Gerade die 19k geschafft. Schreibe seit Februar täglich und komme gut voran. Bald die 10k dieses Jahr geschrieben. Das regelmäßige schreiben hilft auch dabei in der eigenen Geschichte drin zu stecken und nichts zu vergessen. Wie läuft es bei euch?
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Auch beim Striegeln regte sie sich keinen Deut und so bürstete ich ihr behutsam gegen das Fell. Die Ruhe tat erstaunlich gut. Der Lärm der Straße drang nur gedämpft in den Stall und ich hatte irgendwie das Bedürfnis mit Philippa über die letzten Ereignisse zu sprechen. Wolfgang war nett, aber er ich konnte ihn bisher nicht genau einschätzen. Das Pferd sah mich an als würde es bereits ohne jegliche Worte spüren was nicht mit mir stimmte.
„Hier ist das Waschwasser“, ertönte es plötzlich hinter mir, dass ich erschrocken zusammenzuckte und das Pferd daraufhin den Kopf schüttelte und auf der Stelle trabte. Ich streichelte dem Pferd über den Rücken und drehte mich seitlich zum Stallburschen der gerade den Kopf bückte, hinter der Holzwand verschwand und unter einem dumpfen Ton einen Behälter vor dem Gatter abstellte. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, sah er mich ausdruckslos an, dass es mir schnell unangenehm wurde.
„Danke…“, entgegnete ich perplex. Der stoische Bursche reagierte nicht und meinte bloß knapp, er würde nun das Essen bringen und verschwand sogleich wieder im Innenhof.
Regungslos betrachtete ich weiter die Stelle an der der Junge gerade noch stand und versuchte zu verstehen was der Blick von ihm zu bedeuten hatte. Dann stieß mich das Pferd mit ihrer Nase an und weckte mich aus meiner Starre. Ich wechselte die Seite und striegelte abermals das Fell. So würde ich den Knecht das nächste Mal wenigstens sehen wenn er wiederkäme.
Der Junge war von meinem Anblick weder angewidert, noch überrascht gewesen, was ich mir nicht erklären konnte. Wie es ihm wohl hier in der Stadt erging. Ich kannte bloß das Leben als Bauer. Vielleicht war er von seiner Arbeit einfach sehr müde und regte deshalb keinen Muskel im Gesicht. Wie ich so in den Gedanken wieder versank, wechselte ich vom Striegel zur Kardätsche um das Fell wieder glatt zu streichen.
Philippa hob den Kopf abwechselnd langsam hoch und runter als würde sie zustimmend nicken. Zum Abschluss klopfte ich ihr bestätigend auf die Brust, ging vorne an ihr vorbei und tätschelte den Kopf. Dankend streckte sie den Hals in meine offene Handfläche und ließ mich aus dem Gatter passieren. Daneben stand ein kleiner Zuber mit Wasser gefüllt und einem Lappen über einen der beiden Tragegriffe gelegt.
Ich konnte nicht genau sagen ob der Zuber so dreckig war oder das Wasser darin, aber es würde reichen. Es stank wenigstens nicht.
Ich ging in die Knie, nahm das zerschlissene Tuch in die Hand und tauchte es im kalten Wasser unter. Da kam gerade der Stallbursche zurück mit einer Schale in der Brot lag.
„Suppe“, sprach er mich ohne Umschweife an, hielt das Essen kurz etwas höher um darauf zu weisen und stellte es auf einem Schemel ab, ehe er ohne weitere Äußerung auf dem Absatz kehrtmachte und abermals seiner Wege ging.
„Danke!“, rief ich noch hinterher, doch er reagierte hierauf nicht weiter. Ich kam mir vor wie in der falschen Welt. Ich schien für die Welt bereits gestorben zu sein, zusammen mit dem Rest meiner Familie.
Langsam zog ich das triefende Tuch aus dem Bottich, wrang es aus und sah den Tropfen dabei zu wie sie auf der unruhigen Wasseroberfläche aufschlugen. Nach der Wäsche würde meine Umwelt hoffentlich wieder menschlicher auf mich reagieren, dachte ich und wusch mir den Dreck aus dem Gesicht. Der Lappen war voller Erde, kleinen Grashalmen und einem Blatt, als ich ihn abermals untertauschte und mir damit im Wasser die Hände säuberte. Es fühlte sich trotz der Kälte der Flüssigkeit sehr gut an. Anders als heute Morgen, als der Körper von der Nässe aufgezehrt worden war und die Energie aus jedem Muskel ausgewaschen hatte, statt neue zu spenden. Ich krempelte mir die Ärmel hoch und befreite meine Arme vom Schmutz. Erst leicht, dann rieb ich immer fester mit dem Tuch über meine vom Dreck verkrustete Haut.
Diese verdammten Bastarde werden für das bezahlen, was sie mir und meiner Familie angetan haben, dachte ich und merkte wie sich abermals ein Kloß in meinem Hals bildete.
Philippa ragte ihren Kopf über das Gatter und blies durch ihre Nüstern. Das Tier schien wirklich alles zu bemerken. Ich lachte kurz und warf den schlammigen Lappen in den Zuber, dass es spritzte. Einen Moment hielt ich inne, dann richtete ich mich auf und ging zur Schale mit dem Essen. Mein Magen knurrte sogleich. Das Brot war in die Suppe versenkt worden, zusammen mit einem Löffel. Zu meiner Überraschung schmeckte sie erstaunlich gut, andererseits war meinem Mund und Magen gerade wahrscheinlich alles recht was auch nur entfernt nach Essen aussah und roch.
Unter großen Bissen riss ich Stücke aus dem Brot heraus, das ich mit der linken Hand hielt. Ich merkte, wie sich meine Finger immer weiter in den Laib drückten und versuchte es so sanft wie möglich zu halten, doch es gelang mir nicht so recht. Schnell leerte sich die Schale und ich hätte locker Nachschlag vertragen können, doch ich hatte weder die Mittel noch die Zeit in Ruhe zu essen. Ich sollte mich schnell fertig waschen ehe Wolfgang zurückkäme, dachte ich, stellte die fein säuberlich geleerte Suppenschale zurück auf den Schemel und ging zurück zum Zuber an dem mich Philippa bereits erwartete.
Ich zog meine Bundschuhe aus und sah einige Blasen an meinen Füßen. Die Flucht war nicht nur seelisch nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Vorsichtig ließ ich das Wasser vom Lappen auf meine Wunden tropfen. Es war kein angenehmes Gefühl und brannte entsetzlich, dass sich meine Mundwinkel verzogen, doch es sollte sich nicht entzünden.
Bedächtig wusch ich mit dem Lappen um die lädierten Stellen herum und wusch den Schweiß und Dreck von meiner rauen Haut.
„Sollte fürs erste reichen“, dachte ich, wrang das Tuch aus und legte es über den Rand des Zubers.
Langsam zog ich meine Schuhe wieder an, richtete mich auf und ging zu Philippa hinüber.
Sie hatte mich keinen Augenblick aus den Augen gelassen, als sie ihren Kopf zur Seite richtete und an mir vorbei zu sehen schien. Ich drehte mich um und sah abermals den Knecht kommen, wie er fragend auf den Zuber deutete und davor stehen blieb.
„Danke, ich bin fertig. Sag, wie ist dein Name?“, wollte ich wissen, ehe er wieder so schnell verschwinden würde wie er kam.
„Noah“, war seine knappe Antwort und griff bereits nach den Tragegriffen.
„Wie der aus der Bibel“, fügte ich hinzu, doch er nickte nur bestätigend und hob den Bottich an.
„Nicht sehr gesprächig, wie?“, warf ich ihm nun offen vor, doch er schüttelte nur den Kopf, dass ich mir leicht veräppelt vorkam, doch seine Miene veränderte sich nicht, als er sich umdrehte und wieder ging.
Ich warf Philippa einen fragenden Blick zu ob sie aus dem Jungen schlau wurde, doch sie hob bloß ihren Kopf zurück in ihre Kammer und hatte das Interesse verloren. Vielleicht sollte ich mir darüber auch nicht zu viele Gedanken machen, überlegte ich und schritt aus dem Stall zurück in den Innenhof. Die Sonne schien auf meine noch nassen Arme und wärmte meine Haut. Insgesamt war es jedoch sehr schattig in dem schmalen Hof, der ringsherum zweistöckig eingerahmt war. Die Fensterläden waren zum Großteil zugezogen, hier und da standen sie offen und es wehte Wäsche, die über die Brüstungen gelegt waren. An einer Öffnung im Obergeschoss konnte ich gerade noch eine Gestalt erkennen, als diese sofort verschwand, als hätte ich sie dabei ertappt wie sie mich beobachtet hatte. Eine Weile genoss ich die wärmenden Strahlen, während ich das Zimmer im Auge behielt, doch die Person ließ sich nicht mehr blicken.
„Das hier ist Wilhelm“, hörte ich Wolfgang sagen, der gerade durch die Unterführung des Gasthauses geschritten kam, durch die ich mit ihm auch gegangen war, zusammen mit einem langen, hageren Mann in vornehmer Kleidung an seiner Seite.
„Der Waise“, sprach er mich an und musterte zu meiner Überraschung nicht meine Kleidung sondern mein Gesicht, was mir tatsächlich schnell unangenehmer war, als könnte er so in meinen Gedanken lesen, dass ich sie gestohlen hatte.
„Der Bauernjunge, Herr. Ich bin nicht weise“, entgegnete ich berichtigend und merkte sogleich wie Wolfgang den Mund verzog als müsste er lachen allerdings versuchte einen mitleidigen Eindruck zu machen.
„Das Waisenkind“, korrigierte der Recke ruhig und glitt mit seinem Blick an mir herunter. Als er wieder aufsah nickte ich verlegen und er fügte hinzu, „ich bin Endres von Arkranz und habe von meinem Knappen Wolfgang von Giebelberg erfahren in welcher Notlage du dich befindest.“
Ich wollte Wolfgang ansehen wie er reagierte, jedoch schien es mir unhöflich den Adligen nicht in die Augen zu sehen, während er mit mir sprach und schluckte stattdessen, da der Ritter nicht weiter redete und ich nicht wusste ob ich mich wieder äußern sollte.
„Er sprach auch von deiner Schwester, die hier in Alphofen im Kerker sitzen solle“ fuhr er endlich fort, worauf ich abermals nickte.
„Ja, Herr von Arkranz“, bestätigte ich und wartete kurz ab, ob er darauf etwas sagen wollte, doch er schwieg. Ob der Stallbursche wohl sein Neffe war, dachte ich kurz und sah Wolfgang an, der kaum merklich nickte. Seine Mimik war ernst.
„Sie wird für den Mord an meiner Familie festgehalten“, entgegnete ich weiter und musste mich räuspern. Der Kloß im Hals fing wieder an zu wachsen wie ein Geschwür.
„Aber sie hat deine Familie nicht ermordet“, berichtigte mich Endres, der nun seinen Kopf zum Fenster drehte an dem ich meinte eine Person gesehen zu haben.
„Nein, es waren zwei Männer die abends unseren Hof stürmten und niederbrannten, Herr Ritter“, ergänzte ich und sah ebenfalls zum Fenster hinüber, an dem nun eine Frau stand, die im Begriff war Wäsche auszuschlagen.
„Lass mich kurz nach Philippa sehen und dort weiterreden“, reagierte Endres kühl und schritt ohne zu zögern in den Stall hinein. Wolfgang folgte ihm auf dem Fuß und ich hinterher.
„Im Gasthaus kann niemand bestätigen, etwas von einem solchen Vorfall gehört zu haben, aber wir werden uns an den Baron wenden, er wird wissen wo deine Schwester ist und hoffentlich auch wo die Männer sind, die sie gebracht haben“, erklärte Endres und streichelte die Stirn des Pferdes, das sofort wieder den Kopf über das Gatter gestreckt hatte.
„Jetzt?“, platzte es aus mir heraus, dass Wolfgang mich mit heruntergezogenen Augenbrauen zurechtwies.
„Ja, jetzt, Wilhelm“ bejahte der Ritter zu meiner Verwunderung und ich musste unweigerlich grinsen.
„Nach der Botschaft, die Wolfgang mir gebracht hat, muss ich eh mit dem Baron reden. Es bietet sich also an“, erklärte er, wischte Philippa eine Strähne aus dem Gesicht und begann seine ledernen Handschuhe anzuziehen.
„Komme ich mit?“, fragte ich zaghaft, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass der Baron jeden beliebigen Bauern in Empfang nahm.
„Natürlich, Junge. Du musst ihm die Geschehnisse schildern und die Männer beschreiben die euch überfallen haben“, erwiderte von Arkranz und ging wieder voran, den Stall hinaus und Richtung Straße. Wolfgang blieb diesmal etwas auf Abstand und ging neben mir her.
„Ich schätze deinen Respekt vor meinem Meister, doch sei dir bewusst in welche Gesellschaft du dich nun begibst junger Bauer“, redete er mich leise an und beugte seinen Kopf leicht zu meiner Seite.
„Ja, Herr“, antwortete ich gehorsam, auch wenn ich nicht wusste was jetzt auf mich zukam. Wie es im Haus eines Barons wohl aussah. Ob die Wände wohl vergoldet waren? Und das Besteck? Und ein weiches Federbett? Die Gedanken in meinem Kopf fingen an zu kreisen und bauschten sich immer weiter mit Prunk auf, den ich mir vorzustellen vermochte, als mich Wolfgang zurück in die Realität rief.
„Es ist nicht weit von hier, bleib dicht bei mir und sprich nur, wenn man dich anredet“, worauf ich direkt antworten wollte, doch dann überlegte, ob das schon ab sofort galt und ich meinen offenen Mund stattdessen wieder schloss.
„Hast du verstanden?“, fügte Wolfgang hinzu und sah mich prüfend an.
„Ja, Herr, natürlich“, bestätigte ich und war trotz der Zurechtweisung froh darüber, dass Wolfgang mit mir auf offener Straße nun auch direkt sprach. Endres war einige Schritte vor uns und ging zielstrebig in der Mitte der Straße voraus. Die Menschen die seinen Weg kreuzten, machten einen verhältnismäßig großen Bogen um ihn herum, dafür, dass sie ansonsten recht direkt aneinander vorbeigingen, wenn sich ihre Wege kreuzten, dass man meinen sollte, sie stießen gleich zusammen. Generell war das Treiben auf der breiten Hauptstraße sehr unübersichtlich für mich. Es war auch deswegen unangenehm für mich, weil ich fürchtete in jedem Gesicht plötzlich die Mörder meiner Eltern zu erblicken. Lydia würde ich hier leider nicht finden, so sehr ich es mir auch wünschte.
Schließlich bogen wir auf einen Weg ab, an dessen Seiten auch Wachen positioniert waren. Der Weg selbst führte einen leichten Hang hinauf, an dessen Ende hinter einer von groben Steinen aufgeschichteten Mauer ein imposanter Holzbau in die Höhe wuchs. Das Tor in der Mauer war mit viel Eisen beschlagen und ebenfalls bewacht. Solch einen Schutz hätten wir auch gebrauchen können, dachte ich und kaute nervös auf meiner spröde werdenden Unterlippe.
Kapitel 4
Am Tor angelangt hatte Endres bereits mit den Wachen gesprochen und diese durch einen Ruf über die Schulter das Tor von innen öffnen lassen, das sich gerade so weit öffnete, dass ein Mann dazwischen hindurchgehen konnte.
Ich sah mich noch kurz um und konnte ein Stück weit über die Dächer des Ortes blicken, die sich spitz und in alle möglichen Richtungen zeigend nach oben erstreckten. Durch den Rauch aus den Schornsteinen wirkte es stellenweise so, als würde Nebel über die Häuser hinweg ziehen.
Wolfgang schritt als nächstes durch die Öffnung im Tor und ich sah den beiden Wachen abwechselnd in die Augen. Sie musterten mich genau von Kopf bis Fuß mit wachen Blicken, rührten sich ansonsten aber nicht weiter und so ging ich auch in den Innenhof des Anwesens, der, dafür, dass er mitten in der Stadt lag, eine erstaunliche Weite besaß. Ein eigener Stall für Vieh und Pferd, ein Schießstand für Pfeil und Bogen und andere kleinere Gebäude ohne augenscheinliche Nutzung neben dem offensichtlichen Haupthaus. Das Erdgeschoss war komplett aus grob aber ordentlich geschichtetem Stein errichtet worden, das Geschoss darüber war noch feiner bearbeitet und auch die Fenster waren größer als unten. Darüber gab es noch eine Etage aus Fachwerk, dass schließlich von einem großen Dach gekrönt wurde. Das Gebäude war nicht aus Gold, wie ich irrtümlich vermutet hatte, aber bei der Größe wäre das wohl selbst für einen Baron zu teuer schätzte ich und folgte den beiden weiter durch die Tür des Hauses ins Innere. Es roch sehr angenehm nach gebratenem Fleisch und Gewürzen, dass mir schlagartig das Wasser im Mund zusammenlief. Zusammen stapften wir eine steinerne Treppe hinauf ins nächste Stockwerk und blieben neben einer zweiflügligen Tür stehen, wovor eine Person stand die wohl als Diener unterstellt war.
„Endres von Arkranz in Begleitung seiner Untergebenen. Ich wünsche mit Baron Ullrych von Falkenstein zu Haintal sprechen“, redete der Recke den Diener an, der ihn und seine Begleitung aufmerksam musterte.
„Jawohl, Ritter von Arkranz, ich werde es sogleich meinem Herren unterrichten“, verbeugte sich der kleine Herr, dass er Endres nur noch bis zum Bauchnabel ging, öffnete beide Flügel der Tür und schwang sie gekonnt soweit auf, dass sie von selbst nach der vollständigen Öffnung zum Stillstand kamen. Ein Speisesaal tat sich auf, der mit großen Fenstern ausgestattet war, die viel Licht in den tiefen Raum warfen. Selbst dieser Raum war größer als meine Dorfkirche dachte ich. Und auch heller.
Nach zwei langen parallelen Reihen von Tischen, die zu beiden Seiten mit aufwendig geschnitzten Stühlen bestückt waren, gab es am Ende des Saales noch einen Tisch dazwischen, der mit reichlich Essen ausgestattet war, und so eine Hufeisenform bildeten. Mein Magen knurrte und ich hielt mir erschrocken den Bauch, doch keiner schenkte mir Beachtung.
Ein Mann saß an der gedeckten Tafel in der Mitte. Er besaß einen prächtigen Vollbart, hatte auf dem Kopf allerdings nicht mehr den besten Haarwuchs und bereits eine sehr hohe Stirn die sich in Falten legte als er zu uns aufsah. Seine Kleidung war außergewöhnlich. So etwas hatte ich zuvor noch nicht gesehen. Er trug einen roten Mantel mit allerlei Zierrat in blau, der sich verschnörkelt darüber schlängelte. Ich hätte den Stoff am liebsten direkt angefasst, aber das wäre wohl einer der Fälle, in denen Wolfgang an die Decke gehen würde.
„Herr Baron von Falkenstein zu Haintal, der werte Ritter Endres von Arkranz wünscht mit euch zu sprechen“, kündigte der Diener den Besuch an. Ich verstand nicht, warum sie sich nicht einfach selbst gegenseitig grüßten aber was verstand ich schon von Gepflogenheiten des Adels.
„Bitte, Endres von Arkranz, was führt euch zu mir?“, nickte der Baron dem Recken zu ohne von seinem breiten Stuhl aufzustehen. Der Ritter ging unterdessen weiter in den Saal zwischen die Tische bis er in der Mitte des Raumes stand. Wolfgang folgte ihm, blieb allerdings links neben dem Diener des Barons stehen, der noch am Anfang der rechten Tischreihe stand und die Arme hinter dem Rücken hielt. Ich stellte mich inmitten der beiden und wechselte meinen Blick nervös zwischen Wolfgang und dem Diener. Sie sahen jedoch zum Baron hinüber, der einen Schluck aus einem goldenen Kelch nahm.
„Mein Knappe Wolfgang von Giebelberg“, begann Endres zu erklären und wies mit seiner offenen Hand und einer seitlichen Drehung nach hinten, „hat mich darüber informiert, dass Burkhart von Erhau die Erträge seiner beiden Kupferminen gerne hier bei euch in Alphofen zusammentragen und einlösen möchte.“
Endres wollte wohl erst das geschäftliche klären, bevor er mir helfen würde. Eine andere Wahl hatte ich eh nicht als zu warten bis er mich ansprechen würde.
„Angenehme Neuigkeiten, von Arkranz. Lasst uns die Einzelheiten doch bei einem Glas Wein besprechen“, besserte sich die Miene des Barons schlagartig und wies auf einen Stuhl neben sich. Der Diener nickte abrupt aus seiner stoischen Haltung heraus, dass ich mich erschrak und Wolfgang mir zuflüsterte.
„Das kann eine Weile dauern, wir warten besser draußen, bis der Diener uns holt“, unterwies er mich, doch das behagte mir gar nicht. Ich wollte Lydia so schnell wie möglich aus dem verdammten Kerker holen, stattdessen wollte der Baron lieber mit dem Ritter über Geld reden.
Ich seufzte, dass Wolfgang mir einen mitleidigen Blick zu warf, legte eine Hand auf meine Schulter und drückte mich sanft zurück in den Flur. Ich drehte mich noch kurz zu Endres um, der gerade neben dem Baron Platz nahm, als der Diener auch schon die beiden Türen vor unserer Nase zumachte.
„Und was machen wir jetzt, Herr?“, stand ich ratlos vor dem Knappen, der gedankenversunken auf eine Sitzbank neben der Tür starrte.
„Wolfgang?“, sprach ich ihn abermals mit seinem Namen an, was ihn endlich aus seiner Abwesenheit weckte.
„Bitte? Wilhelm, wir machen erst mal gar nichts, setz dich doch“, murmelte er. Nichts? Das war etwas, was einem Bauern fremd war. Es gab immer etwas zu tun, dachte ich, als die Tür des Saales sich wieder knarzend öffnete und wir beide verwundert in das gelangweilte Gesicht des Dieners blickten.
„Der Baron und Ritter wünschen ebenfalls eure Anwesenheit, Herr von Giebelberg, um die Planung zu vernehmen“, lud er den Knappen ein, der grinsend nickte. Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, als er beiläufig mir noch mitteilte zu warten.
Wieder kaute ich auf meiner Unterlippe herum und beobachtete, wie die Tür aufs Neue ins Schloss fiel. Ich biss einen Hautfetzen ab und schmeckte Blut. Wie lange wird das jetzt dauern? Hätte man mir nicht wenigstens etwas vom guten Essen anbieten können? Mein Magen fühlte sich bei dem Geruch in der Luft noch leerer an als vor der Mahlzeit am Gasthaus.
„Ich kann hier nicht nichts tun“, murmelte ich und sah auf die Holzbank. Dann warf ich einen Blick die Stufen der Treppe hinunter. Wenn der Kerker ebenfalls hier lag, konnte ich Lydia vielleicht kurz sehen. Ich wollte nicht herumschnüffeln oder die Gastfreundschaft missbrauchen, aber sich kurz umzusehen war sicherlich kein Verbrechen, dachte ich. Wenn mich jemand fände würde ich einfach behaupten ich suchte nach dem Örtchen um mich zu erleichtern.
Nervös stapfte ich die Stufen Schritt für Schritt hinunter und versuchte dabei so leise wie möglich zu sein, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, ich würde durch das Anwesen schleichen. Soweit konnte ich niemanden erspähen und so öffnete ich die nächste Tür einen Spalt weit, die direkt neben der Treppe lag. Dahinter konnte ich einen Raum ausmachen der mit allerhand Töpfen, Geschirr und diversen Lebensmitteln ausgestattet war. Die große steinerne Feuerstelle in der Mitte besaß einen komplett schwarz verrußten Kamin. Das Sichtfeld, das sich mir für die Küche erschloss, lies keine Person im Raum erkennen, wodurch ich die Tür langsam wieder zu zog und mich weiter umsah. Hinter der nächsten Tür war nichts zu hören, also schaute ich auch hier hindurch, eröffnete mir allerdings nur einen langen Korridor mit noch mehr Türen an den Seiten. Den würde ich wohl begehen, wenn ich die anderen Zimmer durch hätte in der Eingangshalle, überlegte ich und ging zur nächsten Tür um zu lauschen.
Es waren Stimmen zu hören, daher drückte ich die Klinke gar nicht erst herunter und wollte gerade weitergehen als mir ein Schauer über den Rücken lief und ich wie angewurzelt stehen blieb.
Ich konnte nicht verstehen was gesagt wurde, aber die Stimme kam mir unangenehm bekannt vor. Halluzinierte ich? Vorsichtig griff ich nach der Klinke. Sie kam mir sehr kalt vor, während mir immer wärmer wurde und ich tief durchatmen musste. So langsam wie möglich drückte ich den Griff hinunter und öffnete die Tür nur soweit, dass ich die Stimmen besser verstehen konnte.
„… für das Geld kaufe ich mir so teure Stoffe wie der Baron sie trägt und verkaufe sie andernorts teurer“, hörte ich nun deutlich die Stimme eines Mannes, die eindeutig zum Mörder gehörte, der mich gestern angegriffen und verfolgt hatte. Fassungslos versuchte ich zu verstehen was hier vor sich ging. Kein klarer Gedanke kam zustande.
„Du willst fahrender Händler werden? Lächerlich! Aber mir vorwerfen es zu versaufen sei eine bescheuerte Idee“, spottete der andere. Beide lachten, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.
Was machten sie hier? Es konnte kein Zufall sein. Oder doch? Ich konnte nicht glauben was ich hörte und drückte mit meinen Fingerkuppen gegen das Holz der Tür um den Spalt zu vergrößern. Jedes noch so leise Knarzen der Tür ließ mein Herz rasen, doch ich traute meinen Sinnen nicht mehr und wollte mit meinen eigenen Augen sehen wer sich dort unterhielt.
„Der soll endlich mal unsere Besoldung rausrücken. Keinen Bock hier noch einen Tag länger zu schimmeln. Die Küchenmagd bringt uns nicht mal Bier“, schimpfte der erste, der mich durch den Wald gejagt hatte. Die Öffnung war fast groß genug um den Kopf durchzustecken.
„Der soll sich echt mal nicht so haben. Konnte ja keiner ahnen, dass der Bauernhof abfackelt. Das war nicht Teil der Vereinbarung gewesen“, pflichtete der zweite bei.
„Naja, der Junge sollte auch sterben, aber was will der jetzt schon noch groß machen“, warf der erste ein. Ich versteinerte. Das konnte einfach nicht wahr sein. War ich direkt in die Falle getappt? Was jetzt?
„Und du hast es Gott verdammt nochmal verkackt. Wehe ich kriege wegen deinem Patzer keine Kohle“, klagte der zweite und schlug wohl mit der Hand auf den Tisch, da es einen Krach machte und ich erschrocken zusammen fuhr.
„Halt die Klappe, wenn ich dir nicht geholfen hätte, wärst du zu Brei geschlagen worden“, wies der andere energisch zurück. Langsam zog ich meine zitternde Hand zurück vom Türflügel und ging einen Schritt rückwärts. Meine Augen tränten und ich presste die spröden Lippen aufeinander.
„Ruhig bleiben… Bleib ruhig. Was tun?“, zermarterte ich mir mein Hirn und wischte mit meinem Ärmel über das feuchte Gesicht. Ich sollte nichts überstürzen. Ich würde sie am liebsten auf der Stelle mit all meiner Wut ersticken, die meinen Hals brennen ließ, doch ich hatte alleine ohne Waffen gegen die beiden keine Chance. Zaghaft ging ich zurück in Richtung des Aufstiegs ins Obergeschoss zum Speisesaal und ließ die Tür einfach offen stehen. Kein Risiko eingehen. Wenn sie mich noch nicht bemerkt hatten, sollte es wohl am besten erst einmal auch so bleiben, dachte ich.
Wolfgang und Endres mussten gewarnt werden. Oder konnte man ihnen überhaupt noch trauen? Meine Beine waren ungemein schwer, als ich sie die Stufen hinauf schleppte und ich konnte meine Tränen einfach nicht stoppen.
Oben angekommen lief ich unruhig vor der Tür des Speisesaals hin und her und versuchte meine Gedanken zu sortieren. Der Baron hatte die zwei bezahlt uns zu töten. Aber warum? Wir hatten mit dem Baron fast nichts zu tun gehabt. Nicht mehr als andere Bauern in der Gegend. Die Verzweiflung wich einer enormen Wut und ich ballte meine Fäuste, dass sich die Knöchel weiß verfärbten. Er musste sterben. Es gab keine Erklärung. So absurd es auch war, dass ich weiter überlegte, wieso er uns das angetan hatte, wollte ich doch begreifen aus welchen Gründen jemand so etwas tat. Ich weinte nicht mehr, doch ich hätte am liebsten losgeschrien und den Speisesaal gestürmt, doch wenn jetzt eine Sache zählte, dann mir nichts anmerken zu lassen. Ich ging zur Bank und setzte mich hastig hin. Während ich mit meinem Oberkörper auf und ab wippte und den Fußboden vor mir anstarrte, als könnte ich direkt hindurchsehen in die Abgründe des Anwesens, versuchte ich meine nächsten Schritte zu planen.
Wenn der Baron erführe warum ich hier war, würde er mich wohl direkt in den Kerker zu Lydia werfen. Meine Einzige Chance war es Wolfgang und Endres davon zu überzeugen, dass der Baron verantwortlich war, doch ich war ratlos wie ich das anstellen sollte. Er stritt alles sicher ab, daher musste ich versuchen unter vier Augen mit Wolfgang oder Endres zu sprechen und den Baron im Glauben lassen, ich wüsste nicht Bescheid. Fliehen konnte ich jetzt auch nicht mehr. Ich war bereits sein Gefangener geworden ohne es zu geahnt zu haben.
Ich wischte ein letztes Mal mit meinem Ärmel über mein Gesicht und atmete tief durch, als die Tür zum Speisesaal sich langsam öffnete. Entgeistert starrte ich hinüber und erblickte den Diener mit seinem nach wie vor desinteressierten Gesichtsausdruck.
„Der werte Herr Baron Ullrych von Falkenstein zu Haintal erwartet euch“, leierte er herunter und sah mich mit seinen müden Augen an. Ich reagierte nicht weiter als dass ich aufstand und wortlos an ihm vorbei ging in den Saal hinein. Ich kam mir vor, als würde ich vors Gericht treten.
Wolfgang hatte ebenfalls neben dem Baron Platz genommen. Endres saß zur Linken des Teufels, von Falkenstein zu Haintal in der Mitte wie man es erwarten konnte. Ich ging an die Stelle wo Endres zuvor gestanden hatte um Ullrych anzusprechen und musterte die drei abwechselnd, die mich allesamt gespannt ansahen. Ich versuchte den Ausdruck des Barons zu lesen, doch sein Bart verdeckte das halbe Gesicht.
„Bauer Wilhelm, wir haben dich hergebracht um über dein Unglück zu berichten…“, begann Endres, der seine Finger ineinander verschränkt hatte und seine Ellenbogen auf dem Tisch abstützte.
„Wilhelm und weiter?“, unterbrach ihn Ullrych, der sich in seinem hölzernen Thron hervor lehnte. Endres verstummte, doch er sah verwundert zu seinem Nachbarn, „wie lautet dein Familienname?“.
Ich begriff sofort worauf er hinaus wollte doch lügen würde mich nur weiter in die Bredouille bringen.
„Wilhelm Frank, Herr“, antwortete ich knapp. Es widerte mich an den Baron einen Herrn anzureden, aber ich durfte mir keine Blöße erlauben. Seine Augenbrauen gingen kaum wahrnehmbar nach unten als würde er angestrengt nachdenken. Als er merkte, dass Endres auf eine Geste wartete weiter zu reden, lehnte er sich wieder zurück und nickte.
„Wilhelm Frank, erzähl uns bitte, was an deinem Hof auf dem du lebtest passiert ist“, fuhr Endres fort. Ich kaute wieder auf meiner Unterlippe und versuchte den letzten Abend zu beschreiben ohne die Bilder in meinem Kopf wieder zum Leben zu erwecken.
„Zu Sonnenuntergang kamen zwei Männer in unser Haus gestürmt, töteten sofort meine Mutter und anschließend meinen Vater. Meine Schwester versteckte sich in der Vorratskammer, ich konnte aus der Tür fliehen als die Mörder bereits unser Haus in Brand gesteckt hatten, doch wurde verfolgt bis ich sie im Wald abschütteln konnte“, schilderte ich. Wolfgang kratzte sich die Wange und warf mir einen schrägen Blick zu. Ich merkte in dem Augenblick, dass meine Geschichte vom Umziehen meiner Kleidung nicht ganz herein passte.
„Und was ist mit deiner Schwester passiert?“, fragte Endres nach.
„Ich hatte schließlich das Bewusstsein verloren und wachte an diesem Morgen auf. Ich lief zurück zum verkohlten Hof und konnte meine Schwester nirgendwo finden.
„Du hast im Wald geschlafen?“, wunderte sich der Baron und nahm einen Schluck aus seinem Kelch.
„Ich war völlig erschöpft, Herr. Ich fand bei uns Kleidung zum Wechseln, die nicht dem Feuer zum Opfer gefallen war und ging zum nächsten Hof um von der Schandtat zu berichten. Dort erfuhr ich, dass Lydia von zwei Männern hier in Alphofen abgeliefert wurde“, erläuterte ich und rieb meine verschwitzten Hände.
„Lydia ist deine Schwester nehme ich an?“, erkundigte sich abermals der Baron. Er wusste genau von wem ich sprach, stellte sich allerdings wie ich unwissend dar in dieser Situation.
„Ja… Herr. Sie soll von den Männern hergebracht worden sein zum Kerker. Die gleichen Männer, die unseren Hof zerstört haben schieben ihr die Schuld zu“, erwiderte ich und sah dem Baron tief in die Augen, doch er wich meinem Blick aus und sah erst zu Endres und dann zu Wolfgang, ehe er sich mir wieder direkt widmete.
„Woher weißt du, dass es die gleichen sind?“, fragte der Baron weiter aus, „Sebastian, bringe in Erfahrung, ob sich eine Lydia Frank in unserem Gewahrsam befindet“, und sogleich setzte sich der Diener wie ein Uhrwerk in Bewegung und verließ den Saal, nicht ohne vorher wie immer die Tür auch wieder zu schließen.
„Wer sonst soll sie hergebracht haben und dann noch behaupten sie sei für das Massaker verantwortlich gewesen?“, schnauzte ich den Baron an. Seine Provokationen fingen an mich rasend zu machen. Mit Mühe versuchte ich ruhig zu atmen. Ich merkte wie abfällig dem Baron meine Antwort missfiel, als er sich räusperte.
„Klingt plausibel für mich, Herr Baron“, ergriff Wolfgang für mich das Wort. Sowohl Ullrych als auch Endres sahen zum Knappen hinüber, der verlegen die Blicke erwiderte.
„Wie dem auch sei, bevor wir alles weitere zu deiner Schwester besprechen, was geschieht nun mit dir, mein Junge?“, ging der Baron nicht weiter darauf ein. Seine Frage klang viel eher wie eine Drohung.
„Ich habe keine Familie mehr außer meiner Schwester“, stellte ich bekümmert fest.
„Keinen Vormund also“, zischte Ullrych, doch ehe er seinen Satz fortführen konnte nahm ich ihm den Wind aus den Segeln.
„Ich benötige keinen Vormund, Herr. Ich brauche meine Schwester, damit ich den Hof wieder aufbauen kann“, unterstrich ich und merkte wie meine Miene immer düsterer wurde.
„Das wird wohl kaum zu bewerkstelligen sein“, führte nun Endres vor Augen. Mein Hass ging nun auf ihn über, auch wenn er das ganze bloß rational betrachtete. Verwirrt musterte er mein Gesicht.