kunst liegt vor, wenn das Werk das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung ist, in dem der Künstler seine Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse zu unmittelbarer Anschauung bringt und das auf kommunikative Sinnvermittlung nach außen gerichtet ist.” - Auch hier lässt sich relativ simpel schlussfolgern, dass dies zutrifft. Selbst bei Marvel, Hellraiser Drölf oder The Room möchte der Künstler (bzw. die Künstler) einen Eindruck hinterlassen; perzipiert und rezipiert werden. Das geschieht natürlich auch bei derlei Produkten immer noch zu einem gewissen Maß anhand der eigenen Erlebniswelt des Künstlers, welche von einfachen Lebenserfahrungen bis hin zur spezifischen Ausbildung reichen können. Man könnte freilich darüber diskutieren, inwieweit bei solchen Produkten, wo die Entscheidungsmacht hauptsächlich am entferntesten Punkt der Ausgestaltung liegt und v.a. monetären Interessen dient, noch von “freier schöpferischer Gestaltung” zu sprechen sei, aber so eng sollten die Begriffe nie verstanden werden. Es reicht schon, wenn der Regisseur nicht in Ketten liegt und das ist auch im Sinne der Kunst gut so.
“Merkmal einer künstlerischen Äußerung ist nach dem offenen Kunstbegriff, dass es wegen der Mannigfaltigkeit des Aussagegehaltes möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichendere Bedeutungen zu entnehmen, so dass sich eine praktisch unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergibt.” - Nun möchte ich expressis verbis betonen, dass es bei diesem Gedankenspiel nicht darum geht, ob diese Serien und Filme aus rechtlicher Sicht als Kunst zu verstehen sein sollten. Die Begriffe sind kumulativ und vor allem der der offenen Kunstfreiheit sehr weit auszulegen und müssen dementsprechend fraglos dem rechtlichen Schutzbereich der Kunst unterliegen. Die Frage, welche sich aus dieser Definition jedoch ergibt, ist, in welcher Form sich der primär auf (bloße) Unterhaltung zielende Kunstsektor selbst beschneidet bzw. beschneiden lässt. Daher ist es keine Frage der “Entartung”, einer Begrifflichkeit die natürlich widersinnig und kunstfeindlich ist, sondern um eine selbstauferlegte Minderwertigkeit, durch die angesprochenen Fesseln des Marktes, aber auch - und da bin ich durchaus bei @bladerunner - durch politische und gesellschaftliche Strömungen, welche die Kunst aufgrund ihrer Geradlinigkeit nicht mehr atmen lassen. Hierbei geht es auch nicht darum, was Kunst “darf”, sondern was sie “soll”. Und da gibt es derzeit Bewegungen, die aus einem löblichen Ansinnen heraus handeln, mittlerweile aber eine Anspruchshaltung entwickelt haben, die es mir immer schwerer machen, bei manchen Produkten die Freiheit hinter der Kunst erblicken zu lassen. Sie wird vor ihrem Entstehen schon in Geiselhaft genommen; Ecken und Kanten abgeschliffen und der Rahmen “diktiert”. Aus diesen o.g. Strömungen geht die Mannigfaltigkeit des Aussagegehaltes mehr und mehr verloren. Sie werden so auserzählt, dass es fast nichts mehr zu interpretieren gibt. Im Ergebnis wird es immer einförmiger. Banal, trivial, behauptete Kunst mit viel Brimborium, aber ohne inhaltlich reizvolle Ansätze oder gar Aussagen.