Adams Traum
„Fuck.“
…
„Fuck.“
…
„Fuck.“
…
Ein Schweißtropfen bildet sich auf seiner Stirn. Schlängelt sich langsam über seine Wange, kurz am Mundwinkel vorbei bis zum Kinn. Dort hängt er einen Sekundenbruchteil, fällt geräuschlos auf die heiße Erde Kubas. Jeder Schritt bringt ihn näher an die Kapelle. Jeder Schritt bringt ein neues,
kaum hörbares „Fuck“ hervor. Jeder Schritt bringt ihn vorbei an ausgetrockneten Palmen und verfallenen Mauern mit dem Antlitz Che Guevaras. Er hasst die heiße Sonne Mantanas. Einmal muss er noch hier sein. Kleine, baufällige Häuser standen dicht an dicht und tragen durch die offenen Fenster jedes Geräusch von innen nach außen auf die Straße. Der rauschende Ton der Fernsehgeräte, spielende Kinder, laut streitende Ehepaare, erregtes Gestöhn hier und da vermischt sich für ihn zu einer misstönigen Großstadtkakophonie. Doch mit jedem Schritt seinem Ziel näher, nimmt er die Stadt um sich herum weniger war. Sein Blick ist wie apathisch auf das Gebäude am Ende der Straße gerichtet, reibt seine Finger vor Anspannung immer wieder aneinander bis sie ganz rau sind.
„Fuck.“
…
„Fuck.“
…
„Fuck.“
Ein Mantra spukt in seinem Kopf. Zwei Monate lang hatte er im tiefsten Dschungel festgesessen. Sich am Anfang nur von Abfällen ernährt, später hätten sich selbst Schweine angeekelt von ihm ferngehalten.
„Fuck.“
Seine Gedanken fokussieren sich auf die Kapelle. Die kleine Kapelle am Ende der Straße. Als er vor der ramponierten Holztür angekommen ist, hält er inne. Seine Hand fährt in sein zerrissenes Jackett und holt seinen einzigen noch verbliebenen Besitz heraus. Ein silberner Flachmann, veredelt mit einem winzigen Smaragd auf dem Drehverschluss und den Initialen Tara A. Gallaghers auf der Unterseite. Er öffnet den Flachmann und stürzt den Inhalt in einem Rutsch hinunter. Er verzieht schmerzverzerrt das Gesicht, als sich der Alkohol durch seinen Hals brennt und Tränen steigen ihm in die Augen. Er hat Whisky schon immer gehasst.
Als er hört, wie sich die Tür der Kapelle knarzend öffnet, hebt er seinen Blick und sieht einen kleinen, dicken Mann aus dem Gebäude treten. Das weiße Hemd spannt sich um seinen massigen Körper und die lange, braune Kreuzkette hebt und senkt sich mit der Wampe des Pfarrers.
Der Pfarrer mustert ihn auffällig interessiert. Er kann es ihm nicht verübeln, ist sein Jackett doch voller Blutflecken, seine Hose zerrissen und mit Einschusslöchern überseht und seine Sonnenbrille hat nur noch ein Glas. Er hat keine Schuhe an und seine Füße sind dreckig, vernarbt und blutverkrustet. Das Auge, welches man auf Grund des fehlenden Glases sehen kann, ist weit aufgerissen und von einer Augenbraue fehlt jegliche Spur. Skeptisch bleibt der Pfarrer vor der Tür stehen.
Das sichtbare Auge zuckt, er schreckt aus dem Tagtraum auf und er sieht den Pfarrer unendlich lang und ausdruckslos an. Sein Blick fällt zurück auf den Flachmann. Ein kleiner Rest seiner Notration schwappte noch im Inneren. Er hob seine Hand und bot dem Pfarrer den letzten Rest an. Die Augen des Geistlichen weiteten sich freudestrahlend und er lacht beherzt.
Der Pfarrer geht durch die Tür ins Innere der Kapelle.
„Danke.“ Sagt er.
„Ohh! No hablo alemán!“
Er ignoriert die Worte des Pfarrers und folgt ihm. Sein Blick gleitet über die karge Einrichtung. Zerbrochenen Fenster, zerschrammte Bänke und von einem Altar fehlt jede Spur. Der Pfarrer macht es sich auf einem der hinteren Bänke gemütlich und unter seinem Gewicht ächzt sie laut auf.
„Fuck.“
Er folgt ihm. Neben dem Pfarrer wird seine ausgemergelte Statur noch deutlicher. Ihm fällt auf, wie sehr er dieser heruntergekommenen Kapelle ähnelt. Sein erster Besuch in diesem Haus Gottes liegt noch nicht lang zurück, doch fühlt es sich für ihn wie ein anderes Leben an. Die Kapelle war der schönste Ort in der ganzen Umgebung. Immer gut besucht von Bewohnern, war der Altar eine Sehenswürdigkeit an sich, die Unmengen an Touristen anlockte. Noch nie hatte er so etwas Beeindruckendes gesehen. Nie wieder würde er so etwas Beeindruckendes sehen.
Als er sich von seinen erneuten Tagträumen löst, starrt er an die Stelle, an der der Altar stand. Dort sieht man seit vier Monaten ein Symbol, das auf den Boden gesprüht wurde. Ein Währenddessen lehrt der Pfarrer den Flachmann und strahlt ihn rotbäckig an. Er achtet jedoch nicht darauf und lässt seinen Blick auf der leeren Stelle ruhen.
„There’s danger on the edge of town…“ summt er leise Taras Lieblingslied und holt tief Luft. Der Pfarrer verengt fragend die Augen.
“Fuck. Pfarrer. Jesus. Gott. Ich möchte beichten. Ich möchte dir beichten wie mein erfülltes Leben, meine Freunde, mein Besitz zu Staub wurden. Ich möchte dir beichten, dass ich alle zerstört habe, die ich berührt habe. Ich möchte dir beichten, dass niemand mehr lebt um meine Sünden zu belegen. Ich möchte dir beichten, dass Mord und Vergewaltigung nicht die schlimmsten Sünden sind, die ich begangen habe. Ich hoffe du hast viel Zeit, Pfarrer. Ich hoffe Gott hört mein Geständnis um mich danach direkt in die Hölle zu werfen um den Teufel abzulösen. Den selbst der Teufel wird sich angeekelt von mir abwenden und zurück in den Himmel wollen. Nach nur drei Jahren liegt alles in Trümmern. Städte. Menschen. Ich. “
Der Pfarrer sieht ihn immer noch fragend an und wiederholt:
„Amigo. No hablo alemán.“
Er nimmt die Stimme des Pfarrers nur als störendes Rauschen war. Fokussiert seine Sinne auf seine gesprochenen Worte. Er greift in seinen Hosenbund der von seinem Jackett verdeckt war und zieht eine schwere Pistole heraus. Der Pfarrer öffnet schreckgeweitet die Augen, ist starr vor Angst. Er legt die Waffe auf seinen Schoss und seine zum Gebet gefaltet auf die Pistole.
„Fuck. Mein Name ist Gabriel und dies, Gott, ist mein Geständnis. Für einen Tag vor drei Jahren. Für einen Traum am Grab.“
Keine Wolke verdunkelte den Augenblick, kein Regentropfen trübte den Blick. Die Sonne stand hoch am Himmel, wie um der ganzen Welt von diesem Tag erzählen zu wollen. Wie um den Anschein zu erwecken, heute wäre ein Tag wie jeder andere. Schweigend standen sie vor dem tiefen Loch im Boden. Warteten auf den Sarg. Tara stand an seiner Seite und Tränen liefen seit Stunden über ihr Gesicht. Gabriel hatte den Blick fest auf die Öffnung in der Erde gerichtet. Starr. Taub und blind für alles andere. Sein ganzer Körper fühlte sich leer an. Wie ein gefülltes Glas Wasser, das auf den Boden fällt und in tausend Stücke zerspringt. Er spürte nicht, dass Tara sich an ihm festkrallte, Angst den Halt zu verlieren. Er spürte nicht, wie die letzten Gäste der Beerdigung an ihm vorrübergingen. Er spürte nicht, wie Stunden vergingen ohne eine einzige Regung. Nur ein einziger Gedanke kreiste durch seinen Kopf. Schuld.
*
Tara hatte ihren Kopf in Gabriels Schoß gelegt. Die Augen geschlossen, denn die Sonne stand hoch am Himmel, wie um diesen Tag besonders in Erinnerung zu halten. Ihnen gegenüber
_saß Taras Bruder Adam und sah verträumt in die Sonne. Als Tara begann laut zu schnarchen, lachten Gabriel und Adam laut auf und Gabriel verfrachtete ihren Kopf vorsichtig auf ein Kissen und deckte sie mit einer leichten Sommerdecke zu. Adam sah ihm dabei zu, wie liebevoll er sich um seine Schwester kümmerte. _
_„Wann willst du es ihr sagen?“ fragte er Gabriel unerwartet. Dieser sah ihn überrascht an. Doch die Überraschung wich schnell einer tiefen Traurigkeit. _
„Fahren wir ein Stück?“
„Wie du willst.“
Gabriel stand auf, stellte sich hinter Adam und nahm die beiden Griffe des Rollstuhls in die Hand. Adam löste die Bremsen und lies sich von Gabriel schieben. Eine ganze Weile
_liefen sie schweigend durch den riesigen Park, vorbei an strahlend grünen Bäumen und Sträuchern und einer kaleidoskopartigen Ansammlung hunderter verschiedener Blumen und Blüten. _
„Wann willst du es ihr sagen?“ wiederholte Adam seine Frage.
_„Adam…“ fing Gabriel seinen Satz an und ging um Adams Rollstuhl herum. Kniete sich vor ihn und legte Adams Hand in seine. Adam spürte die Hitze die von Gabriels Körper ausging und wurde sofort rot. Sein Gegenüber zog am Rollstuhl etwas nach oben und gab Adam einen langen, warmen Kuss auf die Lippen. Adam schloss die Augen und erwiderte den Kuss. _
„Bald.“
Adam lachte leise auf.
„Gabriel, seit dem ich in diesem Mistding sitze, gibt es nichts was ich mehr begehre als dich. Aber du bist mit meiner Schwester seit zehn Jahren zusammen. Jeden Tag aufs Neue geisele
ich mich selbst und denke, dass ich zurecht in diesen Ketten gefangen bin. Und ich würde mich auch erneut zehn Jahre lang geiseln. Aber ich kann das meiner Schwester nicht mehr antun. Wir drei sind….wir drei waren schon immer unzertrennlich.“
„Ich weiß, dass du Recht hast, Adam. Aber jetzt ist nicht der richtige Moment es ihr zu sagen. Ich muss mein Leben erst in den Griff bekommen.“
„In den Griff bekommen? Du meinst diese dubiosen Drogendealer die du in deinen Fällen vertreten, aber dann kalte Füße bekommen hast? Oder so etwas wie moralische Vorstellungen entwickelt hast?“
_Gabriel wich Adams durchdringenden Blick aus. Scham. _
„Gib mir etwas Zeit. Ich möchte dich und Tara nicht in Dinge verwickeln, die noch gefährlich werden könnten.“
„Was zum Teufel hast du da eigentlich getrieben?“
„Kann ich dir nicht sagen, Adam. Glaub mir einfach, dass du damit nichts zu tun haben willst.“
„Gabriel…“ Adams Stimme zitterte jetzt. „Ich liebe dich. Aber morgen musst du meiner Schwester sagen, was wir hier treiben. Lass es uns zusammen tun. Ich will dir nicht allein diese Bürde auftragen. Lass es uns ihr zusammen sagen.“
_„Morgen.“ _
„Morgen.“ Wiederholte Adam und beugte sich zu Gabriel vor um ihn erneut zu küssen. Der Kuss hielt eine Ewigkeit, eine Unendlichkeit. Es gab keinen Park. Keine Menschen. Keine Tara. Keinen Rollstuhl. In seinen Gedanken lag Adam auf Gabriels nacktem Körper und nahm die gesamte Hitze seiner Liebe in sich auf. Adam träumte und wollte sich nie wieder von Gabriel lösen.
*
_Schuld. Schuld quälte ihn vor Adams Grab. Schuld, dass er einen Fehler gemacht hatte, den er nie wieder rückgängig machen konnte. Schuld, dass er Tara belogen und betrogen hatte. Er fing an zu zittern. Ein falsches Wort war ihm damals über die Lippen gekommen. Einmal zu viel hatte er sich mit den falschen Leuten eingelassen und ihnen vertraut. Einmal zu viel wurde er Missverstanden. Die Konsequenz war Adams Grab. _
_Das Zittern wurde stärker. Setzte sich von seinen Händen über seinen ganzen Körper bis zu seinen Zehenspitzen fort. Seine letzte Kraft schwand und er fiel auf die Knie, den Kopf nach unten gebeugt. _
_„Gabriel…“ flüsterte Tara mit tränenerstickter Stimme. Doch Gabriel nahm sie nicht wahr. Gabriel würde nie wieder irgendetwas wahrnehmen. Nicht bis er das bekommen hatte was er wollte. Was er in diesem Moment beschlossen hatte. Eine Träne schlängelt sich langsam über seine Wange, kurz am Mundwinkel vorbei bis zum Kinn. Dort hängt sie einen Sekundenbruchteil, fällt geräuschlos auf die die kalte Erde des Grabes. Sein Kopf brennt. Verbrennt jegliches Gefühl. Nur ein Gedanke überlebt das Feuer. Ein Traum. Adam. Ein Traum an Adams Grab. Den Traum, jeden einzelnen zu töten, zu foltern, zu massakrieren, der nur im Entferntesten etwas mit Adams Tod zu tun hatte. _
Gabriel stand auf und drehte sich zu Tara um. Das Feuer brannte in seinen Augen.
„Fuck.“
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