Statement von Neonschwarz (Mitglied Johnny Mauser war ja auch in dem Welcome to Hell MusicVideo Protagonist)
Ahoi,
da wir nun von einigen Seiten gefragt wurden was unsere Sicht auf die letzte Woche in Hamburg war, kommen hier ein paar Worte dazu:
Einmal voraus gestellt, da das wohl die meisten wissen wollen: Nein, wir supporten es in keiner Weise und sehen es auch nicht als politisch legitime Aktion an, Kleinwagen von Anwohnerinnen abzubrennen und Kioske, kleine Läden oder Drogeriemärkte, die sich für Geflüchtete engagieren, zu zerlegen bzw. zu plündern. Jeder kann den Ärger der Anwohner*innen verstehen. Da dieser Part der G20-Woche einen überproportional großen Teil der Debatte ausmacht, wollen wir aber auch den Blick auf andere Punkte lenken, die wir noch bedeutender finden.
Was haben wir erlebt? Im Vorfeld wurden viele Protestformen gegen den Gipfel kriminalisiert. Es durften keine Zelte aufgestellt werden, Menschen durften nicht nach Hamburg reisen, Demonstrationsverbote wurden ausgesprochen etc… Diese Taktik von Polizei und Senat hielten und halten wir für katastrophal falsch. Erstens, weil es repressiv und einer so genannten freien Gesellschaft nicht würdig ist. Zweitens, weil es die Stimmung unnötig aufgeheizt hat. Wer einen G20-Gipfel veranstaltet, muss auch den Gegenprotest mit einplanen. Am Dienstag wurden friedliche Menschen beim Massencornern durch die Polizei bedrängt. Mittwoch gab es einen riesigen Protest-Rave.
Donnerstag stand dann die “Welcome to hell”-Demonstration auf dem Plan, die sich in ihrem Aufruf ganz klar antikapitalistisch positioniert hat. Es waren viele linke Gruppen vertreten und wir haben unseren Teil dazu beigetragen, in dem wir bei der Auftaktkundgebung zwei kleine Konzerte zum Besten gaben. Kurz vor sieben formierte sich der Demonstrationszug auf der Hafenstraße, vorne ein so genannter schwarzer Block, dahinter viele viele weitere Menschen. Die Polizei forderte wohl die ersten Reihen auf, Vermummungen abzunehmen, dem kamen viele Menschen nach, einige auch nicht. Was daraufhin geschah, ist für uns aber bis heute unvorstellbar. An vielen Stellen griffen hoch aggressive Polizeikräfte die Demonstration von der Seite an, ohne Rücksicht auf Menschenleben zu nehmen, viele konnten sich vor den Schlägen über die Mauern am Fischmarkt flüchten, viele wurden verletzt, einige schwer. Danach begann das Chaos. Eine (genehmigte) Versammlung von tausenden von Menschen, die eingezwängt zwischen Mauern auf beiden Seiten stehen, von vorne und von hinten massiv und brutal anzugreifen, mit Pfefferspray und Wasserwerfern rein zu schießen und mit Knüppeln und Schlägen rein zu dreschen, ist nichts anderes als der entfesselte Polizeistaat, den wir auch in Russland oder der Türkei sehen. Menschen sprangen in Panik und zum Teil Todesangst von hohen Mauern, rannten über den Fischmarkt, manche sind sogar ins Hafenbecken gesprungen. Wer über die Randale im Schanzenviertel spricht und über die Angst der Anwohnerinnen vor dem „schwarzen Block“, sollte vom Tag davor nicht schweigen. Es macht uns fassungslos das dieses Vorgehen komplett aus dem Fokus geraten ist, obwohl zig Journalistinnen davon berichteten. Polizeistaat hin oder her, Hauptsache die Scheiben bleiben ganz!
Wir sehen die Polizeistrategie als enorm gefährlich an und gehen davon aus, dass es von Polizeiseite nie geplant war, die Demonstration laufen zu lassen. Ein lesenswertes Interview zu Hartmut Duddes Polizeistrategie haben wir z.B. in der Sueddeutschen gefunden:
http://www.sueddeutsche.de/…/protestforscher-ueber-g-chaos-…
Im Internet gibt es auch fast 2-stündige Live-Mitschnitte, in denen man die Ereignisse vom Donnerstag nachvollziehen kann, wenn man Lust dazu hat. Am Samstag nach einer beeindruckenden Demo mit 100.000 Menschen haben dann wohl übermotivierte Einheiten versucht Menschen aus Rache festzunehmen und sind dabei auch gegenüber friedlichen Demonstrant*innen mit übertriebener Härte vorgegangen, hier ein Beispiel im Radio-Interview: https://www.freie-radios.net/83985
In den Hintergrund gerückt sind die vielen tollen Blockaden und Protestaktionen, die inhaltlichen Auseinandersetzungen und Diskussionen und die Tatsache, dass gefühlt ganz Hamburg auf der Straße unterwegs war, um mal eher friedlich, mal eher wütend, dagegen zu demonstrieren, wie ungerecht die kapitalistische Welt läuft, in der die Mitglieder der G20 eine große Rolle spielen. Uns ist die ganze Woche über immer wieder klar geworden, in was für einer geilen Stadt wir doch leben.
Zu wenig gesprochen wird auch darüber, dass Anwältinnen der Zugang zu Mandantinnen in der Gefangenensammelstelle verwehrt wurde, teilweise wurden sogar die Juristinnen körperlich angegangen. Zu kritischen Berichterstatterinnen wurden die Presseausweise entzogen, Pressevertreterinnen berichten von zahlreichen Übergriffen durch die Polizei – nachzulesen u.a. hier: http://www.huffingtonpost.de/…/die-presse-ist-hier-nicht-si…
http://www.tagesschau.de/inl…/gzwanzig-journalisten-109.html
Von der voraussichtlich extrem hohen Zahl der verletzten Gipfel-Gegnerinnen, Brüchen, Not-Operationen, Platzwunden etc. ganz zu schweigen. Bei Aktionen wie Wasserwerfereinsätzen auf Menschen, die am Dachrand stehen, können wir wohl nur von Glück reden, dass es keine Toten gegeben hat. Eine Übersicht zu Gewalt durch Beamt*innen: https://www.facebook.com/PolizeigewaltHamburg/
Und - achja, die G20 tagten. Für so einen Aufriss scheint nicht besonders viel Verwertbares im Sinne einer gerechteren Welt herausgekommen zu sein.
Und jetzt? Jetzt geht es in Zeitungen, Fernsehen und auf Social Media vornehmlich um die “linksextreme” Gewalt, von der man überrascht sei und die von nun an hart bekämpft werden müsse. Vor dem Hintergrund scheint dann plötzlich alles andere egal, das „harte Durchgreifen“ der Polizei wird im Nachhinein legitimiert, viele liebäugeln mit einem autoritären Staat. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz nennt das Verhalten der Polizist*innen sogar „heldenhaft“. Peter Altmaier glänzt auf Twitter mit Aussagen wie „Linksextremer Terror in Hamburg war widerwärtig und so schlimm wie Terror von Rechtsextremen und Islamisten.“ Wer anfängt, Linke mit Nazis gleichzusetzen, oder sogar den Freitagabend auf dem Schulterblatt mit dem Holocaust, der oder die hat schlicht und einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank. Während Linke für die Aufhebung der Ungleichheit auf die Straße gehen, ist das Ziel der Rechten die Dominanz der “weißen Rasse”.
Nun schießen sich alle auf die Linke ein und träumen von dem Sturm auf die Rote Flora. Nach unseren Beobachtungen handelt es sich bei dem Freitags-Mob auf dem Schulterblatt und in Altona nicht vordergründig um die linke Szene, auch die Flora hat sich davon distanziert. Vielleicht sollten alle erstmal ein bisschen Ruhe bewahren. In Hamburg ist kein Bürgerkrieg ausgebrochen, die wirklichen Kriege passieren gerade an vielen anderen Orten dieses Planeten.
So far, müde Küsschen aus dem neonschwarzen Block! Love will never die & Flora bleibt!