Ich habe vor drei Wochen einen Exhibitionisten bei der Polizei angezeigt, noch am selben Tag, kurze Zeit nach der Tat. Und jetzt gerade denke ich zum ersten Mal wieder daran, hoffe dabei einfach nur, dass sie ihn finden und er seine gerechte Strafe bekommt. Ich habe seither alles getan, um damit achtsam umzugehen, war vorsichtig mit mir, habe bestimmte Wege gemieden. Ich halte mich seither lieber bei Frauen auf, als dass ich irgendwo alleine in den ÖPNV s sitze. Lieber in einer lauten Traube von Frauen als vorne im Zug meine vermeintliche Ruhe zu haben, bis ein Mann dazu kommt. Ich hatte einen ruhigen Weg zum Fitnessstudio, auf dem die Tat passiert ist. Ich habe diesen Weg sehr geschätzt, ein paar Schritte mehr auf der Uhr, ein sich warm machen für das anstehende Training. Mittlerweile fahr ich mit dem Bus ins Studio. Die Leute und den Trubel nehme ich gerne in Kauf, da fühle ich mich sicherer. Um meine Sozialphobie kann ich mich nicht auch noch kümmern, irgendwas muss derzeit immer hinten wegfallen.
Ich war in der Woche nach der Tat auf der GC und ich hab alles aus diesem Tag für mich heraus holen können an positiver Aufregung. Ich hab das ganz bewusst mitnehmen wollen, um möglichst viele neue und vor allem positive Erfahrungen zu sammeln. Meine Erinnerungen sollten um etwas positives erweitert werden und nicht auf die Tat beschränkt sein. Das hat für mich besser funktioniert als erwartet.
Ich denke nicht oft an die Tat, aber sie hat großen Schaden hinterlassen. Bewusst nach außen hin performe ich gut, die negativen Gefühle sind da und ich gehe damit um. Aber in meinem Seelenleben nun, ich bin erleichtert meine Therapeutin einmal die Woche zu sehen. Dort verlagere ich alles. Die Wut, die Traurigkeit, die Scham, die Frustration und die Angst. Außerhalb der Therapie isoliere ich mich nicht, im Gegenteil. Ich hab wieder Spaß am Gaming, ich bin viel unterwegs, ich gehe trainieren, ich schaffe es uns, also mich und meinen Freund, finanziell gut auf die kalten und teuren Monate vorzubereiten, die Wohnung wird immer ordentlicher, ich miste aus, mache Geld mit alten Sachen. Ich fühle mich stark, die meiste Zeit. An der Stelle ist es mir wichtig zu betonen, dass ich ohne die Unterstützung und den Zuspruch von meiner besten @LaRocca und der Trainerin in meinem Fitnessstudio niemals den Mut aufgebracht hätte, nach der Tat die Polizei zu rufen. Auf dem einen Blatt steht die Selbstermächtigung, sich gewehrt zu haben, den Täter ausgelacht und verspottet zu haben, sich Hilfe gesucht und Gerechtigkeit eingefordert zu haben. Das alles hat mir enorm Kraft gegeben. Das verheerende Ausmaß auf die Seele eines Opfers solch einer Tat, wird dadurch nicht kleiner. Es hat mir zumindest bei dem Umgang mit der Tat geholfen. Es ändert allerdings nichts daran, dass es passiert ist. Es macht mich nicht weniger wütend und es ändert so gar nichts an meinem Eindruck mein ganzes Leben lang so eine Scheiße magnetisch anzuziehen. Mädchen und Frau sein.
Die ersten Tage nach der Tat waren furchtbar. Für mich war das eine Retraumatiserung und die Ereignisse im Laufe der Woche nach der Tat waren wie aus einem schlechten Film. Alles hat thematisch zu gut gepasst.
Erst die Tat, dann meldet sich kurz danach vorwurfsvoll ein Familienmitglied bei mir, weil ihr scheinbar bewusst wird, dass ich derzeit endgültig den Kontakt zu ihnen abbreche. Wenige Tage später bin ich, weil dort meine Hautarztpraxis ist, in der Gegend eines weiteren Familienmitgliedes und habe wie sonst auch, wenn ich dort unterwegs bin, Angst dieser Person oder ihrer Familie zu begegnen. Statt das meine ursprüngliche Angst bestätigt wird, sehe ich auf dem Heimweg in einem mir bis dahin vermeintlichen Safe space in meiner Heimatstadt ein anderes drittes Familienmitglied mit seiner deutlich jüngeren Freundin. Und zwar denjenigen, der selber Exhibitionist ist und damit in der Vergangenheit strafbar geworden ist. Den ich damals, als wir noch so etwas wie eine Familie waren, als einzige zugehört hab, weil ich wollte, dass er sich therapeutische Hilfe sucht und sein Problem angeht. Ich wollte nicht, dass ein weiteres junges Mädchen traumatisiert wird. Mir war damals nicht bewusst wie sehr ich mich damit aufopfer und mir seelisch schade. 2 Jahre zuvor hat er meinen Eltern gedroht und ist ausgerastet, weil ich lediglich wegen Depressionen und Angstzuständen das erste Mal in eine stationäre Psychotherapie gehen wollte. Meine Traumatherapeutin vermutet heute, dass er Angst hatte ich könne in meiner Therapie Dinge herausfinden, die ihn nachträglich belasten würden. Damit erklärt sie seinen Ausraster. Als er straffällig wurde und seine sexuelle Präferenzstörung diagnostiziert wurde, wollte ich es „besser“ machen als er bei mir 2 Jahre zuvor. Ich wollte vormachen wie es geht und hab mich damit mal wieder unbewusst zur Mutter und Therapeutin, Verantwortliche und Lastenträgerin der Familie gemacht.
Ich möchte hier zu einem Ende kommen.
Und noch diese 2 Songs dalassen :
Gestern hätte ich sie live feiern können, aber die Wahrheit ist, ich wollte nicht spät abends alleine heim fahren und deswegen hab ich das Konzert nicht besucht.
Das ist sehr schade, aber ansich habe ich mit dem einen Tag Gamescom genug positive Aufregung und Liebe fürs restliche Jahr sammeln können.