Thema #104: A24
Film: Minari von Lee Isaac Chung
Erscheinungsjahr: 2020
Laufzeit: 116 Minuten
Wo gesehen: Sky
Die koreanische Familie Yi zieht von Kalifornien in die Pampa von Arkansas. Die Eltern Jacob und Monica verdienen ihr Geld mit der Kükensortierung, jedoch träumt Jacob längst von seiner eigenen landwirtschaftlichen Produktion. Monica ist weniger euphorisch und möchte unbedingt, dass ihre Mutter nachzieht und auch ihre beiden Kinder, der herzkranke David und seine große Schwester Anne müssen erst Mal in der neuen Umgebung ankommen.
Ich habe gleich mal meinen typischen A24-Weg hingelegt, denn entweder ich finde die Filme sehr enttäuschend oder sehr gut und nur wenig dazwischen. Das zeigt mir, dass die Filme natürlich etwas polarisieren können, auf der anderen Seite, zeigt es aber vor allem, dass hier noch jeweils eine konkrete Idee verfolgt werden darf und die auch jeweils durchgezogen wird. Dann gibt es meist weniger „Wischiwaschi“, sondern die Vision des Regisseurs lässt sich voll erfüllen. Da kann ich es dann auch in Kauf nehmen, dass ich mit der Vision wenig anfangen kann.
So kann ich z.B. mit Hereditary, Spring Breakers oder Lobster nicht wirklich etwas anfangen, First Cow, Lady Bird oder Moonlight z.B. finde ich aber großartig.
Was hat das jetzt mit Minari zu tun? Ich habe zuerst „Under the Skin“ angeschaut – hat mich nicht überzeugt und enttäuscht und danach eben Minari – ein sehr guter Film.
Insgesamt liegt das im Einzelnen natürlich schon mehr am jeweiligen Regisseur bzw. der Regisseurin als am Studio, trotzdem wollte ich die Beobachtung bei dem Thema mal zum Besten geben.
Minari ist schon ein bisschen so, wie man das ostasiatische Kino die letzten Jahre kennengelernt und ich auch lieben gelernt habe: Der Fokus auf drei Generationen einer Familie, ihre jeweiligen Probleme, ruhig und bedächtig gefilmt. Trotz der eigentlichen schwere der Themen auch mit Humor verpackt. Filme wie Shoplifters oder Parasite lassen grüßen, aber auch eine ganze Menge unbekanntere Produktionen aus diesen Gefilden.
So hatte der Film hier wirklich viele lustige Szenen, ich musste nicht nur grinsen sondern sogar richtig lachen. Einen großen Anteil daran hatten die beiden tollen Kinderdarsteller, die einem nie auf den Geist gehen – was bei Kinderdarstellern (besonders da der Fokus hier doch auf recht jungen Kindern (7 und 10) liegt) schnell mal der Fall sein kann. Dazu gibt es die Rolle der sehr schrulligen Großmutter, ebenfalls keine Seltenheit in diesen Filmen, aber einfach genial von Yoon Yeo-jeong verkörpert, die dafür auch einen Oscar bekam.
Doch das Leben zwischen kranken Kindern, alternden Menschen, dem Kapitalismus und der Selbstfindung ist nicht immer lustig und eine Ehe will auch noch geführt werden. So haben Jacob und Monica auch eine ganze Menge an Problemen zu bewältigen ohne das der Film ins melodramatische abdriftet.
Trotzdem steht dieser Film auch auf ganz eigenen Beinen und man sollte nicht sagen: Hab doch schon Parasite gesehen, was soll da jetzt in dem Fahrwasser noch kommen? Denn durch den Fokus auf amerikanischen Boden haben wir im Grunde so einen ganz eigenen Überschlag der Genres, den Lee Isaac Chung hier vollbringt. In dieser typischen Umgebung der ländlichen USA, wartet man eigentlich nur darauf, dass der Film irgendwann eine Portion „Redneck-Film“ bekommt: Wann entlädt sich der Rassismus und die Brutalität des typischen Südstaatendramas bzw. Western? Nun die Antwort wird überraschen.
Trotzdem bleibt sich dieser Film in seiner Systemkritik gegen den Kapitalismus treu, wie Shoplifters oder Parasite eben auch. Ja der amerikanische Traum wird nicht völlig verteufelt aber gerade ein Dialog zum Ende über das liebe Geld zeigt für mich die klare Richtung des Films. Bei Dialogen sei übrigens gesagt: Ich persönlich bin ja oft ein Freund von guten Synchros, dieser Film sollte aber doch im Original mit Untertiteln gesehen werden, da die Protagonisten und Protagonistinnen ständig zwischen koreanisch und englisch hin- und herwechseln und das bei der Synchronisation dann einfach ein deutscher Brei ist – das ist dann für die Dialogdynamik oft absoluter Quatsch.
Absolut fantastisch ist aber der Nebencharakter des Paul: Als Veteran aus dem Koreakrieg, ist er zutiefst gläubig und ein vermeintlicher echter Redneck. Auch hier wartet man vermutlich nur, bis er dem Rassismus freien Lauf lässt, er sich an den kleinen Kindern vergreift oder zu sonstigen Schandtaten bereit sein wird. Doch es wird ganz anders kommen und so zeichnet der Regisseur auch hier ein Bild eines Mannes, der selbst von der Welt abgehängt wurde. Der sich durch komplett schrullige Aktionen schwer einfügen kann, der von Armut gekennzeichnet ist – und doch ein sehr großes Herz besitzt.
So findet der Film noch in einigen Nebencharakteren mehr sehr interessante Aspekte.
Hab ich auch was zu kritisieren? Wenig. Allgemein, ist der Traum von Jacob natürlich sehr ambitioniert und gefühlt ein bisschen weit hergeholt, auf der anderen Seite ist eben diese Seite der Landwirtschaft und die Metaphern die dadurch entstehen perfekt geeignet um das zu erzählen was erzählt werden soll, ähnliches machen die Western von heute, wie z.B. First Cow ja auch bereits.
Das Ende war mir ein bisschen zu: Naja jetzt ist halt zu Ende. Um den Bogen zum Anfang zu schlagen – das ist aber typisch A24. Ich brauche nicht immer „das große Ende“, aber Minari ist so ein Film, der einen durchgehend überlegen lässt, durchgehend am Nachdenken hat und trotzdem mit seinem Humor flott vorbeigeht – da brauch ich nicht noch ein „offenes Ende“ zum weiter nachdenken. Ich behaupte sogar mit einem starken Ende wäre der Film gerade bei Preisverleihungen noch erfolgreicher gewesen. Ich weiß selber nicht was für ein Ende, aber so ein starkes Ende ist eben auch etwas schwer zu erreichendes für einen Film und deshalb umso befriedigender wenn es ein Film hat.
Ich schwanke zwischen 7 und 8 ich gebe aber 8, denn der Film war einfach mal wieder große Klasse. Wohl das beste was ich bisher (aber ich bin ja auch sehr, sehr, sehr langsam) aus den 2020ern so gesehen habe und es ist so ein Film den man irgendwie braucht finde ich. Es ist nämlich ein echter Brückenbaufilm:
Die Brücke zwischen jung und alt, zwischen Korea und Amerika, zwischen Stadt und Land, zwischen vergessen und vergessen wird hier gebaut. Aber nicht zuletzt wird hier vor allem die Brücke zwischen problemorientiertem Arthousekino und wunderbar wolligem Feel-Good-Kino errichtet. Toll.
Hat er jetzt wirklich einen Film wo Frau Johansson 100 Minuten nackt Männer verführen darf nicht gemocht und dafür über einen Film geschwärmt in dem es zwei Stunden um Wassersellerie geht? Ja genau, die Magie des Films.
8 von 10 gelungene Ernten