Moin!
Diskussionen, die so schwer zu greifen sind und bei dem schon so unendlich lange diskutiert wird, werden sich leider immer wieder im Kreis drehen, das liegt ja in der Natur der Sache. Wichtig ist doch trotzdem, dass gesprochen wird. Ob die Diskussion hier im Forum gut aufgehoben ist oder nicht, kann ja auch niemand klar beantworten. Aber 190 Beiträge und sehr lange und teilweise sehr differenzierte Kommentare lassen doch darauf schließen, dass es hier ausreichend Leute gibt, die dazu etwas zu sagen habe.
Die Forderung nach „klaren Lösungen“, wie ich sie schon öfter gelesen habe, ist doch absolut unrealistisch. Sie gibt auch wieder die Verantwortung von den Tätern an die Opfer weiter: „Ich wusste ja nicht, dass ich keine Kommentare über deine Oberweite machen darf, es stand nicht in der Kanalbeschreibung“ Und da du vermutlich weißt, wie das Internet im Allgemeinen oder Twitch im Speziellen funktioniert, hätten klar formulierte Anti-Sexismus-Regeln zumindest als erste Konsequenz den genau gegenteiligen Effekt. Wir müssen doch an einen Punkt kommen, an dem Männer es schaffen, im Zweifel erstmal keine sexistischen Kommentare abzugeben.
Und das hier:
Logischerweise entscheidet das Umfeld und die Gesellschaft was eine gesellschaftlich-verwerfliche Belästigung ist und nicht der vermeintlich Belästigte selbst.
ist doch nicht richtig, natürlich hat als allererste Instanz der oder die Belästigte zu entscheiden, ob das für sie ok war oder nicht. Was du schreibst ist doch die gesellschaftliche Realität, die überarbeitet werden muss, nämlich dass Männer aus dem Umfeld oder im Zweifel eben männliche Staatsanwälte und männliche Richter darüber entscheiden, ob etwas sexistisch ist oder nicht.
Als Mann, der sich mit dem Thema schon seit längerer Zeit beschäftigt, habe ich eine Erkenntnis für mich mitgenommen: Da ich, was Sexismus angeht, „im Durchschnitt“ eher Täter als Opfer bin (weil mehr Frauen als Männer Opfer von Sexismus sind), gibt es nur eine Regel, an die ich mich halten muss: Wenn eine Frau sagt, dass sie etwas als Belästigung empfindet, was ich nicht so empfinde, HAT SIE RECHT. Dann gibt es kein „Aber du hast doch…“ oder „Aber ich dachte…“, sondern man nimmt das hin und lernt daraus.
Das klingt jetzt etwas krass, daher eine kurze Erklärung dazu (die habe ich mir zum Thema Rassismus erarbeitet, aber hier passt sie genauso gut): Da so ziemlich alle Männer ab 30 oder 35 in einer sexistischen Gesellschaft aufgewachsen sind (als Beispiel kann man sich Werbespots, Comedy oder Standup-Programme aus den 1990er oder 2000ern anschauen, die waren „damals“ ok, sind aber heute teilweise nicht mehr erträglich), ist unser Koordinatensystem falsch kalibriert. Unser Nullpunkt (= Normalität, nicht sexistisch) ist deutlich im sexistischen Bereich, verglichen mit dem, was viele Frauen als normal empfinden und was nach gesellschaftlichen Standards heute normal sein sollte. Uns bleibt also nur, zu lernen und zu versuchen, unser Koordinatensystem neu auszurichten, auch wenn das anstrengend ist.
Die Schwierigkeit dabei ist, zu erkennen, dass die eigene Normalität sexistisch ist. Im Klartext: Wir müssen erkennen, dass wir Sexisten sind, und zu Antisexisten werden.