Über Religion

Überhaupt nicht. Was ist das denn bitte für ein Verhältnis zur Wirklichkeit? Du gehst ja auch nicht ins Germanistikstudium und brichst innerlich immer zusammen, wenn du etwas neues lernst. Wissen reichert den Glauben an. Wenn du dich aber von vornherein wissenschaftlichem Denken verschließt, trägst du aktiv dazu bei, dich aus der Welt zurückzuziehen (entgegen Mt 28,19) und denkst nur in deiner eigenen Blase. Und es ist ja jetzt auch nicht so, als würden wir uns hier auf hochtheologischem Niveau unterhalten.

Ich bin nicht zwangsläufig „weiter“ als andere, nur weil ich ein Zweites Theologisches Examen im Lebenslauf vorweisen kann. Aber darum geht’s ja auch nicht, sondern um das grundsätzliche Verständnis von Fakten. Allerorten wird sich über Fake News aufgeregt und ich halte es für sehr gefährlich, wenn Christ:innen aktiv Teil davon sind.

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@Niklas_Schier mal so ne Frage zwischendurch, weils mir grad kommt: Gibts eigentlich nen Unterschied zwischen Pastor und Pfarrer, oder sind das Synonyme bzw. je nach Konfession gewählte Begrifflichkeiten?

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Sind eher regionale Begrifflichkeiten. Je weiter nördlich du unterwegs bist, desto eher findest du die Bezeichnung „Pastor“. Bei den freien evangelischen Gemeinden legt man auch meistens eher Wert auf die Bezeichnung „Pastor“.

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Jörg Lauster, mein alter Professor für Systematische Theologie, hatte immer eine Metapher in Wahrheitsfragen: Stellen Sie sich vor, ein Verliebter beschreibt seine Geliebte wie eine Rose. Nun kann ein Mensch daher kommen und sagen: „Das ist ja alles falsch! Die Beschreibung entspricht überhaupt nicht der Wirklichkeit.“ Dann hat er aber den Sinn der Worte nicht begriffen.

Ich glaube Intelligent Design Vertreter denken über die Erschaffung der Welt wie Verliebte. Und sie machen sich lächerlich dabei, wenn sie gleichzeitig als Wissenschaftler gelten wollen, ohne Frage. Sie haben einen anderen Blick - eine andere Perspektive auf die selbe Wirklichkeit. Mit rationaler Konfrontation kann man einem Verliebten nicht helfen, die Dinge anders zu sehen. Da ist mehr Fingerspitzengefühl vonnöten.

Ich tue mich schwer damit, die Auferstehung Jesu nicht als historische Wahrheit zu begreifen. Das werden auch manche für lächerlich halten. Dennoch halte ich an diesem Glauben fest, denn wenn ich an ihm rühre, schmerzt es in meinem ganzen Glaubensgebäude. Ich kann einfach nicht den Schritt mit Bultmann gehen und das „Auferstanden ins Kerygma“ bejahen. Noch nicht. So stehe ich hier nun und kann nicht anders.

So stehen alle Gläubigen an unterschiedlichen Punkten in ihrem Glauben. Und ich fände es vermessen, vorzuschreiben, wie man „seine Geliebte denn nun beschreiben solle“, um wieder zu der Metapher zurückzukommen. Man kann andere in einen Perspektivwechsel einladen. Mehr aber auch nicht. Manchmal wir einer mitgehen und manchmal wird einer bei seiner eigenen Perspektive stehen bleiben. Das hat aber meiner Meinung nach nichts mit Wahrheitsverzerrung oder Fake-News zutun.

Wieso? Entweder du lässt dich auf Fakten ein oder du machst dich komplett lächerlich. Und diese Fake-News schiene („Ich halte nur das für wahr, was ich für wahr halten will!“) halte ich für brandgefährlich, sowohl in diesem als auch in anderen Kontexten.

Und? Kann ja auch niemand beweisen, dass es nicht so ist. Im Gegensatz zu Intelligent Design. War ja von uns niemand in Golgatha dabei. Wir müssen aber in der Spannung leben, dass die Auferstehung hochgradig unplausibel, unwahrscheinlich und unglaubwürdig ist.

Dann mach dir halt genau das bewusst: Dass du verliebt und damit emotional außer Stande zu einem nüchternen Urteil bist. Dann kannst du aber nicht erwarten, dass man dich und dein Urteilsvermögen auf Augenhöhe behandelt, weil du dich dem Konsens entziehst.

Klar. Genau das ist Fake-News und Wahrheitsverzerrung, wenn du dich gegen Fakten entscheidest. Genau deswegen redet man ja auch von „gefühlten“ Wahrheiten. Nur weil du blumigere Worte dafür findest, ändert das nix am Kern.

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Nach einem Moment des darüber Nachdenkens ist mir auch klar, dass dieser Punkt der unplausibelste ist. Aber ich bin mir dennoch sicher, dass Fakten allein keine Wirklichkeit machen und Wahrheit etwas ist, das konstruiert wird. Ich bin leider kein Jörg Lauster und die Systematik ist nicht mein Steckenpferd, darum bin ich wohl leider auch ein schlechter Diskussionspartner. Ich habe aber gerade das hier entdeckt und werde es mir anschauen:

Auf ein Wort…Wahrheit | Michel Friedman im Gespräch mit Prof. Markus Gabriel - YouTube

Den guten Lauster hab ich auch entdeckt. Sein Thema: Hoffnung
Auf ein Wort…Hoffnung | DW Deutsch - YouTube

Da geb ich dir Recht. „Die Wahrheit“ per se ist sowieso etwas, das wir nie erreichen können. Da hilft kein Glaube, aber auch keine Wissenschaft. Denn „die Wahrheit“ ist mit unseren eingeschränkten Sinnen sowieso nicht wahrnehmbar. Wir können uns lediglich und auch immer nur aus bestimmten Perspektiven der Realität immer weiter annähern.

aber Fakten sind nun mal eindeutig richtig. Dass die Erde sich um die Sonne dreht (nur um ein Beispiel zu nennen, das nicht mit dir zu tun haben muss), ist faktisch erwiesen, egal ob es einem Glaubenskonstrukt widerspricht oder nicht.

Was man sich mMn immer vor Augen führen muss, ist dass diese „Wahrheiten“, die die verschiedenen religiösen Texte bieten, eben „Wahrheiten“ ihrer Zeit sind. In 2000 Jahren+ (um die Bibel als Beispiel heranzuziehen) hat sich, was Wissen generell angeht, einiges getan. Früher konnte man sich vieles einfach nicht, oder nur durch „magisches Denken“ (sprich Wunder, göttliche Wesen, …) erklären.

Vielleicht verstehe ich dich hier falsch, aber in der Analogie wären ID-Verfechter eher Leute, welche die Geliebte wie eine Rose beschreiben… und tatsächlich behaupten, dass sie eine Rose sei.
ID-Verfechter versuchen nicht, die Realität die sie gleich verstehen wie die Wissenschaftler, poetisch zu umschreiben. Sie behaupten tatsächlich, dass sie eine Realität sehen, welche faktisch gesehen nicht belegbar ist.

Ich glaube das Problem mit der Analogie ist, dass du mit der Geliebte effektiv eine beweisbar reale Person hast, auf die sich die „Beweise“ zurückführen lassen.
Im Falle des religiösen Glaubens ist das oft nicht der Fall. Denn die Gott-Konzepte an welche verschiedene Gläubige denken, wenn sie von „Gott“ reden sind oft im Konflikt miteinander. Auf einer ganz objektiven Rede.

Wenn du deinen Gott auf eine Art erlebst und jemand seinen Gott auf eine andere, dann könnten diese Erlebnisse immer noch auf den gleichen Gott deuten. Wenn der Gott an den du glaubst aber die Welt durch natürliche Prozesse über milliarden von Jahre langsam erschaffen hat, und der Gott an dem dein Gegenüber glaubt die Erde vor 6000 Jahren in nur 7 Tagen geschaffen hat, dann redet ihr nicht von der gleichen Entität, die ihr unterschiedlich erlebt oder wahrnehmt. Dann redet ihr von unterschiedlichen Entitäten.

Ist es nicht die Krux mit ID-Verfechtern, dass sie Gott in der Schöpfung sehen wollen und deshalb ihre Gedankengymnastik machen? Sie machen es ja nicht aus einem naturwissenschaftlichen Verlangen heraus. Und weil sie Gott zum Teil ihres Gegenstandes machen, können sie nicht anders reden, wie die Verliebten. Und darum machen sie sich, von naturwissenschaftlicher Seite betrachtet, lächerlich.

Edit: Aber Gott hinter der Entstehung der Welt zu vermuten ist von theologischer Seite ja nun gar nicht lächerlich. Statt nun poetisch über Gott zu reden, wie es wohl angemessener wäre, vergreifen sich ID-ler stattdessen im Wort. Und das wird sowohl von Naturwissenschaftlern als auch von Theologen kritisiert.

Laut ihnen selber aber nicht.
SIE sagen von sich aus, dass sie ID für ein rein wissenschaftliches Model halten, welches rein aus den Beobachtungen der Natur zustande kam. Sie behaupten, es sein ein Model basierend auf objektiven Fakten.

Ich stimme dir zu, dass es vermutlich eher anders rum ist. Dass das gläubige Leute sind, welche ihren Schöpfer intuitive in der Wunderwelt der Biologie sehen. Ihr ganzes Argument baut jedoch darauf auf, dass diese Intuition ein objektiver Fakt ist, der wissenschaftlich und empirisch belegbar sei.

Hallo, ich laufe hier nur einmal zu Besuch durch die Drehtür, aber dachte es passt hier wohl besser hin, als in den Diskriminierungsthread. :beanjoy:

Prinzipiell stimme ich zu, nur wird menschenverachtendes Verhalten historisch immer wieder mit dem gerade gängigen Modell gerechtfertigt. Ganz simpel gesagt glaubten die Menschen früher an gottgegebene Regeln und Zustände, später wurden ähnliche Missstände durch (pseudo-)wissenschaftliche Erklärungen gerechtfertigt oder die Wissenschaft dazu genutzt bestimmt Erkenntnisse zu verdecken und andere gezielt zu verbreiten, um eben Schieflagen in der Bewertung von Phänomenen und Problemen seitens großer Teile der Bevölkerung zu erreichen. Heißt nicht, dass die Kirchen da vielleicht nicht auch nur neidisch drauf schauen und ihrer eigenen Deutungsmacht nachtrauern, aber es ist, so denke ich, nicht so sehr ein Problem der Religion, sondern eines der Machtverhältnisse.

Da frage ich mich: Wie wichtig es ist, ob das gottgegeben ist, oder nicht? Wenn sich jemand so verhält, dass er niemandem (auch nicht sich selbst) schadet und damit alle grün sind: wunderbar. Und solange sich Christen und Atheisten anlächeln und sich ihren Teil denken à la „jaja, hab du mal Jesus gefunden, ich weiß, dass du mit deinem unsichtbaren Freund nur dein psychisches Gleichgewicht hältst“ bzw. „Jaja, reguliere mal deine Psyche, ich weiß, dass es Gott ist, der dir in den Kopf greift und alles zurechtbieg“, so what?
Problematisch wird es ja immer nur da, wo Leute aus ihrer persönlichen Glücksformel Beratungskompetenz bis Machtanspruch ableiten. Das tun sie aber auch aus anderen Gründen (die Verbreitung „der“ Kultur/ Demokratie/ usw.) und das ist immer Mist.

Das ist die zynische Sichtweise darauf und die gilt ganz sicher für das öffentlichkeitswirksame (scharfe) Verurteilen der Täter/Terroristen/korrupten Politiker Beten für die Opfer. Aber das ist bei solchem Schaulaufen immer der Fall. Vielen Menschen kann so ein Gebet aber eben helfen handlungsfähig zu bleiben und nicht an der Welt zu verzweifeln. Dass einige daraus ableiten, sie hätten jetzt genug getan ist deren bedenkliche Haltung.


Ich bin kein religiöser Mensch und kann mit Menschen die Geister, Auren usw. sehen auch nicht viel anfangen (ja, sind mir begegnet solche Leute, mehrfach). Ich glaub denen auch, dass die sich ganz sicher sind, dass Gott sie (sittlich!¹) berührt hat, dass sie Auren und Geister sehen. Ist halt deren Spleen oder einfach nur eine Begabung die ich nicht nachvollziehen und wertschätzen kann. Ich sehe das häufig bei Menschen bei denen vor langer Zeit irgendetwas zerbrochen ist und diese Besonderheit (und ggf. daraus folgende Aufmerksamkeit) ermöglicht ihnen weiterzuleben und positiv zur Welt beizutragen.

Und das ist für mich unterm Strich der entscheidende Aspekt: Es ist meiner Meinung nach egal, ob es Gott/Götter gibt und selbst falls es so sein sollte, ob wir das überhaupt begreifen und/oder beweisen könnten. Komplett bumms. Religion gibt es nicht umsonst, sie muss eine gesellschaftliche Funktion haben. Sie ermöglicht bspw. das Ausdehnen von Empathie auf fremde Menschen und ist so einfach, dass man eben nicht universalgelehrter Vegan-Space-Socialist-Who-Is-Always-Right sein muss, um die Regeln annehmen zu können.

Und zu guter letzt fehlt den Menschen seit einiger Zeit mangels Religion ein strukturierendes Werk aus grundsätzlich übereinstimmenden Übereinkünften und Weisungen. Diesen Platz haben u.a. die Verschwörungsmythen eingenommen. Ich glaube, dass man diese mythischen Moral- und Verhaltensspeicher nicht aus dem menschlichen Gesellschaftsmodell herausbekommt. Ich halte Religion für ein bildungsunabhängiges Phänomen zur psychischen Regulierung und Steuerung großer Gemeinschaften, dass nicht für alle Menschen notwendig ist, für manche aber eben schon. Weil die halt nicht die Ressourcen haben um darüber hinweg zu kommen. Sei es die Dorfgemeinschaft, sei es die Ehrung der (Familien-)Tradition, sei es Psychohygiene ohne entsprechende Bildung.

Bin aber kein Soziologe usw. also ist das hier nur eine persönliche Meinung. Gibt sicher viel zu beanstanden an (organisierter) Religion, aber denen die mich und andere damit in Ruhe lassen würde ich sie nicht wegnehmen wollen.

__________________
¹also bitte, wirklich!

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Vielleicht glaube ich ja an die befleckte Empfängnis! :beanwat:

Hier gibt es für mich aber einen wichtigen Unterschied:
Diese „wissenschaftlichen Rechtfertigungen“ kannst du wiederlegen. Z.B. die Idee, dass du anhand von Physiologischen Unterschieden messen kannst, dass Weisse Menschen anderen Ethnien überlegen war (und womit man „wissenschaftlich“ Rassismus rechtfertigte) basierte auf faktischen und methodologischen Fehlern. Und darum, wenn du jemanden hast der WIRKLICH an die Überlegenheit der „Weissen“ glaubt, weil er sein Weltbild durch beweisbare Fakten formen will, dann kannst du dieser Person zeigen, dass sein Glaube falsch ist.
Bei der Religion kannst du das nicht machen. Wenn jemand sein Weltbild z.B. auf einem „heiligen Text“ aufbaut, oder dem Wort eines „Gottes“, den man nicht testen kann, dann kannst du da mit Fakten nicht sehr viel erreichen. Ich kann dir erklären, warum Rassismus basierend auf physiologischen Unterschieden zwischen den „Rassen“ Quatsch und Bullshit ist, denn die Fakten sind da einfach nicht auf der Seite der Rassisten. Wenn du aber glaubst, dass Gott will, dass der Weisse Mensch Herr über den Dunkelhäutigen Menschen ist… was kannst du da mit Fakten und Wissenschaftlichen Beweisen gross machen? Ist keine faktische oder wissenschaftliche Behauptung, als wie soll man das faktisch oder wissenschaftlich wiederlegen?

Ideologien welche behaupten auf wissenschaftlichen Fakten zu beruhen kannst du (theoretisch) durch Fakten wiederlegen.
Bei Religionen welche auf persönlichen Glauben, Gefühlen oder alten textuellen Vorschriften beruhen kannst du das nicht.
Weswegen ich Missstände welche aus religiöser Überzeugung zustande kommt für so problematisch halte, weil sich der Gläubige da oft hinter dem „du kannst nicht beweisen, dass es meinen Gott nicht gibt/dass mein Glaube falsch ist“ verstecken können… denn sie haben recht. Die meisten Gotteskonzepte kannst du nicht wiederlegen. Und darum wird es da schwierig gegen die gefährlichen Ideen zu argumentieren, welche daraus wachsen können.

Hast du dafür irgendwelche Quellen?
Denn soweit ich es beurteilen kann sind in der Welt religiöse Menschen nicht wirklich „empathischer“ als nicht-religiöse Menschen. Und ich kann auf viele, viele Beispiele zeigen, wo die Religion genutzt wird, um die Empathie für andere Menschen ABzubauen, anstatt aufzubauen.
Ich sage nicht, dass religiöse Glauben Menschen WENIGER Empathisch macht. Ich sage, Leute sind empathisch, und das völlig unabhängig der Religion.

Auch das halte ich für eine gewagte Aussage. Hast du hierfür irgendwelche Quellen?
Denn Religion hat noch nie geholfen, den Menschen diese „grundsätzlichen übeinstimmende Übereinkünfte“ zu geben. Historisch gesehen hat Religion da nicht wirklich geholfen. Wenn du in der Geschichte der Menschheit schaust, dann siehst du eher eine Gegenteilige Rolle der Religion.

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Fair Warning :beanjoy: : Ich antworte nur dieses eine mal, weil ich keine Lust habe einen langen Diskurs zu dem Thema zu führen. Und ich weiß es würde lang werden, ob des Themas und ob meines regelmäßigen Überscrollens Deiner wortreichen Rezensionen zu Filmen und Serien. Ich habe da auch schon einige von gelesen! Ich will nur sagen: Es würde absehbar alles sehr, sehr lang werden und wie bei anderen potenziell spaßigen aber grenzenlosen Zeitfressern wie Valheim oder Subnautica bestimme ich für mich, angesichts des absehbaren Aufwands, obwohl es sehr reizvoll scheint: Selbstbegrenzung.
Spique hatte aber wohl doch recht in einem anderen Thread und man sollte wohl tatsächlich alle paar Zeilen „meine persönliche Meinung“ platzieren, damit niemand in Abwesenheit wissenschaftlichen Stils und Quellenangaben auf die Idee kommen kann ein solcher würde angestrebt.
Um ein paar Sachen einzurücken:

much words, very text

Jo, unterstreicht meinen Punkt: Wissenschaft ist nicht unfehlbar und kann als Rechtfertigung genauso missbraucht werden, wie eine Religion, die sich Liebe und Frieden auf die Fahne schreibt. Und auch Religion ist nicht zwangsläufig völlig erstarrt.

Nicht mit naturwissenschaftlichen Fakten, aber mit philosophischen und logische Zusammenhängen und Folgerungen, die im für die jeweilige Person relevanten religiösen Regelwerk verankert sind ggf. schon. Unterschätze nicht die Macht der Argumentation. Die Loslösung von überprüfbaren Fakten bleibt problematisch, aber je nachdem welche Fraktion gerade irgendwelche bestimmten weltlichen Machtansprüche und Interessen durchdrücken will wird ja auch innerhalb von Religionsgemeinschaften hitzig debattiert, neu bewertet und neu ausgelegt. Nur zählen dort eben Kenntnis der Texte und Redegewandheit statt replizierbare Daten, die man ja nicht erheben kann. Das funktioniert aber in beide Richtungen, du kannst also auch ggf. als nicht legitimierter „Ungläubiger“ eine Debatte, die der Logik der jeweiligen Religion folgt „gewinnen“. Da ist es dann die Elite der geistlich Gelehrten, statt der Elite der Naturwissenschaftler*innen.

Soll die Gruppen nicht über einen Kamm scheren; die Naturwisenschaft ist auch aus meiner Sicht der Religion unbestreitbar als Werkzeug zur Erklärung der Welt und Grundlage einer gerechten Welt überlegen und ich halte ebenso die scheinbar unangreifbaren Positionen, auf die sich manch ein gläubiger Mensch im Angesicht der Gegenmeinung zurückzieht, für absolut problematisch. Nur die Formel „ohne Religion wären auf einmal alle total aufgeklärt und super“ halte ich für zu kurz gegriffen und es kommt mir gelegentlich so vor, dass sich Leute dieser Wunschvorstellung hingeben. „Wäre nur die Kirche weg, würden die alle schon sehen…!“ Ja, nee. Leider nicht. Nimmt man den Leuten die Kirche weg, werden sie nicht aus Mangel an Optionen Wissenschaftler, sondern suchen sich neue Mythen.

Und auch Wissenschaftler*innen lechzen nicht gerade danach widerlegt zu werden oder geben lang gehegte Erkenntnisse Annahmen im Angesicht widersprüchlicher Beweise und legitimierter alternativer Theorien auf.

Jo, ist alles richtig, bringt nur nix, wenn die Leute sich einfach entscheiden zu glauben, statt zu prüfen und zu wissen. Menschen funktionieren nicht nur rational, sondern auch emotional. Wenige Menschen sind schlagartig dankbar wenn Du zentrale Aspekte ihres bisherigen Lebens und damit sie als Personen abwertest. Mit einem Angriff auf das Weltbild zu beginnen steigert die Bereitschaft zum Umdenken nicht. Wenn das Vertrauen in die Wissenschaft (seien es die Methoden oder nur die Wissenschaftler*innen als akademeische Elite) nicht gegeben ist, erreichen die Lehren die Leute auch nicht. Sammelbecken wie die vom Avocadolf, der Orange usw. funktionieren nicht über Rationalität und Skepsis, sondern über Vertrauen, Gemeinschaftsgefühl und Angst. Guck Dir Dawkins an, der ständig vor Bekehrten predigt, dass er den Christen jetzt mal so richtig ihr Weltbild zertrümmert. Wenn sein Ziel sein sollte Reaktanz zu erzeugen, dann ist er sehr erfolgreich. Erwiesenermaßen verteidigt sich das Hirn aber gegen aggressive Weltbilder von außen. Bei allem Verständnis für den Wunsch, dass sich mehr Leute kritisch und wissenschaftlich mit der Welt auseindersetzten, halte ich seinen konfrontativen Ansatz für absolut kontraproduktiv und, ja: dumm.
Wie (ob!) man solche Gruppen überhaupt noch erreichen kann weiß ich auch nicht. Das wird auch noch nach wie vor erforscht. Nur stößt da eben (bisher) die Wissenschaft in ihrer Überzeugungsfähigkeit an eine Grenze, die Glaube ggf. überwinden kann.

Ich will hier auch gar nicht Religiösität vehement verteidigen. Wie gesagt, bin selbst nie einer Glaubensgemeinschaft zugehörig gewesen, ist nicht meins. Trotzdem halte ich es für falsch sich vollends auf die wissenschaftliche Erleuchtung zu verlassen und zu propagieren es gäbe keinen Platz und keine Funktion für Religiösität. Denn auch die Wissenschaft kann zu falschen oder mindestens streitbaren Schlüssen kommen oder wie besprochen als Rechtfertigung missbraucht werden und manchmal ist es gut auch dann ethisch und moralisch zu handeln, ohne dass es zwangsläufig vorher rational begründet wäre, sondern einfach nur, weil es einem verinnerlichten Leitbild entspricht.

Auch hier zählt für mich das Ergebnis. Wer sich sozial engagiert, weil er meint, dass das (irgendeinem) Gott (oder gleich mehreren) riiiichtig gut gefallen wird: von mir aus. Schadet ja niemandem. Vielleicht hätte die Person diesen Antrieb nicht ohne den religiösen Überbau. Und wenn du jemandem den wissenschaftlichen oder auch nur philosophischen Zugang nicht legen kannst, bzw die Person dir nicht folgen kann, aber an Gott glaubt oder „spirituell“ ist, dann hast du da einen Kanal, den du nutzen kannst um dein wissenschaftlich fundiertes Wissen zur Handlungsgrundlage möglichst vieler Menschen zu machen.

Nicht direkt, das ist eher meiner Vorliebe für funktionsbasierte Analyse entwachsen und basiert auf diversen Dingen die ich irgendwann gesehen und gelesen habe, ohne mir die Literaturangaben für zukünftige Forendiskussionen zu notieren. Silly me! :beanjoy:
Ganz grob komme ich da vom Function Based Assessment aus dem Forschungsgebiet der Emotional and Behavioral Disorder (also der Beobachtung der tatsächlichen Funktion eines Verhaltens, unabhängig davon ob es bewusst gezeigt wird), der Forschung bezüglich einer möglichen Funktion von Depression (Daniel Hell) und Jeremy Rifkins Idee zur empathischen Zivilisation (hier stark verkürzt als Videohäppchen). Die Argumentation ist also eher, dass die Fiktion „gemeinsame Religion“ es Menschen erlaubt Vertrauen auf fremde Menschen auszudehnen, denen sonst nicht vertraut werden würde und sich durch die Aufnahme neuer Menschen in die eigene Gemeinde oder ein Vertrauensvorschuss innerhalb einer Gemeinde fremder Menschen desselben Glaubens Vorteile ergeben. Und durch seine Verbreitung, den angenommenen geteilten Wertekanon und die Einfachheit wirkt das dann weiträumiger und ist einheitlicher als etwa „Fan des gleichen Internetfernsehsenders“.
Ich bin der Meinung, es muss einen Grund geben, warum sich überall auf der Welt in ganz unterschiedlichen Regionen (usw.) Religionen gebildet haben. Wie gesagt, ich vermute, dass das (abgesehen von der Selbstberuhigung bezüglich beobachtbarer Naturphänomene) etwas mit dem Zusammenleben und der Steuerung größerer sozialer Gruppen bzw. deren psychischer Regulierung zu tun haben muss. Ich halte es jedenfalls für gelinde gesagt streitbar anzunehmen Religionen seien gezielt erdacht worden, um Machtansprüche zu rechtfertigen. Dass sich das dafür missbrauchen lässt und Probleme auftreten sobald unterschiedliche Lebensratgeber aufeinander treffen soll ja gar nicht bestritten werden. Da muss aber auch die Entwicklung nicht enden. Nur denke ich erfüllen solche Glaubenskonstrukte gewisse gesellschaftliche Funktionen, die - wenn überhaupt - erst in ferner Zukunft ersetzt sein werden.
Ich möchte das aber ja auch gar nicht als Behauptung mit Anspruch auf Wahrheit verstanden wissen, sondern als das was es ist: einen Gedanken. Ich habe nicht die Zeit und den Antrieb da zu forschen, ist nicht mein Feld, hat mich nur immer mal wieder gestreift.
Wenn es Dir da anders geht und du Zeit und Muße hast entsprechend zu graben: mach das gern und berichte! Ich verfolge es gespannt aus der Ferne.

Auch nur eine übernommene/ersponnene These aus einer Dokumentation (und/oder einer philosophischen Talkrunde?) über die Verschwörungsmythiker der Neuzeit. Vielleicht auch in Stücken inspiriert durch Richard Senetts ‚Corrosion of Character‘ und/oder ‚Postkapitalismus‘ von Paul Mason, in dem Sinne, dass zunehmende soziale, räumliche und wirtschaftliche Unsicherheit nicht adäquat durch die Gesellschaft aufgefangen wird.
Dort jedenfalls wurde unter anderem angesprochen, dass der Rückgang der Bedeutung bzw. der Rückgang des tatsächlichen Einflusses von Religion (im Sinne der christlichen Kirchen in Westeuropa und den USA, durch Skandale und die Weiterentwicklung der Gesellschaft, maßgeblich Ende der 1960er Jahre) nicht mit einer Auffüllung dieser Bedeutung durch wissenschaftliche Erkenntnisse einherging. Stattdessen brach für Teile der Bevölkerung ein bis zu diesem Punkt großflächig akzeptiertes Wertesystem als Orientierung weg, bzw. verlor es eben diese bis dahin erlebte Allgemeingültigkeit. Das ging solang gut, wie die wirtschaftlichen Voraussetzungen die sonstigen Probleme einigermaßen in Schach hielten. Mit steigender wirtschaftlicher Unsicherheit und dem Wegfall des Glaubens an Gott und Nation als (legitime) Überzeungsgemeinschaft und daraus erwachsene Sicherheit sei nach dieser Perspektive dann also den Alternativen (wie Scientology und den diversen Sekten), aber eben auch Verschwörungsmyhtikern Vorschub geleistet worden, da diese die Lücke leichter auffüllen können.

Klar, in einer idealen Welt wären einfach alle die besagten Star Trek Föderationsmenschen: aufgeklärt, empathisch ggü. der gesamten Bisophäre, etc. Da braucht die echte Welt aber leider manchmal Krücken. Mir ging es drum, dass ich es bescheuert finde à la Dawkins Menschen ihre Krücken wegzutreten, damit sie auf die harte Tour das Laufen lernen müssen. Erfahrungsgemäß tun sie das nicht, sondern isolieren sich oder treten zurück, was das Zusammenleben erschwert.


Und damit verabschiede ich mich dann auch. Nicht, dass es nicht spannend oder unterhaltsam wäre, aber ich bin a) weder Theologe, noch Soziologe, noch Psychologe, noch Philosoph und b) nicht gewillt die für einen ordentlichen wissenschaftlichen Diskurs (noch dazu außerhalb meines Felds) nötige Recherche mit entsprechender Literatur usw. zu lesen und hier aufzubereiten. Da ich also einer solchen Debatte, wie Du sie offenbar gern führen möchtest, nicht gerecht werden würde und nur die (für mein Befinden) recht aggressive, etwas verächtliche, unversöhnliche und zynische Generalkritik an Religion um meine eigene, etwas mildere Sichtweise ergänzen wollte, verbleibe ich mit den besten Wünschen und konzentriere mich wieder aufs Lesen und meine eigenen Baustellen. :slight_smile:

Ok.
Wollte hier trotzdem noch auf ein Paar Punkte eingehen, und dann ist mein Text wieder zu lange geworden. Auch wenn ich dieses Mal versucht habe mich nur kurz zu halten. Kann das offenbar einfach nicht anders :sweat_smile:

Argumentation kann aber nur auf Fakten aufbauen. Es gibt keine „philosophischen“ oder „logischen“ Argumente, welche nicht auf Fakten aufbauen. Wenn du ein Argument machst, dann läuft das immer noch dem Muster: Prämissen welche dann zu einer Konklusion führt.
Die Struktur dieses Argumentes (ob und wie die Konklusion sich von den Prämissen ableitet) ist die Frage der Philosophie und der Logik. Aber wenn die Prämissen faktisch falsch oder nicht testbar sind, dann kann die Konklusion noch so sehr von den Prämissen folgen… das Argument ist dann trotzdem nutzlos.
Ich unterschätze nicht die „Macht der Argumentation“. Aber Argumentation baut notwendigerweise auf Fakten auf, wenn das Argument valide ist.

Ok, ist schon möglich.
Hast natürlich recht, dass es oft mehr eine Rolle spielt wie jemand ein Argument präsentiert, als die Frage ob das Argument wirklich verhält und faktisch ist.
Deswegen schrieb ich auch:

Ich verstehe schon, dass der faktische Gehalt eines Argumentes sich dann doch mit anderen Dingen wie emotionalen Appeals oder dem Charisma des Argumentmachers messen muss…
Ich gehe hier einfach mal davon aus, wenn all diese anderen Faktoren gleich bleiben, dann sind es schlussendlich die Fakten die eine Rolle spielen… solange der Zuhörer sich auf Fakten beruft. Wenn sich das Publikum aber auf andere Dinge beruft (wie das Grundprinzip das Gottes Wort unfehlbar und heilig ist), dann kannst du mit Fakten und Argumenten noch lange rütteln.

Ok.
Hier muss ich leider sagen, dass ich dein Argument ein bisschen als Karren vors Pferd spannen sehe.
Wir sehen, dass es überall Religionen gibt, als gehen wir dafür aus, dass die Religion eine Funktion haben muss, und dann finden wir eine potentielle Erklärung, was diese Funktion sein könnte.
Und ich sage nicht, dass diese Erklärung warum sich Religionen überall entwickelt haben falsch ist…
Aber extrem schädliche Dinge können auch eine Funktion haben. Warum wir Rassismus und Gruppendenken haben hatte ist sicher auch aus einer „Funktion“ heraus gewachsen. Wenn du Empathie gegenüber DEINER Gruppe hast, aber Mistrauen gegenüber ANDERER, dann kann das den Zusammenhalt in deiner Gruppe stärken…
Also, nur weil etwas eine Funktion hat heisst das nicht, dass diese Funktion positiv sein muss.
Und wenn deine Erklärung, dass Religion zur Ausdehnung der Empathie führt wahr wäre, dann würden wir heute in Gesellschaften mit starkem, religiösem Fundament eine Empathischere Gesellschaft sehen… und das ist absolut nicht so.
Die USA ist viel Religiöser als Norwegen, ich sehe aber die Amerikanische Gesellschaft nicht als „Empathischer“ an als die Norwegische. Und auch wenn ich keine persönliche Erfahrung mit der Saudi Arabischen Gesellschaft habe (im Gegensatz zur Norwegischen und Amerikansichen), so denke ich nicht, dass die Saudis Empathischer sind als die Amerikanische Gesellschaft, nur in Saudi Arabien die Religion viel stärker in der Gesellschaft verankert ist als in der USA.

Hier kann ich nur sagen:
Ich glaube das Internet und die Sozialen Medien dient hier als viel, viel, viel bessere Erklärung, warum sich Verschwörungstheorien heute so stark verbreiten.
Wie als Beispiel: Die USA ist einer der religiösesten Nicht-theokratischen Gesellschaften der moderne. Und da machen sich im Moment Verschwörungstheorien breit wie blöde. Oft in religiösen Kreisen. Im Gegensatz dazu hast du in sekuläreren Gesellschaften viel weniger dieses Problem.
Wäre deine These korrekt würden wir das umgekehrte Erwarten: Religiöse Gesellschaften hätten dann weniger Verschwörungstheorien die sich verbreiten, und sekuläre hätten mehr.

Ich würde sogar behaupten, dass du eher für Verschwörungstheorien zugänglich bist, wenn du stark religiös bist, weil diese Verschwörungstheorien gut ins Glaubensbild vieler Religionen passt, dass es einen globalen Kampf zwischen der Seite des „guten“ und des „bösen“ gibt.

Diese „Allgemeintgültigkeit“ den es da früher gab ist aber doch eher ein Mythos. Früher wurde dir diese „Allgemeingütigkeit“ einfach aufgezwungen, weil du als nicht-religiöser der sich gegen den Willen GOTTES (oder eher: Der Kirche) auflehnte oder den nur in Frage stellte sofort eine gesellschaftliche Zielscheibe auf dem Rücken hattest.

Welche alles Religionen sind. Scientology und „andere Sekten“ sind nicht eine Alternative zu Religionen. Das sind effektiv Religionen. Ja, sehr viel fundamentalistischer und autoritärer, aber dennoch Religionen… und auch da nicht wirklich viel autoritärer als es z.B. das Christentum vor noch einigen Jahrzehnten waren.

So, und damit beende ich das jetzt hier auch verübergehend, sonst verkommt es einmal mehr dazu, dass ich diesen Thread völlig an mich ziehe und andere Leute die gerne zu Wort kommen würden keinen Bock mehr haben :sweat_smile:

Als ob wir weniger Feiertage hätten, wenn es keine Religion gäbe, dann gäbe es einfach mehr staatliche Feiertage. Die hätten sogar dann den Vorteil, dass man (nach Corona) feiern gehen kann.

Darüber hinaus finde ich die Aussage das Religion generell Quatsch ist sehr gewagt

Naja, fällt dir eine Religion ein die kein Quatsch ist?

Ich finde das keine Religion Quatsch ist und man die religiösen Gefühle anderer respektieren sollte.

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Du findest also dass Scientology z.B. kein Quatsch ist sondern Hand und Fuß hat? Ich finde das ist Quatsch. Und ich finde auch dass es Quatsch ist da politisch korrekt sein zu wollen weil es „Gefühle verletzen kann“. Vor allem redest du von „religiösen Gefühlen“. Die haben also scheinbar einen Sonderstatus. Den gebe ich denen nicht. Außerdem ist „Quatsch“ ja noch nett ausgedrückt.