Thema #110: Werner Herzog
Film: Tod in Texas (Into the Abyss) von Werner Herzog
Erscheinungsjahr: 2011
Laufzeit: 107 Minuten
Wo gesehen: Sky
Erzählt werden die Geschehnisse rund um die Verurteilten Dreifach-Mörder Michael Perry und Jason Burkett. Auf Burkett wartet eine lebenslange Haftstrafe, auf Perry die Exekution. Herzog interviewt aber nicht nur die beiden Täter sondern auch Angehörige von ihnen, Angehörige der Opfer, einen Polizisten, einen Priester und einen Vollstrecker der Todesstrafe.
Werner Herzogs Dokumentation über die Todesstrafe ist weniger ein allgemeines Plädoyer gegen die Todesstrafe, als eine genaue Beschreibung eines konkreten Falls. Herzog sagt ganz am Anfang er ist klar gegen die Todesstrafe und für ihn gibt es da auch nicht viel zu diskutieren. Heraus kommt also kein Für und Wider über die Todesstrafe sondern die Beleuchtung persönlicher Schicksale.
Was für Umstände können so junge Menschen dazu treiben solche grausamen Morde zu begehen? Wo liegen die Gründe dafür. Kann man so etwas nachvollziehen oder verstehen oder gar erklären?
Was geht in einem Polizisten vor, der sich in den Tagen nach der Tat immer weiter in den Sumpf aus Blut und Einzelheiten begeben muss? Können Angehörige der Opfer Verzeihen oder sind sie nur auf Rache aus? Was denken Freunde und Verwandte der Täter? Fühlen sie sich mitschuldig?
Was denkt ein Mann der Kirche über die Rolle von Gott zur Tat aber auch zur Todesstrafe? Und schließlich: Wie fühlt es sich an, ein „Fließbandarbeiter des Todes zu sein?“
Herzog stellt noch viele weitere Fragen und ich fand die Dokumentation gut. Kommt vielleicht aber auch drauf an, wie man zur Todesstrafe steht. Auch ich halte die Todesstrafe für komplett falsch und war somit auf einem Level von Herzog und war viel an den einzelnen Personen interessiert. Manche Meinungen fand ich zum Kopfschütteln, manches fand ich interessant, manches erschüttert. Alles hat zum nachdenken angeregt und auch überhaupt war das ein Film in dem man so viele Menschen erleben konnte, die alle so weit weg von meiner Lebensrealität waren (egal ob gefühlt hundertmal unprivilegierter oder gefühlt hundertmal privilegierter) und ständig mit Scheiße konfrontiert waren und trotzdem und/oder gerade deshalb die seltsamsten Dinge getan haben, dass es einen mal wieder über vieles auf der Welt zum Nachdenken gebracht hat.
Das Talent von Herzog manchmal komplett absurde Fragen zu stellen war hier manchmal schwer zum ertragen – manchmal war es aber auch fantastisch. Es gab sehr viele Highlights, zwei picke ich mal raus:
Den Priester fragt er, was seine Begründung ist, dass Gott so etwas wie die Todesstrafe zu lassen kann. Nach einigen Diskussionen, die nicht so wirklich befriedigend sind, weder für Zuschauer, noch für Herzog oder den Priester – hat man das Gefühl; geht es auf einem „ziemlich random“ um Eichhörnchen und Herzog baut aus so einer Eichhörnchengeschichte eine Geschichte, die den Priester richtig aus seiner Reserve lockt und er am Ende dann ganz offen über seine Trauer reden kann, die ihm die Todesstrafe bereitet, denn er ist oft als einziger im Raum und berührt den Menschen solange, bis der Tod eintritt.
Das andere war für mich die Geschichte, wie es ein Vollstrecker der Todesstrafe im Grunde in eine Routine geschafft hat, in dem alles Exakt nach Schema F geht und so „die Toten am Fließband“ produziert werden… bis eines Tages, nach weit über 100 Hinrichtungen zum ersten Mal eine Frau auf seiner Todesbank saß. Der Tag veränderte alles – einfach weil Anblick und Durchführung nicht mehr seiner Routine entsprachen.
Am Abend dieses Tages hatte er einen kompletten Nervenzusammenbruch, hat gemerkt, was er da eigentlich sein ganzes Leben, vom Gesetzt legitimiert, als „normalen Job“ tut; hat alles hingeworfen und sofort aufgehört. Ich finde dieses Beispiel der Routinebrechung extrem stark, denn (meine Meinung): Wahrscheinlich würden unglaublich viele Leute in (aus meiner Sicht) schlimmen und schmutzigen Jobs, sehr schnell merken, was für eine Scheiße das eigentlich ist, wenn es einen Tag gibt, der völlig ungewohnt für einen ist und einen aus „Der Macht der Gewohnheit“ ausbrechen lässt.
Als traurige Anmerkung zum Schluss: Der Mann stand danach aber erstmal vor dem nichts, weil wenn man als Staatsdiener da freiwillg seinen Hut nimmt, bekommt man weder einen Cent Rente noch sonst irgendwas .
Ich vergebe an reine Dokumentationen ja nie Punkte, aber es sollte deutlich werden, dass ich die Dokumentation absolut gut finde und wer sich für das Thema interessiert, der soll zuschlagen.