Corona-Virus COVID-19 - III

Es ist natürlich ironisch, wenn das vom verantwortlichen Politiker kommt, aber ganz unrecht hat er damit ja nicht. Ohne Arbeitskampf, mehr Organisation, Streiks und Kündigungen wird sich nichts ändern. Das hört man ja genau so auch immer häufiger von Pflegenden selber. Dann ist es nämlich eben nicht mehr die Verantwortung einzelner Individuen, wenn man gefühlt Patienten und Kollegen im Stich lässt, weil man nicht mehr kann, sondern man tritt geschlossen auf und die Verantwortung geht auf die über, die sich eigentlich darum kümmern müssten, nämlich Arbeitgeber und Politik.

Die Macht, die Pflegekräfte hätten, ist riesig.

ich bin vorne mit dabei, wenn es darum geht sich für arbeits- und klassenkampf zu solidarisieren und zu organisieren.

aber hier schiebt spahn einfach die verantwortung ab.

denn das lässt wichtige punkte einfach aussen vor: was sind denn die gründe für den geringen organisationsgrad in der pflege?
dazu gibt es reichlich literatur, die einem als gesundheitsminister durchaus bekannt sein dürfte.
die durchschnittliche verweildauer im beruf ist sehr gering, es ist ein frauenberuf, der meist in teilzeit neben der häuslichen care-arbeit geleistet wird, das gesellschaftliche ansehen ist nicht stark (mitleidiges „ich könnte das nicht“), die arbeitsbelastung und -frustration ist sehr hoch, usw usf.

die gründe dafür sind v.a. struktureller natur.
und diese struktur war/ist(?) so gewollt.

es ist dieser neoklassische/neoliberale blickwinkel, der mich wahnsinnig macht. klar, wenn man davon ausgeht, dass jeder alles aus eigener kraft erreichen kann, wenn man sich nur stark genug anstrengt, dann ergibt das in sich gesehen sinn.
aber leider ist nicht jeder so privilegiert und/oder die strukturen sind so beschaffen, dass das für jedes individuum gleichermaßen möglich ist.
und da hat der blickwinkel halt ein loch.

ich werfe spahn nicht vor, dass er die verantwortung bei den pflegenden sucht. ich werfe ihm vor, dass er die verantwortung ausschließlich bei den pflegenden sucht und die strukturellen gegebenheiten und verantwortliche entscheidungsträger einfach aussen vor lässt, weil es ihm ins narrativ passt.

edit: und mich macht es ebenso wahnsinnig, dass tilo jung im interview nicht einfach mal gefragt hat: „ja, warum ist das denn so, dass die pflegenden so einen geringen organisationsgrad haben?“ oder „warum ist es denn so, dass bei corona die apelle an die eigenverantwortung nicht (ausreichend) gewirkt haben?“
„wo liegen den mögliche versäumnisse in der politik, in seiner person?“
„und was bedeutet das für künftige herausforderung wie bspw. klimapolitik oder migrationsbewegungen?“
um auf die fragen zu kommen, muss man nicht tief im thema stecken.

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Was sollen sie denn machen? Streiken? Wenn du Busfahrer streiken haben es ein paar Leute schwieriger von A nach B zu kommen, wenn Pflegekräfte streiken sterben Menschen. Wer will das denn mit seinem Gewissen vereinbaren?

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Ja!

Nein, man kann Streiks auch so organisieren, dass nur die Bereiche bestreikt werden, die finanziell weh tun, aber nicht akut gebraucht werden (Stichwort verschiebbare OPs, sieht man ja gerade in Corona ganz gut, dass sehr wohl Kapazitäten verschoben werden können)

Am aktuellen Pflegenotstand, der auch schon lange vor Corona da war, sterben Menschen. Dass Pflegende verheizt werden und nach wenigen Jahren schon wieder kündigen, hat ein eine Spirale im Gang gesetzt, die so oder dazu führen wird, dass immer mehr Pflegekräfte fehlen werden und Menschen sterben werden, auch ohne Streiks.

Das ist halt die Denkweise, von der man wegkommen muss. Nicht Pflegekräfte sind dafür verantwortlich, wenn es nicht läuft, sondern Politik, Arbeitgeber und die Gesellschaft allgemein. Dieses alte Bild der sich aufopfernden Krankenschwester, die alleine davon zehrt, dass sie helfen kann, funktioniert halt nicht mehr, wenn drumherum alle immer rücksichtsloser und kapitalistischer werden. Davon muss man einfach endlich wegkommen und Pflege wie jeden anderen Beruf auch sehen. Oder alternativ anerkennen, dass es halt doch kein Beruf ist, wie jeder andere, indem man Pflegenden z.B. Beamtenstatus und damit mehr Sicherheit und bessere Bedingungen gibt.

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um fair zu sein, auch pflegeberufe können streiken und haben das in vergangenheit auch schon getan.
dann muss es halt eine notdienstversorgung geben.

aber klar, als begründung gegen streik kommt auch emotionale erpressung ins spiel. das ist ganz perfide.

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Klar, aber darum gehts ja gar nicht. Wenn die Pflege streikt kommen Menschen zu schaden. Wie sollen zb die Leute in nem Altenheim streiken? Dann wird den Leuten nicht mehr aus dem Bett geholfen, sie werden nicht zur Toilette gebracht und bekommen nichts zu essen? Oder sollen nur so viele streiken dass es trotzdem noch läuft? Wo ist dann der Druck? Ein Streik hilft nur wenn er weh tut, bei der Bahn oder in der Industrie geht das. In der Pflege nicht.

Ja. Pflegekräfte sind aber dafür verantwortlich dass es den zu pflegenden gut geht.

und noch was, weil ich mich grad so schön aufrege:

der markt regelt halt nicht zum ziel eines allegemeinwohls.
das ist das märchen, was seit ludwig erhard erzählt wird von der „sozialen“ marktwirtschaft (=kapitalismus).
gerade in branchen wie das gesundheitswesen zeigt sich, was staatliche deregulierung und rückzug für auswirkungen haben:
nämlich profitable behandlungen/leistungen werden ausgeweitet und unprofitable verschwinden und personalkosten werden soweit gesenkt wie es möglich ist.

wir brauchen nicht weniger staatliche eingriffe sondern mehr und gezielte, nicht nur im gesundheitswesen, gerade um allgemeinwohl und individuelle freiheit garantieren zu können.
das märchen von, wenn man den markt nur frei genug regeln lässt, wird -simsalabim - für alle alles besser, ist ausgeträumt.

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Es gäbe natürlich die Methode des „nicht dokumentieren streiks“ sprich jeder macht seine Arbeit, aber nichts wird erstmal dokumentiert oder wenn dann nur auf nem schmierzettel und nix offiziell.

Dann kann die Einrichtung erstmal nix abrechnen.

Nur klappt das eben auch nur wenn es einen richtigen Streik mit Anführer und co gibt ansonsten hagelts eben Abmahnungen gegen die Personen die für die Dokumentation verantwortlich sind.

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Stimmt, das wäre ne Möglichkeit. Ist nur die Frage ob diese Form des Streiks legal ist, da kenne ich mich nicht aus.

Wäre eben eine der wenigen Methoden wie man in der Pflege streiken könnte das es der ARbeitgeber merkt, aber nicht die Bewohner.

Aber dafür sollte man wohl Erstmal einen Betriebsrat haben, wo es meistens eben schon scheitert weil man sich nicht organisiert kriegt, eben gerade wieder wegen des hohen Frauen mit Kind in Teilzeit anteils die da nicht die nerven dazu haben, wenn die Geschäftsleitung gegen die Betriebsratsgründung ankämpft

Man darf bei dem ganzen Thema auch nicht vergessen, dass eine bessere Bezahlung dauerhaft zu höheren Preisen führt. Und wenn dann die Krankenversicherung deutlich mehr kostet als jetzt, hört die Solidarität bei vielen auf, weil sie entweder nicht mehr zahlen wollen oder (viel entscheidender) nicht können. Es reicht also nicht, einfach nur nach besserer Bezahlung zu rufen, sondern es braucht da ein nachhaltigeres und ausbalancierteres Konzept.

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ist das so ein automatismus?
oder gibt es nicht möglichkeiten der umstrukturierung und der umgestaltung, die die finanzierung höherer gehälter und besserer bedingungen für pflege und zu pflegende ermöglichen?

Wo soll das Geld sonst her kommen? Drucken?

Es gibt auch Extremfälle von Unternehmen mit enormen Gewinnspannen. Da wäre natürlich Spielraum. Das hat man sich aber durch die Privatisierung vergeigt.

das ist exakt der blickwinkel, den ich kritisiere.
klar, wenn man aus sicht des systems heraus argumentiert, ergibt das alles sinn und zieht diese imperative nach sich.
aber ist es auch das, was wir gesellschaftlich wollen?
muss als oberstes ziel für akteure und unternehmen im gesundheitssystem größtmöglicher profit und akkumulation gelten oder doch lieber andere ziele?

das system ist halt so, kann man nix machen :man_shrugging:
das unterschlägt halt nur, dass das system menschengemacht und somit änderbar ist.
diese kapitalistischen strukturen sind doch keine naturgesetze (auch wenn sie gerne so dargestellt werden).

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Ich weiß ja, dass du gerne linke Systemkritik postest, aber du könntest dabei schon darauf eingehen, was ich geschrieben habe:

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Das gilt doch für viele Berufe. Würde ich bei Erziehern z.B. genauso sehen. Das dort geschilderte fehlende Geld ist aber der Abrechnung geschuldet. Da ist genug Geld da, das wird schon bei den Krankenhausbetreibern ankommen. Anders als z.B. in maroden Schulen.

erwartest du also jetzt, dass ich ein „nachhaltiges ausbalanciertes konzept“ liefer?
das kann nicht dein ernst sein.
das ist doch nicht automatisch meine aufgabe, wenn ich was kritisiere.

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Ich erwarte nicht, dass ein Forenuser den Masterplan zur Rettung der Welt postet, nein. Aber einfach stumpf die 0815-Systemkritik runterzuleiern bringt inhaltlich halt auch nicht so viel. Es muss ja zumindest mal Ansätze geben, damit man darüber auch diskutieren kann.

Ich habe daher ins Spiel gebracht, dass ein besseres Gesundheitssystem auch mehr Ausgaben für den Bürger bedeuten kann. Und da bin ich mir auch nicht so sicher, dass die Gesellschaft das wirklich will.

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Ja das ist ein Automatismus im aktuellen System. Personal kostet (trotz der vergleichsweise geringen Löhne) sehr viel.

Und ja, das Gesundheitssystem bietet viele Möglichkeiten der Umstrukturierung und Umgestaltung. Beispielsweise weniger unnütze Klinken (vor allem in Ballungsräumen) und dafür mehr Gesundheitszentren oder auch keine privaten Krankenkassen mehr und allgemein deutlich weniger Krankenkassen. Mehr Prävention in allen Bereichen spart auch eine Menge Geld. Meist geht das alles sogar mit einer deutlich besseren Versorgung und Gesundheit einher.

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tu ich doch:
ich hab fragen gestellt wie: woran liegt der geringe organisationsgrad in pflegeberufen? warum haben apelle an eigenverantwortung bzgl corona nicht ausgereicht? wo liegt politische verantwortung? ist der blickwinkel aus dem system heraus immer der angebrachte? brauchen wir eine ziel- und werte-diskussion? usw.

das sind alles ansätze und keine „stumpfe 0815-systemkritik“.
im gegenteil, ich differenziere auch. nämlich indem ich nicht sage: kapitalismus abschaffen. sondern ich sage: kapitalismus stark reglementieren zum ziel des allgemeinwohls und aufrechterhaltung/herstellung der individuellen freiheit und schutz und demokratischer mitbestimmung.

das ist mMn das gegenteil von stumpf. aber wenn du das so lesen willst, dann ist das deine entscheidung.

und dass ein besseres gesundheitssystem mehrausgaben für das individuum bedeutet, ist eine erzählung, die der aufrechterhaltung der bestehenden verhältnisse dient.
das ist aber kein automatismus (wie es so oft vereinfachende dargestellt wird), sondern kommt auf die ausgestaltung der strukturen an.

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