Poor Things (Disney+)
Aufgrund des Hypes von vielen Kritikern und Film-Youtubern habe ich mich sehr auf diesen Frankenstein-Verschnitt gefreut, doch letztendlich muss ich sagen, dass ich nach dem ganzen Hype und den Oscars ein bisschen mehr erwartet hätte. Kann leichte Spuren von Spoilern enthalten.
Zunächst mal zur Ästhetik, denn was hier mit der Kamera, der Farbgebung und der surrealen Umgebung gemacht wird, ist schon sehr eigen. Viele, weite Kameraeinstellungen mit langen Zooms und ein Farbenspiel sondergleichen. Der Anfang ganz in schwarzweiß und erst als Bella frei ist und die „bunte Welt“ entdeckt, bekommen wir Farben. Das ist alles schön und gut, denn es sieht phänomenal aus und es werden immer wieder Kameraspiele veranstaltet, die Sachen signalisieren (von unten filmen, als sähe man alles aus der Perspektive eines nach oben schauenden Kinds, Verengung als würde man durch ein Schlüsselloch schauen usw.), aber hier kommt das Problem damit: Es ist zu sehr abgekoppelt von der inneren Filmlogik. Wäre es nicht viel interessanter, wenn die „Schlüsselloch“-Szenen wirklich an Stellen vorkämen, wo die Beobachterfigur durch eine enge Stelle durchschaut, statt dass dies random passiert (vgl. im Tanzball)? Hier hätte es m.E. eine größere Symbiose zwischen Intention, Inhalt und Kamera geben können.
Das Gleiche dachte ich mir bei der Umgebung: Alles sieht sehr wunderlich aus, surreal (vor allem später in der Reise), aber irgendwie wird damit nichts gemacht. Es ist da, um schön auszusehen - Selbstzweck. Das sieht teilweise wirklich beeindruckend aus und die Symbolik (die reichen Schnösel oben im Turm vs. die armen sterbenden unten) ist nett, aber das war’s dann leider auch schon. Kostümdesign ist top.
Kommen wir zur Story und den Problemen, die ich mit ihr hatte. Ich mag den Frankenstein’esken Aufhänger und diese Reise von Bella, der Weg zur feministischen Freiheit und Selbstbestimmung, ist schon recht interessant, aber ich finde, dass die unterschiedlichen Phasen, die jeweils auf philosophischen Grundlagen aufbauen, längst nicht tief genug gingen. Egal ob es jetzt die Phase ist, in der Bella herausfindet, wie Scheiße die Welt eigentlich ist oder die Zeit des Realismus, während der man lernt, damit umzugehen und selbstbestimmt für sich zu sorgen. Der letzte eingeschobene Abschnitt vor dem Ende wird etwas fix abgehandelt.
Sicherlich ist die Reise von Bella an sich gut gelungen und es ist eine Wonne, ihr beim Entdecken der Welt und ihrer Sexualität zuzuschauen. Der Film ist zudem sehr lustig, nicht nur, weil Bella natürlich vollkommen auf die absurden Normen der Gesellschaft pfeift. Aber was ich bei einem so feministischen Film etwas merkwürdig finde, ist der immense Fokus auf Sexszenen. Ja, das gehört zur Selbstbestimmung von ihr dazu (und ich hab auch gar nichts dagegen, ist ja alles recht ansehnlich ), aber vom Vorwurf des bestehen bleibenden „male gazes“ kann sich der Film nicht gänzlich befreien. Jetzt kann man sich die Frage stellen, ob das alles extra vom Regisseur so angelegt ist oder nicht. Vielleicht wäre ein ganz kleines bisschen weniger mehr gewesen, ich weiß es nicht.
Wo ich mir auch mehr Selbstreflexion gewünscht hätte, wäre vor allem beim Anfang, wo sich die Männer alle in Bella verknallen. Max oder wie der hieß verknallt sich, als sie mental auf dem Niveau eines sehr, sehr kleinen Kindes und / oder behinderten Menschen ist, der noch nicht mal den eigenen Harndrang kontrollieren kann.
Ungefähr so lol
Um das Thema Pedophilie zu umschiffen, rede ich einfach darüber, dass es da natürlich um Machtverhältnisse geht und man kann dem Film sicherlich zugestehen, dass Bella sich ja von diesen Leuten emanzipiert. Ein Geschmäckle bleibt aber, wenn man bedenkt, „wann“ sich die beiden Männer in sie „verlieben“.
Zu den Figuren und Schauspielern habe ich nur positives zu sagen. Bella/Emma Stone ist eine einzige Wonne, sie spielt das fantastisch. Auch Wedderburn/Mark Ruffalo ballert als schmieriger Typ richtig, das Zusammenspiel zw. ihm und Bella ist der Hammer. Willem Dafoe ist immer grandios, auch wenn er hier ein bisschen wenig zu tun haben mag. interessante Figur mit wilder Hintergrundgeschichte.
Am Ende des Tages bin ich ein bisschen enttäuscht (auf einem sehr, sehr hohen Niveau!), gebe aber trotzdem noch 3 Sterne (mit Potential für 3,5 Sternen). Durchaus ein großer Film, der was zu sagen hat, fantastisch aussieht und sehr unterhaltsam ist.