Aberglaube finde ich manchmal sogar ganz lustig.
Ich laufe nicht unter Leitern durch (ist Arbeitsschutz-Mäßig sowieso eigentlich ziemlich schlau), trete ungern auf Fugen von Gehweg-Platten und verschütte Salz über meine Schulter. Schwarzen Katzen weiche ich sowieso aus.
Außerdem hatte ich zu Prüfungen in der Uni immer eine Armada an Glücksbringern dabei. Mittlerweile beschränkt sich das auf einen Schlüssel-Anhänger (ein Plüsch-Elch, mittlerweile ohne Hufen).
Das sind alles Einstellungen aus der Kategorie „Es kostet mich ja nichts, wieso also das Risiko eingehen, Pech zu beschwören.“
Nein natürlich ist das nicht ganz dasselbe, aber es schlägt schon in eine ähnliche Kerbe und bedient auf einer schwachen und erstmal harmlosen Ebene eine ähnliche Placebofunktion.
Es gibt ja auch genug Leute, die völlig nervös und panisch werden, wenn sie den Glücksbringer mal einen Tag vergessen, oder nicht finden und schieben dann die verhaute Prüfung, das misslungene Bewerbungsgespräch oder die schlechte Leistung im Sport auf die nicht gefundene Socke.
Oder nur Geschäfte abschließen, wenn man seine Glückszahl am Weg zum Termin sieht.
Ein Glücksbringer ist auf verspielte Weise schon auch ein magisch aufgeladener Gegenstand, dem Traumfänger im Schlafzimmer, der die schlechten Träume aufhalten soll, den Halbedelsteinen im Wasser, die die negativen Energien canceln sollen garnicht unähnlich.
Natürlich, wie gesagt in einem anderen Grat der Ausformung. Aber auf die Schwelle zur Esoterik scheinen mir Glücksbringer zumindest schon zuzugehen.
Auch der Placebo Effekt ist halt ein Effekt.
Und was für ein Effekt er ist. Im einen Moment ist der Glücksbringer am gewonnenen Spiel verantwortlich, aber nicht wenn man trotz Glücksbringer verloren hat. Und dann gewinnt man fehlendem Glücksbringer, aber im nächsten Spiel verliert man und dann ist wieder der Glücksbringer schuld.
Man geht selbstsicherer in die Situationen und kann bessere Leistungen abrufen weil mit dem Glücksbringer kann einem ja nichts passieren.
Wenn die Leute durch Traumfänger oder aufgemalte Symbole auf Duftkerzen besser schlafen…
…sollen sie doch.
Ausgeschlafene Menschen sind besser gelaunt und treffen vielleicht bessere Entscheidungen.
Von daher - wenn’s ihnen was bringt, hab ich da nix dagegen.
Nur, wenn versucht wird, mir mit meinen Schlafstörugen irgendwelche Traumfänger anzudrehen… …dann hört’s für mich auf!
Die „Verunschärfung“ der Realitätsbewertung, wie du schreibst, sehe ich auch - die betrifft i.d.R. ja aber nur die „Gläubigen“ selbst.
Möglicherweise treffen sie dann ungerechtfertigte Entscheidungen, die sich -mal negativer, mal positiver- auf ihr Leben auswirken und passen das Ergebnis dann in ihr Glaubensbild ein („nicht genug rechtsdrehendes Wasser getrunken“ vs. „gut, dass ich den Bergkristall dabei hatte“) - eines von beidem trifft schon immer zu.
Gefährlich wird es a.m.S. erst, wenn diese individuellen Glaubens- und Bewertungssysteme in ihren Bubbeln immer größer und vernetzter werden und sich zu kollektiven Systemen ausformen, die vielleicht sogar eine gewisse Deutungshoheit und Macht in einer Gesellschaft innehaben…
Ja, schon klar, self fulfilling prophecies.
Am Ende wird halt viel auch vor allem rückblickend projiziert.
Klar man erinnert sich später nur an die wenigen Situationen wo der Talisman Glück gebracht hat und nicht an die vielen Situationen wo es nicht so war. Das menschliche Hirn ist fantastisch im Selbstbetrug.
Ich hatte früher bei schweren ops auch immer meinen stoff Husky dabei der auf mich aufgepasst hat. Und ich bin nie drauf gegangen ergo hat er funktioniert
Absolut. Schön gesagt. Darin bin uch auch ein Meister und ich find das auch einen durchaus wichtigen Mechanismus des Hirns, sich immer wieder zu belügen.
Ganz wie Sven Regener hübsch singt:„Und alles kommt ins Reine, mit etwas Selbstbetrug.“
Das will ich dir auch umhimmelswillen nicht nehmen. Das ist ja fein und schön. Ich kenn das ja auch von mir selbst und glücksbringerartige Gegenstände oder Rituale sind uns allen bestimmt bestens bekannt.
Ich denk mir halt, dass man sich die Funktion und die Nähe zur Esoterik, schon auch immer wieder bewusst machen kann und sollte, einfach zur besseren Einordnung.
Wenn man es weiterspinnt, ist ein „Gute Besserung“ auch max. ein Placebospruch, der nichts echtes bringt, außer, dass sich die kranke Person ggf. besser fühlt, weil wer an sie denkt.
Ich finde, man kann alles, was nicht „echt“ materiell ist so runterbrechen. Sinnvoll finde ich das nicht und denke, es sollte differenziert werden. Fängt schon bei „Pendeln gegen Krebs“ oder einem Kuscheltier als Glücksbringer an, es gibt für mich sehr starke Nuancen.
Richtig. Der Alltag ist ja durchzogen von solchen Zauberformeln.
Absolut. Das will ich auch garnicht bestreiten. Das sehe ich genauso.
Ach und was nahbares vllt: Wenn jemand bei Stress raucht, raucht er nicht den Stress per se weg, sondern hat für sich einen coping mechanism gefunden, der ihm und auch anderen eigentlich körperlich schadet. Läuft das auch unter Esoterik?
Gute Frage. Da muss ich drüber nachdenken.
Auf jeden Fall hat Rauchen was stark Ritualhaftes.
Das ist bei Esoterik (und einigen anderen Dingen) mMn der Schlüsselbegriff. Für mich kommt Homöopathie, Kartenlegen, Astrologie usw. aus der Ecke des magischen Denkens, etwas das vermutlich jedem Menschen in der frühen Kindheit innewohnt und je älter man wird auch langsam überwunden werden sollte.
Das ist eine dysfunktionale Ablenkung und evtl. Suchtverhalten.
Nicht auf Gehwegsfugen treten kann leicht die Grenze zu Zwangsverhalten überschreiten.
Agamben, Walter Benjamin und Mozart wieder.
Walter Benjamin ist auch top!
Wenn es etwas gibt, das man am Himmelszelt ablesen und berechnen kann, dann ist es doch wie die Sterne in einigen Tagen stehen werden.
https://www.astronomie.de/der-himmel-aktuell/ansicht-des-sternenhimmels/
Da hätte sie sich mal bei echten Experten nach dem Stand der Sterne erkunden können, bevor sie ihre Ausstellung plant.
In meinen Augen macht es auch einen großen Unterschied, ob es um etwas geht, woran man selber aktiv beteiligt ist, was größtenteils in den eigenen Händen liegt, z.B. eine Klausur oder ein Wettkampf etc. Da fände ich einen Talisman für mich persönlich unangebracht, weil ich mich da lieber auf mich selbst besinne.
Ganz anders empfinde ich es, wenn man eine passive Rolle einnimmt, wie z. B. bei deinen OP’s und keinen Einfluss auf das Ergebnis hat. Ist doch durchweg positiv, wenn ein Talisman etwas die Angst nehmen kann und die Zuversicht, dass schon alles gutgehen wird, stärkt. Wie ein Anker, in einer Situation, in der man vollkommen ausgeliefert ist. Das hat für mich nichts mit Aberglauben oder Esoterik zu tun.
Ist da denke ich eine Typ Frage. Wenn ich weiss ich kann die Prüfung aufgrund meines Könnens schaffen brauche ich sicher keinen. Aber wenn man eher unsicher ist kann das denke ich eine gute Stütze sein