Spider-Man: Far from Home
Gefühlt ist es gerade mal eine Woche her, seit ich “Avengers: Endgame” gesehen habe und nach einem dermaßen pompösen Feuerwerk an Action, Setpieces, Superhelden und ikonischen (letzten) Charaktermomenten habe ich mich gefragt, ob “Spider-Man: Far from Home” nicht von vornherein mit einem Handicap starten wird. Das Erbe von “Endgame” wiegt schwer auf den Schultern von Spidey und obendrauf hat dieser Film die Aufgabe, als Fortsetzung von dem beliebten ersten Teil “Homecoming” zu überzeugen. Ist “Far from Home” nun also ein starker zweiter Spider-Man-Film oder doch ein uninspirierter Aufguss , bei dem man sich das Kinoticket lieber spart?
Die Geschichte des “Homecoming”-Nachfolgers setzt einige Zeit nach den Ereignissen aus “Endgame” an. Peter Parker (Tom Holland) ist zurück auf der High School und versucht, ein normales Teenager-Leben zu führen. Zusammen mit Kumpel Ned (Jacob Batalon) werkelt er an einem Plan, wie er Michelle aka. MJ (Zendaya) für sich gewinnen und gleichzeitig ein paar ruhige Wochen abseits der Verpflichtungen als Superheld verbringen kann. So kommt Peter die anstehende Klassenfahrt nach Europa ganz recht. Doch dann ist da noch Nick Fury (Samuel L. Jackson), der Peter so gar keine Ferien gönnen will und ein neuer Superheld mit dem Namen Mysterio (Jake Gyllenhaal), der auf die Partnerschaft mit Spidey angewiesen ist. Statt Entspannung kommen auf Peter also erneut turbulente Zeiten zu.
Das Schöne an den “Spider-Man”-Filmen ist, dass sie wesentlich leichtfüßiger, verspielter und humorvoller daherkommen als die großen, beinahe erdrückenden “Avengers”-Epen. “Far from Home” hat zwar eine sehr vielschichtige Story, präsentiert sich aber in erster Linie als charmante Eurotrip-Teenie-Komödie. So fokussiert sich die erste Stunde größtenteils auf Peter Parker als High-School-Schüler, der einem Mädchen seine Gefühle offenbaren will. Natürlich kommt es dabei zu allerlei peinlichen Situation, schrägen Momenten und unerwarteter Konkurrenz. Der mächtige Avenger ist somit am Ende des Tages ein recht gewöhnlicher 16-jähriger Junge, der die Pubertät noch nicht ganz hinter sich hat. Dieser Teil des Films hat mir besonders gut gefallen, weil “Far from Home” sich in diesem Abschnitt äußerst sympathisch und stellenweise überraschend witzig zeigt. Es sitzt zwar nicht jeder Gag, weil Marvel hier und da mal wieder Quantität vor Qualität stellt, aber insgesamt hat mich die erste Hälfte sehr gut unterhalten.
Tom Holland macht in seinem zweiten “Spider-Man”-Film erneut eine sehr gute Figur und zeigt, dass er auf diese Rolle nach wie vor Lust hat. Doch auch der Cast rund um Spidey weiß zu überzeugen. Peters Mitschüler sind zwar die gewohnten High-School-Stereotypen, fallen aber nicht negativ auf, da sie zur richtigen Zeit eingesetzt werden und Spider-Man mit fiesen Sprüchen und klasseninterner Konkurrenz erden. Als Neuzugang zum bekannten Cast ist an dieser Stelle Jake Gyllenhaal zu nennen, der hier den geheimnisvollen Fremden spielt und insgesamt eher stoisch und kumpelhaft auftritt. In meinen Augen ist Herr Gyllenhaal eine große Bereicherung für “Far from Home”, da er stets das repräsentiert, was Peter sein will und als zweite Tragsäule des Films fungiert, damit Spidey den ganzen Superhelden-Kram nicht alleine bewerkstelligen muss. Ich verstehe aber auch die Leute, die sagen, dass Jake Gyllenhaal im letzten Drittel mit seinem Schauspiel ein wenig über’s Ziel hinausschießt. Für mich ist es jedoch eher Marisa Tomei als Tante May, die ein wenig zu cool, fesch und sorgenfrei auftritt.
Audiovisuell ist dieser Film leider nicht ganz so rund geworden. Ich mag die wuchtigen Explosionen, die Soundeffekte von diversen Flugobjekten und Gadgets und die unterschiedlichen Klangkulissen, die jeweils ein anderes europäisches Land vorstellen. Gleichzeitig finde ich die CGI-Effekte ziemlich mau. “Far from Home” hat ein paar Einstellungen und Sequenzen, die für mich nach straight out of CGI hell aussehen. Man erkennt öfters den Green-Screen-Hintergrund, Spidey fehlt es in mehreren Shots an Haptik und Schwere, viele Körperbewegungen kommen zu flüssig daher und manche Explosionen bzw. Schussgefechte wirken wahnsinnig unecht. Bei der Tricktechnik muss man teilweise schlucken, wobei “Far from Home” zum Glück keine dermaßen unangenehmen CGI-Pieks hat wie z.B. ein “Black Panther”.
Zurück zum Positiven. Der zweite “Spider-Man”-Film von Regisseur Jon Watts bietet Spidey-Fans einen tollen Mix aus dem klassischen “Aus großer Kraft folgt große Verantwortung”-Dilemma, frechen One-Linern, mehreren Spider-Man-Anzügen, Identitätskrise, Spinnennetz-Action und einem bekannten Widersacher. Alle Zutaten für eine starke Fortsetzung sind also da und ich finde, dass “Far from Home” daraus etwas Schönes zubereitet. Mysterio wirft einige Fragen auf, über die es wert ist, diskutiert zu werden. Peter muss sich nach “Endgame” charakterlich neu ausrichten und wird regelrecht gezwungen, erwachsen aufzutreten. Und dann ist da noch die alte Frage, wie Spider-Man seine wahre Identität geheim halten soll, wenn er sich zu einem Mädchen hingezogen fühlt oder immer wieder durch Bedrohungen aus seinem Schulalltag herausgerissen wird. Damit mangelt es “Far from Home” definitiv nicht an Themen oder Substanz.
Leider ist es aber wieder das letzte Drittel, das ich auch bei diesem Marvel/Sony-Film kritisieren muss. Für mich ist es unbegreiflich, warum so ziemlich jeder Film der Marvel Studios ein überbordendes CGI-Finale braucht. So ertrinkt auch “Far from Home” in unübersichtlichen CGI-Effektegewittern, knallt mir eine Regebogen-Farbpalette an digitalen Spielereien um die Ohren und setzt auf ein Over-the-Top-Finale, das sich mit der ersten Filmhälfte beißt. Vielleicht ist Marvel (oder Sony?) nicht kreativ genug, um einen anderen Ausgang zu inszenieren, aber ich kann diese CGI-Schlachten nicht mehr sehen. Sicher, hier und da gibt es eine interessante Choreo oder eine coole Kamerafahrt, aber in seiner Gänze lässt mich dieses CGI-Feuerwerk komplett emotionslos zurück.
Alles in allem hat mir “Far from Home” aber gut gefallen. Ich hatte vor allem in der ersten Hälfte viel Spaß und mochte die ganze Charakterkonstellation. Außerdem spricht dieser Film ein paar aktuelle Themen an und setzt mit Tom Holland und Jake Gyllenhaal auf zwei Schauspieler, die hier hochmotiviert agieren und für schöne Momente sorgen. Lediglich die gewohnte Bürde eines Superheldenfilms und das betäubende CGI haben Marvel bzw. Sony immer noch nicht im Griff, sodass “Far from Home” leider mit ein paar unschönen Ecken und Kanten daherkommt.