Na gut, hier noch ein Stück von mir.
Wir zogen weiter durch die Einkaufsstraße. Überall standen und liefen Menschen herum. Die meisten trugen bunte Tüten in der Hand und wirkten müde und gehetzt. Vor uns ging eine Familie mit zwei Kindern, die sich, während der Vater versuchte, ihnen ihre Jacken anzuziehen, lautstark um ein rotes, abgewetztes Stofftier stritten. Ihre Mutter schob einen Kinderwagen vor sich her und hielt mit einer Hand die Mützen der beiden Jungen. Links und rechts von ihnen drängelten sich einzelne Menschen vorbei, manche warfen ihnen verärgerte Blicke zu, andere schauten eher mitleidig auf die Familie oder aber waren vertieft in das Display ihres Handys. Ein junger Kerl in Anzug und Krawatte, der seinen Mantel über dem Arm und einen Papierbecher in der Hand hielt, geriet ins Tänzeln, als er an der Familie vorbeieilen wollte.
Von der anderen Seite der Straße drang Gesang zu uns herüber. Eine junge Frau lehnte an der Wand zwischen zwei gläsernen Schaufensterfassaden und spielte Gitarre, während sie dazu mit heller Stimme eine englische Melodie sang. Ihre Stimme klang mal lauter, mal leiser zu mir herüber, während ich Mutter durch das Gedränge zu folgen versuchte. In der Mitte der Fußgängerzone befand sich ein Würstchenstand, vor dem sich eine Schlange aus einigen Menschen gebildet hatte. Eine junge, dunkelhaarige Frau, die zu einem kurzen, schwarzen Mantel buntgepunktete Strumpfhosen und gefütterte Stiefel trug, hielt eine Zigarre in der Hand und paffte den hellen Rauch in die Luft. Ein Mädchen, das an der Hand ihrer Mutter hinter ihr stand und wartete, blickte mit fasziniertem Blick zum Rauch auf. Auch die Mutter schaute immer wieder kurz zur Frau hinüber, doch ihr Blick zeigte Missfallen.
Der Mann in der Würstchenbude trug ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Walters Würstchenglück“ und reichte gerade einem etwa vierzehnzehnjährigen Jungen mit pickeligem Gesicht eine Bratwurst und eine halbe Scheibe Toast auf einem Pappteller herunter. Der Junge versuchte, aus der Ketchupflasche einen Klecks Ketchup auf seinen Teller zu schütten, doch er verteilte nur einige Spritzer auf der Außenwand der Bude, als er begann, die Flasche zu schütteln. Er warf einen raschen Blick auf den Würstchenverkäufer, der sich schon dem nächsten Kunden zugewandt hatte. Mit einer eiligen Bewegung stellte der pickelige Junge die Flasche auf die Theke und verschwand in der Menge.
Wir bewegten uns an der Bude vorbei und betraten schließlich ein Schuhgeschäft. Auch hier war es laut, stickig und überfüllt. Ich schlurfte Malte hinterher, der schon einen braunen Stiefel in der Hand hielt, während er zweifelnd Mutter hinterher schaute, die in der nächsten Regalreihe verschwunden war. Er ließ sich auf einen der viereckigen Sitzwürfel fallen und streckte die Beine aus. Ich schlenderte am Regal entlang und fuhr mit den Fingern über die glänzenden Pumps, die dort aufgereiht standen. Malte gähnte, holte sein Handy heraus und tippte mit dem Daumen darauf herum.
„Wo ist eigentlich Tim?“ Er schaute kurz hoch, wandte sich dann aber wieder dem Display zu.
Ich ließ meinen Blick über die Regale schweifen. Überall standen und saßen Menschen, zwischendurch blitzte immer mal wieder die rote Weste eines Verkäufers in den Gängen auf. Zwei Regalreihen weiter stand Mutter mit gesenktem Kopf und versuchte anscheinend, den Preis im Inneren eines Stiefels zu entziffern. Von Tim war nirgends eine Spur zu entdecken. Ich schlenderte ein Stück in Richtung Ausgang. Frauen, Männer und Kinder gingen an mir vorbei, einige langsam, andere hastig, doch Tims braunen Haarschopf konnte ich nicht entdecken. Als ich an der Tür angekommen war, drehte ich mich um und steuerte langsam wieder zu Malte zurück. Mutter hockte gerade neben ihm und stellte mehrere Stiefel zu seinen Füßen ab.
„Keine Ahnung, wo der hin ist.“ Ich ließ mich auf den Würfel neben Malte fallen und lehnte mich an seinen Rücken. Mutter blickte mich einen Moment an und fragte mit hochgezogenen Augenbrauen: „Wer?“
Malte murmelte „Na, der verlorene Sohn“, während er seinen Fuß in einen blauen Trekkingstiefel schob. „Den zieh‘ ich nie und nimmer in der Schule an“, flüsterte er mir leise zu, als Mutter aufstand und sich suchend nach allen Seiten umschaute. Dann setzte sie sich langsam in Bewegung und ging genau den gleichen Weg zum Ausgang, den ich eben erst abgeschritten war. Es lag ein besorgter Ausdruck in ihrem Blick, als sie wieder zu uns zurückkehrte.
„Wo kann er denn sein? Er läuft doch sonst nicht einfach alleine los.“
„Dem war das hier bestimmt zu heiß und er wartet vor der Tür.“ Beruhigend legte Malte Mutter eine Hand auf die Schulter. „Die passen übrigens alle nicht. Der hier ist zu kurz, der zu eng und der zu weit.“ Er hielt nacheinander die Stiefel in die Luft, welche Mutter für ihn ausgesucht hatte. „Ich glaube, heute finde ich hier nichts. Aber ich habe ja noch meine alten warmen Schuhe, die gehen schon noch einen Winter.“ Normalerweise hätte Mutter das mit einem „Papperlapapp“ abgetan und wäre auf die Suche nach weiteren Stiefeln gegangen. Doch nun nickte sie nur abwesend und murmelte fahrig: „Hast recht, die passen noch. Kommt, wir schauen nach, ob Tim draußen steht.“