So, nachdem ich im Auswandern-Thread meine Lebenssituation schon etwas ausführlicher erläuterte, gibt es hier nun noch weitere Einblicke in meine Reise. Für diejenigen, die es noch nicht gelesen haben:
Ich werde jetzt hier einige meiner Texte, die ich für Freunde und Familie verfasst habe, in chronologischer Reihenfolge posten, dann könnt ihr das rückwirkend noch nachlesen. Und ich werde in Zukunft meine neuen Texte laufend hier posten, damit ihr wisst, was mich so umtreibt.
Zudem gab es auch noch Fragen nach meinem Roman, die ich irgendwann auch beantworten werde hier.
Der letzte Schritt ist getan, jetzt gibt es nur noch mich und eine endlose Menge von Ideen. Davon was noch kommen wird, und was nicht.
Begleitet von viel Vorfreude mache ich diesen Schritt ins Unbekannte. Ich blicke aus dem Fenster ins Dunkel der Nacht, und das Einzige was ich sehe ist mein Spiegelbild mit suchendem Blick. Es läuft die verspielte Melodie des Songs „Billie Holiday“ von Trettmann in Dauerschleife, und die folgende Zeile hallt noch lange nach:
„Ja, ich weiss, die Wahrheit tut weh.
Doch ich muss jetzt weiter, okey“
Endlich bin ich unterwegs. Ohne Plan. Ohne Sorgen. Ohne Ziel. Ohne Zweifel. Nur der Moment zählt.
Musiktipp für die Lektüre: Zukunft - AnnenMayKantereit
Am Anfang steht eine Idee, klein, nackt und lächerlich utopisch. Doch mit jedem investierten Gedanken und jedem geführten Gespräch wächst diese Idee, bis sie nicht mehr länger als reines Luftschloss angesehen werden kann. Und so bleibt eine in die Realität überführte Fiktion, die zu schön scheint, um wahr zu sein, und die zu schön scheint, um einfach ignoriert werden zu können.
Wochen oder viel eher Monate später sitze ich nun hier in Mailand, dem ersten Halt meiner Reise, meines Abenteuers oder wie auch immer man das nennen will, und denke zurück an den Weg, der mich hierher geführt hat. Heute ist Tag 4 und es ist das erste Mal, seit ich unterwegs bin, dass ich eine Pizza gegessen habe (ja, das überrascht auch mich), ich hörte gerade eben zum ersten Mal jemanden Schweizerdeutsch sprechen und ich hatte heute zum ersten Mal das Gefühl, angekommen zu sein.
Woran das liegt kann ich nicht genau sagen. Vielleicht weil ich seit heute das Gefühl habe, die echte Atmosphäre der Stadt aufgefangen zu haben, abseits der von Touristen überfüllten Plätzen. Vielleicht auch, weil ich heute etwas langfristiger geplant habe und nicht mehr nur für die nächsten paar Tage, was mir Sicherheit gibt. Ich bleibe nun noch die nächsten sechs Tage in Mailand und danach geht es weiter nach Rom. Da habe ich auch schon eine Unterkunft bis ungefähr Ende April. Das muss vorerst reichen an langfristiger Planung.
Meine Gedanken sind somit etwas freier, was trotz aller Liebe zur Spontanität ganz schön ist. Und mir erlaubt, mehr in den Moment einzutauchen.
Wie hypnotisch tanzen die Lichtreflexionen des Wassers an der Unterseite einer kleinen Brücke, während neben mir eine Frau unablässig mit dominanter Stimme in einer fremden Sprache spricht, wodurch viele andere Geräusche um mich herum unterdrückt werden. Erst als sie mal Nichts sagt, fällt der immense Lärm auf, der hier herrscht. Der Lärm eines lebendigen Ortes, der das Chaos scheinbar als intrinistischen Antrieb nutzt, um zu überleben, zu sein und zu wachsen.
Die Sonne drückt auf einmal etwas weniger durch die Wolkendecke, was zu einer leichten, aber durchaus spürbaren Abnahme der Helligkeit führt, und meine Finger fühlen sich durch den bisher noch unbemerkten Wind steif und kalt an. Vor mir sucht eine Taube den Boden nach etwas essbarem ab, und wie sie da mit ihrem Kopf bei jedem Schritt vor und zurück wippt, erinnert sie mich unweigerlich an ein Huhn.
Die fehlende Sonne treibt mich langsam aber sicher ins Innere des Cafés. Der Gang durch die Eingangstür ist wie der Eintritt in eine neue Welt. Schummriges Licht, unendlich viel nicht zusammenpassende Deko, die Wände von unzähligen Gästen mit Sprüchen in unterschiedlichsten Sprachen vollgekrizzelt, dazu die atmosphärische Musik, die sehr gut an einen Ort wie diesen passt.
Diese Stimmung, die Art der kreativen Verträumtheit und Leichtigkeit, ist mitunter der Kern meiner Existenz. Oder zumindest deren Triebfeder. Jeder Ort, so sehr er auch ein Teil des eigenen Seins wurde, nutzt sich mit der Zeit ab und verliert an Reiz. Und so geht die Suche immer wieder von neuem los, solange ich die Kraft zu suchen noch habe, um mir diesen Zauber zu erhalten. Und manchmal ist es auch schön, zu gehen, bevor der Zauber verfliegt.
Strahlend blauer Himmel, die Sonne brennt auf meinem schwarzen T-Shirt und erinnert mich daran, im Süden angekommen zu sein. Ein nie endender Strom von Menschen zieht durch die engen Gassen und eilt der kontinuierlich verrinenden Zeit hinterher, ohne zu bemerken, wie paradox dies wirkt in der ewigen Stadt. Der Gedanke zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen.
Der Geist des Vergangenen ist an jeder Ecke spürbar, und die Gegenwart wirkt unsichtbar im Schatten der Vergangenheit. Ich spüre mit jeder Faser, wie unwichtig wir doch sind. Menschen kommen und gehen, doch die Steine aus denen diese Stadt erbaut wurde, bleiben für immer. Und so sehr wir uns auch bemühen, diese Momente mittels Fotos mit unserem Gesicht darauf für die Ewigkeit festzuhalten, es wird uns nicht gelingen.
Wie schnell man doch vergisst, was Sorgen sind, wenn man sich einfach treiben lässt. Wie leicht die Last doch ist, wenn man sie klar benennen kann. Wie wenig Angst man vor dem Fallen hat, wenn man bereit ist zu landen. Wie klar die Luft doch ist, wenn man Raum zum Atmen hat.
Rastlos bahnt sich die Hoffnung ihren Weg durch den Strom der Zeit, ohne erkennbare Logik folgt sie ihren eigenen Regeln. In ihrem Schatten erbauen wir uns ein Leben. Ohne zu wissen, wohin sie als nächstes fällt, folgen wir ihr auf der Suche nach grösserem, besserem und schönerem. Einmal angekommen, bemerken wir bald, wie die Hoffnung in weiter Ferne ihr Licht auf Neues lenkt.
Als Mensch ohne diesen Kompass führt man ein eremitengleiches Leben im Brachland der Unersättlichen. Wenn man dann einer gleichgesinnten Seele über den Weg läuft, gemeinsam die Zeit vergisst und der Vergänglichkeit des Seins frönt, verschwinden alle Zweifel. Und es waren keinesfalls Zweifel darüber, welchen Weg man gehen will. Es waren Zweifel, weil man genau wusste, welchen Weg man gehen muss.
Die Strassen füllen sich langsam mit Leben, die Tage werden länger und die Nächte wärmer. Die Stadt erblüht förmlich in der sommerlichen Hitze. Touristen stehen fragend an Kreuzungen auf der Suche nach ihrem Weg, während ich sie mit ruhigem Schritt hinter mir lasse.
Neue Gesichter mit neuen Geschichten über fremde Orte kommen und gehen, einzig meine Neugierde bleibt. Sich jeden Tag neu verlieben war der Wunsch, und täglich neu verliebt gehe ich nun durch die Gassen Roms, auf der Suche nach dem nächsten faszinierenden Menschen oder Ort, den ich noch nicht getroffen habe.
So unveränderlich wie die Vergangenheit ist einzig die Gewissheit ihres fortlaufenden Voranschreitens, und genau so verhält es sich auch mit dieser Reise. Der erste Monat ist vorbei und alle wollen wissen, wie viele ihm noch folgen.
Diese Fragen ignorierend, da mich deren Antwort nicht interessiert, überlege ich mir meine unmittelbar nächsten Schritte, denn ohne Ziel vor Augen bleibt der Weg besser hängen für die Jahre, die noch folgen. Stirnrunzelnd betrachte ich die Reisezeit von über zwölf Stunden für die Strecke Rom - Wien. Etwas viel für einen Tag, schiesst es mir durch den Kopf, da muss ein Zwischenstopp her.
Doch das ist ein Problem für einen anderen Tag, und schon ist die Aufmerksamkeit wieder im Hier und Jetzt, oder irgendwo dazwischen.
Mit der bevorstehenden Abreise vor Augen lief vieles etwas weniger leicht, und die Zeit verging schneller als ich sie zu erfassen vermochte, obwohl kaum etwas passierte.
So, oder so ähnlich, würde ich die letzten Tage in Rom beschreiben. Ein letztes grosses Abschied nehmen, kurz nach dem Ankommen. Die Phase des Kennenlernens kann der Phase des Verabschiedens noch fast die Hand reichen, und dazwischen ist nur ein kurzer Moment des Seins.
Manchmal vergisst man fast, weshalb man etwas macht. Und dann muss man lächeln, weil man den wahren Grund zwischen den Zeilen der Lebensgeschichte eines redseligen fremden Taxifahrers wiedererkennt.
Vom grossen Baum über mir fällt ein winzig kleiner Käfer runter auf den Tisch vor mir, und bevor er sich aufgerichtet und neu orientiert hat, ist er schon wieder fort, weggeblasen von einem kräftigen Windstoss. Das Leben spielt nicht immer wie man will, sich dagegen wehren bringt aber nichts, das weiss auch der winzige Käfer, und so lässt er sich einfach treiben, bis es irgendwann ruhiger wird und er wieder auf die Beine kommen kann.
Der 59. Tag meiner Reise ist gleichzeitig dein 60. Geburtstag, und du wärst nun definitiv ein alter Mann. Doch du bist gegangen, bevor es soweit kam, weshalb du in meinem Kopf für immer 48 bleiben wirst, keinen Tag älter seit diesem einen Tag.
Ich würde dich gerne anrufen und dir gratulieren, doch deine Nummer ist nicht mehr deine, auch wenn es in meinen Kontakten noch so geschrieben steht.
Die sattgrünen Blätter über mir, die mit dem strahlend blauen Himmel dahinter einen unverwechselbaren Kontrast bilden, erzeugen durch ihr sanftes Wehen ein deutlich hörbares Rauschen, und ihre Schatten tanzen auf dem Tisch vor mir, als sei er ihre Bühne. Gespannt blicke ich nach oben und beobachte, welches Blatt als nächstes von seinem Stamm getrennt und leblos gen Boden sinken wird.
Währenddem in meinem leergetrunkenen Glas das Eis dieses mit jeder verrinnenden Sekunde langsam wieder befüllt, fährt auf der Strasse vor mir ein Auto mit lauter Musik durch. Ich wippe leicht mit dem Kopf zur eingängigen Melodie und kann mir dabei ein fröhliches Grinsen nicht verkneifen, und als ich mich schon damit abfinde, der einzige Mensch zu sein, der dem Auto gerade Beachtung schenkt, erblicke ich auf der anderen Strassenseite in einer Wohnung im ersten Stock ein weit geöffnetes Fenster, aus dem eine junge Frau ihren Kopf streckt und der langsam verschwindenden Musik in der Strasse hinterherschaut, während sie ausgelassen tanzt und lacht.
Auch mein Blick wendet sich wieder in Richtung des azurblauen Cabrios, und wenige Sekunden nachdem ich es zu fassen kriege, verschwindet es auch schon hinter einer Häuserreihe, und mit ihm der leise Rest der Musik, der eben noch in meinen Ohren summte. Mein Blick verharrt noch eine Weile in der Position, bis ich meinen Kopf wieder drehe und unausweichlich nach oben zum offenen Fenster schauen muss. Für ungefähr eine Sekunde blicken wir uns tief in die Augen, ehe wir beide leicht peinlich ertappt den Blick abwenden.
Im Wissen um die Vergänglichkeit der Zeit gewinnt das Jetzt unweigerlich an Bedeutung, und trotzdem verlieren wir uns allzu oft in Gedanken an das was gestern war oder morgen ist, während der Moment stumm an uns vorbeizieht.
Die frischen Temperaturen jenes Samstages im März, als ich aufgebrochen bin, sind in der Bruthitze heute mehr Sehnsucht als ernsthafte Erinnerung. Sogar die strahlende Sonne auf der eisgekühlten Makava-Flasche vor mir scheint mich mit ihrem breiten Grinsen zu verhöhnen, offensichtlich wissend, dass mir zu warm ist. Mir bleibt einzig übrig, die Flasche so schnell es geht auszutrinken, damit der Sonne das Lachen vergeht. Erfolglos. Aber immerhin ist mir nicht mehr ganz so heiss.
«Die Hitze ist ja kaum auszuhalten, oder?», ertönt eine Stimme mit einzigartigem Timbre aus dem Nichts. Sprachlos blicke ich zur grinsenden Sonne, passiert das gerade wirklich? Mit argwöhnischem Blick mustere ich die Etikette der leeren Flasche vor mir und sorge mich ernsthaft um meinen Geisteszustand, als die Stimme ein «sogar hier im Schatten» nachschiebt. Erleichtert atme ich aus und drehe meinen Kopf leicht nach rechts zum Tisch neben mir, an dem der echte Besitzer dieser rauen und tiefen Stimme mit einer vollen Flasche Makava sitzt. Er schaut mir tief in die Augen, ohne dabei eine Miene in seinem grazilen Gesicht, welches einen auffallenden Kontrast zu seiner Stimme bildet, zu verziehen.
Wäre dies eine Partie Schach, so hätten wir hier gerade den Eröffnungszug gesehen, gefolgt von einem entschlossen wartenden Blick mit einem Hauch von Vorfreude auf das, was noch kommen wird. Auch ich schaue ihm tief in die schönen nachdenklichen Augen, und dabei lasse ich mich nicht von seinen extravaganten Ohrringen, die durch den leichten Wind sanft hin und her geschaukelt werden, ablenken.
Ob auch er ein Wintermensch sei, frage ich ihn, die Antwort schon wissend.
Wo warst denn da?
Irgendwie hatt das Foto aud mich Espresso-Vibes aber dann doch nicht.
Ich glaub die Pudel ist aus Holz und die Tische vorne sind eher Rot, wenn ich mich recht erinnere, also stimmt doch eigentlich nix, aber irgendwie musste ich ans Espresso in der Burggasse denken haha.
Da war ich im phil. Im Espresso war ich noch nie, muss da aber wohl auch mal vorbeischauen, damit ich mir anschauen kannst, was dich daran erinnert hat.
Achja das phil. Da war ich schon ewig nicht mehr.
Nur diese 50s-60s Einrichtung halt wahrscheinlich.
Im Espresso hab ich schon extrem viele Stunden verhockt, es gab eine Zeit, da war ich sicher fast jeden Tag dort, in den letzten Jahren immer seltener, keine Ahnung warum eigentlich. War erst letztens mit ner Freundin wieder dort, und war wieder sehr fein.
Naja, man ändert sich halt irgendwie.
Kann ich gut verstehen, ich habe auch solche Orte, die in einem gewissen Lebensabschnitt sehr wichtig und zentral waren für mich, diese Bedeutung aber ohne wirklichen Grund verloren haben. Ganz so als ob jeder Ort ein gewisses Kontingent hat, welches früher oder später verbraucht ist.
Kann die Assoziation irgendwie verstehen, wenn ich mir dieses Foto so anschaue.