First Man / Aufbruch zum Mond
Nach dem fulminanten “Whiplash” und dem Oscar-Abräumer “La La Land” meldet sich Damien Chazelle mit einem Historienfilm über Neil Armstrong zurück. Dabei konzentriert sich der amerikanisch-französische Regisseur auf die 1960er Jahre und fängt Neil Armstrong nicht nur als Kommandanten des ersten bemannten Fluges mit einer Mondlandung (Apollo 11) ein, sondern zeigt ihn auch als Privatperson innerhalb einer zerrütteten Familie. Mit einer Laufzeit von ca. 141 Minuten und einem Budget von 59 Millionen US-Dollar ist es Chazelles bis dato längster und aufwendigster Spielfilm. Doch war steckt hinter “First Man”? Ein verblüffender und mitreißender Einblick in Neil Armstrongs Leben oder eine angestaubte Geschichte, die selbst das Duo Chazelle und Gosling nicht mehr mit Leben füllen können?
“First Man” verfolgt zwei Handlungsstränge, die trotz gleicher Zeit und Person auf der Leinwand nicht unterschiedlicher hätten dargestellt werden können. Man sieht Neil Armstrong (Ryan Gosling) auf der Arbeit, wie er als Testpilot die Wolken durchbricht, mit der klappernden technischen Ausstattung kämpft und sich später beim Gemini-Programm bewirbt, um die NASA bei ihrem Vorhaben zu unterstützen. Das alles wirkt recht nüchtern, beinahe steril eingefangen und der US-amerikanische Astronaut gibt sich von seiner höchst stoischen Seite. Dem gegenüber steht sein Familienleben mit Frau Janet Armstrong (Claire Foy) und den Kindern. Plötzlich sitzt Neil am Pool, spielt lachend mit den Kindern und versucht Zeit für seine Frau zu finden. Doch eines Tages fängt Neils Arbeit an, immer mehr in sein Privatleben einzugreifen, wodurch alles schnell auf den Kopf gestellt wird.
Was bei diesem Film sofort auffällt, ist die besondere Art der Inszenierung. Bei den Einstellungen verzichtet Chazelle beinahe vollständig auf die Totale und geht stattdessen ganz nah an die Protagonisten heran. “First Man” besteht daher bei den wichtigen Szenen fast nur aus Großaufnahmen, Point-of-View-Shots und es wird oft auf die italienische Einstellung zurückgegriffen. Dies macht Chazelles neuestes Werk zu einem intensiven und eindringlichen Erlebnis, das mitunter anstrengend werden kann. Regisseur und Beteiligte wollen jedoch, dass der Zuschauer die Enge, die Gefahren und die Machtlosigkeit der Piloten zu einen gewissen Teil selbst durchlebt. Ich habe mich nicht selten dabei erwischt, wie ich kurzzeitig die Luft anhielt und wie in Trance durch Neil Armstrongs Helm blickte, ohne zu wissen, was als nächstes passieren wird.
Ein ganz großes Lob geht dabei an die Schauspieler, die ihre Rollen meisterlich umsetzen. Ryan Gosling hat in diesem Film definitiv wieder mehr zu tun als in "Blade Runner 2049", denn hier geht es um die Ambivalenz aus Familienvater mit tragischen Schicksalsschlägen und Astronaut, auf dem die Hoffnung vieler Menschen lastet. Bis zum Schluss gibt es aber zwischen Gosling und dem Zuschauer eine unsichtbare Barriere, um Neil Armstrong als einen faszinierenden, fragilen und enigmatischen Mann in unserer Erinnerung zu hinterlassen. Umso greifbarer wirkt dadurch Neils Ehefrau Janet, die von Claire Foy grandios gespielt wird. Aus schauspielerischer Sicht braucht sich Frau Foy vor Ryan Gosling in keiner Sekunde zu verstecken - teilweise stiehlt sie ihm mit ihren harten und tragischen Augen sogar komplett die Show. Wahnsinnig starke Leistung! Doch auch der restliche Cast ist durch die Bank ordentlich und zeigt keine Schwäche.
“First Man” brilliert zudem auch auf der technischen Ebene. Chazelle bemüht sich, auf praktische Effekte zurückzugreifen, wo es nur geht. Dabei erlebt man in diesem Film keine Bildgewalt wie in "Interstellar", “Gravity” oder “The Martian”, bekommt dafür aber eine sehr authentische und dennoch imposante Darstellung des ersten bemannten Fluges zum Mond. Alles wirkt sehr bedeutsam, geschichtsträchtig und hautnah. Besonders hervorzuheben ist hier das Gefühl der Angst, das Chazelle so intensiv einfängt. Alles um Neil herum klappert, scheppert, pfeift, knarzt und wackelt. Das ganze Vorhaben wirkt unfassbar wahnsinnig, sobald man als Zuschauer in einer der Blechbüchsen sitzt. Ich war absolut verblüfft, als ich festgestellt habe, dass dieser Film “nur” 59 Millionen US-Dollar gekostet hat. Hätte man eine eins vor die fünf gestellt, hätte ich das Budget ohne zu zucken abgenickt.
Am besten funktioniert dieser Film für mich aber erst dann, wenn Neil Armstrongs Familienleben gegengeschnitten wird und die traumhafte Musikuntermalung von Justin Hurwitz einsetzt. Das sind lediglich vereinzelte Momente innerhalb des Films, die aber nicht nur Neil, sondern auch dem Zuschauer Luft zum Atmen geben. Plötzlich verschwindet der ganze Stress, die Angst, die Aufregung und man schwelgt in den Erinnerungen an die glücklichen Momente und lässt sich von der wunderschönen Musik treiben. Wenn Herr Chazelle und Herr Hurwitz eins können, dass ist es die Musik und der Einsatz dieser.
Leider kommt “First Man” aber nicht ohne negative Kritik aus. Mit 141 Minuten ist dies nicht nur Chazelles längster, sondern auch anstrengendster Film. Insbesondere der Mittelteil ist meiner Meinung nach mindestens zwanzig Minuten zu lang geraten und macht den Film dadurch unnötig zäh. Das ist echt schade, denn an mancher Stelle weicht deshalb die emotionale Tiefe reiner Müdigkeit.
Weiterhin hatte ich in der ersten Hälfte des Films Probleme mit den stark verwackelten Kameraufnahmen. Stellenweise war es mir zu viel des “Guten” und ich hätte mich über weniger Abruptheit mehr gefreut. Klar, der Film versucht authentisch zu wirken und greift bewusst zu POV-Aufnahmen, aber manchmal wurde dieser Look auch außerhalb der Flugobjekte gesucht, was mir dann zu viel wurde. Kein großer Kritikpunkt, aber durchaus nennenswert.
Summa summarum ist “First Man” ein starker Film mit einem gewohnt überzeugenden Ryan Gosling, einer beeindruckenden Claire Foy, einem herausragenden Soundtrack und einer interessanten technischen Umsetzung. Dieser Film ist nicht ganz so leicht zugänglich wie Chazelles letzten zwei Werke und verlangt vom Zuschauer eine Menge Sitzfleisch, belohnt ihn aber dafür mit einem spannenden Einblick in Neil Armstrongs Leben. Es ist eine wunderbare Chance sowohl für jüngere als auch für ältere Zuschauer, sich die erste Mondlandung vor Augen zu führen, um über alles damit Verbundene nachzudenken.