26,8 Jahre
Ein Mann saß auf einem Stuhl in der Einöde. Bis zum Horizont sah man nur rötlichen Staub, der gelegentlich vom Wind aufgewirbelt wurde und es war unmöglich zu sagen, was der Mann vorhatte oder worauf er wartete. Er wusste es tatsächlich selbst nicht so richtig.
Er saß einfach da und schaute in den Himmel, in dem man nur ein paar dünne Wolkenfetzen erkennen konnte, während der feurige Stern unbarmherzig glühend seine Bahn zog.
Am späten Nachmittag schließlich, vernahm er ein Geräusch. Ein lautes Donnern schallte über ihn hinweg und der Mann - Toben war sein Name - stand auf. Ein dunkler Punkt war weit über ihm zu erkennen, der schnell immer größer wurde. Toben berührte den Stuhl und er faltete sich zu einem handlichen Würfel zusammen, den er in seinen Rucksack steckte. Dann wartete er.
Was nun ein paar Minuten später passierte, konnte man beruhigt erstaunlich nennen. Ein Raumschiff der Größe eines Kleinfamilienhauses landete vor ihm. Das war aber weniger erstaunlich, weil es sich um ein Raumschiff handelte, sondern eher, weil es ein nagelneues zu sein schien. Die Außenhülle war sauber und lackiert, hatte keine Dellen, Kratzer oder mit Metallplatten überschweißte Stellen. In Anbetracht dessen, mit wem er hier verabredet war, war ihm das suspekt. Für gewöhnlich reiste sie mit den billigsten Schrottkisten, mit denen sie aus unerfindlichen Gründen ihr Ziel immer unbehelligt erreichte.
Toben hatte sich immer geweigert in so einem Kasten mitzufliegen. Er fürchtete darin einen grausamen Tod zu finden und es am Ende doch immer getan, obwohl er es hasste. Diesmal hätte die Entscheidung eigentlich viel einfacher sein sollen, doch es war ihm völlig klar, dass es hier unmöglich mit rechten Dingen zugehen konnte.
Eine Luke öffnete sich an der Seite des Schiffes und eine Leiter kam herruntergefahren. Über ihm stand die verrückte und einzigartige Chloe.
“Na.”
Toben schüttelte fragend den Kopf. “Kannst du mir das irgendwie erklären?”
“Erst, wenn du an Bord bist.”
“Besteht die Möglichkeit, dass ich das bereuen werde?”
“Jap.”
“Könnte es sein, das ich von ein paar mies gelaunten Typen gefangen genommen, gefoltert und dann getötet werde?”
“Definitiv.”
“Hast du irgendeinen Plan?”
“Sicher, den erzähle ich dir, sobald wir im Orbit sind. Also los!”
Er machte auf der Stelle kehrt und marschierte davon. Er ging lieber eine Woche durch die Wüste als an Bord dieses Schiffes. Wozu brauchte sie ihn überhaupt? Für gewöhnlich musste er dafür sorgen, dass nichts unterwegs kaputt ging. Dieser Raumer schien makellos zu sein.
“Ach komm, warte doch mal!”, rief sie. “Ich habe einen Androiden!”
Er blieb stehen und legte den Kopf ungläubig zur Seite und wurde sauer.
“Hast du nicht!”
“Schau her.”
Er drehte sich widerwillig um. Es war unfassbar, aber da war wirklich ein Androide, wo zuvor Chloe gestanden hatte. Und noch dazu einer der neuesten Generation.
“Was zum… wo hast du das alles her?”
“Komm an Booooord”, sang sie verführerisch.
Fiese, unfaire Frau, dachte er. Sie hatte es wieder geschafft.
Kurz darauf saß er auf einem der Sitzplätze direkt hinter dem Cockpit, neben dem Androiden. Während Chloe damit ausgelastet war sie vom Planeten zu manövrieren, knetete Toben nervös seine Hände und schielte immer wieder zu der intelligenten Maschine hinüber.
“Du also… äh… du bist also ein A.I.A.? Version 4.2, oder?”
Der Androide drehte ihm auf so ungelenke und starre weise das Gesicht zu, dass es ihm kalt den Rücken runterlief.
“Das ist korrekt. Und du bist ein Mensch, männlich”, gab er selbst mit einer monotonen, männlichen Stimme zurück.
Toben nickte eifrig. “Ja! Haben sie bei dir auch schon eines der neuen, künstlichen, neuronalen Hirne verbaut?”
“Auch das ist korrekt, zusammen mit einem Cube-Core und einem Speicher, der alle nötigen Kernheuristiken von MIVAC enthält.”
“Das ist ja unglaublich! Ich habe leider nie einen Androiden getroffen, mich aber immer sehr dafür interessiert. Eure Fähigkeiten sind einfach… und eure Kraft! Wie stark bist du? Warte! Hast du auch die… Kernheuristiken… von…”
So langsam dämmerte ihm, was der Roboter zu ihm gesagt hatte. Ein breites Grinsen erschien auf dem künstlichen Gesicht. “Du hattest mit allem recht.”, lachte er. “Wirklich mit allem.”
Chloe gackerte ebenfalls auf ihrem Pilotensitz und Toben spürte wie er rot anlief.
“Ihr habt mich verarscht! Du bist kein scheiß emotionsloser Roboter, sonder ein richtiger A.S.I.A.! Eeech, ich hätte da bleiben sollen, das ist mir zu blöd.”
“Ach komm, war doch nur ein kleiner Scherz.” Er gab ihm einen freundlichen Klapps gegen den Arm. “Ich heiße übrigens Feynman.”
“Toben, aber das weißt du sicher schon. Also… erzählt mir einer von euch, wo dieses Schiff herkommt und was ich hier soll?”
Die anderen beiden wechselten Blicke. “Nun ja, ich hatte vor dieses Schiff zu stehlen und du lagst auf einer möglichen Fluchtstrecke. Da dachte ich, falls ich einen fähigen Techniker brauche…”, erklärte Chloe.
“Was? Du hast einen Androiden. Was kann ich, das er nicht kann? Wieso muss ich überhaupt mit?”
Sie blieb ihm eine Antwort schuldig, denn etwas zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.
“Unsere neuen Freunde sind da.”
Toben schaute auf die Scheibe des Cockpits , die gleichzeitig ein Bildschirm war. Wenn er sich nicht verguckte, wurden sie von fast zwanzig Raumschiffen abgefangen und zu seinem schrecken erkannte er auch eines der Modelle.
“Das sind Reißer und nur das Militär hat solche Dinger! Was hast du getan?”, fragte er entsetzt. Chloe zuckte nur mit den Schultern.
“Nichts, nur dieses Schiff gestohlen.”
Währenddessen kam ein Funkspruch, der sie dazu aufforderte, sich zu ergeben.
“Jaha, wahrscheinlich. Muss ein sehr wichtiges sein. Weißt du was passiert, wenn die auf ernst machen?”
“Wenn ihnen das Schiff so wichtig ist, werden sie wohl kaum auf uns schießen. Der Antrieb ist eh gleich aufgeladen, dann sind wir weg.”
“Ich würde sagen: Das ist ist eine solide, logisch gültige Schlussfolgerung und ich bin ein Computer.”, warf Feynman ein.
“Das ist alles kein Scherz mehr. Was ist wenn etwas gefährliches an Bord ist? Dann würde ich uns auch lieber zerstören, als es dieser Frau zu überlassen!” Er zeigte auf Chloe und war sich damit sicher, alle Gegenargumente zerschlagen zu haben.
Wieder eine Warnung über Funk und diesmal klang sie sehr bedrohlich.
“Sie machen ihre Waffen scharf.”, sagte Feynman. “Chloe, mach dich bereit, die meinen es wirklich ernst.”
Toben schluckte schwer.
“Sie feuern! Los!”
In leichter Panik schlug Chloe ihre Hand aufs Pult und auf den Knopf für den Sprungantrieb, in der Hoffnung, dass er genug Saft bekommen hatte. Unmittelbar folgte ein fürchterlicher Schlag gegen Tobens Kopf und ihm wurde schwarz vor Augen. Er kämpfte damit bei Bewusstsein zu bleiben. Aus der Ferne drang eine Stimme zu ihm. Erst schwach, doch dann verstand er etwas und ein synthetisches Gesicht erschien direkt vor seinem eigenen.
“… du mich hören? Toben? Ah, da bist du ja.”
“Was w- das?”, brachte er nur irritiert hervor. “Sind wir tot?”
“Androiden kommen wohl kaum ins Totenreich, also denke ich eher nicht.”, hörte er Chloe geschwächt sagen. Auch sie hatte es erwischt.
“Dem Computer zufolge sind wir gesprungen. Wenn ich mir aber so die Sensordaten ansehe, kann das nicht ganz stimmen.”
“Sprich Klartext, Feynman.”
“Okay, ich hab mal alles geprüft und durchgerechnet. Es wird euch nicht gefallen. Die Sensoren sind etwas unpräzise, aber offenbar bewegen wir uns mit ungefähr 0,999999994815162342 facher Lichtgeschwindigkeit.”
“Das ist unmöglich. Wir hätten springen müssen. Du hast doch den Sprungknopf gedrückt?”
“Nun… es könnte sein, dass ich vor Schreck mehrere Knöpfe erwischt habe…”
“Selbst wenn, es hätte uns zerschmettern müssen.”
Der Androide hob einen Finger. “Anscheinend verhindert ein Kraftfeld, dass das passiert.”
“Toll, da hat wohl jemand an alles gedacht. Dann gibt es bestimmt auch irgendwo einen Ausschalter.”
Feynman schüttelte den Kopf und hielt seine Hand demonstrativ gegen die Rückwand der Kabine. “Nach dem Start hat sich das Antriebssystem abgeschottet. Ich kann keine Eingaben mehr machen oder Befehle zusenden. Es gibt nur regelmäßig ein paar Messwerte aus. Demnach wird das Kraftfeld nach ungefähr… einem Tag nachgeben.”
“Und dann?”, fragte Toben, der die Antwort bereits ahnte.”
“Dann ist entweder eine Systematik verbaut, die das Schiff stoppt… oder wir lösen uns in unsere Einzelteile auf.”
“Dieser Ausflug wird einfach immer schlimmer, ich will in meine sichere Wüste zurück.”
“Das kannst du auch noch, wenn dieser Flug hier vorbei ist. Wir würden dann vermutlich auch nicht mehr gesucht werden. Also wenn wir das überleben, natürlich.”
“Wie meinst du das?”, fragte Chloe. “Ach, Zeitdilatation…”
“Richtig. Bei der Geschwindigkeit vergeht die Normzeit knapp zehntausend mal schneller, als für uns. Das heißt nach unserem Tagesausflug sind für alle anderen fast siebenundzwanzig Jahre vergangen.”
Toben klappte der Mund auf und er starrte Feynman ungläubig an. “Siebenundzwanzig Jahre… “
“Nicht mal ich kann ausrechnen, wie weit fortgeschrittener die Technologien sein werden.”
“Ey, das ist doch super! Ich wollte schon immer mal ‘ne Zeitreise machen. Außerdem haben wir dann auch gleich ein Schiff. Ein Neuanfang.” Chloe glühte regelrecht vor Vorfreude.
“Falls wir überleben. Und man kann nur in eine Richtung Zeitreisen, also gibt es kein zurück. Außerdem ist das nicht genug Zeit, dass uns jede Person und jede Datenbank garantiert vergessen haben wird.”, erklärte Toben und bremste ihren Elan. “Also können wir nichts tun, als zu warten?”
Feynman nickte und setzte sich wieder auf seinen Platz. “Ich fürchte ja.”
“Gut, nützt ja alles nichts.” Mit diesen Worten klappte er seinen Sitz nach hinten und schloss die Augen. Fünf Minuten später war er eingeschlafen und gab regelmäßig ein leises Pfeifen von sich.
“Er regt sich die ganze Zeit auf und beschwert sich, kann aber einfach einschlafen, obwohl wir bald verrecken könnten.”, flüsterte Chloe kopfschüttelnd zu Feynman, der nur mit den Schultern zuckte.
Den restlichen Tag schliefen sie, überprüften die Messwerte oder unterhielten sich. Dabei lag der Fokus besonders auf Spekulationen über die Zukunft. Den beiden Menschen fiel vor allem auf, als wie außergewöhnlich sich Feynmans Intellekt herrausstellte. Er vereinte Kreativität mit der Fähigkeit, viele komplizierte Berechnungen anstellen zu können.
Schließlich näherten sie sich dem entscheidenden Punkt.
“Schnallt euch an. Ich rechne damit das genau so gebremst wird, wie beschleunigt wurde - das heißt, wenn alles funktioniert. Mehrere Dutzend Mikrosprünge im Bruchteil einer Sekunde.”, empfahl ihnen Feynman.
Dann ging ein zittern durch das Schiff. “Es ist soweit.”
Toben’s Gedanken rasten. Waren das seine letzten Momente? Eingesperrt mit einer Irren und einer Maschine, die wertvoller und fähiger war als tausend Menschen? Aber was hatte er schon zu verlieren… er hatte keine Familie, sein Job war schlecht bezahlt und er langweilte sich oft. Das war auch der Grund, weshalb er sich immer so leicht zu solchen Abenteuern hat überreden lassen. Vielleicht war er diesesmal zu neugierig gewesen und bezahlte jetzt dafür. Das Schiff erbebte erneut, dieses mal heftiger. Dann nochmal, direkt gefolgt von einem üblen Knall und Schlag, ähnlich schon wie beim Start.
Wie sich herrausstellte, hatte es tatsächlich eine Automatik gegeben.
“Ein Glück…”, seufzte Toben.
“Den Sternkonstellationen nach sind wir wie erwartet circa siebenundzwanzig Lichtjahre weit gereist. Also springen wir wie abgemacht nach Mintauri? Kara sollte groß genug sein, um eine Vorstellung vom Jetzt bekommen zu können.”
“Habe die Koordinaten bereits eingegeben.”
“Drück bitte diesmal nur den richtigen Knopf!”
“Ja, ja…”
Sie mussten noch etwas warten, um den FTL abkühlen zu lassen. Dann sprangen sie. Sie landeten erfolgreich in dem knapp dreißig Lichtjahre entfernten System und nahmen mit den Sublichttriebwerken Kurs auf Kara.
Doch als sie näher kamen fiel ihnen auf, dass etwas nicht stimmte.
“Was ist das?”
Chloe zeigte auf den Planeten und Toben schnallte sich ab, um sich nach vorne beugen zu können.
“Kannst du was erkennen, Feynman?”
Die Augen des Androiden waren wesentlich besser.
“Feuer… die Städte stehen in Flammen. Und das da…”, er zeigte woanders hin “… das sind Schiffe der Vereinten Flotte. Sie sind schwer beschädigt und ohne Energie.”
“Sie wurden angegriffen! Es gibt niemanden, der so was schaffen könnte.”
Feynman hob wieder seinen Finger. “Du meinst es gab niemanden. Wir haben nur ein Viertel der Galaxie kartographiert.”
“Dieser Tag toppt echt alles”, sagte Toben emotionslos. “Was machen wir jetzt?”
“Wir machen weiter, würde ich sagen. Als erstes brauchen wir was zu essen. Ich habe Hunger.”
“Zur Not könnt ihr euch ja gegenseitig essen”, scherzte Feynman.
Toben seufzte. Was solls, dachte er. Was soll jetzt noch spannendes passieren.
* A.S.I.A. - Artificial Sentient Intelligence Avatar
* FTL - umgspr. für Überlichttriebwerk
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