Tja, wo soll man anfangen? Am Anfang ist es etwas kryptisch, da wir regelmäßig in die Kindheit der zu Beginn des Films sterbenden Vivienne geworfen werden; die Eröffnungsszene zeigt einen Ritter. Das findet sich aber alles schnell und es wird gut transportiert, wer Vivienne ist: Eine selbstbestimmte, fähige, fantasievolle und lebenslustige Frau, die als Erwachsene in San Francisco nach einer (dankbar nebensächlich behandelten) angedeuteten Beziehung zu einem selbstgefälligen britischen Gentleman (und eindeutigem Mann seiner Zeit, mit entsprechendem Herrschafts- und Besitzanspruch über seine mögliche Gemahlin) Holger Olsen kennenlernt, der nach dem Schleswig-Holsteinischen Krieg (1848-1852) in die USA ausgewandert ist und dort einfach nur ein friedliches Leben sucht.
Das schöne daran ist, dass hier nicht Mary Sue auf White Knight trifft. Ja, beide sind grundsympathisch angelegte Figuren. Sie ist definitiv eine selbstbewusste, fähige Frau, muss sich aber nicht so krampfhaft abgrenzen, wie Regisseure und Autoren das oft glauben tun zu müssen. Und diese No-Bullshit-Attitüde ist einfach nur schön anzusehen. Als Olsen nach dem Bürgerkrieg zurückkehrt und fragt „Whose son is he?“, erwidert sie ohne jede Überhöhung, ganz sachlich: „Mine.“
B Ä M.
So schön. Sowas macht mich glücklich. Danach berichtet sie trotzdem noch, wer der Vater ist und dass es gegen ihren Willen geschah. Aber erstmal wird klargestellt, dass der Junge unschuldig ist und zu ihr, zur Familie gehört.
Auch „Olsen“ ist definitiv und eindeutig ein guter Mann, aber ohne unglaubwürdig perfekt zu sein. Er weiß und kann so einige Dinge und hat einen deutlichen Kompass, aber er läuft nicht moralisierend durch die Welt und ist auch manchmal liebenswert einfach gestrickt. Als er Vincent, den Jungen, kennenlernt, ist ihm natürlich klar, dass er nicht der Vater sein kann, begrüßt ihn aber ganz ruhig und freundlich. Die beiden bilden einfach ein schönes Paar, sprechen Englisch und Französisch miteinander, streiten und necken sich, freuen sich mit und übereinander. Leinwand-Relationship goals.
Und zugegeben: Meine Freundin ist Französin und dass dann diese wunderbare starke Frauenfigur als Tochter franko-kanadischer Pioniere auch stets mit französischem Akzent spricht und ihr Kind, logischwerweise, ebenfalls mehrsprachig aufwächst sprach uns sehr an, wie auch einfach der Umgang der beiden miteinander. Meine Aussprache französischer Wörter wird jedenfalls auch ständig ungefragt und beharrlich korrigiert.
Die absolut charmant geschriebenen und zuckersüß ausgespielten Dialoge zwischen „Olsen“ und „Vivienne“ brachten uns regelmäßig zum Schmunzeln oder sogar laut zum Lachen. Und da waren wir bei weitem nicht die Einzigen im Saal!
Die Bilder konzentrieren sich auf das Wesentliche. Generell sind die Bilder sehr schön gebaut, bleiben auch mal 10 Sekunden stehen und dürfen ein bisschen wirken, sind groß genug, dass man den ganzen Raum betrachten und durchwandern kann. Von epischen Naturaufnahmen über Szenen in Saloon und Straße oder in Kammern und Zimmern. Andere Bilder, wie die Vergewaltigung sind mMn sehr gut geschnitten ohne unnötigen Gewaltexzess und Spektakel. Denn darum geht es nicht. Es geht um die Zuspitzung der Situation, den Widerstand - und das danach.
Sehr gefallen hat mir auch, dass der Plot darauf verzichtet diverse Elemente breit auszuwalzen, die abgeschmackt und gewöhnlich wären.
Diese Beziehung zu dem selbstgefälligen Briten bleibt ein Hintergrund, vor dem wir Vivienne kennenlernen können. Und es braucht auch auch keine durchsichtigen Detektiv- und Gerechtigkeitsgeschichten. Als ich sah, dass „Olsen“ der Sheriff ist und es nach dem sechsfachen Mord am Anfang darum geht, dass der falsche Mann beschuldigt wird, fürchtete ich schon, der Film würde sich nun dazu vergaloppieren, dass er nun detektivisch herausfindet wer der wirkliche Mörder ist, das große Komplott aufdeckt, vielleicht noch den unschuldig verurteilten Dorftrottel rettet blablabla. Nein. Nichts davon. Darum geht es nicht. Die schurkischen und verdorbenen Großgrundbesitzer und Bankiers haben zwar irgendwelche Pläne für die Stadt, für die die Morde nützlich waren und mit denen sie durchkommen werden - aber das spielt gar keine Rolle. Höchstens soweit zu zeigen, dass diese Art von Kapitalisten immer bereit ist, für Profit über Leichen zu gehen und regelmäßig damit durchkommt.
Dabei bedeutet das nicht, dass die Figur nicht integer wäre; schließlich meldet sich Olsen trotz und auch wegen seiner Kriegserfahrung freiwillig, um für die Vereinigten Staaten von Amerika die Konförderation zu bekämpfen, explizit, weil Sklaverei falsch ist. Aber er opfert dafür auch einiges und ist nicht der Über-Bulle, der im Alleingang die Gerechtigkeit in die Welt bringen kann. Oder will.
Am Ende trifft er zwar, sozusagen im Vorbeireiten, auf den Vergewaltiger und Totschläger seiner Frau, verwundet ihn auch schwer, verzichtet aber darauf, ihn zu töten. Damit erspart er seinem Sohn ein schlimmes Trauma, doch ganz so edel sind seine Motive hier nicht, stellt er doch vorher an ganz anderer Stelle fest: The dead don’t hurt. Und leiden soll das Arschloch gefälligst, solange wie möglich.