Was in dem Interview aber auch interessant ist, dass es doch sehr differenziert ist und er beide Seiten gut beschreibt. Zum Video in Düsseldorf sagt er:
Behr: Das ist meines Wissens eine Technik, die so ähnlich bis heute an deutschen Polizeischulen gelehrt wird. Das ist trainiertes Verhalten. Meine Studenten berichten, dass Ausbilder diese Technik als Ultima Ratio vermitteln, als allerletztes Mittel. Von den Polizisten höre ich, dass es Menschen gibt, die sich bei Festnahmen widersetzen oder selbst am Kopf verletzen wollen, etwa um später behaupten zu können, die Polizei habe sie verletzt. Durch das Knien wird der Kopf fixiert, um das zu verhindern. Die Frage, die jetzt im Raum steht, lautet: Hat der Polizist sein Knie nur auf den Kopf oder auch in den Hals gedrückt, was wegen der Verletzungsgefahr nicht mehr ausbildungskonform wäre. Allerdings zeigt das Video auch nur einen Ausschnitt des Geschehens. Wir wissen noch nicht genau, was zuvor geschah.
Endlich mal eine differenzierte Ansicht der Szene und nicht gleich eine Vorverurteilung vom Bildschirm aus. Das würde in manchen Diskussionen auch hilfreich sein, wenn man nicht nur von “harmlos und definitiv gerechtfertigt” oder “sehr brutal und der gehört entlassen”.
Zum Einsatz in Hamburg sagt er auch das, was man nun nicht so selten lesen konnte:
Behr: Das sieht für mich mir eher aus wie der hilflose Versuch einer Festnahme, die in einer Gewaltspirale mündet. Ein Beamter ruft nach Unterstützung, weil er nicht zurechtkommt, dann geraten die Dinge außer Kontrolle. Natürlich wirkt das hilflos, unkoordiniert, irritierend. Und natürlich heißt es später: Der Junge war erst 15. Aber die Beamten sehen erst einmal einen großen, jungen Mann, der nicht einfach dasitzt, sondern sich wehrt. Ich kann da keine übermäßige Polizeibrutalität erkennen.
Er spricht auch dieses Argument an, dass man bei der Statur und Kraft eben nicht automatisch von einem 15-jöhrigen ausgeht. Wer das sofort erkennt, sollte unbedingt zur Polizei gehen. Der hat ein gutes Auge.
Ich finde die Szene sieht auch hilflos aus. Aber ich hab hier auch oft von 8 Beamten gelesen. Wer denkt, dass die von Anfang an dabei waren, irren meiner Meinung nach.
Noch ein guter Kommentar, den ich auch schon zum Waffeneinsatz in Bremen hier öfter wiederholt hatte.
Behr: Das kann der Minister nur sagen, wenn er die hässliche Seite der Polizeiarbeit ausblendet. Und dazu gehört eben auch Gewaltanwendung und Überwältigung. Polizeiarbeit tut weh, muss sie manchmal sogar. Natürlich sieht das niemand gern, natürlich verstört uns das. Aber was legitime Gewalt ist und was nicht, entscheidet sich nicht im Internet. Das entscheidet die Staatsanwaltschaft und später das Gericht
Noch ein interessanter Punkt, dass die Forschung keine Zunahme der Gewalt gegen Polizisten sieht, sondern auch die steigende Polizeigewalt fast keine Anhaltspunkte hat.
Behr: Sie irren, ich nehme das sehr ernst. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Wahrnehmung von Gewalt stark von sozialen Regeln bestimmt ist. In meinen Augen kommen gerade zwei Dinge zusammen: Durch den Mord an George Floyd in den USA gibt es auch in Deutschland eine Tendenz, Polizeigewalt stärker zu problematisieren. Jede öffentliche Festnahme wird heute mit anderen Augen angeschaut. Es kommt öfter vor, dass Menschen Polizeiarbeit filmen und die Aufnahmen im Netz teilen. Das ist dann wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Jedes neue Video dient als Beweis, dass Gewaltexzesse zunehmen. Dabei haben wir in der Forschung wenig oder keine Anhaltspunkte dafür, dass Polizeigewalt zunimmt.