Thema #99: Magic Realism
Film: Willkommen Mr. Chance (Being There) von Hal Ashby
Erscheinungsjahr: 1979
Laufzeit: 125 Minuten
Wo gesehen: Sky (Aufnahme)
Mr. Chance arbeitet schon sein ganzes Leben als Gärtner eines wohlhabenden Mannes in Washington. Gärtnert er nicht schaut er Fernsehen, fernseht er nicht, gärtnert er. Niemals in seinem Leben hat Mr. Chance das Grundstück verlassen. Als jedoch der wohlhabende Mann stirbt, wird Mr. Chance vermeintlich hilflos vor die Türe gesetzt. Doch das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Der Mörder ist hier nicht immer der Gärtner sondern der Gärtner ist Peter Sellers. Die lebende Ulknudel hat sich immer gewünscht die Rolle des Mr. Chance zu spielen und der Wunsch wurde ganz am Ende seiner Karriere erfüllt (Für Peter Sellers war der Film so wichtig, dass auf seinem Grabstein die Konklusion des Films steht: „Das Leben ist ein Gemütszustand“).
Die andere Hauptrolle nimmt mit Shirley McLaine ebenfalls eine Comedy-Legende ein. Das schreibe ich, denn eine Satire mit zwei Comedy-Legenden habe ich mir ziemlich witzig vorgestellt. Nun, besonders witzig war der Film leider nicht. Die ein oder andere Szene zum Schmunzeln war da und wenn Shirley McLaine auf dem Fußboden masturbiert, während im TV die neueste Yoga-Übung läuft, welche Sellers verzweifelt versucht auf dem Bett nachzumachen, dann ist das eine Szene, die man wohl als pures Gold bezeichnen könnte. Trotzdem, ansonsten kommt der Film sehr trocken daher.
Was ihn keineswegs schlecht macht, nur wollte ich ergründen, dass der Film für mich eine doch sehr bittere, traurige ja zynische Satire ist. Hat man sich auf diesen Ton eingestellt,bekommt man einen hoch intelligenten und interessanten Film.
Ich erspare mir auf die vielen Details einzugehen, warum das einer dieser Filme ist, die schon Lange von der Realität eingeholt worden sind und dadurch eben super aktuell wirken aber vielleicht deshalb auch erst recht heute sehr bitter daherkommen. Direkt in Washington und mit den vielen Verweisen auf den Präsidenten, ist das auch ein Film der prädestiniert für die Aussage ist, dass der amerikanische Präsident grundsätzlich das größte Brot wird und nicht der fähigste Mann/ die fähigste Frau.
Trotzdem lässt sich das auch etwas universeller übertragen und der Film möchte eben auf der einen Seite seine Unzufriedenheit ausdrücken, dass die größten Dummschwätzer und Schaumschläger nach ganz Oben kommen und eigentlich viel mehr vom Zufall abhängt als man glaubt.
Damit in Einklang steht die Kritik des Films an der heutigen Ökonomie
Sehr kritisch ist der Film aber auch mit den abgestumpften TV-Programmen und dessen großen Einfluss auf die Gesellschaft.
Wo man jetzt mit dem Film geht oder anderer Meinung ist, bleibt jedem selbst überlassen. Ich fand ihn aber schon sehr clever. Es gibt einige inhaltlich starke Szenen. Die wohl beste für mich:
Die alte, afroamerikanische Haushälterin sieht in ihren ärmlichen Verhältnissen Mr. Chance im Fernsehen. Der ist schon längst bis ganz oben aufgestiegen und Berater des Präsidenten. Seine Floskeln übers Gärtnern und den knackigen Spruch der Müsli-Werbung mag den meisten clever vorkommen doch die Haushälterin weiß: „Dem hab ich schon die Windeln gewechselt und Jahrzehnte lang Essen gebracht. Der kann weder Lesen noch Schreiben und ist dumm wie Stroh.“ Schnitt. Dinnerparty im Weißen Haus: Agent: „Mr. Chance, möchten sie eine Biografie schreiben. Mr. Chance: „Ich kann nicht schreiben.“ Agent: „Ja, wir haben doch alle keine Zeit. Aber wenn ich ihnen einen Millionenbetrag im Voraus zahlen würde?“
Ich fand der Film hat viele Parallelen zu „Network“ (1976) von Lumet. Dort geht es um das Treiben hinter dem Bildschirm, hier geht es um das Treiben davor. Beide brandaktuelle und bestürzende Satiren, von der Realität eingeholt aber sehr didaktisch aufbereitet.
Da liegt dann auch der Schwachpunkt des Films für mich. Ich nehme mal als Beispiel meinen absoluten Lieblingsfilm mit Peter Sellers; „Der Partyschreck“ (natürlich wie immer alles extrem subjektiv). Aber wenn dieser Film hier eine Doktorarbeit darstellt, dann ist „Der Partyschreck“ an der Oberfläche wahrscheinlich so was wie: Auf dem Pausenhof wird versucht das Alphabet zu rülpsen. Denkt man aber genauer über „Der Partyschreck“ nach, dann finde ich es eine großartige Satire um Old Hollywood nach allen Regeln der Kunst zu demaskieren und eben gleichzeitig sich vor Lachen auf dem Sofa zu kugeln. Das Beste aus beiden Welten sozusagen. Das fehlt dem Film hier für mich etwas und lässt ihn manchmal etwas trocken wirken.
Zum Thema:
Hab gemerkt, dass ich doch allein für die Challenge hier schon einiges an magischem Realismus geschaut habe. Das Ergebnis ist bunt gemischt. „Bittersüße Schokolade“ fand ich zum Beispiel richtig schlimm, während mir „Beasts of the Southern Wild“ gut gefallen hat. Diese magische Sache ist für mich schon bisschen Hit and Miss. Wen einem der Film sowieso nicht so gut gefällt, dann können einen so magische Auflösungen aus dem Nichts richtig ärgern. Wenn man aber schon auf einer Wellenlänge mit dem Film liegt, dann sind so kleine magischen Einstreuer eben richtig … magisch
Heißt hier: Ob das jetzt alles eine einzige magische Vorstellung oder purer Realismus ist, den uns Mr. Chance hier vorträgt weiß ich nicht aber ich denke seinen Platz in den Listen hat der Film dann eben vor allem gegen Ende bekommen. Dann wenn uns Mr. Chance, als das gezeigt wird, als was ihn die Oberen uns zeigen wollen. Oder doch als das, was das Volk in ihm sehen will? Die neue Jesus-Figur.
Eine tragische, zynische und sarkastische Satire auf unsere Gesellschaft. Hoch intelligent aber auch etwas repetitiv, didaktisch und ziemlich depressiv.
7 von 10 Mal Wasser zu Wein