Ich bin an der Stelle mal wieder etwas unsympathisch, weil ich aus juristischer Sicht Colins Arbeit in Schutz nehmen möchte:
Die Staatsanwaltschaft ist natürlich auch an die Wahrheitsfindung gebunden. Etwas verheimlichen oder aktiv gegen eine eigentlich unschuldige Person zu ermitteln geht natürlich nicht. Trotzdem ist sie - wie auch das Gericht - in der Beweiswürdigung frei und kann im Zweifel auch einen Schuldspruch fordern.
Etwas, was ich schon häufiger gesagt habe: Das Motiv ist in realen Gerichtsverfahren eher nebensächlich und meistens spekulativ oder nicht ermittelbar. Man kann nicht in den Kopf der Angeklagten schauen und jeder reale Jurist weiß, dass spekulative Motive eher die Falschen belasten. In der Realität haben Täter meist keine logisch vollständig nachvollziehbare Motivation.
Deswegen ist es juristisch eigentlich auch unüblich derart auf einem Motiv herumzureiten. Es geht viel mehr um die objektiven Tatumstände, die durch die Beweise indiziert werden müssen.
Und genau das hat Colin grundsätzlich gemacht. Er hat die Zeugen auf genau diese Umstände angesprochen und so den Tathergang rekonstruiert.
Trotzdem wäre es natürlich für Colin in dem Format besser gewesen, vollständig auf das Motiv zu springen und es direkt am Anfang auszuschlachten. So überzeugt man vielleicht keine Juristen, aber anscheinend den Chat.
Dann noch zu „in dubio pro reo“: Ich verstehe nicht, wo da Zweifel sind. Der Grund, dass unser Strafsystem funktioniert ist, dass man nicht solche Überlegungen wie „es hätten auch Aliens sein können“ als valide Verteidigung zulässt. Denn, wenn man sich einmal Colins beschriebenen Tathergang ansieht, ist Laura definitiv schuldig. Es ist offen, ob andere ihr geholfen haben (wie Leon), aber Laura müsste trotzdem Teil dessen sein:
Wenn man einmal die Nebelkerzen ausblendet, haben wir immernoch diverse Beweise, die nicht anders erklärbar wären, als durch Lauras Täterschaft. Daneben noch diverse Zufälle, deren Zusammentreffen absolut unmöglich wäre, außer, wenn Laura tatsächlich Täterin ist.
Ein paar Beispiele:
Pascal fuhr lange Zeit einen blauen Toyota, sehr wahrscheinlich mit einem schlangenkopfähnlichen Sticker (Salaman) - Das Spiel ist kurz vor der Tötung von Lauras Bruder rausgekommen. Laura wusste, dass er das Auto fuhr.
Laura will unbedingt das Büro, das so nah an den Entwicklern des Spiels dran ist.
Laura hatte sich besonders gut über VPNs informiert, die Kohlenmonoxidflasche stammte indes aus dem Darknet.
Laura kannte die Wirkungsweise von Kohlenmonoxid über ihre Freundin.
Laura war in der Nähe von Leons Wohnung, als der Zettel bei ihm aufgetaucht ist.
Laura hat Fingerabdrücke an dem Fenster hinterlassen, das eigentlich offen sein müsste, aber aus irgendeinem Grund zu war.
Laura wusste, dass Pascal unten Essen holen musste.
Laura hatte ein Video im Livestream gespielt, behauptet aber, es sei live gewesen. Passend zur Tatzeit.
Laura hatte leichte Kopfschmerzen nach dem Vorfall.
Laura hat am Tag des Mordes NACH dem Stream und dem Mord die Festplatte an ihrem PC gewechselt, um sämtliche Spuren zu verwischen.
All diese Fakten hat Colin während der Verhandlung rausgestellt. Alle sind zwar einzeln als Zufälle erklärbar, aber im Zusammenhang und in der Gesamtschau ist das unmöglich. Dagegen kann man die Indizien gegen Leon schon valide erklären:
Fakt ist, er war nicht physisch im Büro, sondern zu Hause.
Fakt ist, er hat die Heizung mit seiner Apparatur gesteuert, das geht aus der Temperatur des Zimmers hervor.
Fakt ist, ihm wurde schwindelig und er würde wegen einer Kohlenmonoxid-Vergiftung im Krankenhaus behandelt.
Und daraus ergeben sich folgende Fragen:
Wie will er das Fenster schließen, das eigentlich offen sein müsste, wenn er zu Hause war?
Wieso sollte er die Heizung ferngesteuert anschalten, wenn er ohnehin nicht mehr arbeiten muss an dem Tag, weil er seinen Kollegen umbringen möchte?
Wenn die Apparatur also an der Heizung war, wie kann sie dann auch an der Gasflasche gewesen sein? (Höchstens eine Zweite.)
Warum sollte er sich wissentlich in Lebensgefahr begeben, wenn er doch weiß, dass er den Raum gerade mit Gas geflutet hat?
Warum sollte er überhaupt zu Hause bleiben, wenn er seinen Kollegen verlässlich umbringen möchte? Das wäre ein viel zu großes Risiko.
Die einzigen drei (fast) ungeklärten Fragen sind also:
Wie hat Laura die Gasflasche in das Büro bekommen?
Wieso hat Leon die Apparatur von der Heizung entfernt und gelogen?
Wieso hat Pascal die Flasche nicht bemerkt?
Erstere Frage könnte die Sekretärin beantworten. Diese hätte man fragen müssen, für wen sie schon Chips aktiviert hat. Dabei kann nach Chips für Laura oder Monobeams gefragt werden, wenn man offen ermitteln möchte. Das hätte die Frage beantwortet, wer Lauras Mittäter war.
Die zweite Frage kann ich spekulativ beantworten: Leon wusste, dass durch Heizungen eine Gefahr für Kohlenmonoxid vorliegt, die das verursachen kann. Er hat deswegen, weil er die Flasche hinter dem Papiermüll nicht sehen konnte, gedacht, dass er seinen Kollegen versehentlich umgebracht hat. Deswegen hat er die Apparatur von der Heizung entfernt. Aus Angst, da etwas falsch gemacht zu haben, hat er auch vor Gericht gelogen.
Hinsichtlich der dritten Frage muss differenziert werden: Dass er sie nicht gehört hat, ist leicht dadurch erklärt, dass sein Stream über Lautsprecher lief und deswegen das Zischen von der Flasche übertönte.
Aber warum wurde er nicht auf den Papiermüll aufmerksam? Plausibelste Erklärung für mich wäre, dass das Zeug schon vorher da stand. Denkbar wäre aber auch, dass alles während er das Essen angenommen hat, da rein gebracht wurde. Aufklärbar wäre das durch die Frage, ob Leon den Papiermüll kannte. Daraus lässt sich womöglich schließen, wann die Flasche da rein gekommen sein muss, was Leon weiter entlastet hätte.
Mit den beiden Fragen hätten wir den Fall also ziemlich sicher aufklären können. Als dritte Frage hätte man dann noch den Richter fragen können, warum Florentin so senfig-großartig ist. Ein wenig zynisch muss ich aber leider feststellen, dass wir mit 4 Fragen den bestehenden Wissensstand bestätigt haben