The Color Purple (2023):
Mann, Mann…
Als ich vor zwei Tagen den 1985-Film zum ersten Mal anschaute beschwerte ich mich darüber, dass der Film tonlich nicht einheitlich genug daher kommt und sehr darunter leidet.
Jetzt haben wir eine Neuverfilmung aus dem letzten Jahr, welcher genau diesen Fehler absolut ausbügelt… und trotzdem kann ich nicht mit gutem Gewissen sagen, dass ich ihn besser finde.
Ja, diese Version ist tonlich einheitlicher. Was überraschend ist, wenn man bedenkt, dass er ein Musical ist und daher mit gewissen Musikstücken eigentlich noch mehr „over-the-top“ oder alberner daher kommen könnte. Das tut er aber nicht. Im Gegenteil, egal wie überrissen gewisse Musikeinlagen werden, so wirken sie dennoch immer irgendwie in der Realität des Filmes verankert.
Und dank der Musik gelingt es dem Film auch, dem Hauptcharakter Celie mehr Präsenz zu geben. Denn Inhaltlich ist sie ein Charakter, der über einen Grossteil der Geschichte nur „um“ andere Charaktere rum ist, und ihr einfach Dinge zustossen, ohne dass sie grosse Kontrolle hat. Das ist der Punkt der Erzählung, aber für einen Hauptcharakter kreiert dass dann ein Problem, weil man nur wenig von ihr zu sehen kriegt. Die Lieder helfen hierbei extrem Celie zum effektiven Point-Of-View Charakter zu machen, auch wenn der Plot gerade den Schwerpunkt auf andere Charaktere legt. Die Geschichte kommt so eigentlich besser zusammen als in der 85-er Version, denn so wirkt die ganze Geschichte als Teil einer Entwicklung von Celie, nicht einfach Episoden welche neben ihrem Leben her passieren.
Also, alles super, oder?
Nun… leider nein!
Denn der Film scheint einfach viele der Elemente der 85-er Version aufzunehmen, ohne die Nuancen zu verstehen.
Hier ein Paar Beispiele:
Das Rasiermesser.
Dieses Element ist absolut zentral im alten Film und zieht sich durch die ganze Ehe von Celie und Albert. Als Celie noch ein Kind war verlangt er von ihr, dass sie ihn rasiert, in einem Moment wo er bereits weiss, dass sie wütend auf ihn ist. Er fordert sie heraus, gibt ihr ein Messer in die Hand und sagt: „Trau dich nicht, sonst werde ich dir etwas antun“.
Und sie tut es nicht. Sie ist versucht, aber sie getraut sich nicht… und danach kommen Jahre der Unterdrückung und Mishandlung. Ich sehe das so, dass er ihr gezeigt hat, dass sie es nicht in sich hat, sich ihm zu wiedersetzen.
Das nächste Mal als sie ihn rasiert ist nachdem einiges passiert ist um ihr ihren Lebenswillen zurück zu geben… und diesmal will sie es machen. Sie würde es machen und jemand muss sie stoppen. Sie kann jetzt zurückkämpfen und hätte es in sich es zu tun.
Und dann, beim letzten Mal (nicht mehr mit dem Rasiermesser, sondern einem Messer am Esstisch) hält sie niemand mehr zurück, sie könnte es tun… und entscheidet von sich aus, es nicht zu tun. Nicht, weil sie es nicht könnte oder weil sie sich nicht getraut. Sondern weil es nicht mehr nötig ist. Sie hat Albert bereits hinter sich gelassen.
Die ganze Messergeschichte ist stark mit ihrer Charakterentwicklung verbunden und überschattet die ganze Ehe.
Und was macht der neue Film? Nun… innerhalb von drei Minuten hat sie zweimal ein Messer in der Hand, einmal zum Rasieren, obwohl sie das vorher im ganzen Film nie gemacht hat, und gleich darauf am Abendessentisch, wo sie mit einem Messer auf Albert losgeht und sie von anderen Charaktere zurückgehalten werden muss.
Es ist oberflächlich das gleiche Element… es hat aber in keiner Weise die Bedeutung welche es im Original hat, nicht das Gewicht. Weil es bis auf diese fünf Minuten gar nicht etabliert wurde. Und es endet auch nicht damit, dass sie ihn nicht mehr töten muss um mit ihm abzuschliessen… denn sie hätte ihn getötet, wenn sie nicht zurückgehalten worden wäre.
Alles an dieser Umsetzung verliert die Bedeutung welche dieses Element im Original hatte.
Ein weiteres Element welches man völlig vergeigt hat ist der Charakter der Sofia.
Sofia ist eine Frau, welche ihr ganzes Leben lang kämpfen musste, sich wehren musste. Und sie tat das auch, wenn es sein musste mit Gewalt.
Wenn es sein musste. Denn sie schlägt nie als erstes zu, sie schlägt immer nur zurück.
Oder zumindest in der 85-er Version.
In DIESER Version jetzt ist sie offenbar eine gewalttätige Hausfrau, welche ihren Mann prügelt. Wir sehen Harpo, ihren Mann, eine Wunde pflegen, BEVOR Harpo ihr zum ersten Mal eine reinhaut. Ich hoffe ich muss nicht erklären, warum DAS ein Problem ist.
Häusliche Gewalt ist nicht lustig und macht den Täter nicht „stark“ oder „cool“… auch nicht, wenn es eine Frau ist. Die Comedie-Rolle der wütenden Hausfrau, welche ihrem Mann mit Küchenutensilien eine überbrät, was dann lustig-lustig sein soll… das ist etwas, was man inzwischen nicht mehr machen sollte. Häusliche Gewalt kann beide Geschlechter treffen und du machst eine Frau in einer Geschichte nicht stärker, indem du zeigst, dass sie ihren Mann mit Schlägen unter Kontrolle hält. Und ich war absolut schockiert, als ich realisierte, wie der Drehbuchautor oder der Regisseur (wer auch immer für diese Entscheidung verantwortlich war) die Ereignisse in diesem Storyelement umgekehrt und umstrukturiert haben.
Aber nicht nur in dem Aspekt wurde der Sofia-Charakter völlig falsch angegangen. Im Original ist ihre Gefangenschaft etwas vom unangenehmsten zu sehen. Es bricht sie. Es zerstört sie. Er hinterlässt sich mental UND körperlich gebrochen. Und es braucht eine Weile und ein Akt der Rebellion von Celie um sie zurückzuholen.
In diesem Film? Nun… sie kommt aus dem Knast, sieht etwas traumatisiert aus als sie draussen steht… und dann sie man sie nicht mehr, bis sie am Tisch sitzt und wieder anfängt zu lachen. Es wirkt nicht wie ein langfristiges Traume! Es wirkt so, als habe sie einen, zwei Tage gebraucht um sich vom Gefängniss zu erholen.
Alles an dem Charakter ist missverstanden und schlecht gehandhabt.
Je länger der Film ging, desto mehr fingen sich diese Unachtsamkeiten an zu häufen.
Alberts Zusammenbruch kommt nicht mehr, weil er ohne Celie einsam und verlassen ist und eigentlich ein erbärmliches Häufchen eines Mannes ist… es kommt, weil Celie TATSÄCHLICH sein Land „verflucht“ hat!
Der Schluss versucht uns weiss zu machen, dass Albert und Celie ihr Verhältniss „reparieren“ konnten… sorry, bitte, was?! Der Mann hat sie ein Leben lang mishandelt und als Kind wiederholt Vergewaltigt! Das ist keine Beziehung die man „reparieren“ muss! Das ist ein Charakter, der versuchen muss den angerichteten Schaden wieder gut zu machen… und danach aus ihrem Leben zu verschwinden! DAS ist das Happy-Ending dieser „Beziehung“: Das diese Beziehung ENDET! Spielbergs Version hat das verstanden… diese Version denkt, wir wollen dass Celie und dieser Mann Freunde werden? Nein Danke?
Der Film ist voller solcher Dinge. Aspekte, welche einfach wirklich, wirklich falsch liegen.
Die 85-er Version hatte Dinge, welche tonlich wirr und fehlplatziert waren. Aber sie hatte kaum Szenen, welche mich aktiv wütend machten und wo ich dachte, dass der Film MORALISCH eine verwerfliche Nachricht enthält. Dieser Film hat leider eine ganze Menge solcher Momente, manche Kleinere, aber wie oben beschrieben: Einige ziemlich massiv.
Deswegen, so sehr mich das auch enttäuscht, muss ich sagen dass ich tatsächlich die 85-er Version bevorzuge und vermutlich eher empfehlen würde. Diese Version schiesst einfach in unglücklicheren Aspekten am Ziel vorbei als nur „tonlich“.
Und das finde ich echt schade, denn jetzt wo ich innerhalb weniger Tage diese Geschichte gleich zweimal gesehen habe muss ich sagen: Ist eigentlich eine interessante, starke Geschichte! Da steckt eine ganze Menge drin! Und ich hoffe wirklich, dass es da mal eine Version gibt, welche ich voll und ganz empfehlen könnte.
Fazit: Wirkt einheitlicher als die 85-er Version. Aber ist voller, zum Teil schwerwiegender, Fehltritte.