Thema #21: Stummfilm
Film: Ein Mensch der Masse (The Crowd) von King Vidor
Erscheinungsjahr: 1928
Laufzeit: 104 Minuten
Wo gesehen: arte-Mediathek
John Sims wird am 4. Juli 1900 in einem kleinen amerikanischen Dorf geboren. Wir begleiten nun das Leben von John Sims mit all seinen Höhen und Tiefen, die so ein Menschenleben in der Masse der anderen Menschenleben eben so mitbringt.
Definitiv ein Stummfilm, den ich schon lange mal sehen wollte, an den ich aber auch recht hohe Erwartungen hatte. Warum? Der Film ist ein bisschen der Wegbereiter von dem Slice-of-Life-Genre. Und egal ob jetzt Boyhood, Ladybird, in vielen Animes etc. ich mag diesen realistischen Fokus in der Fokussierung auf einen kleinen Ausschnitt des Lebens von einer bestimmten Person.
Auf der anderen Seite und damit auch schon zu einem sehr positiven Merkmal des Films, ist der Film sehr humorvoll. Musste mehr als nur 1,2 mal lachen. Der Film war auch einer der Lieblingsfilme von Billy Wilder und wer „Das Appartement“ mag kann den Film hier allein schon deshalb einmal anschauen um über die vielen Parallelen staunen zu können.
Der Film ist eine große emotionale Achterbahnfahrt. Es geht immer wieder vor und zurück im Leben von John Sims; auf und ab. Die positiven Momente sind dabei eben oft lustig und charmant und gerade, wenn man sich richtig wohlfühlt, kommt wieder ein Schlag in die Magengrube und so geht das den ganzen Film.
Technisch sind die Filme von damals, von denen man heute noch redet, für die damalige Zeit ja sowieso meist sehr fortschrittlich. Das besondere hier, sind die Massenszenen, die mit ihrer Menge an Menschen zu beeindrucken wissen und in Kombination mit den Hochhausfassaden versucht man auch gut dieses „Massengefühl“ der Großstadt von New York einzufangen.
Dazu gibt es eine tolle Orchestermusik, man kann es sich denken; heiter und lustig in den Hochphasen des Lebens, beängstigend und bedrückend in den Tiefs.
Nun zur Bewertungsdiskussion von so Stummfilmen. Eigentlich ist es wie bei anderen Filmen auch, entweder er erreicht mich oder halt nicht. Wie schon gesagt, technisch sind die Filme die so im Gespräch sind ja meist herausragend aber meist interessiert mich das persönlich nur zweitrangig (außer er ist jetzt wirklich heutzutage unanschaubar).
Anstrengend und herausfordernd sind solche Filme heute natürlich trotzdem. Jeden Tag jetzt nur noch Stummfilme, da hätte ich schnell aber mal gar keinen Bock mehr drauf. Aber ist bei mir ehrlich gesagt mit gleichen Genres etc. recht ähnlich. Die Mischung muss es sein, das ja erst das tolle für mich am Film.
Der Film hat aus heutiger Sicht für mich aber auch Schwächen und klar viele davon sind der Zeit geschuldet. Aber ich mein es gibt Stummfilme, die sind 10 von 10 für mich und genauso hab ich welche, da penne ich in 9 von 10 Fällen weg, obwohl sie vielleicht als Meisterwerk gefeiert werden, die bekommen dann natürlich, trotz vielleicht technisch einem tollen Stummfilm, eine schlechte Wertung.
Bei dem Film fällt so der zweite Abschnitt des Films etwas schwächer aus. Die ersten 15 Minuten sind richtig beeindrucken und ab ungefähr Minute 60 geht es richtig ab. Dazwischen fand ich etwas viel Leerlauf mit einigen Emotionen die sich immer wieder wiederholt haben. Außerdem hab ich mir den Schluss etwas mutiger gewünscht aber das ist vielleicht für einen Hollywoodfilm zu der Zeit auch etwas viel verlangt.
Überhaupt, der Film ist eben für die damalige Zeit recht gewagt. Trotz Stummfilm versucht man bei den Schauspielern das Overacting etwas herunterzufahren um es eben der Filmthematik anzupassen. Das ist nicht immer ganz leicht, weil man manchmal denkt: So schauen die Leute jetzt bei den Emotionen? Naja. Der Film war damals wohl auch eher mäßig gefeiert und ist erst mit der Zeit gewachsen. Es hatte einfach niemand Bock seine realen Lebensprobleme auch noch auf der Leinwand zu sehen, was dann später durch den 2. Weltkrieg nochmal verstärkt wurde. Verständlich und zeigt auch, wie kontextabhängig jeder Film ist und zu welcher persönlichen Zeit er konsumiert wird.
Zum Schluss noch eine persönliche Sache zu Stummfilmen. Hier gibt es auch wieder einiges an Texttafeln.
Wenn man einmal „Der letzte Mann“ von Murnau gesehen hat mit seiner einen (!) Texttafel in über 100 Minuten, dann träume ich zumindest immer von diesem Film. Ich liebe den Film und er ist für mich das Stummfilm-Meisterwerk schlechthin. Hat natürlich viele Gründe aber einer ist sicherlich, dass man nicht nebenher noch einen Roman lesen muss.
Aus der Reihe lustige Fun Facts noch etwas zum Regisseur. King Vidor ist wahrlich der King. Er hält den Weltrekord im Guinnes-Buch für die längste Regiekarriere in Hollywood. 67 (!) Jahre von 1913-1980 hat er Filme gedreht und der Fakt, dass jemand wirklich King heißt und diesen Weltrekord als Regisseur trägt finde ich schon sehr amüsant . Stelle mir die Unterhaltung mit dem Menschen sehr interessant vor, wenn jemand 1913 angefangen hat Filme zu drehen und 1980 immer noch am drehen war. Der hat wohl wirklich alles in Hollywood mitgenommen.
Wie sooft hab ich bisher nur ein paar Western von ihm gesehen (und den Krieg und Frieden irgendwann glaub mal) ansonsten noch nichts. Bin jetzt auch sehr auf seine anderen Filme gespannt.
Am Ende lässt sich sagen, ich mochte den Film sehr. Der Ausschnitt aus dem Leben eines Menschen hat mich gepackt und ich war emotional, zu großen Teilen drin im Film. Auch die vielen Verweise auf so Dinge, wie: Individualität vs. Gruppenzugehörigkeit, Kapitalismus als Fluch oder Segen etc. sind auch heute einfach noch sehr interessant. Trotzdem ein herausfordernder Film, wie eben sehr viele bei diesem Thema.
8 von 10 Herdentriebe