Thema #6: Erzähler
Film: Der Glanz des Hauses Amberson (The Magnificent Ambersons) von Orson Welles
Erscheinungsjahr: 1942
Laufzeit: 88 Minuten
Wo gesehen: Sky
Orson Welles erzählt uns (auch als Erzähler) die Geschichte des Hauses Amberson, eine steinreiche Familie zur Zeit der Jahrhundertwende 1900, irgendwo im Mittleren Westen der USA. Es geht um Geld und Macht, Liebe und Vertrauen, Tradition gegen Fortschritt. Im Grunde befinden wir uns mitten in einer Episode „Keeping Up with the Kardashians äh Ambersons – The 1942 Edition“.
Man kann an der Beschreibung erahnen: An Sympathiebolzen mangelt es dem Film nicht. Glaube so musste man sich damals so ein Instagram-Influencertreffen vorstellen . Diese Atmosphäre überträgt der Film aber grandios.
Besonders der Look des Film ist mal wieder herausragend. Das Spiel mit Schatten und Licht ist Wahnsinn und die Filme von Orson Welles sehen einfach immer gigantisch gut aus. Viele der Aufnahmen hier spielen in einem riesigen Anwesen und erinnern häufig an das Schloss in „Citizen Kane“. Überhaupt, fast alle technischen Spielereien setzt Welles auch hier wieder ein. Der Film wird nie langweilig und fesselt einen von Anfang bis Ende.
Ein Sonderlob für Anne Baxter. Die spielt hier ihre erste große Rolle und sie spielt alle anderen Schauspieler und Schauspielerinnen an die Wand. Wenn das deine Startperformance ist, wundert es mich fast etwas, dass ihre Karriere nicht noch größer Verlaufen ist (war natürlich trotzdem eine große Karriere).
Kleiner Schwachpunkt des Films: Außer Baxter haben mich die anderen Performances nicht so vom Hocker gehauen. Anstatt der Hauptbuddy von Welles, Joseph Cotten, steht hier auch mehr die Figur, die von Tim Holt gespielt wird im Vordergrund. Naja, den kenne ich bisher nur in zahlreichen kleinen Nebenrollen aus den alten Western (wie „Faustrecht der Prärie“) und weder dort noch hier kann er mich besonders überzeugen.
Leider stößt man beim Sehen das Films auf ein viel größeres Problem. Schaut man sich so das Filmplakat, das Erscheinungsdatum und den Titel des Films an, so denkt man eigentlich sofort: „Oha, das wird so ein, Dreistundenfamilienepos werde. Aber oben steht 88 Minuten?“ Naja, einmal heißt der Regisseur hier Orson Welles und nicht William Wyler oder George Stevens oder die ganzen anderen Eposnasen, zum Anderen wurde Orson Welles hier Opfer der Verstümmelung. Ich sag es mal so: In Zusammenhang mit dem Filminhalt, birgt es schon fast ein bisschen viel Ironie, wie das Werk von Welles von den Produzenten und dem ganzen Marketinggedöns, annähernd vernichtet wurde.
Knapp 140 Minuten war die Version von Welles lang. Am Ende gab es noch 88 zu bestaunen. Welles Karriere ist schon absurd und künstlerhaft wie nur wenige. Nachdem sein 2. Langfilm „Citizen Kane“ ja heute als absoluter Klassiker der Kinogeschichte gilt (Welles war 27 als er den gedreht hat!), hat er damals an den Kinokassen gefloppt. Als Welles mit seinem dritten Film, diesem hier, um die Ecke kam und gesagt hat: „Ist 140 Minuten lang“, hatte er bei den Vorführern keine Chance. Am Ende floppte auch die kurze Version und Welles war sein ganzes Leben lang sauer, dass sein Film so zerstört wurde.
Nun zu den Auswirkungen davon: Ich muss sagen, besonders die erste Stunde hatte ich gar keine Probleme mit dem Film und fand ihn richtig gut. Erst dann merkt man: „Was ist das für ein absurdes Tempo?“ Gegen Ende machen die Charaktere Wandlungen durch, liebt auf einmal der den und hasst dafür jener wieder jemand anderes etc.; wobei man sich meist denkt: „Häh, warum jetzt?“ Ich bin mir sehr sicher, dass das in der Orginalversion besser gelöst ist.
Trotzdem ist das heute eher ein zweischneidiges Schwert. Denn wer, außer vielleicht einige Filmliebhaber wie von uns und die Leute von damals, hat noch Bock sich die Dreistundenepen von damals anzuschauen. Oft kommt da Langeweile auf. Da kommt dieser Film natürlich sehr unkonventionell und flott daher.
Das gefällt heutzutage vielleicht sogar etwas besser. Schon damals, wurde auf Welles Filmen herumgehackt: Sie haben keine Identifikationsfiguren, sind zu kühl gehalten etc. Das trifft auf diesen Film auch zu. Aber in unsere Zeit haben wir ja Arthouse Filme, welche das mittlerweile viel Extremer betreiben, im Vergleich zu Welles damals.
Tatsächlich, bin ich aber schon auch auf der Seite von Welles damals. Um ein sehr guter Film oder ein Meisterwerk zu werden, sind mir die letzten 20 Minuten einfach zu flach, zu gehetzt und die Entwicklungen der Figuren nicht schlüssig genug.
Jedoch würde ich die Hoffnungen auf einen vollständigen Film nicht ganz begraben. Welles erster Langfilm „Too Much Johnson" war über 70 Jahre verschollen, bis man zufällig eine Kopie in irgend einem italienischen Lagerhaus gefunden hat. Von der Orginalversion von diesem Film, weiß man es wurden Kopien nach Brasilien geschickt. Vielleicht tauchen die ja irgendwann mal auf .
Am Ende würde ich den Film noch als einen guten Film einstufen. Von dem was ich bisher von Welles gesehen habe, liegt der Film etwas vor „Im Zeichen des Bösen“ und etwas hinter „Citizen Kane“. Genauso wie bei @UnclePhil muss ich aber feststellen, dass alle drei Filme hinter der Prozessverfilmung von ihm stehen.
7 von 10 Modegossipmeldungen