I Was a Teenage Exocolonist (PS5)
Die Pubertät ist schon eine wilde Zeit. Der Blick auf unsere vertraute Welt verändert sich, Freundschaften verändern sich, unsere Körper verändern sich, wir verändern uns. Und aus all diesen Veränderungen erwächst ein Mensch, der sich irgendwie einen neuen Platz in der Welt suchen muss.
Noch wilder ist diese Zeit, wenn sie statt auf der Erde und in einigermaßen festen sowie vertrauten Strukturen, auf einer fremden Welt, voller Geheimnisse und Gefahren, stattfindet. Auf einem Planeten Namens Vertumna IV, in der ersten und möglicherweise einzigen Weltraumkolonie der Menschheit.
10 Jahre lang habe ich Solana (she/her) beim heranwachsen in der Kolonie begleitet. In einem Genremix aus Textadventure, RPG, Deckbuilder und Datingsimulator. Und war mir am Anfang nicht sicher, ob dieser Mix für mich funktioniert. Ob es nicht ein paar zu viele Elemente sind, die bestenfalls nur für sich genommen funktionieren, aber im Großen und Ganzen wenig Sinn ergeben. Tatsächlich greifen die Elemente aber sehr gut ineinander und sind den besten Fällen sogar wundervoll mit der Narration und der Thematik des Heranwachsens verbunden. Ich möchte das einmal anhand des Deckbuildings, illustrieren:
Die Karten bestehen aus einzelnen Erinnerungen, die Solana in ihrem Leben ansammelt. Der Tag an dem sie von ihrer Erzieherin Zuckerwatte geschenkt bekommen hat und ihre Freude darüber. Sowie der Tag an dem sie vor lauter Stress und Sorge nichts anderes tun konnte als ohne Unterlass bitterlich zu weinen. So führen die Entscheidungen, die im Spiel getroffen werden, sowohl zu einer unterschiedlichen Erzählung, als auch zu einem einzigartigem Kartendeck. Je älter Solana wird, desto mehr Erinnerungen sammelt sie an, aber sie vergisst auch Dinge. Irgendwann wird sie sich vielleicht nicht mehr an die Zuckerwatte erinnern können und an die Freude, die ihr das Geschenk bereitet hat. Der Prozess des Vergessens gehört einerseits zum Erwachsenwerden dazu und ist andererseits eine zentrale Mechanik des Deckbuildings. Die Spieler*innen können entscheiden, welche Erinnerungen der Charakter vergisst. Die Karten von frühen Kindheitserinnerungen haben in der Regel schlechtere Werte als Karten, die in späteren Jahren erworben werden. Und so wurden bei meiner Optimierung des Decks Stück für Stück Solanas Erinnerungen an ihre Kindheit immer weniger.
Das Kartendeck ist auf diese Weise eng mit der Charakterentwicklung verknüpft. Wenn ich gefragt werde, was für ein Mensch Solana ist, kann ich einerseits auf ihre entwickelten Fähigkeiten aus dem Rollenspielaspekt des Spiels gucken. Hier gibt es die drei Bereiche Sozial, Mental und Physisch, die nochmal jeweils 4 Eigenschaften enthalten. Solana ist sehr mutig, hat eine geschulte Wahrnehmung und ist eine herausragende Ingenieurin. Ich kann aber auch das Kartendeck und somit ihre Erinnerungen betrachten. Dann erzähle ich von ihrem Sieg bei der Wissenschaftsolympiade und wie sie als erster Mensch ein seltenes Verhalten einer außerirdischen Lebensform beobachtet hat. Das verleiht dem Charakter eine außergewöhnliche und fantastische Tiefe.
Die Werte aus dem Rollenspielaspekt benötige ich, um bestimmte Handlungsoptionen freizuschalten. Sowohl bei den monatlichen Aufgaben, als auch bei Interaktionen mit anderen Teenagern der Kolonie. Solana ist seit Kindertagen fasziniert von Tangent und würde sie gerne besser kennenlernen. Allerdings zeigt Tangent erst Interesse an ihr, wenn Solana sich intellektuell mit ihr austauschen kann. Auf diese Weise greifen RPG und Datingsim ineinander. Insgesamt 10 potentielle Romanzen hält das Spiel bereit und diese funktionieren völlig unabhängig von dem gewählten Geschlecht. Aus meiner Erfahrung mit Solana kann ich allerdings berichten, dass es gar nicht so leicht ist auf einem fremden Planeten einen Menschen für eine gemeinsame Zukunft zu finden.
Nach dem Abspann Blicke ich auf 10 spannende Jahre und bekomme einen Ausblick, wie Solanas Zukunft auf Vertumna IV aussehen wird. Sie hat viel Erreicht in ihrem Leben und kann mit sich sicherlich zufrieden sein, aber da gibt es auch die Fragen, ob ihre Entscheidungen immer richtig waren und ob alles nicht auch ganz anders hätte sein können…
Grafisch und akustisch hat mir sehr gefallen, was mir in den ca. 20 Stunden Spielzeit geboten wurde. Besonders die handgezeichneten Bilder haben es mir angetan. Abschließend noch ein paar kleine Kritikpunkte:
- Leider gibt es das Spiel bisher nicht mit einer deutschen Übersetzung
- Es gibt keine Vertonung der Texte
- Zwei doch recht bedeutsame Werte (Nahrungsversorgung und Verteidigung der Kolonie) sind unnötig versteckt im Spiel, sodass ich erst spät überhaupt von ihrer Existenz erfahren habe.
- Ich hatte beim Einsatz eines bestimmten Items (Crystal Cluster) häufig einen Bug und musste anschließend neu laden
- Steuerung des Kartenspiels könnte auf der Playstation besser sein (vermute, dass es auf dem PC mit einer Maus besser zu steuern ist)
Ich hatte sehr viel Spaß mit „I Was a Teenage Exocolonist“ und werde bestimmt nach Vertumna IV zurückkehren. Die Frage, was noch alles hätte passieren können, brennt einfach zu sehr unter den Nägeln.