Ein Grund, warum das Abenteuer für manche nicht so gut funktioniert hat, ist möglicherweise, dass es eher den Charme eines „erzählten Point-&-Click-Adventures“ bzw. eines Hero-Quests oder Kosmos Adventure Games hatte. Und das muss ausdrücklich nichts Schlechtes sein! Ich z.B. hatte auch viel Spaß am Wochenende mit Soirée Bizarre, sobald ich den Aufbau verstanden und mich damit angefreundet hatte. Wenn man vom Aufbau her eher einen ersten Teil erwartet hat, wich es davon ab:
Beim ersten Teil hat Hauke mal erzählt, dass er sich quasi einen Plot überlegt hat, der passieren würde, unabhängig davon, ob die Helden damit interagieren oder nicht. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten können unterschiedliche Dinge gefunden oder Personen getroffen werden. Beispielsweise taucht irgendwann Donnie Cook auf, weil er (zwar als Nichtspieler-, aber doch Charakter) nach seiner Sophie schauen will. Ein menschlich nachvollziehbares Motiv. Die Helden können das bemerken und entsprechend darauf reagieren. Tun sie auch. Tun sie es nicht (oder anders) entsteht eine andere Situation. Das wirkte – auf mich – eher wie „von einer Geschichte her“ gedacht an, also eine erzählte Geschichte oder ein (Kriminal-)Film mit spielerischen Freiheiten. Die „Rollen“ im Rollenspiel stehen dadurch im Vordergrund.
Soirée Bizarre fühlte sich im Vergleich dazu eher wie „von einem Point-&-Click-Adventure her“ gedacht an: Egal ob jetzt die Tochter, die sie abgeholt hat (Name ist mir leider entfallen) oder die Leute im Café-Zimmer oder der Boxer – sie erfüllen Funktionen. Keine Rollen*. Die Tochter war weder Femme Fatale (das war ggü. Nils angelegt, aber daraus ergab sich nichts) noch „Damsel in Distress“. Sie erfüllte die Funktion, die Helden zum Club zu bringen. Beim Boxer war egal ob er Brutus heißt oder Bruce oder ob er überhaupt einen Namen hat. Er ist kein edler Paladin oder ein jugendlicher Naiver. Er ist da. Das reicht. Er könnte auch jemand anders sein. Das ist ein Stück weit zwangsläufig, weil die Leute im Club gar nicht mehr wissen, warum sie da sind und wie lange. Als NPCs (nicht als Handlungselement – die Interaktionen mit dem Boxer waren super!) werden sie dadurch langweilig: in einem RPG wäre mir etwa egal, wie die Leute im Café-Zimmer heißen und was sie zu erzählen haben. Da würde ich mir die drei Rätselsprüche anhören, das Rätsel lösen und fertig. Bei einem P&C reicht das auch und so haben es die vier Bohnen im Endeffekt bespielt. Bei einem P&C müssen die Rätsel passen und die Rätsel an sich, ja mei, wurde zur Genüge gesagt: die waren showdienlich.
In Summe legt so ein Aufbau („vom Rätsel her“) den Fokus beim Rollenspiel sehr stark auf das „Spiel“: Es gibt 7 Sünden, pro Sünde ein großes Rätsel (Finden der Schlüssel) und ein kleines Rätsel (Brechen der Sünden) und den Showdown. In welcher Reihenfolge man das macht, ist, wenn ich das richtig verfolgt habe, egal (also ob man erst das Wollust-Rätsel löst und dann das Neid-Rätsel oder umgekehrt). Ein spannendes RPG (jetzt im Sinne von Videospiel) bekommt man mit solchen Scheinfreiheiten wohl nicht hin. Zumindest sind gute/ moderne Genrevertreter wie Cyberpunk inzwischen deutlich weiter als das. Mein Eindruck von der P&P-Szene (von Regelwerken etc. die zuletzt rauskamen) ist ebenfalls der, dass man in den letzten Jahren den Fokus vermehrt auf die „Rollen“ und weniger auf das „Spiel“ gelegt hat. Als P&P wäre Soirée Bizarre wohl eher als konservativ zu bezeichnen.
Persönlich macht mir der Fokus auf die „Rollen“ sowohl beim Spielen, als auch beim Spielleitern und beim Zuschauen mehr Spaß. P&P erlaubt, die sich in ein P&C-Abenteuer oder ein RPG nicht einbauen lassen. Daher haben mir an Soirée Bizarre vor allem der Anfang und der Endkampf Spaß gemacht: beim Ende wurde aus der Situation heraus improvisiert und durch Rule of Cool ein schönes Spektakel geliefert. Am Anfang konnte man über die Bahnhofshalle und die Kutschfahrt in der Welt ankommen. Wunderbar fand ich z.B. die beiläufige Erwähnung des Kutschers, dass er immer Leute hinbringt und nie welche abholt – das hat dieses wunderbare „Ooookaaay, was geht da bitte ab!?“-Kribbeln ausgelöst. Ein Whodunit stellte sich anschließend nicht mehr ein, denn den Teil im Club fand ich zwar launig (sonst hätte ich sicher auch keinen Spaß gehabt), aber gemessen an den übrigen Teilen der Reihe eher unterdurchschnittlich. Mittlerweile sind die vier Bohnen nämlich gute Rollenspieler (Etienne wurde hier schon hervorgehoben) und aus ihrer Interaktion mit der Welt und den NPCS entstehen tolle Situationen. Dass die NPCs und die Welt die Vier (wegen des Fokus auf die Sünde und durch die Magie) ignoriert haben, war vor in dieser Hinsicht daher eine eher unglückliche Designentscheidung. Ein (dramaturgisch gesprochen spannenderer) Plot Point hätte sein können, dass der Clubbesitzer/ Schergen sie zu behindern versuchen, sobald sie merken, was die Vier treiben (statt eines siebten Schlüssels). Oder dass es einen der Vier trifft und derjenige von den anderen irgendwie „wachgerüttelt“ werden muss (statt eines sechsten Schlüssels). Das kam erst spät zum Tragen und war selten von Relevanz. Den Schaden durchs Lügen im Wahrheitsraum** könnte man als eine Reaktion der Welt betrachten, aber eine sehr auf die Zahlen fokussierte. Mit der Clubbesitzerin und ihrer Tochter gab es wohl auch einen spannenderen (weil nicht von der Magie ganz gelähmten) NPC, der aber erst spät angetroffen wurde.
Tl;dr: Soirée Bizarre wirkte eher „von den Rätseln her“ gedacht, was den rollenspielerischen Rahmen einschränkt. Für manche funktioniert das besser, als für andere. Es hatte eher den Charme von einem Kosmos-Adventure-Game bzw. Point-&-Click-Adventure, während MM1 eher „von der Story her“ gedacht erscheint und damit mehr an ein RPG/ einen erzählten Kriminalfilm erinnert. Die Geschichte von MM 1 kann ich mir gut als „Romangeschichte“ vorstellen, MM 4 nicht. MM 4 kann man quasi 1:1 so als Point-&-Click-Adventure umsetzen, MM1 nicht. Wer ein Schnitzel erwartet hat und eine Bizza bekam, kann enttäuscht sein. Wer eine Bizza bekam, freut sich. Wer nach 4 Jahren ohne MM einfach nur Hunger hatte, freut sich über Schnitzel oder Bizza.
- In MM 1 war das z.B. in Teilen anders. Da gab es sowas wie die Jungfrau in Nöten (Sophie), den Antagonisten (Butler Bruce) oder das dunkle Familiengeheimnis (Tod des Jungen)
** Das Rätsel hat mich tatsächlich am meisten aus der Immersion geworfen. Ich dachte, der Aufhänger des Clubs war, dass dort Sünden begangen werden (müssen sogar, damit der Dämon beschworen werden können). Wieso wird Lügen dann bestraft? Klar, Lügen ist keine Todsünde, aber sicher eine tendenziell verwerfliche Charaktereigenschaft. Unterstreicht eher den Eindruck, dass Setting und Welt nur Kulisse für die Rätsel sind. Über World Building könnte man auch noch mehr schreiben.