Thema: Lost in Translation
Film: You were never really here (deutsch/französischer Titel: A beautiful day)
Regie: Lynne Ramsay
Erscheinungsjahr: 2017
Laufzeit: 90 Minuten
Der Film musste einfach von mir geguckt werden.
Denn nicht nur ist das ein gloomy Neo Noir-Film, also genau mein Ding, aber: ich habe bis dieses Jahr nichts von ihm gehört. Und das ist relevant, da Kritiker den furchtbaren Titel dafür verantwortlichen machen, dass der Film in Europa recht wenig Erfolg hatte, obwohl er sogar eine französische Co-Produktion ist.
Der Film basiert auf einem gleichnamigen (also You were never really here) Buch, das ich nicht gelesen habe.
Ich habe den Film mit Fieber geguckt, was definitiv eine beschissene Idee war, denn der Film buchstabiert einem nicht gerade alles einzeln vor. Aber - Bewertungsspoiler: ich hatte dennoch Spaß.
Worum gehts?
Ein ehemaliger FBI-Agent und Kriegsveteran lebt nun mit seiner pflegebedürftigen älteren Mutter zusammen. Er ist offensichtlich schwerst traumatisiert aufgrund seiner Kindheit und Zeit im Kriegsgebiet und hat mit den Folgen zu kämpfen. Suizidfantasien, Flashbacks und Apathie sind seine täglichen Begleiter, doch seine Mutter pflegt er trotz mancher Frustration dennoch liebevoll und geduldig.
Seine Brötchen verdient er als Auftrags-Enforcer. Seine Spezialität ist es Menschen, oft Kinder, aus Menschenhandel zu befreien und dabei so brutal vorzugehen wie nötig. Seine bevorzugte Waffe ist ein Hammer.
Dieses Leben verändert sich schlagartig als er den Auftrag bekommt, die Tochter eines New York State Senators aus einem Kinderbordell zu befreien…
Der Film ist ziemlich brutal und dann auch wieder nicht. Ich habe mehrere Reviews gesehen, die sagen der Film wäre nicht blutrunstüg und würde keine Gewalt zeigen.
Ich selber habe allerdings folgende blutige Szenen gesehen (ich beschreibe was man sieht hinter dem Spoiler, ohne Storykontext oder Charakterbeschreibungen, in willkürlicher Reihenfolge):
Nahaufnahme wie ein Zahn aus einem blutüberströmten Mund gezogen wird, Gehirnmasse und Blut die auf ein Gesicht spritzen, Suizid durch Kopfschuss bei dem das Blut auf diverse umstehende Menschen spritzt und eine riesen Blutlache entsteht, eine leiche in einer Blutlache mit extrem weit aufgechlitzter Kehle, eine Leiche mit einem Einschussloch im Auge
Es wird also sehr wohl auch zwischendurch wirklich gory. Aber ansonsten stimmt es: meistens sieht man die eigentliche Gewalthandlung nicht. meistens dreht die Kamera weg. Dadurch werden die Male in denen wir richtig genau hinsehen sollen aber eher ein bisschen schlimmer. Ansonsten ist die eigentliche Gewalt aber zu wissen wie viel Gewalt die Protagonisten erlebt haben. Ob das nun häusliche Gewalt, Krieg, Menschenhandel, der Verlust von Nahestehenden ist. Eigentlich leidet in dem Film jeder.
Der Film ist nicht „leicht verständlich“ aufbereitet. Es mag an meinem Fieber gelegen haben, aber ich hatte stellenweise Probleme zu folgen. Ich spreche fließend Englisch und habe auch keine Probleme Filme zu gucken in denen genuschelt wird, aber hier musste ich an zwei Stellen zurückspulen um noch mal genau hinzuhören was gemeint war. Wer also nicht extrem selbstbewusst mit der englischen sprache ist, sollte den Film auf Deutsch gucken.
Viel Dialog gibt es aber eh nicht. Auch nicht viele Erklärungen. Der Film hat mehr Subtext als Text und mehr Bildsprache als Sprache.
Am Ende des Films wird gesagt „Its a beautiful day“. Und das ist der Grund für den deutschen/französischen Titel. Wie kitischig. Und unpassend.
You were never really here ist der viel bessere Titel. Denn was bleibt von einem, wenn man nur Trauma kennt? Was war je? Und wo geht man hin, wenn man nie wirklich da war?
Inhaltlich / stilistisch erinnert mich der Film ein wenig an Leon der Profi und Drive, allerdings etwas gröber und mehr auf den Punkt.
4,5/5, Klasse Film - beschissener deutscher Titel
(geguckt hab ich den auf freevee und die Werbepausen waren an absolut beschisseneen Stellen, also die paar Euro auf YT abdrücken um ihn da zu mieten ist wahrscheinlich die klügere Idee)