Hi Community,
vor kurzem ist die Staffel 4 von „The Americans“ bei Netflix veröffentlicht worden und da ich im ganzen Bohnen-Kosmos noch kein Wort zu meiner aller größten Serienliebe gehört habe, wollte ich mal diesen Thread nutzen, um darauf hinzuweisen. Weiß ja nicht, ob das im Wust der vielen Postings jemals Donnie oder Schröck erreicht, aber vielleicht finde ich ja hier im Forum Gleichgesinnte. Für alle, die nicht wissen, worum es geht, habe ich ein kleines „Fix mich an“ vorbereitet, um mal eins der Bada-Binge-Formate auch hier zur zelebrieren
(Sollte ich mit meinem Anliegen im falschen Thread gelandet sein, bitte ich mich darauf hinzuweisen)
Der Plot: Zwei junge KGB-Offiziere treffen sich in einem KGB-Büro zum ersten Mal. Sie stellen sich gegenseitig als Philip und Elizabeth Jennings vor. Sie haben einige Stunden Zeit, sich gegenseitig besser kennen zu lernen. Alles was sie sich gegenseitig anvertrauen dürfen: Eben noch in der Fake-Biografie über sich selbst auswendiggelernt. Dann geht es ab in die USA. Das Ziel: Hinter dem eisernen Vorhang den Klassenfeind auszuspionieren. Ihre erste Mission: Ein Leben aufbauen, Kinder kriegen, Jobs finden.
15 Jahre später beginnt die eigentliche Serie. Die Jennings sind eine US-amerikanische Bilderbuchfamilie. Das Leben in der freien Welt angenehm und dennoch abstoßend für die topausgebildeten KGB-Offiziere. Der Widerspruch zwischen ihrer eisernen Weltanschauung und dem American Way of Life muss tagtäglich überwunden werden: Auf der Arbeit, im Haushalt, bei der Erziehung der Kinder. Wie reagiert eigentlich ein topausgebildeter KGB-Offizier, wenn ein schmieriger Redneck seiner Tochter hinterherpfeift? Der gesittete Vater kann nur müde lächelnd mit ihr weggehen… den Rest erfahrt ihr schon in der ersten Folge.
Durchweg unterschätzt wird auch Elizabeth Jennings. Als durchtrainierte Kampfmaschine des emanzipierten Mutterlands ist es für sie fast unerträglich tagtäglich die unterlegenere, ja unterwürfige amerikanische Hausfrau zu spielen. Nur fast. Als Ausgleich findet sie regelmäßig Gelegenheiten ihre wahren Kompetenzen auszupacken und dann wieder mit ihrer Weiblichkeit vom Kapitalismus degenerierte Männer zu manipulieren. Als starke weibliche Hauptrolle (ich hasse diesen Begriff) funktioniert sie vollkommen authentisch und souverän, sodass man eigentlich nie dazu kommt, ihr dieses Attribut gnädig zuzusprechen, weil sie diese Bestätigung zu keiner Zeit braucht.
Die bisher angeführten Elemente sind nur einige Highlights in dieser grandiosen Serie. Spannende Agententhriller-Missionen und der ebenso nervenaufreibende Alltag einer solchen lebenslangen Mission geben sich die Klinke in die Hand, sodass man eigentlich nie genau sagen kann, wann das eine anfängt und das andere endet. Dabei bleiben die Missionen aber immer bodenständig und auch wenn sie weltgeschichtliche Ereignisse tangieren, bleiben die beiden KGBs stets in der ihr zumutbaren Einflusssphäre.
Abschließend kann ich nur noch einmal zusammenfassen, dass die Serie als Agententhriller genau so gut funktioniert, wie als 80er Retromovie, als Familiendrama so wie als romantischer Liebesfilm. Zwei Genossen die auf Kommando heiraten und Kinder kriegen, aber dennoch liebevolle Eltern sind. Sie sind jahrelang verheiratet und müssen das Bett trotzdem alle Wege lang mit ihren Einsatzzielen teilen. Für mich sind alle diese Elemente so stark und motivierend, dass jede Frühstücksszene eine Achterbahnfahrt der Gefühle wird.
Ganz nebenbei gibt es dennoch ein grandioses Storytelling, indem knifflige Situationen bis zur Auswegslosigkeit aufgebaut und dann mit einem genialen Kniff vor den Augen der Zuschauer gelöst werden. Und dennoch nimmt die Handlung nicht jeden Köder auf, der einem hingeworfen wird. In anderen Serien wird nur die Möglichkeit eines Konflikts angedeutet und es ist 100% klar, dass dieser ausgeführt wird. Hier verhält sich die Serie wie die Sopranos. Es muss nicht alles passieren, was passieren könnte, sodass die Spannung immer da bleibt. Es muss auch nicht jeder überleben, nur weil seine Rolle wie eine Hauptperson aussieht.
Abschließend möchte ich noch ein besonders geiles Element dieser Serie betonen. Routinierte Botengänge werden zu den reinsten Nervenfoltern. Die Straße entlang gehen, die Zielperson kommt entgegen. Ob die geheime Nachricht übergeben wird oder nicht, entscheiden eine lange Reihe an unterschiedlichen Blicken, Vergewisserungen, Observationen und das Bauchgefühl. Was sich anfühlt wie der krasseste Showdown, sind eigentlich nur zwei aneinander vorbeigehende Personen.
Ich weiß, ich habe viel geschrieben und könnte das hier auch noch ewig fortsetzen. Mich packt diese Serie zu jeder Sekunde aufgrund der vielen Ebenen auf der sie einwandfrei funktioniert. Dass fast die Hälfte der Dialoge in einwandfreiem Russisch gesprochen werden, habe ich da noch gar nicht erwähnt. Mein kritisches Interesse für ein System, dass mit dem Zeigefinger auf die richtigen Punkte im kapitalistischen System gezeigt hat, dabei allerdings wohlwollend übersehen wollte, dass drei Finger auf es zurückzeigen, möchte ich auch noch einschließen.
Ich habe schon viele Serien gesehen. Aber bisher keine so komplett entwaffnet, kritiklos, vollkommen einwandfrei und jeden Tropfen aufsaugend.