[Voting] Autorenwettbewerb #3

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Ängste des Knaben

Des Nachtens, wenn der Mond erglimmt
Und ruhig seine Bahnen zieht
Die Dunkelheit die Stadt einnimmt
Von Wohngebiet zu Wohngebiet
Doch Straßenlichter trotzen der Nacht
Leuchtfeuer, die den Weg erhellen
Halten still und leise wacht
Sich der Finsternis entgegenstellen
Verbündete treten den Rückzug an
Wenn in den Fenstern langsam die Lichter aus gehen
Denn schlaf überkommt irgendwann jedermann
Nur die tapfersten Lichter bleiben bestehen
In einem kleinen Zimmer in dieser Stadt
Ein Knabe sich dem Schlaf verwehrt
Da die Dunkelheit es geschafft hat
Und Angst und Schrecken in ihm gemehrt
Der Knabe, gerade vier Sommer alt
Die Decke bis zum Kinn gezogen
Sucht bei seinem Teddy halt
Die Geborgenheit ist fort geflogen
Furcht hält ihn stumm im Bette gefangen
Mit großen Augen starrt er gebannt
Luft anhaltend und voller bangen
Auf ein Schattenmonster an seiner Wand
Er wagt es kaum sich zu rühren
Liegt nun da wie aufgebahrt
Seine Anwesenheit soll das Monster nicht spüren
In der Hoffnung, dass es ihn vor Schaden bewahrt
Das Monster an der Wand bewegt sich kaum
Nur schwankt es gelegentlich hin und her
Es scheint alles zu beobachten in diesem Raum
Das Herz des Knaben ist Blei schwer
Kein klarer Gedanke findet im Kopfe halt
Und Panik macht sich in ihm breit
Was soll er nur machen, gegen diese Gestalt
Doch um etwas zu tun fehlt ihm der Schneid
In der dunkelsten Stund, ein Flämmchen aufglüht
Hoffnung, die den Knaben lang mied
Eine Erinnerung in ihm aufblüht
Etwas, dass sein Vater ihm riet
“Wenn du dabei bist zu verzagen,
Denk an mich und verzweifle nicht
Stell dich dem Kummer und den Plagen
Dränge sie zurück mit magischem Licht”
Seine Hand kriecht unter der Decke hervor
Richtung Nachttisch der neben ihm steht
Sie arbeitet sich langsam zur Schublade empor
Und hofft dabei, dass das dem Monster entgeht
Schließlich öffnet der Knabe den Nachttisch behände
Und nimmt die magische Lampe zur Hand
Nun hat seine Furcht schließlich ein Ende
Er richtet die Lampe an des Monsters Wand
Das Licht vertreibt das Monster im Nu
Doch kehrt es zurück, sollte die Lampe aus gehen
Dadurch findet der Knabe dennoch keine ruh
Er traut sich nicht von der Wand weg zu sehen
Die Zimmertür öffnet sich einen Spalt
Und der Kopf seines Vaters lugt hinein
Die Erleichterung des Knaben kennt keinen halt
Geschwind erzählt er dem Vater von seiner Pein
Lächelnd legt der Vater sich zu seinem Sohn
Nimmt die Lampe und sagt herzlich:
“Hab keine Angst ich bin deine Bastion
Nun leg dich zur ruh, ich wach’ über dich”
Es dauert nicht lange, bis der Schlaf Einzug hält
Dies nutzt der Vater und schaltet die Lampe kurz aus
Auf der Fensterbank erkennt er was das Monster darstellt
Er bewegt 'ne Pflanze ein Stück und vertreibt es aus seinem Haus
Ende

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Eine letzte Nacht im Licht

Die Flamme der Kerze tauchte den Raum in karges Licht und warf flackernde Schatten des messinggelben Kerzenständers in unruhigen Bahnen auf den Schreibtisch. Ein Muster aus Licht und Schatten, das Nathanel träumen ließ. Nur noch eine Kerze, dachte Nathanel. Er knibbelte am noch warmen Wachs auf dem Tisch und formte eine Kugel. Wieder so eine Nacht, in der er nicht schlafen konnte. Marinah hatte früher immer mit Wachs gespielt, Figuren daraus geformt und dann feixend dabei zugesehen, wie sie in der Flamme der Kerzen erneut zu sanften Formen auf dem Tisch in der Küche schmolzen. „Marinah, lass die Spielerei auf dem guten Tisch. Du weißt doch, dass Vater keine Wachsflecken darauf haben will!“, hatte ihre Mutter dann gerufen und den Wachs abgeknibbelt und zu Kugeln geformt, während sie das Haar Marinahs streichelte.
Ein bitteres Gefühl stieg in Nathanel auf. Seine Schwester Marinah, Mutter, ihr Haus in den Webergassen von Korinthal. Das Holzpferd von Vater, mit dem Nathanel spielte, während er auf der Mauer der Zitadelle gesessen hatte und gen Osten blickte, bis in den Abend, bis der Hunger das Hoffen besiegt hatte und schon wieder kein Botenreiter über die karg bestellten Felder geritten kam. Wie schnell die Reiter wohl zwischen den Lichtsteinen an der Hauptstraße entlang reiten würden? Hinein ins Licht, dann wieder in die dunstigen Schatten der Abendstunden, nur um dann wieder vom bernsteinfarbenen Licht umarmt zu werden. Er vermisste sein Zuhause.
Nathanel schaute zum Fenster seiner Kammer. Der Regen zog dünne Fäden an den Butzenscheiben. Der Wind fuhr entlang der Mauern des Bergklosters, nutzte jede Lücke im Gemäuer um ihre Bewohner frösteln zu lassen. Murrend erhob sich Nathanel und ging herüber zu dem kleinen Ofen unter dem Fenster. Aus der Luke des Ofens grüßte ihn eine letzte, schwache Rauchsäule, dann erlosch die Glut. „Verdammter Ofen. Na, wie lange brauchst du Depp nun, um die Glut wieder anzufeuern? Ich hätte schlafen gehen sollen“, murmelte Nathanel vor sich hin. Frieren wollte er diese Nacht keinesfalls. Morgen würde er ausreiten mit den Suchern. Mindestens zwei Tage Ritt gen Osten, in Richtung der Äschernen Ödnis, nur mit kleinen Lichtsteinen, ohne Feuer. Ein Frösteln durchfuhr Nathanel. Er warf eine dritte Kohlen ins Feuer. Wenn er schon die nächsten Tage, und vor allem Nächte, frieren muss, dann wenigstens nicht diese Nacht.
Mit der Kohlenzange drückte Nathanel die Ofentür zu, nur widerspenstig ordneten sich die Kohlen unter, woraufhin die Tür sich mit einem metallenen Schlag schloss.
Nathanel blickte aus dem Fenster, die Hände über der Ofenplatte reibend. Aus dem unteren Klosterhof drang spärliches Licht. Das Flimmern der Lichtsteine hatte sich orangerot verfärbt. Bald würden sie erlöschen. Gut, dass die Vorbereitungen zur Weihe der Lichtsteine schon abgeschlossen waren. Hoffentlich fänden sie bei ihrem Ritt noch weitere Steine.
Ein Schaben an der Tür schreckte Nathanel auf. Etwas kratzte am Holz entlang. Erst fest, dann suchend in Richtung Türgriff. Dämliche Ofenklappe! Mist, ich war zu laut, hoffentlich ist es keiner der Mönche, dachte Nathanel und schaute peinlich berührt auf seinen arg geschrumpften Kerzenvorrat. Keine Kerzen bis zum neuen Mond, keine
schlaflosen Nächte. Auf Korinthals Mauern würde er die nächsten zwei Wochen nicht in Gedanken weilen können. Die Tür wurde bedächtig aufgeschoben und ein schmaler Eschenstab tastete sich in die Kammer.
„Nathanel? Bist du etwa noch wach? Ich habe Nachtwache und wollte dich endlich besuchen!“ Nathanels Herz machte einen Sprung nach oben. Dem Licht sei Dank keiner der Mönche. Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Zaghaft vorwärts tastend betrat Layarel die Kammer. Eine Hand umklammerte fest den Stab, in der anderen hielt sie drei Kerzen, halb verborgen im weiten Ärmel ihres schwarzen, groben Gewands, das ihr bis zu den Knöcheln reichte und ihre Hüfte gekonnt umschmeichelte. Um Layarels Hals hing die Messingkette einer Adepta. Nathanels Hochgefühl kämpfte mit dem, was er sah. Sein Lächeln stockte zunehmend, während Layarel die Tür hinter sich schloss. Ihre Haare. Nicht mehr schulterlang, sondern kurz. Kaum bis über die Ohren bedeckten die lockigen Strähnen Layarels Gesicht. In wirren Fransen hingen einige Strähnen noch auf ihren Schultern. Und überall Blut. Nathanel starrte auf Layarels Gesicht. Sie hatte einen Leinenstoffverband um ihren Kopf auf Höhe der Augen geknotet. Dort,
wo einmal diese wunderschönen Augen waren. Tief rot und mit Eiter verschmiert war der Verband. Verklebtes Blut zeugte von ihrer Initiation und zeichnete zwei grässliche Umrisse von Augenhöhlen auf den Leinenstoff. Layarels Gesicht war ein groteskes Spiel von blasser Haut und Blutspritzern auf ihren Wangen, die sich bis hinunter zum Hals zogen und die auch auf ihrem Gewand Spuren hinterlassen hatten. Sie musste diese Robe seit ihrer Initiation
tragen. Tief atmete er ein. Würde auch er so mutig und so schnell wieder auf den Beinen sein?
„Du hast immer noch nicht die Tastrillen für deinen Stab in den Boden gemeißelt. Was machst du nur den ganzen Tag?“, sagte Layarel mit gespielt vorwurfsvollem Ton in der Stimme. Langsam ertastete sie den Stuhl am Schreibtisch und setzte sich. „Layarel“, stotterte Nathanel, „seit wann bist du aus der Krypta zurück? Ich… es, es ist schön dich zu sehen, ich meine… dich zu treffen.“ Layarel kicherte: „Schon gut, komm her, ich will dich umarmen!“ Ehe Nathanel reagieren konnte, wirbelte Layarel ihren Stock herum und schlug gegen sein Knie. Nathanel schrie verdutzt auf: „Au! Lass das!“ „Das ist für die Kerzen. Ich rieche doch, dass du wieder die halbe Nacht Licht an hast. Hier, ich hab dir meine restlichen mitgebracht, bevor die Eleven sie einsammeln konnten.“ „Danke dir“, murrte Nathanel und rieb sein linkes Knie. Das wird ihm bestimmt morgen bei seinem Ritt helfen, wenn der Blaue Fleck gegen den Sattel scheuerte. Andererseits würde es ihn bei jedem Schritt an Layarel erinnern. Ein dummer Gedanke, aber sein Lächeln kehrte
zurück.
Das geschundene Gesicht Layarels wich vor seinem Geist zu dem wundervollen Gesicht, wie er sie bis vor zwei Wochen noch gekannt hatte: Grüne Augen, die ihn scharf anschauten. Dazu die dunklen, schmalen Lippen, wie sie die Augen verrieten und die spitzen Worte als Neckereien entblößten. All dies eingerahmt von den dunklen, zu einem Zopf geflochtenen Haaren. Erwartungsvoll war Layarel aufgestanden, die Arme geöffnet. Ihr Stab lehnte nun am Schreibtisch. Zaghaft umarmte Nathanel sie, ehe er nur Sekunden später von ihrer Umarmung fast erdrückt wurde. Nathanel
konnte das Blut, den Eiter und die fettigen Haare riechen, vom Duft ihres erdigen Parfüms war nichts mehr übrig. Layarel schluchzte auf. „Ich bin froh, dass du gekommen bist, ich kann nicht mehr schlafen, ohne zu wissen wie es dir geht“, flüsterte Nathanel. Langsam löste Layarel ihren Griff: „Danke. Ich freue mich auch, dich zu sehen, ich meine, deine Stimme zu hören“. Layarel neigte ihren Kopf, ihr Schluchzen unterdrückte sie und ein Lächeln drang auf ihre Lippen. Sie war immer noch da, verborgen hinter all dem Schmutz und Schmerz. „Komm, setz dich auf mein Bett, erzähl mir alles“, sagte Nathanel und ging auf sein Bett zu, Layarel noch immer an der Hand haltend. Doch ihre Hand fuhr mit einem Ruck aus seiner, das Lächeln wich wieder der harten Miene. Sie griff zielsicher nach ihrem Stab und tastete sich zum Bett. Nathanel blieb stehen, schockiert von ihrer Grobheit. Angst und Erstaunen krochen wieder nach oben, die aufwallende Wärme der Umarmung verflog. Er streifte seine Robe an seinen Beinen zurecht. Wie stark sie war. So viel stärker.
Layarel saß bereits auf seinem Bett, die Decke halb über ihre Schultern geschlungen, mit dem Rücken an der Wand lehnend. „Warum ist es so warm bei dir? Mit den Kerzen sparst du nie, aber mit den Kohlen doch immer“, lachte Layarel. „Ha-ha. Mir war kalt, ich habe drei Kohlen in den Ofen gelegt. Die Klappe ging fast nicht zu, ich musste mit dem Schürhaken… .“ „Komm endlich her! Ich hab doch gerade gespürt, wie sehnsüchtig du auf mich gewartet hast!“ Erneut lachte Layarel auf. Sie spielte an einem losen Faden ihres Gewands. „Ja, Moment“, sagte Nathanel und griff zur Waschschüssel, goss den letzten Rest Wasser aus dem Krug hinein und stellte die Schüssel auf die Ofenplatte. Layarel setzte sich mit einem Ruck auf, ihr Stab fiel zu Boden: „Was machst du da?“, entfuhr es ihr scharf. Scheppernd rutschte Nathanel die Wasserschüssel aus den Händen. „Ich wollte Wasser heiß machen, um deinen Verband… der Eiter“, stammelte er. „Nein!, schrie Layarel, „Ich will das nicht! Ich brauch deine Hilfe nicht!“ Sie senkte ihren Kopf erneut. „Es tut mir Leid, ich dachte, deine deine Augen, sie verheilen scheinbar nicht gut“, stammelte Nathanel immer noch, erschrocken von Layarels Ausbruch.
Sie hob ihr Kinn und starrte mit ihrem rot gezeichneten Verband zu Nathanel: „Es tut mir Leid, aber versteh doch. Ich will das allein schaffen. Ich bin nun seit fast zwei Wochen auf der Suche und ich schaffe es noch immer nicht mir zu merken, wo die einfachsten Dinge sind. Wie soll ich je mit den anderen Suchern reiten, wenn ich es nicht schaffe, mich richtig zu waschen? Wir sind die Erwählten der Mönche. Es ist unsere Aufgabe, die Schattensteine zu suchen und zu
Lichtsteinen umzuformen, damit wir alle im Namen der Königin unser Land Korinthor zurück zum Licht, ja womöglich zur Sonne führen“, sprach Layarel hastig. Ihre Stimme gewann mit jedem Wort an Kraft, dabei stapfte sie entschlossen mit dem rechten Fuß auf den Boden auf. Was für ein Mut. In seinem Geist wich der Verband wieder ihren Augen. Die Wärme in ihm kam zurück, er lächelte: Sie war nicht weg, nur noch nicht wieder vollends da. Sie war nun Adepta, Novizin der Sucher und bald noch stärker als früher. „Du hast Recht, verzeih mir. Aber was sollen denn die Eleven denken, wenn du so durch ihre Unterkünfte rennst? So will ich auf keinen Fall neben dir sein. Du siehst aus wie die alte Margonel“, lachte Nathanel auf.
Schockiert seufzte Layarel und riss ihren Mund sprachlos zu einer Erwiderung auf. Ihr Oberkörper schnellte nach vorn, die Hände auf der Suche nach ihrem Stab. Oh Laya, nicht mit mir, dachte Nathanel, machte einen Satz nach vorn und stellte sich auf den Stab. Vergebens versuchte Layarel, ihren Stab aufzuheben. „Oah, wie gemein! Einer Adepta den Stab wegzunehmen“, empörte Layarel sich. Flink machte Nathanel einen Schritt nach vorn, zog ihren Oberkörper zu sich heran und küsste sie. Gegenwehr vortäuschend versuchte Layarel sich aus seinem Griff zu ziehen, doch sie ließ zunehmend nach. Nathanel schloss die Augen und umfasste ihre Hüfte, streichelte über den groben Stoff. In seiner Phantasie wogte erneut ihr erdiges Parfüm auf. Wie hatte er sie vermisst, seine beste Freundin im Kloster. Ohne Layarel hätte er es bestimmt nicht bis hier hin geschafft.
Ein Schmerz in seiner Lippe riss ihn aus seinem Traum. „Das reicht fürs erste, mein dahin schmachtender Liebster, nicht alles auf ein Mal.“, lachte Layarel. Mit einem Kuss auf seine Wange löste sie sich aus der Umarmung und setzte sich wieder aufs Bett. „Du musst morgen früh los, und ich bin schon wieder viel zu lange bei dir. Ichwill meinen Verband wechseln, du kannst mir gern dabei helfen, falls ich Hilfe brauche.“
Nathanel grinste benebelt. „Gern, ich bereite einen neuen Verband vor. Ich habe hier noch irgendwo ein Stück Seife liegen, warte“, sagte Nathanel.
Während er sprach, tastete Layarel an ihrem Kopf entlang des Verbands hin zum Knoten. Mit argwöhnischer Miene öffnete sie den Knoten und nahm den Verband vorsichtig ab. An den verklebten Stellen löste sich der Verband mit einem schmatzenden Geräusch. Ihr Gesicht verhärtete sich, sie unterdrückte den Schmerz. Die Wunden würden
erst in einigen Wochen vollends verheilt sein. Nathanel stellte die Waschschüssel mit der Seife auf das Schränkchen neben dem Bett. War dies die letzte Nacht im Licht mit ihr? Freudige Erwartung mischte
sich mit Angst.
Nathanel biss auf das Holz zwischen seinen Zähnen. Marinah, Mutter, Vater. Layarel, ihre Lippen, der blutrote Verband, ihr Lächeln. Die letzte Nacht im Licht mit Layarel schoss ihm in den Sinn. Die Mönche zogen die Lederriemen an seinen Gliedmaßen fester, seine Hände wurden taub. Das Dunkel der Krypta wich dem Licht der glühenden Eisen. Vernarbte Augenhöhlen tauchten vor ihm auf. Endlich. Voller Stolz würde Nathanel die Initiation von Layarel empfangen, wie er es sich gewünscht hatte. Sie würden Korinthor vor den Schatten retten.

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DAS LICHT DES LEBENS

Vor vielen Jahren, als ich noch ein Kind war, war meine Großmutter
sehr krank. Sie lag im Bett und war zu schwach um aufzustehen. Den Tag, von dem
ich euch erzählen möchte,
habe ich noch sehr gut in Erinnerung. Es war der Tag an dem sie ins Licht ging,
der letzte Tag meiner Großmutter.
Früh morgens weckten mich meine Eltern. Sie mussten zur
Arbeit, wie an den meisten Tagen. Meine Mutter sagte mir, dass es Oma nicht so
gut gehe heute, und ich mich ein bisschen um sie kümmern sollte bis sie mittags
wieder zu Hause wäre.
Unterhalte dich mit ihr, sie freut sich
Oft saß ich am Bett meiner Großmutter und wir redeten
über alles Mögliche. Doch an diesem Tag war es anders.
Auf dem Küchentisch lag ein Brot für mich. Mutter wusste immer
genau was ich gerne aß. Ein Brot mit Erdbeermarmelade. Zugeklappt. Ich genoss es
und trank ein Glas Orangensaft dazu. Lecker.
Sobald ich fertig war ging ich zum Zimmer meiner Oma.
Als ich die Tür zu ihrem Zimmer öffnete hatte ich noch
etwas völlig anderes im Sinn. Heute weiß ich nicht mehr an was ich dachte, da
ich eine gefühlte Ewigkeit geschockt in den Raum starrte als ich sah was ich
sah. Oma saß kerzengerade auf ihrem Bett und starrte mich an.
Es war unglaublich. Normalerweise konnte sie ihren Kopf nicht
einmal weit genug anheben um etwas zu trinken. Und jetzt saß sie da und schaute
zu mir ohne auch nur einmal zu blinzeln. Ich schluckte und betrat ihr Zimmer.
„Oma? Alles in Ordnung?“
Zunächst reagierte sie nicht, doch als ich nah bei ihr
war lächelte sie sanft und erwachte aus ihrer Starre.
„Mein Kind“, sagte sie im Flüsterton zu mir. „Bitte setz
dich zu mir.“
Etwas verwundert, dass sie anscheint klar bei Gedanken
war, versuchte ich auch zu lächeln und setze mich neben sie.
Unterhalte dich mit ihr, sie freut sich
Bevor ich etwas sagen konnte nahm sie meine Hände
zwischen ihre. Sie schaute mich wehmütig an und sagte mir Dinge die ich bis
heute nicht vergessen habe. Nicht ein Wort.
„Ich habe etwas gesehen, mein Kind. Etwas, das auch du irgendwann
sehen wirst. Es war einfach unglaublich.“ Sie zögerte kurz und starrte ins
Leere. „Wahrscheinlich wirst du denken ich habe geträumt, und ja, vielleicht
war es auch so. Aber wieso können Träume nicht manchmal wahr sein?“ Ich dachte
kurz über ihre Frage nach, kam aber nicht dazu etwas zu sagen. Oma sprach
weiter. „Es war zunächst einfach ein Gefühl als ob ich leichter wäre als
normal. Das Schweben fühlte sich so leicht an. #ich kann es nicht beschreiben. Als
ich dann ein Stück über meinem Bett schwebte drehte ich mich leicht und war
erschrocken. Ich sah mich selber im Bett liegen.“ Das Lächeln im Gesicht meiner
Oma erstarb als sie sich geistig zurück zu diesem Augenblick bewegte. „Erst
dachte ich, dass ich mich schlafen sehe, aber…“, sie zögerte kurz. „Es war
kein Schlaf.“
Nachdem ich über das Gesagte kurz gegrübelt hatte wollte
ich etwas dazu sagen. Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht wollte ich
fragen was sie meinte, denn in meinen jungen Jahren hatte ich es nicht direkt
verstanden.“
„Oma, was meinst…“, sie schnitt meine Frage mit einem
leichten Kopfschütteln ab.
„Lass mich bitte ausreden, mein Kind. Die Zeit wird knapp“,
sagte sie und nahm einen tiefen Atemzug. „Ich war noch von meinem eigenen Ich
gefesselt, wie ich da lag, so friedlich. Da bemerkte ich wie die Sonne hinter
mir durchs Fenster zu mir schien. Zumindest dachte ich es wäre die Sonne. Doch
als ich mich schwebend zum Fenster gewandt hatte, sah ich keine Sonne vor dem
Fenster. Das Licht war so strahlend weiß, so hell, so… unglaublich anziehend. Nicht
mal das Fenster oder die Wand konnte ich mehr sehen. Dieses Licht war das
schönste was ich je sah und ich wollte es unbedingt anfassen“, ich sah wie
meiner Oma eine einzelne Träne die Wange runter lief. „Und ich werde es
anfassen. Bald. Sehr bald.“
Die Stille nach ihren Worten kam mir ewig lang vor, und
ich wusste nicht was ich sagen sollte. Langsam verstand ich von was sie sprach,
aber wollte ich es verstehen? So hatte
ich mir eine Unterhaltung mit meiner Oma niemals vorgestellt. Niemals.
Unterhalte dich mit ihr, sie freut sich
Als Oma wieder aus ihrer Starre erwachte lächelte sie
erneut und schaute mir direkt in die Augen.
„Ich konnte noch nicht ins Licht, obwohl es das verlockendste
war das ich jemals sah oder fühlte. Aber ich wollte noch einmal hierher und mir
dir reden.“ Ihr Lächeln wurde noch etwas breiter und sehr warm und freundlich. „Ich
weiß zwar nicht was danach kommt, aber ich weiß, dass da etwas ist. Ich weiß,
dass da etwas Gutes ist. Ich weiß jetzt, dass das alles hier nur ein Teil etwas
viel größerem ist und wir am Ende unserer Zeit im Licht Wärme und
Freundlichkeit finden. Und ich bin mir auch sehr sicher, dass wir unsere
Freunde und Verwandten wieder sehen. Die, die diesen Weg vor uns gingen.
Diejenigen die schon jetzt glücklich und zufrieden im Licht auf uns warten.“
Oma nahm mich in den Arm und so saßen wir lange da. Ich
hatte verstanden was sie mir sagen wollte. Es war einerseits ein Abschied,
andererseits ein Versprechen, dass wir uns irgendwann wieder sehen würden.
Irgendwann im Licht des Lebens.
Später an diesem Tag verstarb meine Oma friedlich im Schlaf.
Sie hatte ein Lächeln der Vorfreude im Gesicht.
Das was ich erzählt habe war vor über siebzig Jahren, und
dieser Brief ist das erste Mal, dass ich davon erzähle. Leider habe ich kein Enkelkind
um meine Geschichte zu erzählen, deshalb schreibe ich sie nieder in der
Hoffnung irgendwem damit helfen zu können.
Heute ist der Tag an dem ich meine Oma endlich
wiedersehen werde. Heute ist mein Tag des Lichts. Ich weiß es. Ich spüre es.
Und dank meiner Oma fürchte ich mich nicht.
Ich treffe sie endlich wieder und wir reden wie damals
vor über siebzig Jahren.
Unterhalte dich mit ihr, sie freut sich
Auch wenn niemand weiß wie es am Ende weiter geht, es
geht weiter. Denn wie irgendein schlauer Mensch einmal sagte:
Das Leben findet immer einen Weg.

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Orion

Vásquez starrte auf das kalte, mechanische Blinken der Kontrollleuchten, bis sie das Gefühl hatte, diese würden zurückstarren. Werde ich etwa auch verrückt? Sie wandte sich ab, ging zum Fenster und blickte in die Schwärze.
Seit mehr als drei Monaten waren sie nun in diesem Metallkasten gefangen, der mittlerweile nur noch sinnlos durch das Weltall zu treiben schien.
Du solltest nicht allzu lange in die Leere starren, Vásquez.”, sagte Morrison. “Es reicht, wenn eine Person bereits den Verstand verloren hat.
Abwesend drehte sich Vásquez zu Morrison, musterte den hageren, sichtlich ergrauten Mann einen Moment und ließ sich erschöpft auf den Boden nieder.
" … Was machen wir hier… ? ", murmelte Vásquez vor sich hin. "Laut den Berechnungen hätten wir schon vor Wochen auf das Transportschiff stoßen sollen… Sie sind tot und die Ladung ist verloren! Wenn wir nicht das gleiche Schicksal teilen wollen, sollten wir endlich umkehren. Ich habe jedenfalls nicht vor, mein Leben für ein paar beschissene Rohstoffe zu opfern! "
Morrisons tief versunkene Augen trafen ihre. Zwei schwarze, leblos wirkende Kreise schauten einen Augenblick auf sie herab.
"Dinge verschwinden nicht einfach so. Vor allem keine riesigen Transporteinheiten, mit zwei Dutzend Mann an Bord … Selbst wenn sie überfallen worden wären, müsste es irgendwelche Spuren geben. Herumschwirrende Wrackteile, verstärktes Helium-3-Vorkommen in der Umgebung … Irgendwas! “, Morrison hielt einen Moment inne, " … Aber es ist so, als wären sie nie hier gewesen. Als hätte es sie nie gegeben.
Vásquez begrub das Gesicht in ihren Händen und gab ein lautes Seufzen von sich.
"Glaubst du diesen Unsinn etwa?! ", zischte sie wutentbrannt. “Vielleicht sollte Page schon mal anfangen, dir ein Zimmer neben Hammett einzurichten …”, sie legte ihren Kopf in den Nacken, fokussierte ihre verschwommene Reflexion an der Decke und glitt mit den Fingern durch ihr aschblondes Haar.
Es ist doch ganz einfach.”, sagte Vásquez nach einem Moment der Stille. "Die Besatzung hatte genug davon, für einen lächerlichen Lohn ihr Leben zu riskieren, während unser Konzil aus sicherer Entfernung den Gewinn einstreicht. Also haben sich die Marionetten von ihren Fäden befreit, sind samt Ladung desertiert und lachen sich nun vermutlich am anderen Ende des Quadranten tot, während wir hier zugrunde gehen! "
Sie richtete sich auf.
"Überleg doch mal, Morrison … Der letzte Funkspruch, den das Kontrollzentrum angeblich vom Transportschiff erhalten hat? Dieses unklare Gestammel über irgendein helles Licht? Die Besatzung wollte es eindeutig so aussehen lassen, als wären sie im Begriff, gekapert zu werden. Und du hast selbst gesagt, dass in diesem Fall Spuren zurückgeblieben wären! ", sagte Vásquez entschlossen.
Morrison blickte einen Moment nachdenklich in die Leere, bis sich ein Lächeln über sein Gesicht zog.
Ja. Vielleicht hast du …”, begann er, als plötzlich ein Schrei durch die Luft drang.
Page …, dachte Vásquez. "Beweg dich nicht vom Fleck, Morrison! ", rief sie, zog ihre Waffe und eilte durch die Tür in den Rumpf des Shuttles.
Das Hallen ihrer Schritte übertönte das lineare Zischen der Bordmechaniken um sie herum, bis ihr Gang auf einmal verstummte. … Fuck
Sie richtete ihre Pistole auf den Korridor vor sich, während sie sich langsam dem Körper auf dem Boden näherte.
"Page, alles okay bei dir?! "
Stille.
Vásquez ging weiter auf Pages Körper zu, bis sie das Blut aus der Halswunde strömen sah.
Fuck!
"Hammett, kommen sie raus! Keine schnellen Bewegungen! ", rief sie, während sie weiter voranschritt.
Stille.
Vásquez stieg über den leblosen Körper und richtete ihre Waffe auf den Raum, in dem Hammett die letzten Tage verbracht hatte.
"Ich komme jetzt rein. Legen sie sich auf den Boden, ich will sie nicht erschießen müssen! ", log sie.
Sie atmete tief ein, verharrte einen Augenblick und trat in den Raum.
Leer … Dieser Scheißkerl!
Vásquez eilte aus dem Raum in den, mittlerweile dunkelrot gefärbten, Gang und folgte diesem in Richtung der Schleuse.
Ist der völlig bescheuert?! Wir sind mitten im Nirgendwo, das ist sein sicherer Tod!"
In der Ferne sah sie eine weiße Gestalt, welche grade im Begriff war, sich einen Helm aufzusetzen.
"Hammett! ", rief sie und richtete den Lauf der Waffe auf ihn. "Was zum Teufel machen sie da? "
Lachen schallte durch den Raum und als sich Hammett ihr zuwandte, erschrak Vásquez.
Sein Gesicht war mit Blut bedeckt, sein Blick starr und das breite Grinsen nahm ihm das letzte bisschen Menschlichkeit.
Lachend entgegnete er: "Was zum Teufel ich hier mache?! Hm… Interessante Wortwahl… Weißt du, Vásquez, hättet ihr meinen Worten nur ein bisschen Beachtung geschenkt, anstatt mich wie ein wildes Tier einzusperren, hätten wir alle lebend hier rauskommen können.
Denkst du, ich wollte deiner kleinen Freundin das Leben aus dem Körper beißen?! Aber wenn ihr mich wie ein Tier behandelt, dann benehme ich mich auch wie eins! Und ich muss sagen… Page hat nicht schlechter geschmeckt, als der Fraß, den sie mir sonst immer gebracht hat.
Das Grinsen zog sich breiter über sein Gesicht.
Ich habe ihn gesehen, Vásquez, unseren Schöpfer. Und wenn du leben willst, dann verschwindest du lieber auch, bevor er uns sieht…”, hörte sie Hammett sagen.
"Unseren Schöpfer?! Du bist doch völlig verrückt. An diesen Unsinn glaubt schon seit tausenden von Jahren niemand mehr! ", antwortete Vásquez und sah, wie das Grinsen aus Hammetts Gesicht verschwand.
Tja …”, entgegnete er, "Dann sehen wir uns wohl auf der anderen Seite! "
Hammett sprintete in Richtung Schleuse, ein Schuss fiel, ein weiterer Schuss, ein Schrei ertönte, Metall prallt auf Metall, als er die Tür hinter sich verschloss.
Vásquez rannte zu dem kleinen Fenster und sah Hammett auf dem Boden der Schleuse kauern. Sein weißer Anzug färbte sich an der Schulter rot. Als die Sirene ertönte, richtete er sich auf, zog sich den Helm über sein braunes Haar, brachte ein Lächeln über sein blutverschmiertes Gesicht und streckte ihr den Mittelfinger entgegen, bevor er in die Schwärze der Außenwelt gesogen wurde.
Fuck!
Vásquez ließ sich auf den Boden nieder, strich mit einer Hand durch ihr Haar und starrte eine Weile in den leeren Raum.
… Naja, zumindest ist er nicht mehr unser Problem.
Sie stand auf und begab sich zurück in Richtung des Cockpits, als sie feststellte, dass rote Schuhabdrücke den Weg zu Pages Leiche pflasterten. Als Vásquez an sich runterblickte und ihren in Blut getränkten Stiefel sah, übergab sie sich.
Mit zitternden Beinen näherte sie sich dem Körper, schloss die leblos an die Decke starrenden Augen und hob Page vom kalten Boden.
Als Vásquez sich grade an das zusätzliche Gewicht gewöhnt hatte, drang eine Erschütterung durch das Shuttle. Sie prallte gegen die Wand und Pages fleischliche Überreste fielen erneut zu Boden.
Was zum … ?!
Bevor sie den Gedanken beenden konnte, überkam eine zweite, noch stärkere Erschütterung das Schiff, welche sie zu Boden schleuderte.
Fuck! Fuck! Fuck! … Asteroiden? Aber das kann doch nicht …
Vásquez raffte sich auf und rannte zum Cockpit. Als sie durch die Tür trat, sah sie Morrison regungslos aus dem Fenster starren.
Was passiert hier?! Was ist …”, sie verstummte.
Schritt für Schritt näherte sich Vásquez dem Fenster. Ihr entglitt ein hysterisches Lachen und die Kreatur schien dies zu hören.
Plötzlich blickten tief rote Augen auf Vásquez und Morrison. Sie kamen näher. Das Licht blendete sie und für einen Moment fühlte Vásquez eine Wärme, die sie seit Anbeginn der Reise vermisst hatte.
Doch alles was blieb, war bitterlicher Kälte.

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Al dente

Boris schlurft durch den dunklen Flur der Wohnung in das Zimmer seines Mitbewohners.
“Hey, Johannes, warst du einkaufen?”
Dieser sitzt gerade vor seinem Computer am Schreibtisch, rotiert eine Runde in seinem Drehstuhl und dreht Boris schließlich den Rücken zu. Nach einer kurzen Pause dreht er sich langsam wieder zu ihm um, hält seine Hände vor der Brust und entgegnet mit sich berührenden Fingerspitzen: “Ich habe nichts zu verbergen. Durchsuchen Sie ruhig meine bescheidene Bleibe, wenn sie mir nicht glauben.”
Boris verschränkt die Arme und lehnt an den Türrahmen: “Ja, sehr witzig, wir haben keine Fressalien mehr und der Laden macht in zwei Minuten dicht”
“Was ist mit unserem Nudelvorrat?”, fragt Johannes, pausiert seine Musik und steht gemächlich auf.
“Den gibt es noch, allerdings haben wir nichts für eine Soße”, stellt Boris fest und geht zusammen mit Johannes in die kleine Einbauküche.
“Dann halt ohne, hab auch keine Lust jetzt groß zu kochen”, antwortet Johannes nüchtern, öffnet einen Unterschrank und holt allerhand Utensilien hervor, die er über sich auf der Zeile abstellt. Boris greift nach dem Topf, und füllt diesen unter der Spüle mit Wasser.
“Lecker. Das hätten wir besser absprechen müssen”, merkt Boris leicht genervt an.
“Ich könnte mich jetzt verteidigen, allerdings bin ich gedanklich immer noch bei meiner Hausarbeit, die ich fertig schreiben muss”, zischt Johannes und dreht den Herd auf, der anfängt zu brummen. Boris brummt ebenfalls kurz und stellt den Topf wortlos auf die Heizfläche.
Johannes hat unterdessen die Küche wieder verlassen und geht zurück an seinen Rechner. Boris starrt aus dem Küchenfenster und begutachtet die Nachbarschaft. Es brennen Lichter in den Wohnungen, allerdings sind auch überall Vorhänge zugezogen. Ab und zu sieht man eine Silhouette vorbeihuschen. Man könnte ja vielleicht mal ganz klassisch beim Nachbarn fragen, ob er etwas für eine Soße entbehren könnte. Boris hat das noch nie getan und kennt die Bewohner des eigenen Hauses nicht einmal wirklich. Bei dem Gedanken kommt er sich blöd vor, entfernt sich von der Scheibe und wirft einen Brühwürfel ins Wasser. Die Glühbirne, die ohne jeglichen Lampenschirm nackt von der Decke baumelt, flackert für einen Augenblick. Boris runzelt kurz die Stirn und tippt einige Male gegen das Glas der Lampe. Diese strahlt jedoch nur ihr Licht ab und baumelt hin und her. Nachdenklich blickt Boris in den Topf und schaut zu, wie vom Brühwürfel immer weiter Blasen aufsteigen, bis dieser zerbricht und sich immer weiter aufteilt, bis er sich gänzlich auflöst.
“Nudeln kochen ist schon verdammt langweilig, wenn man sie nicht selber macht”, denkt Boris, reißt eine Packung Nudeln auf und wirft sie in den Topf. Das Brummen verstummt, die Glühbirne quittiert ihren Dienst.
Mit noch immer ausgestrecktem Arm und leerer Packung in den Händen über dem Kochtopf bleibt Boris stehen und blinzelt einige Male verdutzt und dreht den Kopf hin und her. Dunkelheit.
“Boris?!”, schreit es aus dem Flur.
“… Ja?”, ruft er zaghaft zurück und erkennt langsam wieder Konturen.
“Au! Verdammt! Was hast du gemacht!”, meckert Johannes entnervt und stolpert in die Küche.
“Nix. Was soll ich gemacht haben? Was machst du grad so?”, entgegnet Boris verwirrt und geht langsam an Johannes vorbei in den Flur.
“Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber unsere Sicherung ist rausgeflogen!”
“Und wessen Schuld ist das?”, fragt Boris, der eine Schublade ertastet und öffnet.
“Was weiß ich? Ich…”, meint Johannes, ehe er verstummt.
"Und du meintest noch Kerzen und Streichhölzer wären Schnickschnack.
"Sind sie auch. Kann mir nichts praktischeres vorstellen, als den Sicherungskasten mit Kerzenlicht zu checken, aber das kannst du dir sparen, die ganze Nachbarschaft ist dunkel.
“Stromausfall?”, vergewissert sich Boris, der seine Sachen aus der Schublade kramt und wieder zuschiebt.
“Jepp”, gibt Johannes kurz zurück und geht nun selbst an das Fenster der Küche. Als erstes fällt ihm der Sternenhimmel auf, den er ansonsten gar nicht wirklich erkennen würde. Dann bemerkt er, wie nach und nach die Vorhänge der Nachbarn aufgezogen werden und diese ebenfalls ratlos dreinschauen.
“Wenigstens hab ich jetzt eine Ausrede mal eine Pause zu machen.”, seufzt Johannes und dreht sich zu Boris.
“Hast du gespeichert?”, merkt Boris an und holt eine Kerze aus der Packung hervor.
“Text ist in der Cloud”, stellt Johannes zufrieden fest und setzt sich auf einen Stuhl im Dunkeln der Küche.
Boris wischt mit einem Streichholz über die Schachtel. Unter einem Zischen sticht eine Flamme aus dem kleinen Hölzchen hervor und steigt an ihm empor. Bedächtig hält er die Flamme an den Docht der Kerze, der sich entzündet und die Hand in ein warmes Licht taucht.
“Hier, nimm”, fordert Boris, löscht das Streichholz mit einer lässigen Handgelenkbewegung und reicht Johannes die weiße Kerze.
“Was will ich mit der, wenn der Strom eh gleich wieder angeht?”, erwidert er, nimmt die Kerze aber an und hält sie zwischen den Fingerspitzen vor sich.
“Deine Laune ist wirklich überragend”, hält Boris dagegen und zündet eine weitere Kerze an.
“Das Licht ist halt auch einfach mikrig! Vor allem seh ich jetzt wegen der Flamme weniger als vorher. Hatte mich jetzt schon fast an die Dunkelheit gewöhnt”, stellt Johannes genervt fest und lässt die Kerze mit einer Handbewegung durch die Luft auf und ab schweben, als würde sie ein Gespenst greifen.
“Das wird schon, pass auf”, wendet Boris ein, lässt etwas Wachs von der neu angezündeten Kerze auf die Tischplatte tropfen und drückt sie dann daran fest.
“Krass…”, spottet Johannes, tropft ebenfalls etwas Wachs auf den Tisch und stellt sie darauf ab. Dann verschränkt er die Arme hinter dem Kopf und lehnt sich zurück.
“Ich stell hier gleich ein Pentagram mit den Kerzen auf, vielleicht macht dir die Hölle dann ja Feuer unter dem Hintern”, scherzt Boris und zündet weitere Kerzen an, die er allerdings nur in einer Reihe vor sich aufstellt, dass eine kleine Wand aus Kerzen zwischen den Beiden entsteht.
“Nichts für ungut, aber irgendwie ist das immer noch genauso dunkel wie vorher”, beginnt Johannes als erstes wieder das Gespräch. Es ist nun schon seit einer Viertelstunde Stromausfall in der Stadt.
“Aber Flammen sind schon irgendwie cooler als elektisches Licht”, verteidigt sich Boris und fährt mit der flachen Hand über die Kerzen.
“Mhm… Ich merk schon. Weißt du, was noch cooler ist? Essen!”, langweilt sich Johannes, steht auf und geht zum Kochtopf, “glaubst du, die sind durch?”
“Mitnichten”, bezweifelt Boris, der nun anfängt Teile der Kerzenverpackung an dessen Inhalt anzufackeln.
“Es gibt nur einen Weg, dies herauszufinden.”, entfährt es Johannes künstlich pathetisch und holt aus einer Schublade eine Gabel und sticht in den Topf.
“Jetzt müsste ich nur noch sehen können, ob ich auch eine Nudel an der Gabel stecken habe”, führt er fort.
“Du musst sie ja nicht sehen, sondern essen. Stich dir kein Auge aus”, spottet Boris und pustet die brennende Verpackung aus. Die Ränder glimmen noch nach und kräuseln sich.
“Eindeutig Nudel”, schmatzt Johannes, “eindeutig kalt, allerdings mit einem gewissen Biss.”
“So wie ich sie am liebsten mag…” verzieht Boris die Miene, “Moment, willst du die jetzt echt rausholen?”, fügt er an, als er erkennt, dass Johannes das Nudelsieb in die Spüle legt.
“Ich hab Hunger. Ansonsten weichen die jetzt nur noch auf.” bestätigt Johannes, der sogleich den Topf greift und ins Sieb kippt.
“Na guten Appetit…”, lacht Boris.
“Danke. Hoffe du isst mit mir bei diesem Candle-Light-Dinner”, kontert Johannes und holt zwei Teller heraus.
“Boah, ne, da warte ich jetzt lieber auf den Strom”, wendet Boris schnell ein und schaut auf seine Armbanduhr, deren Ziffernblatt im Dunkeln noch nachleuchtet.
“Hier, bitteschön, mein Schatz. Nudeln ohne alles!”, witzelt Johannes und stellt Boris einen kalten gefüllten Teller hin, “guten Appetit.”
Es brummt und Boris und Johannes schließen erschrocken die Augen. Sie blinzeln einige Male unter angestrengtem Gesicht, als die Küche wieder lichtgeflutet ist und der Herd wieder angesprungen ist. Eine Weile sitzen sie bloß da und schauen ihre Teller vor sich an.
“Jetzt geht wenigstens auch die Mikrowelle wieder”, stellt Boris fest und steht auf.
“Und ich dachte schon, du wolltest den Teller jetzt über deinen Kerzen aufwärmen”, scherzt Johannes und pustet die Kerzen aus.

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Endstation

Yes – we can. Jemand hatte es auf den Plastikschalensitz der U-Bahn gesprayed. Bobby kannte den Slogan gut. Damals hatte sich die Welt noch gedreht. Damals bestand noch Hoffnung. Bobby rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her, die Augen suchten hektisch das Abteil ab. Jeder konnte einer sein. Ein Agent – ein Sucher – eine Drecksratte. Seine schwarze Haut war auffällig genug in dieser Zeit, doch jetzt suchten sie ihn, die Staatspolizei. Trumps persönliches Killerkommando. Sie wuselten unerkannt durch die Straßen, suchten nach Fugees, nach Parasiten, wie Trump sie letztens im Fernsehen genannt hatte. Viele seiner schwarzen Brüder waren schon „verschwunden“. Sie waren einfach nicht mehr da. Das Abteil war voller weißer Menschen, doch auch ihnen stand die Angst im Gesicht. Gestern waren es die Brüder aus Nah-Ost gewesen, Illegale, und Bobby blickte verschämt zu Boden – auch er hatte ihn gewählt, war begeistert auf die Strasse gegangen, hatte sich den Lynchmobs angeschlossen. Dann geriet es ausser Kontrolle – jetzt jagten sie jeden. Und die weissen Brüder hatten Angst – natürlich – bald schon würde es reichen, wenn du braune Augen hast, oder eine polnische Großmutter – verdammt niemand konnte ihn mehr aufhalten. Die Zeiten waren mies. Bobby fuhr schon tagelang in der U-Bahn herum, er suchte einen Ausweg. Das wovon ihm seine Schwester erzählt hatte bevor sie verschwand. Ellis, seine kleine Schwester, verdammt wo war sie nur? Hatte sie SIE gefunden? Als sie letzten Denstag aufgebrochen war, hatte sie ihm diesen Zettel zugesteckt:
Linie 5
Die Gesellschaft des Lichts
Hoffnung
„Vergiss nicht großer Bruder – jetzt sind sie alle unsere Feinde.“
Dann war sie gegangen. Bobby hatte Angst, wenn er an ihren Gesichtsausdruckt an jenem Morgen dachte. Er beschrieb völlige Hoffnungslosigkeit. Kurz danach fingen sie an die schwarzen Brüder abzuholen. Nur mit Glück war Bobby in die U-Bahn geflohen. Jetzt suchte er sie. In Linie 5. Die Hoffnung.

Der Zug kam zum stehen. Endstation. Weiter kam er nicht – zumindest nicht mit der U-Bahn. Zögernd betrat er den Bahnsteig. Die Menschen verschwanden in alle Richtungen. Ein kleiner Junge blickte ihn an, als sei er fremd auf diesem Planeten und seine Mutter zog ihn weiter. Bobby stand da und fühlte sich verlassen. Ein riesiger Bahnhof - so viele Ausgänge und alle führten ins Verderben. Bobby holte tief Luft. Endstation. Jemand tippte ihm an die Schulter. Bobby schnellte um, wie ein aufgescheuchtes Tier. Ein Typ in Anzug und Krawatte. Er duftete gut, nach Zitrone oder Limone oder sowas. Geschmiegeltes Haar, und strahlend blaue Augen. Ein Lächeln das Bobby nicht einordnen konnte. Es schien zu sagen: Ich hab dich gefunden.
„Ich weiss, was du suchst“, sagte der Fremde. Bobby sah ihn erschrocken an.
„Hör zu Man – Ich will keinen Ärger“
Der Fremde sah sich um, als wolle er sichergehen, dass sie keiner beobachtet.
„Keine Angst schwarzer Bruder. Ich will dir helfen. Ich bring dich dahin wo du hinwillst – komm schnell.“
Und schon trabte er los. Er blieb am Fuss der Treppe stehen und winkte Bobby zu sich.
„Na komm Kumpel – hier können wir nicht bleiben.“
Vergiss nicht großer Bruder – jetzt sind sie alle unsere Feinde.
Ein Adrenalinstoß, wie Bobby ihn noch nicht kannte ließ ihn lossprinten. Er rannte weg. Weg von dem Typen im Anzug – weg von Trump – weg von diesem Planeten. Er sprang auf die Schienen und hetzte durch den Tunnel. Vorbei an abgestellten U-Bahn Waggons – vorbei an Tunneln und Nebentunneln – mitten hinein in die Dunkelheit – ins Ungewisse.
Stunden vergingen. Bobby wanderte durch die Dunkelheit und seine Waden brannten. Verdammt wie lang war der Tunnel? Die spärliche Beleuchtung reichte gerade so, um nicht auf die Schnauze zu fallen. Es roch muffig und verstaubt. Mensch Bobby, dachte er, was glaubst du wo du hingehst? Sie kriegen dich – sie kriegen jeden.
Was war das? Musik?
Er ging weiter und die Klänge wurden lauter. Er erkannte sie. Uralte Musik. Von diesem Beet-Dings-Typen. Freude dieser Götterfunken … oder so ähnlich. Eine Tür. Oder mehr ein Loch in der Wand, doch von da kam die Musik. Und da, fett auf die Wand daneben gesprüht: HOFFNUNG.
Hatte er sie gefunden? Wie eine lindernde Stimme flüsterte ihm die Musik zu. Lockte ihn. Und Bobby betrat das Ungewisse. Es war stockdunkel und er tastete sich voran. Da vorne – ein Licht – kaum mehr als ein Schimmern in der Dunkelheit. Er kam beim Licht an. Es war eine Taschenlampe die auf einem Tischchen lag, daneben eine Großpackung Batterien. Bobby konnte nicht erkennen, wie groß der Raum war – nur den Tisch und die schwarze Sillhuette eines Menschen, der auf einem Stuhl saß. Er schwieg.
Bobby konnte kaum Luft holen.
„Hi ich bin Bobby“, quetschte er aus sich heraus. Schweigen. Die Figur im Sessel fing an, hin und her zu wippen. Dann sprach sie mit tiefer brummender Stimme.
„Weisst du, wo du hier bist?“
„Äh also nein – ist das diese Geselschaft des Lichts? Meine Schwester hat mir … also Ellis … kennst du Ellis?“
Wieder Schweigen – dann fast flüsternd.
„Nein.“
Bobby versuchte den Typen zu erkennen, aber es war so verdammt finster.
„Ich weiss nicht wo ich hin soll. Wo bin ich hier?“
„Hast du Geld?“
„Geld? Nunja…“
Bobby holte seine Brieftasche raus – und kramte bei der Lampe etwa 120 Dollar raus. Das war alles was er zusammenkratzen konnte. In diesen Zeiten war das ein kleines Vermögen.
„Das reicht“, brummte der Typ im Sessel. Er stand auf und nahm ihm das Geld aus der Hand.
„Komm mit – jetzt wird alles gut.“
Sie gingen ein paar Schritte – und Bobby konnte einen Durchgang und dahinter einen weiteren Raum in der Dunkelheit erahnen.
„Vorsichtig – bleib hinter mir.“
Indem Raum war sehr schlechte verbrauchte Luft. Kein Licht. Er hörte Menschen atmen und röcheln. Ständig stiess er irgendwo dagegen.
„Hey pass auf Motherfucker.“
Sie gingen etwa zwanzig Meter. Dann blieb der Fremde stehen. Er schubste Boby zu Boden und er landete auf etwas weichem. Es roch nach Pisse und noch schlimmerem.
„Hier bist du sicher – nimm das.“
Er reichte ihm eine Papiertüte.
„Was ist das?“ wollte Bobby wissen.
Der Fremde ging davon. Bobby lag in der Finsterniss. Es hörte sich an, als wär der ganze Raum voller Menschen. Was taten die hier? Verdammt was sollte das?
„Hallo – wo sind wir hier?“
„Halt dein dummes Maul“, bellte ihn jemand neben ihm an.
„Ist das die Geselschaft des Lichts?“ flüsterte er seinem Nachbarn zu. „Werden wir hier versteckt?“
„Nimm das Zeug aus der Tüte. Hier ist Endstation. Trump dieser Wichser – hier findet er uns nicht.“
Bobby sackte zusammen. Er dachte an seine Schwester. Wo war sie jetzt gerade? War sie auch hier? In diesem Drecksloch. Verdammt nochmal. Er griff in die Papiertüte – die war voller Pillen. Er dreht sich zu seinem Nachbarn.
„Was ist das für ein Zeug?“
„Nimm es und halts Maul. Hier ist Endstation.“
Das war also das Ende. Das Ende der Menschheit. Zurück ins Leben konnte er nicht. Er hatte jetzt auch kein Geld mehr. Wie weit würde er es schaffen? Er war gebranntmarkt, in Form von seiner Pigmentierung. Dieser Bastard beherrschte die halbe Welt. Vielleicht könnte er … nein unmöglich. Dann lieber alles vergessen. Vielleicht halfen diese Pillen ja dabei. Er griff in den Beutel und steckte sich eine in den Mund. Eine Weile lag er in der Dunkelheit und dachte an sein früheres Leben. Yes we can. Doch jetzt nicht mehr. Als die Pille zu wirken begann, tauchte sie ihn in hellstes Licht. Und dieser Drecksort voller Pisse und Scheisse erschien ihm als die einzig wahre Erlösung. Der alte van Soundso spielte in Dauerschleife seine Arie. Und er und seine Brüder und Schwestern schliefen. Schliefen in hellstem Licht. Solange, bis sie jemand wieder wecken würde.

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Zukunft

„Worüber sollen wir uns unterhalten?“, fragte sie.
Sie lagen beide im Gras, unter einem klaren Sternenhimmel.
„Weiß nicht.“ Dann sagte er nach einer kurzen Pause: „Sie haben endgültig die Straßenbeleuchtung ausgemacht.“
„Oh“, konnte sie nur erwidern.
„Sie brauchen den Strom für die Kommunikation und sowas. Viele haben Generatoren, nutzen sie aber nicht mehr. Es ist stockdunkel.“
Sie schwiegen wieder. Der Wind rauschte durch die Bäume, die die kleine Straße säumten. Ansonsten war kein Geräusch zu hören.
„Einige haben sich in der Schule versammelt“, sagte er nach einer Weile. „Die Meisten sind ja nach dem Abschluss nicht weit gekommen.“
So würde das Gespräch unweigerlich zum Thema Zukunftsträume und Kinderkriegen führen. „Was machen deine Eltern?“ Sie hatte ursprünglich nicht danach fragen wollen, aber jetzt fiel ihr nichts besseres ein.
„Sie haben… du weißt schon. Wie deine.“
Sie kramte in ihrem Gedächtnis. „Ich erinnere mich wie sie mich immer aus dem Haus gescheucht haben, wenn ich zu lange bei dir war. Als hätte ich einen schlechten Einfluss auf dich gehabt.“
„Aber nach der Schule haben sie immer gefragt, was du machst und wie es dir geht.“
„Wahrscheinlich hatten sie mehr Interesse als meine eigenen Eltern.“
„Wenn ich mir überlege, dass wir damals so schnell wie möglich erwachsen werden wollten. Damit wir wegziehen, und frei sein können - ‚frei‘. Alles umsonst.“
„Wir hatten beide keine Wahl, oder?“
„Wahrscheinlich nicht“, gab er zu. Dann schien er sich an etwas lustiges zu erinnern. „Weißt du noch was sie dir für eine Verkleidung für die Schulaufführung gebastelt hatten. Warte ich habs hier irgendwo.“ Neben ihr raschelte es. Auf einmal lachte er los. Sie erinnerte sich natürlich an das erste (und letzte) Schultheater, und an die Scham, die sie beinahe gelähmt hatte. Trotzdem lachte sie mit.
„Was solltest du eigentlich für ein Vogel sein? Eine Eule?“, fragte er kichernd.
„Ein Rabe“, sagte sie und er konnte sich nicht mehr halten.
Sie hatte auch einen Stapel von Fotos, wenn auch kaum welche aus der Schulzeit. Sie kramte eins hervor.
„Was hast du da?“, fragte er zwischen seinen Lachern.
Sie hielt es hoch. „Das letzte Mal als wir zusammen waren.“
Auf dem Bild waren zwei junge Menschen in einem Park zu sehen. Es war Sommer, die beiden waren nur leicht bekleidet. Sie saß im Rollstuhl, ihr Bein war eingegipst. Er stand hinter ihr, beide Hände auf ihren Schultern. Beide grinsten herzhaft.
„Dass du dir beim Konzert das Bein brechen musstest…“ Langsam klang sein Gelächter ab.
„Es war immer noch ein schöner Urlaub. Der beste.“
„Ja…“ Er fing wieder an etwas zu suchen.
Sie schaute sich noch mehr von den Fotos an. Plötzlich ertönte ein Lied. Es war genau die Gruppe, bei der sie von der Bühne gefallen war, vielleicht sogar das selbe Lied – so genau konnte sie sich nicht daran erinnern. Das Lied vertrieb die nächtliche Stille. Sie kratzte sich abwesend am Bein. Als es vorbei war, drehte er die Musik ganz leise, schaltete sie aber noch nicht ab.
„Ich frag mich wie es dort jetzt aussieht. Hier ist ja wenigstens Nacht - dunkel, leise, ziemlich entspannend.“
„Der Tag kann überraschend ruhig sein, wenn die Menschheit still steht.“
„Wahrscheinlich. Ich war ja gar nicht in der Stadt, seitdem das größte Chaos vorbei war. Wir hatten uns ziemlich früh einen Generator besorgt, und als der Strom weg war, hab ich weiter Musik gehört und alte Filme geschaut. Da fällt mir dieser eine Film ein, darin stirbt ein Mann und beobachtet als Geist was seine Freunde nach seinem Tod tun. Am Ende wurde er wiedergeboren.“
Sie hatte den Film auch kürzlich gesehen.
„Das funktioniert wohl nicht, wenn die Erde tot ist“, sagte er nachdenklich.
„Vielleicht kannst du ja durch den Weltraum fliegen.“
„Vielleicht“, sagte er beklommen, aber dann schien er wieder erheitert. „Ich wüsste gar nicht, wo ich hinfliegen sollte. Ich hätte mir zur Sicherheit eine Weltraumkarte angucken sollen.“
Sie versuchte wieder das Thema zu wechseln. „Hast du eigentlich eine Nachricht abgeschickt?“
„Natürlich nicht“, sagte er resigniert. „Ich wollte irgendwas sinnvolles schreiben, aber ich dachte mir, dass es nichts gibt, was nicht schon irgendjemand anderes sagen wird. Und wer weiß, ob das überhaupt jemand lesen wird. Ich hab mal wieder den einfach Weg gewählt.“
Darauf konnte sie nichts antworten. Zum Glück sagte er wieder was: „Mir ist kalt. Ich komm gleich wieder.“ Er verschwand um sich eine Jacke oder eine Decke zu holen. Anscheinend hatte er die Musik wieder ausgemacht, denn die Stille machte sich breit. Ihr war zwar nicht kalt, aber sie schauderte dennoch als sie die Augen schloss und die Sternendecke ausblendete. Die absolute Ruhe und die Dunkelheit drohten sie zu überwältigen. Sie streifte mit der Hand über den kurz geschnittenen Rasen, und konzentrierte sich auf das sanfte Geräusch. Bald hörte sie, wie er zurückkam, und sie machte die Augen wieder auf. Der Himmel erschien ihr noch klarer als zuvor.
„Schon etwas lächerlich, sich über Kälte Sorgen zu machen“, sagte er.
„Weißt du eigentlich wann es passiert?“, fragte sie.
„Nicht genau. Es gibt so eine Art Countdown, aber ganz exakt weiß es ja keiner. Und am Ende würde man nur noch auf Zahlen starren.“
„Dann könnte es jederzeit vorbei sein.“
„Innerhalb von Sekunden“, sagte er gekünstelt, als würde er jemanden nachmachen.
„Also könnte jedes Wort das letzte sein.“
„Ja.“
Es wurde kurz still. Er raschelte wieder mit den Fotos. Sie hatten abgemacht, dass sie nicht weinen würden, aber ihr saß nun trotzdem ein Kloß im Hals.
„Ich bin froh, dass du es doch noch geschafft hast“, sagte er und seine stimme bebte. „Ich hatte mich darauf vorbereitet alleine zu sein, aber mit dir zu reden ist… besser.“
Sie schwieg weiter, sonst wären die Tränen nicht mehr zu halten gewesen. Es war als würde er es ahnen. Er atmete tief ein. „Wenn jedes Wort das letzte sein könnte, sollten wir die Zeit einigermaßen sinnvoll verwenden. Etwas wirklich tiefgründiges bekommen wir auch nicht mehr hin.“ Sie konnte sein erzwungenes Lächeln förmlich hören. „Also dann - Abschied“, sagte er, und sie verstand. Sie hatten das Spiel üblicherweise am Ende ihrer Telefonate gespielt.
„Baum“, presste sie hervor und versuchte sich zu fassen.
„Chrissy.“
„Dennis.“ Ihre Namen kamen wie von selbst.
„Erinnerung.“
„Freunde.“
„Gefühle.“
„Hoffnung.“ Ihr Verstand sagte ihr, dass es kitschig wurde, aber nun waren sie in dem Moment gefangen.
„Jenseits.“
„Kinder.“ Das Wort war ihr herausgerutscht, und sie bereute es sogleich.
Er ließ sich nichts anmerken. „Liebe.“
„Musik.“
„Natur.“
Auf einmal kam ihr alles unwirklich vor. Dass die Erde zerstört werden würde, war nicht möglich, es war ein Irrtum. Das Ausmaß schien unbegreiflich.
„O, o…“ Sie stotterte, weil ihr nichts einfiel. „Ohnmacht“ wollte sie nicht sagen.
Dann fiel er ihr entsetzt ins Wort. „Es kommt.“ Sie sahen beide das Licht am Himmel. Den Rest schleuderte er ihr förmlich entgegen. „Ich werde dich finden.“ Dann kam nur noch Rauschen, und ein leises Schluchzen.
Der Stern hatte angefangen heller zu werden. In einigen Tagen würde er auch tagsüber sichtbar sein. Irgendwo hinter ihr tuschelte jemand, und sie richtete sich auf. Ihr Mann hielt das Kind in den Armen, und zeigte auf den Himmel. Sie hatte nicht gehört, wann sie hinausgekommen waren. Ihre Köpfe waren starr nach oben gerichtet. Sie lächelte und tat es ihnen gleich. „Offenheit“, murmelte sie und machte weiter mit den Wörtern die ihr jahrelang durch den Kopf geschwirrt waren, während sie ihr eigenes Schluchzen begleitete. Das letzte war „Zukunft“. Danach wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie stoppte das Abspielgerät, stand auf und ging zurück zum Haus. Ihr Mann schaute sie wissend an während er den Jungen absetzte. Dennis strahlte sie nur an. „‘upernova“, brachte er glücklich hervor.
„Richtig. Und jetzt ab ins Haus, kleiner Mann.“
Sie schoben ihn beide durch die Tür und gingen Hand in Hand hinein.

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Das Licht am Ende des Tunnels

„Wie sieht eigentlich das Licht am Ende des Tunnels aus?“
Es war eine der letzten Fragen, die ich ihm gestellt habe. Ich habe in den vergangenen Tagen wieder oft daran gedacht und dann war seine Stimme wieder in meinem Kopf und es war ein bisschen so wie früher. Fast so, als könnte ich ihn wieder neben mir, sein dunkles Lachen in meinem Ohr und mein Herz schneller schlagen spüren. Und ehe ich mich versah, katapultierten mich die Erinnerungen wieder zurück auf die Weide, wo wir den letzten Sommertag verbrachten. Die Wiese war noch feucht und der Tau glitzerte auf dem Gras. Ich hatte in der Nacht zuvor hören können, wie der Regen gegen mein Fenster peitschte. Unwillkürlich hatte ich mir Sorgen um ihn gemacht. Hoffentlich muss er nicht frieren, ging mir durch den Kopf und gleichzeitig wusste ich, dass es Unsinn war. Das kann er schließlich gar nicht. Ich konnte nicht schlafen und zählte stattdessen die Lampen an meiner Lichterkette. Als die Sonne aufging, vereinten sich das morgendliche Licht von draußen und das Flackern der Lampe in meinem Zimmer und ich wusste, dass heute das letzte Treffen bevorstand. Mein achtzehnter Geburtstag.
Ich war eines der Kinder, die sich immer wahnsinnig auf Geburtstage gefreut haben. Älter werden, größer werden, all das schien aufregend und erstrebenswert. Das Leben, das Erwachsene führen! Sie konnten so lange aufbleiben, wie sie wollten und überhaupt alles machen, wonach ihnen gerade war! Und dann hat sich V mir offenbart. Es war Zufall, hätte eigentlich nicht sein dürfen. Einen Fehler hat er es mal genannt.
Ich war im Supermarkt und mir fiel das Marmeladeglas aus der Hand. Ich bin ungeschickt, ich kann sogar im Stehen hinfallen. Meine Hände sind nie ruhig, ein bisschen zittern sie immer und deswegen entweicht öfter etwas meinem Griff. Ich ärgere mich dann über mich selbst, hebe es auf und mache weiter. Während sich das Glas noch im Flug befand, bückte ich mich bereits, um es aufzuheben, bevor jemand meine Ungeschicklichkeit bemerken konnte, aber dann passierte etwas, das ich noch nie zuvor gesehen habe: das Glas blieb in der Luft hängen. Drei oder vier Zentimeter über dem Boden schien es zu schweben und ich erstarrte in meiner Bewegung. Wie angewurzelt blickte ich auf den Gegenstand, der wie von Zauberei hängen geblieben war. Mein Herz schlug bis zum Hals, als ich mich fragte, ob ich mir alles nur einbildete, doch bevor ich meine eigene geistige Verfassung in Frage stellen konnte, wurde eine Gestalt sichtbar. Erst eine Hand, fest und sicher um das Glas gewunden, dann ein perfekt geformter Arm, gefolgt von dem Rest eines Körpers, der einem Jungen meines Alters gehörte. Mit offenem Mund starrte ich ihn an, während er graziös aufstand und mir das Glas überreichte. Ich bemühte mich, weiter zu atmen und bevor auch nur ein Wort aus mir herausplatzen konnte, legte er einen Finger auf die Lippen und wies mich zum Schweigen auf. Ich gehorchte, zu verwirrt, um seine Hand, die sich um meine schloss, abzuweisen. Sanft, aber bestimmt zog er mich aus dem Laden und mir fiel vor lauter Schock nicht einmal auf, wie ich den Einkaufskorb samt Inhalt aus dem Geschäft führte, ohne zu bezahlen. Niemand hielt und auf, nicht einmal zu sehen schienen die anderen Leute uns. Mit eleganten und befremdlich weichen Schritten führte er mich einmal um den Block in eine Seitengasse, bevor er mich losließ und sich zu mir wendete. Ich nahm erneut einen tiefen Atemzug und setzte zu einer Frage an, die erste von Millionen, die sich in den letzten Sekunden in meinem Kopf gebildet hatten: „Was…“
Bevor ich zu Ende gesprochen hatte, hörte ich seine Stimme zum ersten Mal: „Es tut mir Leid. Das hätte nicht passieren sollen. Ich bin ausgerutscht.“
„Wer bist du?“, stieß ich in diesem Moment aufgebracht heraus.
„Uh, Verzeihung, ich vergesse ständig, dass du mich nicht kennst. Ich habe keinen Namen, aber ich weiß, dass ihr Menschen gerne Dinge benennt, deswegen kannst du mich einfach V nennen, wenn das für dich in Ordnung ist.“
„Wir Menschen? Was soll das bitte heißen?“ Ich konnte selbst ein Beben in meiner Stimme feststellen und machte einen bewussten Schritt rückwärts. Wahrscheinlich wäre es angebracht gewesen, ihm den Einkaufskorb samt Inhalt ins Gesicht zu schleudern und um mein Leben zu rennen, aber etwas hielt mich zurück. Ich konnte das Gefühl in diesem Augenblick nichts zuordnen, aber eine seltsame Wärme hatte sich in meiner Brust breitgemacht. Nachdem der erste Schock abgeklungen war, fühlte ich mich unangebracht wohl in diesem Moment.
„Na ja, ich bin dein Geist. Jeder Mensch hat einen, wir dürfen uns eigentlich nicht zeigen. Ihr sollt nicht wissen, dass man euch beschützt, sonst werdet ihr achtlos und macht eure Entscheidungen von uns abhängig. Das hat sich in der Vergangenheit als fatal erwiesen, daher haben wir in den letzten Tausend Jahren nur im Hintergrund agiert. Aber es ist schwerer als man meinen mag, ich meine du bist so furchtbar tollpatschig und jedes Mal muss ich mich zurückhalten, nicht einzugreifen, aber vorhin bin ich ausgerutscht. Für eine dumme Marmelade.“
Er verzog sein Gesicht und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn.
„Warte, du bist immer überall, wo ich bin?“
„Fast, manchmal müssen wir auch unsere Sachen erledigen. Meist verschwinde ich für ein paar Stunden, wenn du schläfst, da kümmert sich das Traumreich dann um dich, das ist nicht mehr mein Revier.“
„Moment, du folgst mir bis nach Hause?“ Die Vorstellung, permanent ungefragte männliche Begleitung zu haben, fand ich in diesem Augenblick durchaus irritierend. Gleichzeitig konnte ich meinen Blick nicht von seinem Gesicht abwenden. Seine Haut schien so glatt, als könnte man hindurchsehen und seine Augen waren von einem so hellen grau, dass es schien, als würden sie einen erstarren lassen können.
„Klar, sonst kann ich meinen Job nicht machen. Muss dir jetzt nicht einmal peinlich sein, ich bin schon seit siebzehn Jahren mit dir zusammen, ich kenne dich inn und auswendig mittlerweile. Das Problem, das wir jetzt aber haben, ist, dass du mich gesehen hast.“
Wir. Ich versuchte, nicht rot zu werden, aber das machte es auch nicht besser. Auch das Grinsen, dass er zu unterdrücken versuchte, als er meine Reaktion bemerkte, half nicht. Schnell versuchte ich es zu überspielen, indem ich eine Frage hinterher schob: „Äh, kannst du nicht einfach wieder unsichtbar werden?“
„Das ist es ja - eben nicht. Als du bemerkt hast, dass das Glas nicht wie eigentlich von der Natur gewollt auf dem Boden aufgeschlagen ist habe ich mich bemerkbar gemacht und damit ist meine Mission praktisch gescheitert und ich dadurch wurde ich für dich sichtbar. Es ist mein Fehler, ich kann es gerade auch nicht wirklich glauben. Aber ich schätze, jetzt kann ich mich dir auch mal richtig vorstellen. Schön, dich jetzt also auch ganz formell kennenzulernen.“ Mit einer schwungvollen Bewegung ergriff er meine Hand und schüttelte sie. Und so lernte ich V kennen.
Es stellte sich heraus, dass Geister auch nach dem Entdecken nur von ihren Zugehörigen gesehen werden können. Die Wochen, die folgten, waren neu und aufregend. V fühlte sich vom ersten Moment an wie ein Teil von mir, was er vermutlich auch war. Wenn ich an ihn zurückdenke, bin ich selbst überrascht, wie leichtwillig ich ihn als meinen Geist akzeptiert hatte. Irgendwie schien es falsch, ihn in Frage zu stellen, ich konnte die Verbindung zwischen uns fast physisch spüren und es war schön, immer jemanden dabei zu haben, der einen mit einem Gefühl von Wohlsein umgab. Seine Existenz wurde zu unserem Geheimnis, dass uns noch enger miteinander verband. Wie eine warme Decke, die einen in einer kalten Nacht umwickelt, machte mein Herz jedes Mal einen Sprung, wenn ich ihn ansah und es war, als kannten wir uns bereits seit Ewigkeiten. Er hat mich verändert, es war als könnte ich mein Leben in eine Zeit vor und eine Zeit nach ihm teilen: Dinge, die mich wochenlang beschäftigt haben, schienen auf einmal nicht mehr wichtig und alles war wie in einen Farbtopf geworfen.
Es war nach ungefähr zwei Monaten, als sich eine Veränderung bemerkbar machte. Ich weiß noch, wie ich mich zu ihm umdrehte und er mit zusammengezogenen Augenbrauen auf seine Finger starrte. Fragend sah ich ihn an und er richtete seinen Blick auf mich uns streckte seine Hand nach mir aus. Als ich sie ergreifen wollte, entglitt ein spitzer Schrei meinen Lungen. Seine Finger schienen durchsichtig. „Was ist das?“, fragte ich erschrocken.
„Ich schätze, es fängt an“, er räusperte sich und schluckte. „Ich… ich habe es dir nicht erzählt, weil ich… na ja, ich hatte gehofft, dass es nicht passieren würde.“ Zum ersten Mal schien er nach Worten zu ringen. „Weißt du, wie ich erzählt habe, wie Geister sich nicht offenbaren dürfen? Es ist unser oberstes Gebot. Was ich begangen habe, ist sowas wie Hochverrat. Ich werde vor eine Art Gericht müssen, um mich zu rechtfertigen und dann wird über meine Zukunft entschieden. Es scheint, als würden sie mich nun herbeirufen. Die Transformation hat ehrlich gesagt schon gestern begonnen. Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich dich nicht beunruhigen wollte, aber das war dumm, es ist ja nicht so, als könnte ich es verbergen. An der Geschwindigkeit der Transformation zu urteilen habe ich jetzt noch ungefähr zwei Wochen und dann…“ Er zuckte mit den Achseln, ohne den Satz zu beenden. Es war das erste Mal, dass ich ihn um Worte ringen erlebte. Die Stille, die folgte, schien Erklärung genug.
Ich weiß nicht einmal, ob es angebracht ist, das zu sagen, aber ich liebe ihn. Sein letzter Tag bei mir wird heute sein. Ich habe nicht geweint, es fühlt sich zu unwirklich an, aber wenn ich an morgen denke, kann ich den Kloß in meinem Hals spüren. Es ist, als könnte ich durch den bloßen Gedanken daran mein eigenes poröses Herz in zwei Teile brechen. Ich weiß nicht, was morgen sein wird, wenn ich versuchte, in die Zukunft zu blicken, sehe ich nur einen langen dunklen Tunnel, der sich bis in alle Ewigkeiten weitererstreckt. Denn das Licht, das am Ende warten soll, das wird für mich heute ausgehen.

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Lichtbegleiter

Schon lange hielt die diesjährige Dunkelheit an. Länger als sonst. Jedes Jahr um dieselbe Zeit verdunkelten Verschmutzungen in der Atmosphäre den kompletten Globus. Woher der Schmutz kam, und was es war, wusste niemand so genau. Vermutungen gab es.
„Das ist die Strafe Gottes“,
da war sich die kleine grauhaarige Frau von der Ecke sicher.
„Chemtrails, ich sag’s euch“,
meinte darauf ein Mann, der vorüberhastete und mich im grauen Dämmerlicht anrempelte.
„Kein Problem, nix passiert“,
brummte ich mürrisch. Aber natürlich hörte der Typ nicht zu. Niemand hörte mehr zu. Es war fast so, als würden durch das Gleichgültigwerden des einen Sinnes, die anderen Sinne ebenso an Bedeutung verlieren. Der Aufmerksamkeitsradius der Menschen schrumpfte mit jeder Stunde, die die Dunkelheit andauerte. Immer engere Kreise um das eigene Ego ziehend zogen sie durch die Straßen um das Nötigste zu erledigen. Die Kleidung passte sich der Atmosphäre an. Grau in Grau. Ab und zu mal ein brauner Akzent. Der Mensch wehrte sich nicht, er gab auf.
Seufzend erhob ich mich von dem kleinen Mäuerchen auf dem ich die letzte halbe Stunde gesessen, und das Treiben der Leute beobachtet hatte. Seit acht Jahren kam es jetzt wiederholt zu diesem Naturschauspiel. Tagelang wurde das Sonnenlicht so gut wie komplett abgeschirmt. Ein dichter Filter aus Staub, der irgendwie irgendwo in die Atmosphäre gelangt war. Es war in etwa so hell wie früher, als bei klarem Himmel der Vollmond schien. Nur nicht so romantisch.
Ich sehnte mich dem Ende dieser Zeit entgegen. Nicht weil mich die Dunkelheit fertigmachte. Aber das Verhalten der Leute, das war kaum auszuhalten. Ich schlenderte durch die Fussgängerzone. Es war Samstag, viele Leute waren unterwegs. Und doch war es merkwürdig still. Ein Gitarrenspieler spielte Sound of Silence. Passend. Ich kramte in meinen Jeanstaschen nach einem Euro. Das Geld fiel dumpf in die spärlich gefüllte Gitarrentasche, ohne zu klimpern.
Der Musiker nickte traurig, um sich zu bedanken.
„Silence like a cancer grows…“
Unheimlich, wie gut die Zeilen von Simon & Garfunkel zu unserer kleinen Stadt in diesen Tagen passten. Leise das Lied vor mich hin summend trottete ich weiter.
Es war eigentlich nicht zu übersehen gewesen. Und doch schien niemand außer mir es gesehen zu haben. Und doch war es da gewesen. Ganz sicher. Ein kleines Licht. Ungefähr auf Höhe der Eisdiele war es auf einen Mülleimer gehüpft, und dann um eine Ecke verschwunden. Verwirrt starrte ich auf den Punkt wo das Licht verschwunden war. Die Bewegung hatte sich in meine Netzhaut gebrannt und flimmerte nun lästig bunt in meinem Sichtfeld.
Langsam ging ich auf die Ecke zu, hinter der die kleine Leuchtkugel verschwunden war. Noch immer reagierte sonst niemand auf meine Beobachtung. Ich kam an der Eisdiele vorbei, die nur noch eine Geschmackssorte anbot, weil sich die Leute in diesen Tagen wohl auch das Interesse an Geschmack verloren. Ich lugte um die Ecke. Das Licht Hüpfte unter einer Sitzbank umher und pickte mit den Tauben nach Brotkrumen. Jedenfalls sah es so aus. Ich war fest davon überzeugt so langsam bescheuert zu werden. Lichtentzug. Oder sowas. Ich machte einen Schritt auf die Bank zu.
Das kleine Licht erstarrte, sprang dann in die Höhe, stieß sich an der Sitzfläche der Bank und hüpfte etwas schief darunter hervor, jetzt nicht mehr ganz so rund wie vorher. Behutsam kniete ich mich hin. Das Licht zögerte. Ich hielt meine geöffnete Handfläche vor mich hin, kam mir dabei aber ziemlich dumm vor. Das Licht Hüpfte zaghaft auf mich zu. Einen halben Meter verharrte es, und knabberte an einem Löwenzahn, der mühsam durch die Pflastersteine gewachsen war.
Da bekam ich eine Idee. Wieder kramte ich in den Tiefen meiner Hosentaschen und holte diesmal ein klebriges eingewickeltes Bonbon hervor. Ich pulte die Folie von der klebrigen Masse und legte sie mir in die Mitte der Handfläche. Das kleine Licht schnüffelte. Wie so Lichter eben schnüffeln können. Ich erzähl euch doch nur wie ich es erlebt hab. Also, es schnüffelte. Aufgeregt rollte es auf mich zu. Ich legte meine Hand flach auf den Boden. Das Licht kullerte über meine Finger Richtung Bonbon. Es war sehr warm. Im ersten Moment hatte ich den Reflex es abzuschütteln, doch ich besann mich. So warm war es jetzt auch wieder nicht. Eher so wie eine angenehm heiße Badewanne. Es fühlte sich nicht so richtig fest an, aber auch nicht so richtig weich. Ich hatte noch etwas Ähnliches gefühlt. Wenn ich es beschreiben müsste, dann würde ich sagen wie trockener, nicht klebriger Wackelpudding.
Das Licht war inzwischen bei dem Bonbon angekommen und schien sehr begeistert. Es hüpfte im Kreis auf meiner Handfläche herum und pulsierte dabei in leichten Farbvariationen.
Auf einmal blieb es sitzen. Mit einem kleinen Strahl des Lichts kostete es vorsichtig von dem Bonbon. Nachdem dieser Test anscheinend erfolgreich war, griff es beherzt mit zwei kleinen Lichtpfoten zu, und stopfte sich das Bonbon in sich selbst hinein. Ich zuckte zusammen als es plötzlich in meinen Ärmel huschte, innen den Am hinauf rollte, aus meinem Kragen sprang, sich auf meine Schulter setzte und mir ins Ohr schnurrte. Jedenfalls glaube ich, dass es Schnurren sein sollte, es klang eher wie das bekannte Netzbrummen aus Trafos oder anderen elektrischen Bauteilen.
Inzwischen war ich zu dem Schluss gekommen, dass ich einfach einen sehr realistischen Traum hatte. Aber irgendwie gefiel mir das. Dem kleinen Licht auf der Schulter wohl auch, denn es rieb sich an meinem Hals und schnurrte weiter. Ich beschloss, ihm einen Namen zu geben. War es männlich oder weiblich? Ich überlegte. Das Geschlecht war eigentlich egal, nur der Name musste gut sein. Ich entschied mich am Ende für Nepomuk, so wie der kleine Halbdrache aus Jim Knopf und Lukas. Nepomuk war das anscheinend egal. Er langweilte sich anscheinend, rollte mir den Rücken herunter in meinen Rucksack, und verschwand darin. Auch gut. Dann sind wir nicht so auffällig. Obwohl uns immer noch niemand bemerkt zu haben schien.
Ich schloss mein Fahrrad auf, schwang mich auf den Sattel und trat in die Pedalen. Ich fuhr nicht nach Hause, sondern zu meinem eigenen kleinen Versteck, einer Hütte am Waldrand. Dort war ich ungestört. Normalerweise war es hier malerisch schön, eine kleine Lichtung lag hinter dem Häuschen, die außerhalb der dunklen Zeit ein Geheimtipp für naturbegeisterte Leute war. Ein kristallklarer Bach plätscherte durch das hohe Gras, Rehe und Wildschweine streiften durch die Sträucher auf der Suche nach Nahrung, unzählige Blumen lockten ebenso so unzählige Insekten an, die wiederrum Waldvögel jeder Art köderten.
Jetzt in der Dunkelheit war die Lichtung aber wie ausgestorben. Nur der Bach plätscherte noch, was in der Stille aber unheimlich klang.
Ich stieß die Tür zu der Hütte auf. Elektrisches Licht hatte ich hier oben nicht. Aber ich hatte einige alte Öllampen und Kerzen aufgestöbert, die ihren Dienst zufriedenstellend verrichteten. In der Ecke stand außerdem ein kleiner Holzofen. Ich entzündete eine der Lampen und stellte den Rucksack auf den Holztisch, der in der Mitte des Raumes stand. Die Wände hatte ich mit bunten Postern meiner Lieblingsfilme und -spiele geschmückt, der Boden war mit bunten Teppichfetzen bedeckt. An der einen Hüttenwand stand eine kleine Campingküche, gegenüber hatte ich mir ein kleines Bett aufgestellt. Ansonsten füllten Regale mit allem möglichen Krimskrams die Hütte.
Ich öffnete den Rucksack. Der Inhalt war ziemlich zerwühlt. Nepomuk hatte sich aus meinen Sportsocken und dem Butterbrotpapier ein kleines Nest gebaut. Er sah sehr zufrieden aus wie er da drin lag. Als ich in den Rucksack griff um die Vorräte heraus zu holen, die ich für die Hütte eingekauft hatte, zuckte er zusammen und sprang aus dem Rucksack. Auf dem Tisch verharrte er.
„Ja, hier wohn ich. Meistens“,
versuchte ich ihm zu erklären. Warum überhaupt mit einem Licht sprechen, wie bescheuert. Aber war ja wahrscheinlich eh nur ein Traum. Nepomuk wackelte fragend hin und her. Dann schien er die Lampe zu bemerken, die ein bisschen jämmerlich vor sich hin glomm. Mit einem einzigen Satz hüpfte er hinein. Ein Lichtblitz füllte den Raum, steckte die anderen Lampen an, entzündete die Kerzen und lies mich kurz blind werden. Ich taumelte zurück, stieß mir den Kopf an einem Querbalken und fiel auf das Bett. Mit tränenden Augen rieb ich mir den Schädel. Als sich die Sterne vor meinen Augen wieder legten, sah ich wie meine Hütte in einem warmen gelben Licht erstrahlte. Sämtliche Lichtquellen im Raum leuchteten und pulsierten leicht. Nepomuk saß zufrieden auf einer leeren Pizzaschachtel und wippte auf dem offenen Deckel auf und ab. Dann ließ er sich von der Pappe wie von einer Feder durch den Raum schleudern, landete neben mir auf dem Bett, und vergrub sich im Kissenbezug.
Ich lachte. Ich konnte gar nicht anders. Ich lachte und lachte und lachte, und als ich nicht mehr konnte lag ich einfach nur japsend da und starrte an die hell erleuchtete Hüttendecke. Das war ein toller Traum. Hoffentlich klingelt der Wecker noch nicht bald.
Auf einmal klopfte es. Ich fuhr hoch. Kaum jemand kam hier hoch, erst recht nicht während der dunklen Tage.
„He-Herein!“
krächzte ich, vom Lachen ganz heiser geworden.
Die Tür knarrte leise, als sie aufgedrückt wurde. Ein Mädchen steckte ihren Kopf in den Raum. Hier waren noch nie Mädchen vorbeigekommen. Schnell versuchte ich mich in eine ansehnlichere Position zu bringen.
„Wer bist du denn? Was willst du hier?“
„Ich? Gar nichts. Sie aber.“
Erstaunt fiel mein Blick nach unten. Zwischen ihren Füßen regte sich etwas. Ein kleines Licht kam über die Schwelle gekullert und rollte in die Hütte.
„Du hast auch so eins?“
rief ich völlig entgeistert. Nepomuk schreckte aus seinem Kissenbezug hervor. Wir stießen gegeneinander, er trudelte über das Bett und fiel auf die Dielen des Hüttenbodens.
„Oh, deshalb wollte sie mit mir hier hoch!“
sagte das Mädchen, und ihr Blick erhellte sich.
„Schau mal Lux, da ist ein Freund von dir!“
Das kleine Licht zwischen ihren Füßen hielt inne. Nepomuk ebenso. Den Bruchteil einer Sekunde verharrten beide in ihrer Position, dann rasten die Lichter aufeinander zu, trafen sich unter dem Tisch und hüpften aufgeregt voreinander auf und hab, wobei sei schnell pulsierten.
„Sie kommunizieren“,
flüsterte das Mädchen ehrfürchtig. Für mich war das alles zu viel. Ich brachte nur einen fragenden Laut hervor. Sie sah mich an.
„Wo hast du es gefunden? Wie lange hast du es schon? Lux ist jetzt schon ungefähr acht Jahre bei mir, aber wir haben noch nie ein anderes Licht gesehen.“
„Äh also, ja, ich habe Nepomuk vorhin unter einer Bank gefunden und ihm ein Bonbon geschenkt.“
„Ich habe Lux damals in einem Getränkemarkt in einem Pfandautomaten entdeckt. Sie war sehr scheu. Ich dachte auch erst es ist alles nur ein Traum. Aber welcher Traum dauert schon 8 Jahre“
lachte sie.
„Mit der Zeit habe ich einen Weg gefunden mich mit ihr über Lichtsignale zu unterhalten. Sie kommt von einem weit entfernten Planeten. Als sie eines Morgens zur Arbeit gefahren ist kam sie im Hyperraum von der Bahn ab und rutschte eine Dimensionsböschung hinunter. Dadurch landete sie hier auf der Erde. Seitdem wird sie von ihren Freunden gesucht, die jedes Jahr hier durchfliegen. Der Antrieb der Suchraumschiffe hat leider keinen Partikelfilter, und verdunkelt deshalb jedes Mal die Sonne.“
Mit offenem Mund starrte ich sie an. Die war ja völlig wahnsinnig. Nepomuk nahm Lux bei der Hand und hopste mit ihr vor die Hütte. Er ließ sie wieder los, und schrumpfte auf einmal langsam in sich zusammen. Gebannt sah ich ihm dabei zu. Auf einmal schoss aus der kleinen Lichtkugel ein dünner Lichtstrahl in den Himmel, der zwischen den Wolken verschwand.
„Er sagt wohl den anderen Bescheid“
flüsterte mir das Mädchen ins Ohr. Wir standen einige Minuten still da. Dann erfüllte ein Summen und Rauschen die Luft. Durch die Bäume schwebte ein kleines Raumschiff herab und landete auf der Lichtung. Eine Luke öffnete sich. Aufgeregt hüpften Nepomuk und Lux darauf zu und hinein. Ich blickte zu dem Mädchen. Sie hatte Tränen in den Augen.
„Tschüss meine Kleine“
Mit den beiden Passagieren an Bord erhob sich das Ufo sanft vom Boden, beschleunigte scharf, und verschwand dann in der dunklen Nacht.
Das Mädchen sah mich an.
„Ich hab‘ Hunger, lass uns was essen gehen“ sagte sie.

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La Luce Sulla Parete

Wenn er erwachte, war es immer dunkel.
Selten war es eine durchdringende Dunkelheit. Meist konnte man die Schemen der
Gegenstände in dem kleinen Zimmer ausmachen; es herrschte stets eine diesige,
unbestimmte Dunkelheit, die die Stimmung drückte und sich perfekt an die Stille
schmiegte. Auch diese war nicht perfekt, gedämpft klang von irgendwoher das
Klappern von Geschirr. Draußen bellte kurz ein Hund, der sich rasch zu
entfernen schien. Der ganze Raum wirkte wie in Watte gepackt, erdrückend,
düster. Es kam ihm vor, als wäre auch der Sauerstoff dünn und voller Staub. Er
atmete schwer.
Er wusste nicht, wie lange er schon auf diesem Bett lag. Es war hart, die
Bettdecke ein verwaschenes, unfreundliches blassgrün, das für ihn meist eher
nach schmutzigem grau aussah. Auch die Uhrzeit einzuschätzen fiel im schwer.
Ihm war nur bewusst, dass er seit vielen Tagen hier lag, nahezu bewegungslos.
Er dachte wenig, schlief gelegentlich, wachte irgendwann wieder auf. Manchmal
kamen Menschen ins Zimmer, immer die gleichen Menschen, kaum zu unterscheiden
mit ihren immer gleichen grauen Gesichtern, ihren groben Händen und der
grimmigen Stimmung, die sie ausstrahlten. Sie halfen ihm zweimal am Tag, seine
Notdurft zu verrichten, wuschen seinen zerstörten Körper, brachten ihm Essen,
gelegentlich neue Bücher, die er nie las. Auf dem Stapel neben seinem Bett in
der hinteren linken Ecke des Zimmers breitete sich eine dicke Staubschicht aus.
Auch Kerzen brachten sie, die er nie anzündete. Oft nahmen sie die Gegenstände gleich
wieder mit, vermutlich wenn sie den Ausdruck in seinem Gesicht sahen. Manchmal
kamen sie auch, setzten sich an sein Bett und sprachen mit ihm. Er hörte nicht
zu. Die Worte flossen ineinander und ergaben keinen Sinn. Manchmal meinte er
einige Gesichter dieser Leute wiederzuerkennen, aber er konnte sich nicht
erinnern.
All diese Dinge taten die grauen Menschen für ihn, doch nie lösten sie seine
Fesseln. Es war nicht ihre Schuld.

Er wusste nicht, wieso. Oder wann, oder wie. Doch eines Tages änderte sich
etwas. Es geschah in etwa zu der Zeit, als der Lufthauch, der durch das
manchmal geöffnete Fenster strich, ihn nicht mehr ganz so sehr erzittern ließ.
Licht an der Wand.
Er war gerade aus einem kurzen, unruhigen Schlaf erwacht, als er es sah. Durch
das Fenster an seiner linken, das etwas weiter vorne im Raum eingelassen war,
fiel ein Lichtstrahl an die Wand rechts von ihm, neben der Tür. Die mattgraue
Farbe schien plötzlich golden zu leuchten. Er starrte auf die Stelle. Mit der
Zeit wanderte der Fleck in Richtung der Tür, erfüllte das dunkle Eichenholz mit
einer unmöglichen, befremdlichen Wärme. Kaum war der Lichtstrahl
weitergewandert, erkaltete das Holz sofort und strahlte wieder seine ernste,
schwere Unfreundlichkeit aus.
Er beobachtete, wie das Licht langsam seinen Raum durchquerte, vorbei an dem
Desinfektionsmittelspender neben der Tür, einer kleinen, vergoldeten Holzfigur,
die er nie zuvor bemerkt hatte, und einem Regal, das bis auf eine Vase mit
halbvertrockneten Schnittblumen leer war. Schließlich erreichte es die ihm
gegenüberliegenden Schränke und verblasste dort, als die Sonne unterging. Er
lag noch lange mit klopfendem Herzen in der Dunkelheit und dachte mit weit
geöffneten Augen an das Licht.

Einige Zeit später - er hatte dazwischen mehrere Male geschlafen, die
Dunkelheit war längst wieder dem diesigen Halbdunkel gewichen, das fast genauso
lang andauerte - sah er das Licht wieder. Er konnte den Blick nicht abwenden.
Er beobachtete fasziniert, wie die Staubflocken im Licht tanzten, völlig
unbeeindruckt von den Grauen der Welt. Ihr Tanz war chaotisch, ohne Ordnung
oder Mühe, sie schwebten in den Lichtstrahl, drehten sich eine Weile
geräuschlos um sich selbst, glitten wieder in die Dunkelheit zurück, die sie
unsichtbar machte. Nur im Licht konnte sein Auge sie wahrnehmen, doch führten
sie ihren Tanz nicht ruhelos, endlos im Verborgenen weiter?
Sinnlose Träumereien eines zerstörten Mannes. Sie hielten ihn bei Verstand.

Als das Licht zum dritten Mal erschien, hatte er schon darauf gewartet. Er sah
dabei zu, wie zuerst die schweren Vorhänge des Fensters beleuchtet wurden,
sodass der schmutzige Kunststoff hell und durchscheinend wirkte wie Seide. Als
es sich schließlich ein Stück weiterschob, fiel ihm auf, dass es für einen
kurzen Moment die Metallstange neben ihm streifte, bevor es auf die Wand
gelangte. Für diese kurzen Sekunden reflektierte die Stange, an der seine
Maschinen befestigt waren, das Licht. Für einen Moment schienen sogar sie
beinahe etwas Schönes zu sein.

Von hier an begann sein Leben wieder eine Art Struktur wiederzuerlangen. Tage
bekamen wieder eine Form; er fing an, die Helligkeitsgrade im Zimmer
geschätzten Uhrzeiten zuzuordnen, begriff, dass die grauen Menschen immer
vormittags kamen, wenn die Dunkelheit sich gerade verflüssigte, und dann meist
noch einmal, wenn das Licht an der Wand bereits verschwunden war. Manchmal
öfter. Er begann darüber nachzudenken, warum er das Licht erst jetzt sah, und
nach und nach wurde ihm klar, dass mittlerweile Frühling sein musste. Die Sonne
stand erst jetzt im richtigen Winkel zu seinem Fenster.
Wenn er das Licht ansah, kam es ihm vor, als füllte ihn eine innere Wärme aus.
Die Sonne scheint immer. Sie wärmt. Sie sorgt für alle Lebewesen. Manchmal,
wenn er das Licht betrachtete, dachte er sich Geschichten aus: von endlosen
weißen Stränden, Palmen und dem salzigen Geruch von Meer, Sonne brennend heiß
auf seiner Haut; von herrschaftlichen Burgen auf Bergspitzen, durch deren
mannshohe Fenster Wellen an Licht fluteten und die grauen Steine mit Leben
erfüllten; von dichten, uralten Wäldern, deren geschlossene Blätterdecke das
Licht filterten und wo dadurch hunderte von Lichtpunkte den Waldboden übersäten. Andere
Male dachte er aber auch nichts, und genoß nur die Friedlichkeit des Lichts in
der Stille um ihn.

Am Morgen des zehnten Lichts, als eine der grauen Personen das Fenster öffnete,
schob sie die Vorhänge danach wieder zu. Er erhob sich halb aus seinem Bett,
weiter als er es noch vor Wochen für möglich gehalten hätte. “Bitte machen
Sie die Vorhänge ganz auf”, krächzte er. Die Person starrte ihn an, er
musste den Satz wiederholen, seine Stimme war brüchig und unverständlich geworden.
Die Person schob die Vorhänge weit auseinander, und er verbrachte den späten
Nachmittag damit, das Licht bei seiner Reise durch den Raum zuzusehen. Wie gern
er früher gereist war, er erinnerte sich wieder. Paris hatte er gesehen, sogar
Australien. In Oslo hatte er Lynn kennengelernt.

Am Tag des elften Lichts brachten einige der grauen Menschen einen Rollstuhl.
Es waren mehr Leute als sonst, ihm kam es so vor, als kannte er zwei von ihnen
schon lange. Er wusste nicht, woher.
Ein Rollstuhl. Skeptisch und müde wollte er ablehnen, aber bald würde das Licht
auftauchen, und vielleicht konnte er es von einer anderen Position aus noch
besser betrachten. Er ließ sich hineinhelfen. Sitzen war anstrengend, aber
nicht unangenehm. “Wir lassen dich jetzt mal alleine, damit du dich daran
gewöhnen kannst. Wenn du Hilfe brauchst, drück einfach den Knopf, dann kommt
gleich eine der Schwestern.” Es war eine Frauenstimme, hoch, beinahe
vertraut. Als er wieder allein war, rollte er mühsam zu der Stelle, wo gleich
das Licht auftauchen sollte. Als es erschien, drehte er seinen Oberkörper so,
dass es ihm direkt ins Gesicht statt an die Wand leuchtete. Das war seltsam.
Das Licht strömte durch seine Augenlider, die Welt war gelb und orange. Er
vermisste das Leuchten an der Wand, doch er genoss die direkte Wärme.
Eigenartig, dachte er. Dass ich dieses Licht so sehr mag und das weiße so sehr
hasse. Weiß wie die Autoscheinwerfer auf der vereisten Straße, weiß wie der
gleißend weiße Raum kurze Zeit danach, steril und mit aufgeregt arbeitenden,
weiß-grünen Menschen, ein Raum voller Schmerzen.
Der Gedanke ließ ihn so sehr erzittern, dass er beinahe das Gleichgewicht
verlor. Er rief nach den Schwestern und betrachtete kurz darauf wieder das
Licht an der Wand.

Vom dreizehnten bis zum fünfzehnten Tag regnete es. Es brachte ihn nicht so
sehr aus der Fassung, wie er gedacht hätte. Als ihm die Pfleger wieder in den
Rollstuhl helfen wollten, lehnte er jedes Mal ab. Es war nicht ihre Schuld.

Manchmal, wenn er sich dazu entschlossen hatte, dem Licht in seinem Rollstuhl durchs Zimmer zu folgen - hin und wieder ein Stück weiterrollend, um den wärmenden Lichtschein im Gesicht zu behalten – stellte er sich vor, einfach von der Sonne aufgesogen zu werden. Das Licht reiste über so unvorstellbar große Distanzen, nur um in dieses winzige Zimmer und in sein winziges Leben zu fallen… Plötzlich wünschte er sich mehr als alles andere,
durch den Strahl zu schweben, durch Wolken und Sphärenschichten, um mit den
Lichtpartikeln bei der Sonne im Weltraum zu leben. Auch wenn er gleich danach
sterben müsste. Vielleicht gerade dann.
…Mehr als alles andere?
Was für ein armseliger Egoist er doch war.

Am siebenundzwanzigsten Tag war es sehr warm für Ende April, und seine Eltern
überredeten ihn, mit dem Rollstuhl einen kleinen Ausflug zum nahegelegenen
Fluss zu machen. Das Sonnenlicht auf seiner Haut war angenehm, aber es erfüllte
ihn nicht so sehr mit friedlicher Ruhe wie das Spiel von gelbem Licht auf
grauer Wand, Licht und Schatten. Es war zu anstrengend, selbst über den Rasen
zu fahren, und so musste er geschoben werden. Er fühlte eine unbestimmtes,
unangenehmes Gefühl dabei, von dem er geglaubt hatte, dass er darüber längst
hinaus war. So etwas wie Scham? Lächerlich. Für weite Teile der Fahrt starrte
er nur auf seine toten Beine oder drehte seinen Kopf ins Sonnenlicht. Nur
gelegentlich bemühte er seine Stimme, um mit knappen Worten auf eine der
zaghaft gestellten Fragen zu antworten.

Die Ärzte sagten, er machte Fortschritte. Er zweifelte daran. Nach wie vor
war er zu schwach für Physiotherapie, lehnte sie ab. Nach wie vor verließ er kaum das Krankenhaus. Nach wie vor ertrug er keine Form von Helligkeit außer dem Sonnenlicht. Und es war nicht ihre Schuld.

Am vierundvierzigsten Tag würde Frau Fischer kommen. Sie war Anwältin. Seine Mutter
hatte ihn vorgewarnt, doch das machte es nicht einfacher. Er hatte nachts zuvor
kein Auge zugetan. Er lag einfach in seinem Bett, erschöpft und verängstigt
zugleich, und betrachtete die Schatten, die die im Raum verteilten
Gerätschaften, die Maschinen und der Rollstuhl, im Mondlicht warfen. Das trübe
blaue Licht, das sich auf diese Weise im Raum ausbreitete, war nicht so schön
wie das der Sonne, breiter, schwerer und melancholischer. Doch er wusste nicht,
was er bei Neumond getan hätte - wenn ihn die Dunkelheit umgeben und zu
ersticken gedroht hätte wie ein zu weiches Kissen auf seinem Gesicht.

Nachdem die morgendliche Routine abgeschlossen war, wartete er auf die
Anwältin. Sollte sie nicht vormittags kommen?
Es war so viel schwerer, auf sie zu warten als auf das Licht.

Am späten Nachmittag tauchte sie auf. Es war nicht dunkel im Zimmer, doch
sobald sie durch die Tür getreten war, schaltete sie alle Lichter an. Er
drückte sich beide Arme über das Gesicht und atmete schwer. Die
Autoscheinwerfer… der Schnee… der blendend weiße Raum…
Die Anwältin war von diesem Schauspiel unbeeindruckt. Sie setzte sich und
begann nach kurzer Vorstellung bereits damit, seinen Fall darzulegen.
Seine Probleme endeten nicht an seiner Zimmertür,
nicht mit diesem realitätsfernen Spiel aus Licht und Schatten. Sie endeten
nicht außerhalb dieses Gebäudes, nicht einmal bei dem Rollstuhl in der Mitte
des Zimmers, der von nun an sein treuer Begleiter sein musste. Er versuchte
Frau Fischer zuzuhören, wie sie über die Verhandlung, Strategien und das
mögliche Strafmaß redete, doch er sah sie nicht an. Er blickte an die Wand. Es
war an der Zeit, doch der Raum war zu hell, das brennend weiße, künstliche
Licht aus den Neonröhren an der Decke schmerzte in seinen Augen, trieb seinen
Puls hoch und machte es unmöglich, den Fleck, den Schein echten Lichts zu
erkennen. Als Frau Fischer Lynns Familie erwähnte, brach er in Tränen aus.
Es war nicht ihre Schuld. Es war seine.

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I did not see that coming

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag.“ Genesis 1
Der Wecker klingelte sieben Mal lang und drei Mal kurz, als Steffi aufwachte. ‚Oh Gott!’, dachte sie, ‚ich bin viel zu spät dran!’ Sie war sofort hellwach. Heute war der große Tag. Sie tastete sich zum Schrank und zog zwei willkürliche Kleidungsstücke heraus. Schnell warf sie sich in ihre Sachen und verließ ihr kleines, bescheidenes Zimmer, das sie nun schon seit beinahe drei Jahren bewohnte. Ob sich das heute ändern würde? Hastig warf sie sich in die Rutsche, die sie in Richtung Ausgang führte. Sie überlegte, ob sie sich am Automaten einen Snack holen sollte, doch sie konnte sich heute nicht auf etwas so unwichtiges konzentrieren und hastete schnellen Schrittes aus dem Haupttor heraus ins Freie. Sie stellte sich in Richtung der Station, von der eine Frauenstimme über die Mikrofone die Meldung „Noch 5 Minuten!“ von sich gab, und wartete nervös auf den Zug, der sie zur Arbeit bringen würde.
Martin blickte abwesend aus dem Fenster. Heute war der große Tag. Der Aufsichtsrat hatte ihn eingeladen, und falls er nicht in den letzten Tagen unwissend in ein massives Fettnäpfen getreten war, konnte dies nur bedeuten, dass es um eine Beförderung ging. Es wurde auch Zeit, schließlich hatte er sich nun schon seit über fünf Jahren von seinem kleinen Büro aus den Allerwertesten aufgerissen, um die Firma voranzubringen. Er schaute auf seine glänzende Armbanduhr. 10 Minuten noch. Er sollte sich schon mal auf den Weg machen.
Steffi stand ruhig vor dem Gebäude, in dem sie für gewöhnlich ihre Arbeit verrichtete. Heute jedoch war alles anders. Seit sich vor ein paar Monaten alles geändert hatte. Seit sie Bernd getroffen hatte. Er hatte ihr erzählt, was er mit einer Gruppe von Freunden entdeckt hatte. Seitdem war ihr Leben aus den Fugen geraten, nichts war so, wie sie es von Geburt an erzählt bekommen hatte. Sie hörte jemanden von der Seite heranschreiten. Das leichte Nachhinken des rechten Beines ließ sie wissen, dass es Johannes sein musste. „Guten Morgen!“, rief sie ihm entgegen, weniger aus Freundlichkeit als um zu verhindern, dass er in sie hereinrannte. „Morgen!“, erwiderte er übertrieben freundlich. Steffi hörte, dass er ihr die Tür aufhielt, und begab sich widerwillig nach drinnen.
Martin blickte geschockt über den runden, großen Holztisch, der sich vor ihm befand. Die gesamte Führungsriege der Firma saß da, natürlich kannte er sie alle, ob aus Zeitschriften, den Nachrichten, oder Firmenschreiben. Das musste ein Scherz sein. Gleich würde eine Tür aufgehen, ein Kamerateam würde herauskommen und ein mehr oder weniger bekannter Fernsehmoderator würde ihm mitteilen, dass er Opfer einer mehr oder weniger bekannten Streichesendung geworden war. Anders war das Level der Absurdität, die diese Situation hatte, nicht zu erklären. Was diese Männer ihm gerade versucht haben zu erklären, konnte nicht wahr sein. Er schaute auf das Glas Wasser vor ihm und wartete, dass irgendwer dieser Situation ein Ende bereiten würde. Wo blieb dieses verdammte Fernsehteam?
Steffi betastete die Uhr rechts von ihr. Fünf Minuten noch bis zur Mittagspause. Nicht dass sie das nicht wüsste, aber sie war zu nervös, um auch nur eine Minute vergehen zu lassen, ohne die Zeit zu checken. Sie dachte daran, was Bernd ihr gesagt hatte. Anfangs hatte sie ihn ausgelacht. Aber dann, je weiter er erzählte, lauschte sie immer faszinierter seinen Erzählungen von der anderen Welt, die sich ganz in unserer Nähe befinden soll. Dann hatte er ihr sie zur Mauer geführt, und sie fühlen lassen, wie ewig weit sie sich erstreckt. Natürlich dachte sie zunächst, es sei einfach eine sehr lange Mauer, aber wer weiß. Heute würde sie es herausfinden. Und zwar sehr, sehr bald, denn gerade läutete eine Sirene die Mittagspause ein.
Bernd lehnt zuversichtlich an der Wand vor dem Tunnel. Es konnte nicht mehr weit sein. Seit Wochen hatten er und seine Freunde sich durch die Erde gebuddelt, bis über ihnen nicht mehr der harte Stein der Mauer zu fühlen war. Nun mussten sie sich nur noch hochgraben, und so sehr die Neugierde Bernd unter den Fingern brannte, er hatte Steffi versprochen, auf sie zu warten. Da hörte er endlich die etwas unsicheren, schnellen Schritte hinter sich. „Steffi, ich dachte scho-“, begann er, als eine fremde Stimme ihn unterbrach. „Pass auf! Der Erzähler hat den Überblick verloren.“ „Wie bitte? Wer sind sie?“ „Wer ich bin, ist nicht wichtig“, entgegnete die fremde Person, der Stimme nach zu urteilen eine Frau mittleren Alters. „Du musst wissen, dass der Erzähler den Überblick verloren hat. Eigentlich wollte er eine spannende Geschichte schreiben, mit zwei Strängen, die sich irgendwann verweben, und mit Twists und großen Fragen und einem Happy End. Aber jetzt ist schon Samstag Abend, und der Erzähler hat keine Lust mehr. Also muss es enden.“ „Was wollen sie? Was soll das?“, rief Bernd in die Richtung aus der die Stimme gekommen war, aber es kam keine Antwort mehr. „Wer ist der Erzähler? Und warum sagen sie, es wäre Samstag, heute ist Mittwoch!“ Die Frau schien verschwunden zu sein.
„Sorry, ich bin ein wenig spät!“, sagte Steffi. Bernd begrüßte sie, doch sie merkte, dass er nicht ganz bei der Sache war. Kein Wunder, wer weiß, was gleich passieren würde. „Also los!“, sagte Steffi, mit einer Hand den Tunneleingang erfühlend. Nach kurzem Zögern sagte Bernd „Ja, packen wir’s an!“ und ließ sich in das Loch gleiten. Stumm krochen sie durch den feuchten Tunnel. Steffi spürte die Anspannung immer größer werden. Was befand sich hinter der Mauer? Wer befand sich dahinter? Am Ende angekommen, griffen beide eine der herumliegenden Schaufeln. Steffi atmete tief ein und begann zu graben.
Es war ein schöner Sommertag. Die Wiese blühte in den buntesten Farben und eine leise Prise zog durch die Bäume, die in ihrer friedlichen Existenz dastanden, völlig unbeeindruckt von der riesigen Kuppel, die sich nur wenige Meter von ihnen aus dem Boden erhob. Vogelgezwitscher lag in der Luft, ein Hase hoppelte in schnellen Sprüngen durch das Gras. Plötzlich tat sich an einer ruhigen Stelle am Rand der Wiese der Boden auf, und der Blick auf zwei Gestalten wurde frei. Gestalten, die ihr Leben lang in absoluter Dunkelheit verbracht hatten, und nun plötzlich der vollen Strahlung an Sonnenlicht ausgesetzt wurden. In wenigen Sekunden wurde die plötzliche Helligkeit wurde es der Haut der beiden zu viel, und unter klirrenden Schreien gingen die beiden in Flammen auf. Nach ein paar Minuten jedoch war es wieder still, das Vogelgezwitscher gewann wieder Oberhand und die Natur verfiel wieder in ihre friedliche Existenz.
Martin war entschlossen, als er den Überwachungsraum betrat. Nachdem ihm klargeworden war, dass es keine Lügengeschichte war, die der Aufsichtsrat ihm aufgetischt hatte, hatte er beschlossen, etwas zu unternehmen. Er hatte einen Plan geschmiedet, sich heimlich Zugang zum Gebäude verschafft, und nun war er hier. Er blickte auf die Wand an Monitoren, welche die Bilder der Nachtsichtkameras zeigten. Um Himmels Willen, wie viele Leute waren da drin, nichtsahnend, dass sie Teil eines riesigen, verrückten Versuches waren, der sie eines elementaren Sinnes beraubte. Und das sollte er nun mit verantworten? Oh nein! Er meldete sich mit dem Passwort an, dessen Beschaffung ihn viele Stunden Detektivarbeit gekostet hatte, und klickte sich durch das Operationsmenü, bis er den Schalter für die Öffnung der Luke fand. „Bist du sicher, dass du das tun willst?“, fragte eine Stimme. „Der Erzähler ist ein ziemlicher Sadist.“ Er drehte sich erschreckt um. In der Tür stand eine ihm unbekannte Frau. „Das muss aufhören!“ rief er, „Und Sie können nichts dagegen tun!“ Er durfte keine Zeit verlieren. Hektisch klickte er auf die Option, gab ein weiteres Mal das Passwort ein und betätigte die Enter-Taste.

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Allein durch die Nacht

Das schönste an diesen Nachtspaziergängen ist die Tatsache, dass keine Menschenseele unterwegs ist. Nur ich. Um drei Uhr nachts auf die Straße zu gehen und seine Runden zu drehen, hat etwas sehr reinigendes und befreiendes, denn kein Mensch ist hier, mit dem ich reden muss. Ja, nicht einmal anschauen muss ich jemanden. Ich kann mich einfach mal von der ganzen zwischenmenschlichen Interaktion erhohlen, die mich jeden Tag aufs Neue anstrengt und mir zuviel Kraft raubt. Die Ruhe der verlassenen Straßen, der dunklen Fenster und des Lichts der Straßenlaternen gibt mir neue Energie. Obwohl es mittlerweile Dezember und damit bitterlich kalt ist, wärmt mich diese Stimmung innerlich.
Ein seltsamer Gedanke, dass bei den meisten meiner Mitmenschen das Gegenteil der Fall zu sein scheint. Sie kümmern mich aber nicht. Hier draußen sind nur ich und die Stille.
Bin ich denn wirklich so anders? Ich will es doch gar nicht sein. Doch manchmal gehe ich mir mit meinen beschissenen Problemen selber so sehr auf den Sack, dass ich den Wunsch hege, ein Glas zu zertrümmern
und mir den Splitter ins Herz zu stechen – in den dunkelsten Momenten.
In dieser abgeschiedenheit jedenfalls, lernt man die kleinen Dinge zu genießen. Zum Beispiel die Schneeflocken, die ausgelassen durch den Lichtkegel der Laterne Tanzen oder der kleine Hase, der fast jeden Tag am Rande des Parks durch das Gebüsch hüpft und zu dem ich fast schon einer persönliche Verbindung aufgebaut habe. Es gibt Freude selbst in der traurigsten und erbärmlichsten Existenz, man muss sie nur zu sehen wissen. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Das trifft es genau. Ein hoffnungsvoller Gedanke, wenn nicht die meisten Menschen das Sehen längst verlernt hätten.
Selbst in der Einsamkeit der Nacht muss ich mich aber abschotten. Ich gehe nie ohne Musik auf den Ohren aus dem Haus. Auch sie gibt mir Kraft und Mut. Es entlockt mir zudem eine ungeheure Dankbarkeit, dass ich sie überhaupt genießen kann. Was arm sind denn bitte taube Menschen dran? Wenn ich so darüber nachdenke, wäre ich lieber stumm, blind und gelähmt auf einmal, als nie wieder hören zu können. Aber das
ist nur so daher gesagt, denn wenn das der Fall wäre, würde ich mir sicherlich als Erster die Kugel geben.
Ich frage mich wieso ich das alles überhaupt niederschreibe. Gibt es eine Moral? Eine Botschaft? Wird überhaupt jemand jemals meine geschriebenen Gedanken lesen? Kann ich Jemandem oder mir selbst damit
helfen? Nein, denke ich und erinnere mich an eine Textzeile aus meinem Lieblingslied: „You have to be a light to yourself.“
Ich klappe das Buch zu und mache mich auf den Weg nach Hause.
Das Licht der Straßenlaterne erlischt und wird von den ersten Sonnenstrahlen des neuen Morgens abgelöst.

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Die neue Ordnung

Eine angenehme Stille waberte durch den Raum. Nur die flachen, erschöpft-zufriedenen Atemstöße der beiden Liebenden waren zu vernehmen.
„Okay, gut. Aber meinen Kaffee hab‘ ich jetzt immer noch nicht bekommen“, brachte Christian hervor und schaute Lena spöttisch in die Augen. Tatsächlich waren ihm diese Augen als aller erstes an ihr aufgefallen. Natürlich würde das keiner seiner Freunde auch nur ansatzweise glauben, aber tatsächlich war es so. Als er ihr auf der Party gegenüberstand, war er für diesen einen herrlichen Moment völlig eingenommen von Lenas grün-schwarzen Augen.
„Naja, dafür ist es jetzt wohl etwas spät, oder?“, gab sie schnippisch zurück.
„Ich glaube, jetzt könnte mich auch ein Kaffee nicht mehr lange wachhalten. Würde sagen, wir hauen uns dann mal auf’s Ohr.“
„Du bist jetzt schon müde? Na gut, wie du meinst“, antwortete Lena und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Wange. „Ich geh nur noch mal schnell ins Bad.“
„Ja, gut. Ich warte dann. Oder auch nicht“, lachte er ihr ins Gesicht und drehte sich auf die andere Seite, während sie ihre Beine langsam aus dem Bett schwang.
„Und zum Schlafen bleiben die Lampen auch an?“, rief Chris ihr noch nach, nachdem er noch einen Schluck aus der Wasserflasche genommen hatte. Lena streckte ihren Kopf aus dem Badezimmer heraus und nickte langsam.
„Na gut, wird schon gehen. Ich bin jetzt sowieso komplett fertig.“ Und das stimmte. Als Lena wieder aus dem Badezimmer rauskam, war Chris schon fest am Schlafen. Sie schaute ihn lächelnd an, wie er da so gemütlich schlafend in ihrem Bett lag, überprüfte dann noch einmal, dass alle Lampen funktionierten und sämtliche Notfall-Batteriepacks korrekt angeschlossen waren, und legte sich dann zu Chris ins Bett. Ihr machte das Licht nichts mehr aus, sie kannte es ja nicht anders. Seit sie sich erinnern konnte, hatte ihre Mutter ihr das mit dem Licht eingebläut. In Gedanken noch bei ihrer viel zu früh verstorbenen Mutter drehte sich Lena auf die Seite, und nur wenige Minuten später war auch sie eingeschlafen.

Etwas benommen und desorientiert öffnete Chris die Augen. Beim Einschlafen hatte ihn die doch recht grelle Beleuchtung nicht gestört, dafür war sie jetzt umso unangenehmer. Er schaute auf sein Handy, das auf dem kleinen Nachtschränkchen neben der Wasserflasche lag. 03:47 Uhr. ‚Okay, erst zwei Stunden gepennt‘, dachte er und rieb sich den Schlaf aus den Augen. ‚Nur kurz auf’s Klo und dann wieder ins Bett.‘ Er schlich leise ins Bad, erledigte sein Geschäft und schlich sich dann ebenso leise wieder zurück ins Bett, um Lena nicht aufzuwecken.
Erst jetzt bemerkte er das leise elektrische Surren.
‚Das ist mir vorhin gar nicht aufgefallen,‘ dachte er genervt. Alles war still, bis auf dieses eine Geräusch. Genau deshalb empfand Chris es jetzt auch als extrem störend. Das, in Kombination mit dem kalten, unbarmherzigen Strahlen der LED-Lampen war alles andere als einschlaffördernd. Er stieg noch mal aus dem Bett und schaute sich die verschiedenen Lampen, die überall im Raum verteilt standen, genauer an. Stehlampen, kleine Tischlampen, Hängeleuchter, Deckenstrahler. Und alle waren eingeschaltet. Jetzt sah Chris auch, dass alle außer den Deckenlampen zusätzlich noch mit einem Batteriepack versehen waren. ‚Unfassbar, so was hab ich bisher auch noch nicht gesehen. Naja, scheint wohl irgend so ein Tick zu sein. Sie braucht das Licht bestimmt irgendwie, um einschlafen zu können. Dann bräuchten wir das jetzt ja eigentlich nicht mehr.‘ Zuerst schaltete er die Deckenlampen aus. Danach waren nach und nach die anderen Lampen dran. Fünf Stück an der Zahl. Die letzte war die auf dem Nachttisch neben ihm. Er legte sich wieder ins Bett, schaltete diese Nachttischlampe auch noch aus und genoss erst mal die Dunkelheit. ‚Morgen früh wird sie dann bestimmt auch sehen, dass sie ohne Licht auch ganz gut schlafen kann. Vielleicht kann ich ihr so ein bisschen bei ihrem Tick weiterhelfen‘, dachte er und schloss die Augen. Jetzt war es auch endlich komplett still. Kein nerviges Stromrauschen mehr.
Das dreifache Klopfen riss ihn sofort aus seiner gerade gefundenen Ruhe. Nein, kein Klopfen. Ein Hämmern. So, als hätte jemand mit voller Wucht dreimal gegen die Wohnungstür getreten. Sofort schreckte Lena aus dem Schlaf auf und setzte sich aufrecht aufs Bett.
„Was war das?“, entfuhr es Chris angespannt.
Er bekam keine Antwort auf seine Frage.
„Das Licht.“
„Was?“
„Das Licht. Es ist aus“, hörte er Lena mit dünner Stimme neben sich sagen.
„Ja, Moment.“ Er schaltete die Lampe neben sich an. Völlig bleich und mit ausdruckslosem Blick saß Lena neben ihm im Bett. „Ist alles klar bei dir?“
„Das Licht hätte an bleiben müssen. Ich hab’s dir doch gesagt.“
„Ja, okay, sorry. Ich konnte halt nicht mehr einschlafen bei…“
Das erneute Hämmern ließ die beiden sofort innehalten. Chris schaute Lena fragend an.
„Was ist das denn?“
Dieses Mal bekam er wirklich keine Antwort. Lena saß nur da und starrte vor sich ins Leere. Da er nicht tatenlos rumsitzen wollte, schwang sich Chris aus dem Bett und ging Richtung Zimmertür. Bevor er das Zimmer verließ, schaute er noch mal zu Lena zurück, die immer noch wie erstarrt auf ihrem Bett verharrte. ‚Okay, dann übernehm ich das jetzt‘, sprach er sich in Gedanken selbst Mut zu. Er öffnete die Schlafzimmertür und schaute sich im Wohnzimmer um. Hier war das Licht tatsächlich noch an. Es gab nichts Außergewöhnliches zu sehen, alles war noch so, wie sie es hinterlassen hatten, bevor sie lieber ins Schlafzimmer umgesiedelt waren. Lenas Wohnung war nicht besonders groß. Das Pochen konnte eigentlich nur einen Ursprungsort haben: die Wohnungstür. Langsam schritt Chris auf die Tür zu, angespannt und in Erwartung eines erneuten Hämmerns. Er spähte durch den Türspion. Da war niemand. Er sah auf den leeren Hausflur, der sich vor ihm in der Dunkelheit verlor.
‚Gut, nur einen kurzen Blick vor die Tür, nur um sicher zu gehen‘, dachte er und löste die Sicherheitskette. Mit vor Anspannung leicht zitternder Hand öffnete er die Tür, nur einen Spalt. Die Wucht, mit der die Tür nach innen geschleudert wurde, kam der eines Sprengsatzes gleich, der direkt vor Chris detonierte. Die Tür knallte ihm vor die Brust und schleuderte ihn an die Wand gegenüber, an der er wie ein nasser Sack abprallte und dort zusammengekauert liegen blieb. Der Schmerz vermischte sich mit der übermannenden Angst zu einem betäubenden Gefühl der Ohnmacht. Unter größter Anstrengung hob er den Blick zur Tür und sah mit verstörender Klarheit zwei in schwarze bodenlange Roben gehüllte Gestalten eintreten und zielstrebig um die Ecke Richtung Schlafzimmer verschwinden. Die Roben flatterten ihnen nach. Völlig benommen versuchte er, sich aufzurichten und den beiden Verhüllten zu folgen. Er musste sich Lena schnappen und dann sofort von hier abhauen. Mit diesem Vorhaben im Kopf lief er so schnell es ihm möglich war um die Ecke und kam stolpernd vor der Schlafzimmertür zum Stehen. Hätte er sich nicht am Türrahmen abgestützt, wäre er mit Sicherheit einfach in sich zusammengesackt ob der Szenerie, die sich ihm darbot.
Lena lag mit starr geöffneten Augen völlig steif auf ihrem Bett. Sie zeigte keinerlei Regung, weder als Chris in der Tür erschien, noch als die beiden in schwarz gehüllten Gestalten sich über sie beugten und ihre Hände sanft auf ihren Bauch legten.
„Was ist denn hier l…“
Chris beendete seinen Satz nicht. Als er anfing zu sprechen, hatte sich eine der Gestalten langsam zu ihm hingedreht. Erst jetzt sah er, dass sie ihre Roben abgelegt hatten, und was darunterlag, nahm ihm jeglichen Rest an Kraft und Hoffnung, die er noch besessen hatte. Er sah… nichts. Die Gestalten waren völlige Schwärze. So schwarz, dass das Auge sie nicht wirklich wahrnehmen konnte. Sie sahen aus wie Löcher in der Realität, als fehlte ein Teil der Welt dort, wo sie standen. Er konnte nicht wirklich wahrnehmen, welche Form sie hatten. Sie waren Schwärze.
Chris vernahm ein röchelndes Flüstern. Im ersten Moment hoffte er, dass Lena zu sich gekommen war, doch ihm wurde sofort klar, dass kein Lebewesen ein solches Geräusch von sich geben konnte. Er wusste nicht einmal, ob er wirklich etwas hörte oder ob nicht alles nur in seinem Kopf vor sich ging.
‚Wir möchten Euch danken, im Namen unserer gesamten Zunft. Die Linie der Wächterin wurde nach all der Zeit unterbrochen. Endlich hat sie sich uns hingegeben, um das Zeitalter der Dunkelheit einzuläuten. In der neuen Ordnung werdet Ihr große Ehre erfahren, sobald die Meister nach ihrer langen Reise hier eingetroffen sind.‘
Abgelenkt von der leisen Stimme wurde ihm erst jetzt klar, dass sich eine der Gestalten langsam auf ihn zubewegte. In dem Moment war es, als hätte jemand einen Schalter in Chris umgelegt. Er drehte sich auf der Stelle um und rannte. Er rannte los, ohne einen weiteren Gedanken an Lena zu verlieren. Er rannte aus der Wohnung, aus dem Gebäude. Er rannte blindlings Richtung Stadt, zu den Lichtern, dahin, wo er glaubte, Sicherheit und Zuflucht zu finden.
Den winzigen schwarzen Fleck, der langsam immer größer wurde, sich vor den hell strahlenden Mond schob und diesen nach und nach verdunkelte, bemerkte Chris nicht. Er rannte.

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Lichterlos

Ein weiteres Jahr. Ein weiteres Jahr ohne Licht. Ohne Glück, ohne Zufriedenheit, ohne Perspektive. Ohne Grund. Und das grundlos. Denn ich bin nicht dumm. Ich bin nicht schlecht. Ich bin nicht böse. Ich bin nicht…

Ich steh’ auf, streun’ durchs Haus
Geh’ zum Kühlschrank, mach’ ihn auf
Er ist kalt, er ist leer…

Ich bin nicht mehr ich. Leidenschaftslos, lustlos, hoffnungslos, lichterlos. Lautlos. Ich schweige und schwelge in Erinnerungen an bessere und schlechtere Tage. Tage mit auf und ab. Tage mit Freude und Tage mit Trauer. Und jetzt? Tage, die ich ertrage. Die ich vorspule. Die ich löschen will. Die im gleichen Grau wie immer ineinander übergehen.

…Beweg’ mich im aussichtslosen Raum
Führ’ Selbstgespräche, hör’ mich kaum
Bin mein Radio, schalt’ mich aus…

Und Freunde, die die Geduld verlieren. Die nicht mehr wollen. Die nicht mehr können. Die nicht verstehen, aber das ist nicht ihre Schuld. Freunde, die sich ihr Leben planen und bauen und lüstern Gelüsten nachgehen, die Träume haben, erkennen, erreichen. Lichtgestalten.

…Ich würde mich gern versteh’n
Aber ich weiß nicht, wie das geht
Der Grundriss ist weg…

Während ich Ratte im Dunkeln sitze und verschimmle. Essen ist Verschwendung, Schlaf ist eine Pause von der Scheiße, in der ich mich suhle. Und Alkohol lässt mich glauben ich gehörte zu den Lichtgestalten. Und er lässt mich schlafen. Ich wünschte, ich könnte mehr schlafen. Stattdessen sitze ich in der Kanalisation, still und dunkel.

…Im Spiegel nur ein Gesicht
Stell mich zur Rede, antworte nicht
Stummes Interview…

Wann geht es weiter? Geht es weiter? Bleibe ich so? Ist das jetzt mein Leben? Arbeit leisten, die jeder Idiot leisten könnte? Ambitionslos immer nur das kleinere Übel wählen? Immer den Weg des geringsten Widerstands gehen? Nichts mehr wagen? Nichts gewinnen? Warten auf den Tag, an dem dieses lächerliche Leben ausgehaucht wird, und bis dahin hoffen, niemanden zu sehr zu stören?

…Das Nichts steckt in jedem Detail
In mir sind alle Zimmer frei
Und ich dazu…

Das geht nicht. Das geht alles nicht. Das kann nicht mein Leben sein. Das kann nicht alles sein. Das kann nicht mein Platz sein. Mein Platz in dieser Welt mit Milliarden von Menschen, die alle sie selbst sind. Die etwas schaffen. Während mein Selbst am meisten hofft, nicht aufzufallen. Die Ratte unter den Lichtwesen. Hoffentlich fällt es ihnen nicht auf. Was, wenn es einem der Lichtwesen auffällt? Was mache ich dann? Wenn einer es ausspricht? Der Eindringling in ihrer Mitte. Wenn er erkannt wird? Wenn ich endlich zur Rede gestellt werde? Was machst du? Warum machst du nicht mehr? Oder überhaupt etwas? Warum funktionierst du nicht? Wir alle funktionieren! Wir alle tragen unseren Teil bei! Wir alle tun, was wir tun müssen! Sei nicht wie du! Sei wie wir!

…zwangsgeräumte Gründe
Gekündigt vor der Zeit
Keine Seele in vier Wänden
Hundert Jahre Einsamkeit…

Wie sie. Schön wie sie. Schlau wie sie. Stark wie sie. Wie die anderen. Wie alle anderen.
Wie, ich? Ich bin dumm. Und dunkel. Und destruktiv. Und dauernd daneben. Neben der Spur. Neben dem Weg. Neben dem Leben. Neben mir.

…Alles still, unbewegte Zellen
und das Wetter gibt’s nicht mehr,
die Straße hat keine Stimme
Autolos und kein Verkehr…

Und nichts macht Spaß. Und nichts macht Sinn. Und nichts berührt. Und nichts funktioniert mehr. Ein kluger, toter Mann, auch eine Lichtgestalt, sagte mal, dass in allen Dingen ein Riss sei, und dass die Dinge durch diesen Riss mit Licht gefüllt werden.
Der Riss ist da. Doch das Licht scheint nicht hinein. Dabei sind es schon Jahre ohne Licht. Wann kommt es wieder? Ich will es suchen, aber mir fehlen die Beine zum Laufen, die Hände zum Schaffen, die Augen zum Sehen. Alles in mir ist tiefste Finsternis. Kein Hass, keine Wut, keine Trauer. Nur Dunkelheit. Lichterlos.

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Kind des Lichts

Wenn sich die letzten Überlebenden des Weltuntergangs in einem einig waren, dann war das die Tatsache, dass sie alle die Zeichen hatten kommen sehen. Zunehmender Extremismus und Fremdenhass, autoritäre Regime, die ihre Macht auszubauen versuchten, immer mehr terroristische Anschläge… aber irgendwie hatte niemand je einen Gedanken daran verschwendet, diese Zeichen auch zu deuten. Zu effektiv lenkten Industrie und Medien vom eigentlichen Zeitgeschehen ab.
Und so waren die Zeichen gekommen, gegangen und hatten die Welt im Chaos zurückgelassen. Nuklearer Winter, Verdunklung des Himmels, das ganze Programm, das man damals nur aus Endzeitromanen kannte. Und genau wie in den Romanen floh der klägliche Rest der Menschheit unter die Erde, in gigantische Höhlensysteme, die sich durch die extremen Erschütterungen der Kontinentalplatten nach dem Einschlag der Atombomben gebildet hatten.
Eine gute Idee, sich gerade dorthin zurückzuziehen? Sicherlich nicht. Die neu entstandenen Höhlen erwiesen sich als eine mehr als instabile, neue Welt und begruben schon kurz nach der „Besiedlung“ einen Großteil der Überlebenden unter sich. Zusätzlich dazu schnitten die Erdbeben jeden bekannten Weg nach draußen ab.
Völlige Dunkelheit herrschte von da an in den Katakomben der schönen neuen Welt.
Man arrangierte sich, so gut es ging. Schlaue Köpfe wussten die kläglichen Ressourcen so zu nutzen, dass eine Nachhaltige Ernährung gewährleistet werden konnte.
Nachhaltig wohlgemerkt, nicht ausgewogen. Der Mangel an Vitamin D sowie einigen wichtigen Nährstoffen machte aus der Menschheit ein klägliches Bündel an ausgemergelten, geisterhaft weißen Gestalten, die in der Dunkelheit ihr Dasein fristeten.
Zwei Generationen waren im Dunkel geboren worden, ohne jemals auch nur vom Sonnenlicht gehört zu haben. Und langsam begannen die ersten Kinder der Dunkelheit bereits, zu sterben.
Natürlich gab es Licht. Aber Kohle und Erdöl waren rare Güter, die nur in den tiefsten Winkeln der Katakomben zu finden waren und daher mehr als sparsam behandelt wurden. Und von den Maschinen und Gerätschaften, die die Flüchtenden mit in die Katakomben geschleppt hatten, waren nur die wenigsten noch einsatzfähig. Eine Taschenlampe konnte man mit einem Dynamo betreiben, aber einen Computer?
Mitten in diese Welt, dessen Bewohner täglich um ihr Überleben sowie ihren Verstand kämpfen, war Jaro hineingeboren worden. Jaro, ein weißblonder, fröhlicher Junge, dem die Schwärze nichts anhaben konnte. „Er leuchtet selbst so hell, dass die Dunkelheit sich von ihm fernhält.“, scherzten die Menschen in seiner Kolonie. Und auch, wenn sich fast niemand mehr unter dem Wort etwas vorstellen konnte, hatte irgendjemand ihm den Titel „Sunshine“ verpasst.
Er wusste alle mit seiner schier unerschöpflichen Fröhlichkeit und Energie anzustecken. Und statt sein Dasein zu fristen und die Last der Welt im wahrsten Sinne des Wortes auf den Schultern zu tragen, suchte Jaro stets das Abenteuer. Er schlich sich mit seiner kleinen Taschenlampe durch die unendlichen Gänge des Höhlensystems und erforschte, erkundete, entdeckte.
Er lies sich von der Welt um ihn herum verzaubern und vielleicht verzauberte er sie auch ein bisschen.
Aber auch, wenn die Höhlen große Abenteuer boten, bohrte sich eine Frage immer wieder in sein Gehirn: Wie sieht die Sonne aus? Wie fühlt es sich an, die Sterne zu sehen?
Wenn man es ganz genau nahm, war die Sonne ja ein Stern.
Das war eine der vielen Weisheiten von Levi, dem Letzten der Kolonie, der mit eigenen Augen den Himmel gesehen hatte. Mit Zehn war er in die Katakomben hinabgestiegen und hatte für immer vom Sonnenlicht Abschied genommen. Er war ein freundlicher Herr, keine 60, mit einem dünnen Haarkranz und einer in der Dunkelheit der Katakomben mehr oder weniger sinnlosen Brille, die er seit seiner Kindheit trug und die ihm schon lange viel zu klein war. Aber in einer Welt, in der Licht eine rare Ressource war, wurde das Aussehen allem anderen untergeordnet. Und da Levi ohne diese Brille im wahrsten Sinne des Wortes blind wie ein Maulwurf war, behielt er sie auf.
Die Kinder der Dunkelheit liebten Levi und seine fantastischen Geschichten. Hätte es Abende gegeben, so hätten sie sich stets abends in seiner kleinen Höhle versammelt, um im blauen Licht fluoreszierender Pilze seinen Erzählungen zu lauschen. Und wie der erzählte. Von Pflanzen, Farben, dem Leuchten des Himmels. Von Leuchtreklame und Weihnachtsbäumen (denn die schienen den Kindern am besten zu gefallen), Booten, Flugzeugen und dem ganzen Schnickschnack, denn die Welt unter freiem Himmel beherbergt hatte.
„Es muss doch möglich sein, diese Welt wiederzufinden.“, dachte Jaro.
Und so fasste er den Entschluss, die Oberfläche zu erreichen. In jeder freien Minute bereitete er sich darauf vor, sammelte Ausrüstungsgegenstände und Proviant. Er begann, die Gänge der Höhlen zu kartographieren, die er bei seinen Entdeckungsreisen fand.
Seine Kolonie nahm diese Veränderung mit hochgezogenen Augenbrauen wahr. Der einst verspielte, freundliche Junge wurde zu zu einem zielgerichteten, jungen Mann, der für einen einzigen Grund zu leben schien.
Nach und nach wagte er sich immer weiter hinaus in die Tiefen der Höhlen. Seine Kleidung hatte er mit dem Fluoreszierenden Pulver der Höhlenpilze bemalt, sodass er immer einen sanften, blauen Schein auf die Felswände warf.
Jahre gingen ins Land und Jaro hatte, obwohl er gerade erst 18 geworden war, schon viele der anderen in seinem Alter überlebt. Krankheiten brachen aus, geradezu Seuchen, gegen die die sowieso schon geschwächten Höhlenbewohner keine Abwehr bilden konnten.
Und dann, ohne es zu bemerken, war Jaro allein. Eines Tages kam er von einer längeren Erkundungstour nach Hause, nur um alle Wohnungshöhlen verlassen vorzufinden.
Wo waren sie?
Ungläubig taumelte Jaro durch schal beleuchteten Höhlengänge seiner Heimat. Decken, Kleidung, Werkzeuge lagen verstreut auf dem Boden. Nur im hinteren Teil der Haupthalle konnte er ein gespenstisches Flackern sehen.
Als er näher kam, erkannte er den alten Mann Levi, der vor einem gigantischen Feuer kauerte und mit großer Mühe eine Reihe von Säcken hineinzuwerfen schien.
„Vater Levi, was tust du da?“, fragte der Junge erstaunt. Der Alte zuckte zusammen. „Jaro? Jaro! Du hättest nicht zurückkommen sollen!“, krächzte er, seine Kehle kratzig vom Rauch. Jetzt erkannte Jaro, dass das, was Levi dort verbrannte, keine Säcke waren.
Er fiel auf die Knie, als er die Körper seiner Mitbewohner erkannte. „Was…?“
„Frag nicht, Junge. Lauf. Du hast hier nichts mehr verloren. Mach dich auf, schau niemals zurück und finde endlich diese verdammte Oberfläche!“
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sich Jaro um und rannte. Grauen erfüllte seinen ganzen Körper wie kaltes Wasser, seine Beine fühlten sich schwerer an als je zuvor.
Aber er rannte, er lief, er kletterte, kraxelte, fiel, stand wieder auf, weiter, nur immer und immer weiter!
Die Dunkelheit wich vor ihm zurück, als er, Jaro, kam und sie mit seiner Wut und Enttäuschung anschrie, schlug, trat, kratzte.
Nur hinaus, nur die Sonne sehen,
„ein einziges Mal!“
Mal
Mal
Mal
Mal
Heulte das Echo von den Wänden. Seine Beine gaben endgültig nach. Auf den Knien zog er sich weiter voran, bis sie blutig waren. Er hörte ein Geräusch, wie das Rauschen von Wasser.
Mit Eile räumte er Steine zur Seite und überwältigte mit gesamter Kraft einen letzten Vorsprung.
Zwischen den Steinen schoss ein Lichtstrahl hervor und traf ihn im Gesicht, sodass er zusammenzuckte.
Eine frische Brise umwehte sein Gesicht.
Auf einem Vorsprung, hoch über der Welt der freien Himmels richtete sich Jaro zu seinem letzten Atemzug auf und starb.
Nicht als Kind der Dunkelheit.
Als ein Kind des Lichts.

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Über Nacht nichts Neues

Der Fahrtwind rauschte Paul durch die Haare. Er fuhr zwar kein Cabrio und mit einem Opel Corsa Baujahr 1992 kam man dem Gefühl eines Cabrios auch mit offenen Fenstern nicht wirklich nahe, aber es war besser als den Zug zu nehmen. Und außerdem liebte Paul es durch den abendlichen Sommer zu fahren und sich so vom heißem Tag abzukühlen. Nicht dass der Abend soviel kühler war, nur eben weniger heiß. Der Wind tat dann sein übriges. Die zwanzig Minuten die er von seiner Wohnung bis zum Firmengelände fuhr, führten ihn über eine abgelegene Landstraße, auf der nur wenige Autos fuhren und er so sehr entspannt in der Mitte der Straße 100 km/h fahren konnte. Wenn er auf der geraden Strecke keine Autos sah, fuhr er manchmal auch kurz freihändig. Er wusste, dass es nicht ungefährlich war. Aber er fühlte sich ungewöhnlich frei, in der Mitte der Straße zu fahren, die Markierungen nicht zu beachten, keine Hand am Lenkrad zu haben und die warme Sommerluft um seine Ohren rauschen zu hören. Das besiegte wohl den kleinen deutschen Regelfresser in ihm.
Aber je näher er dem Firmengelände kam, desto größer wurde der Kloß in seinem Hals. Mit jeder Kurve rückte die Halle näher und die Welt um ihn herum weiter weg. Besonders im Sommer mochte er die Fahrt zur Arbeit, wenn die rote Sonne nah über dem Boden stand und die Welt in einen Theatervorhang hüllte. Die Fahrt war sein Buffer zwischen seinem Ich und der Arbeit.
Manchmal, wenn er in den Minuten bevor er losfahren musste zuhause saß und las, besonders bei Remarque, kam er sich ziemlich lächerlich vor. Was waren denn schon Acht Stunden Kisten schleppen im Vergleich zu einem Leben im Krieg? Wie konnte er es nur so schwer nehmen. Schließlich bekam er auch noch einen guten Lohn für seine Arbeit. Er sollte sich nicht so anstellen. Was war er denn für ein Mann!? Scheinbar nur ein halber, dachte er dann bei sich.
Er kam bei der Firma an und fuhr seinen Wagen auf den Parkplatz. Nicht auf den gut betonierten, dafür war er nicht lange genug dabei. Er schaukelte über Kies und durch tiefe Schlaglöcher und parkte unter einer Laterne. Er hatte noch 5 Minuten, bis er hinein musste. Er klammerte sich an sein Telefon und schrieb noch ein paar Sms und schaute nach Nachrichten. Eigentlich las er nur die Kommentare unter den Nachrichten. Nicht weil er gern diskutierte oder ihn die Meinungen interessierten. Es waren Kontakte auf Knopfdruck. Eine Möglichkeit seine Einsamkeit noch ein wenig hinauszuzögern.
Nach kurzer Zeit verstaute er das Handy im Handschuhfach, stieg aus und schliff seine Füße in den schweren Schuhen in Richtung des Eingangs. Vor dem Sicherheitscheck zog er seinen Gürtel aus und trat durch den Scanner in einen neon beleuchteten Gang und ließ die letzten roten Strahlen hinter sich. Der Vorhang nach draußen schloss sich damit für ihn und den Rest der Vorstellung würde er später nachholen müssen. Das neonweiße elektrische Licht, was ihm bei der Info-Veranstaltung noch als Tageslicht beschrieben wurde schien ihm alles aus dem Kopf zu saugen, bis nur noch Platz für die nächsten acht Stunden blieb.
Acht harte Stunden. Zumindest für seinen Körper. Leider konnte sein Kopf keine Pakete schleppen. Denn den brauchte er erstmal eh nicht. Paul fragte sich jede Nacht, warum seine Arbeit noch nicht von Robotern erledigt wurde. Paket raus, Paket hoch, fertig! Zusätzlich würde ein Roboter wahrscheinlich keine Fehler beim sortieren machen. Aber wahrscheinlich waren so viele Roboter die in Container greifen konnten, ohne dass die Pakete zerdrückt wurden zu teuer. Also doch lieber ein paar Menschen verschleißen.
Das Rauschen der Fließbänder traf Paul jedes mal wie ein Schlag, wenn er die Haupthalle betrat. Egal was er sich vorgenommen hatte, welche Themen er sich bereit gelegt hatte um mit den Kollegen etwas Smalltalk machen zu können, über den Lärm konnte er sich an nichts mehr erinnern. Er lief das Gerüst über den Entladestationen zu seiner Abteilung entlang und wusste bereits, dass diese Schicht besonders schlimm werden würde. In der Halle war es bestimmt 10 Grad wärmer als draußen.
Er stand an seinem Container und lud Paket um Paket aus. Er hatte noch Glück, es war keiner der zweistöckigen Containern, in denen sich die Hitze besonders hartnäckig staute. Trotzdem stand ihm der Schweiß schon in den Kniekehlen. Sein Kopf kochte unter seinem Helm förmlich. Manche nahmen sich Handtücher mit, denn Absetzen war verboten.
So vergingen die ersten paar Stunden. Er schaute einem Paket nach dem anderen beim hochfahren zu. Manchmal wünschte, er könnte sich einfach auf das Band legen und hinterher fahren. Er müsste sich nur einen „Repack-Aufkleber“ für kaputte Pakete auf seine Warnweste kleben und würde bei der Abteilung fürs Neupacken ankommen. Er wünschte sich oft, es könnte für ihn so einfach wie für kaputte Pakete sein. Und wenn er nach links und rechts in die leeren Augen, die unter vedreckten und verschwitzen Gesichtern versteckt waren schaute, dachte er, dass er nicht der einzige war, der einen Aufkleber vertragen könnte. Jedes Fließband der Entladestation war mit Paketen voll. Eng an Eng und ohne Lücken lagen sie auf. Eines nach dem Anderem fuhr nach oben. Manchmal auch eines nach unten.
Paul konnte immer nur bis zu seiner Pause denken. Und an die dachte er die ganze Zeit. Wann die erste Hälfte der Schicht endlich rum war. Wann er die schmerzenden Füße ausruhen konnte. Wann er die Pakete für ein paar Minuten vergessen konnte. Sie teilte die Schicht in zwei Hälften, was es einfacher machte die Zeit zu ertragen. Zweimal vier Stunden fühlten sich kürzer an als einmal acht. Komisch wie der Kopf funktionierte, wie sich Zeit verlängerte oder verkürzte, wenn man ein Zwischenziel hatte oder eben nicht. Und in dieser Halle und diesem elektrischem Licht traf seltsamerweise beides zu.
In seiner Pause schwieg er. Manchmal las er auch während er aß. Aber nicht heute. Die Hitze erdrückte ihn und machte das konzentrieren unmöglich. Zusätzlich war es sehr dunkel im Pausenraum, da nur das Licht aus der Maschinenhalle hineinschien. Keiner wollte hier drinnen unnötig viel Licht wie in der Halle haben, weswegen es meistens ausblieb. Wie die auch meisten Köpfe. Es unterhielt sich so gut wie nie jemand. Die meisten schwiegen oder schliefen. Und wenn doch jemand etwas sagte, beschwerte er sich nur über die Arbeit. Das schien eh das einzige Gesprächsthema zu sein, das alle teilten. Jeder hasste diesen Job. Paul hatte nie jemanden getroffen, der länger als fünf Jahre durchgehalten hatte und er konnte sich auch denken warum.
Die zweite Hälfte seiner Schicht verlief wie in Trance. Er konnte sich an manche Zeiträume nicht erinnern. Er wurde sich seiner erst wieder bewusst wenn er einen Container nach hinten wegrollen sah und er eine Minute verschnaufen konnte, ehe der nächste Container dessen Platz einnahm. Paket nach Paket nach Paket. Die letzte Stunde war oft die schlimmste, wenn er völlig allein in der Halle stand, weil alle anderen eher Feierabend hatten als er. Ohne das geschäftige Treiben der anderen Arbeiter und ohne das Surren der Stapler blieben nur einige nicht ausgeräumte Container und der Betonboden. Und das elektrische Licht, welches jetzt der gesamten Halle einen unwirklichen, surrealen Schein verlieh. Fremdartig, fast wie eine Leiche. Aber auch andächtig, sodass Peter nur sehr vorsichtig durch die Halle wanderte um sich die letzte Stunde noch zu beschäftigen. Er fühlte sich völlig fehl am Platz. Als ob er in einen Intimen Moment der Halle geraten wäre den er nicht sehen sollte.
Wie eine Frau, die er in Unterwäsche beim Umziehen überraschte. Und die Halle zur Betriebszeit war die selbe Frau in Unterwäsche am Strand, wo alles normal war. Er suchte sich dann meist einen Platz, wo er sich verstecken konnte und nicht zu sehr in der leeren Halle auffiel. Sodass er sich nicht zu schuldig fühlen musste, an diesem Platz der Arbeit nur rumzustehen und nichts zu tun. Denn das war schon fast ein Sakrileg und er fühlte sich immer schuldig.
Als es dann nur noch 5 Minuten bis zum Ende der Schicht waren, ging Paul völlig befreit zum Ausgang. Er schlenderte schon fast, von einer unglaublichen Erleichterung erfasst. Sein Helm am Gürtel befestigt und seine Warnweste über die Schulter geworfen. Er hatte es geschafft. Mit dem verlassen der Halle ließ er das auch das Rauschen der Maschinen zurück. Mit jedem Schritt fiel der Stress und die Beklemmung von ihm ab. Bis er durch den Sicherheitscheck nach draußen trat und den Sonnenaufgang betrachten konnte. Eine neue Vorstellung hatte begonnen. Diesesmal mit einem blassen Vorhang, voller frischer Möglichkeiten. Er grinste euphorisch, als hätte er eine schwere Prüfung bestanden. Die schweren Schuhe mit den Stahlkappen, die er zuvor noch über den Betonboden schleifen musste, schienen ihn jetzt von alleine zu seinem Auto zu tragen. Er freute sich schon auf die frische Morgenluft, die ihm im Auto um die Ohren wehen würde.
Aber in dem Moment, in dem Paul ins Auto stieg, gewann die Müdigkeit. Er dachte wieder an Remarque und worüber er sich hier eigentlich freute.
Paul ließ den Motor an und fuhr über den holprigen Platz auf die Landstraße nach Hause. Von der Wärme der aufgehenden Sonne fühlte er nichts. Das fröhliche Pfeifen der Vögel drang über den Fahrtwind nicht zu ihm vor und in seinem Kopf lief bereits eine Wiederholung der dunkelrote Vorstellung von gestern Abend. Er fuhr nicht in den Morgen, sondern in seine ganz persönliche Nacht.

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Der vierte Wunsch

Es war ein Freudentag für die kleine Gemeinde am Rande des alten Waldes. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet und triebt die Menschen zu früher Stunde aus ihren Betten. Von Tür zu Tür eilten sie und weckten ihre Nachbarn. Der neue Tag hatte noch nicht begonnen, doch schon versammelten sich die aufgeregten Dorfbewohner auf dem Marktplatz und blickten dem Sonnenaufgang erwartungsvoll entgegen. Düster lagen die Wolken über den alten Bäumen und kein Laut erschall im Zwielicht der vergehenden Nacht. Schon glaubten die Menschen, sie wären einem Streich aufgesessen und Unruhe machte sich unter ihnen breit, als das erste Licht des Tages die Wolken durchbrach. Und dort am fernen Horizont, erblickten sie den gewaltigen Tross aus Pferden, Wagen und Menschen den sie nur aus Geschichten kannten und sie wussten, der wandernde König war angekommen.

Zuerst erschien eine Schar Reiter, gerüstete Krieger auf schnellen Pferden. Im Namen ihres Herren baten sie die Bewohner um die Erlaubnis ihr Land durchqueren zu dürfen. Mit freudigen Jubelrufen luden die Menschen die Fremden in ihre Gemeinde ein und boten den Kriegern nach alter Sitte Brot und Wein zum Empfang an. Nachdem das Brot gebrochen und lautstark Begrüßungen ausgetauscht waren, fragten die Krieger nach Gefahren im Umland des Dorfes und die Bewohner berichteten voller Leid ihr Unglück. Sie erzählten von den verwilderten Kriegshunden in den südlichen Hügeln, die das Vieh rissen und jeden Reisenden angriffen, der ihrem Revier zu nähe kann. Sie klagten über die Waldgeister, die in den Bergen im Norden hausten und des nachts Menschen aus ihren Betten raubten. Voller Schrecken berichteten sie von dem Ding, das am Grunde des nahen Sees lauerte und unvorsichtige Kinder in die Tiefe zog. Und schließlich erzählten die Dorfbewohner von dem Schlagetot, der sich selbst Fürst nannte und mit seiner Bande blutigen Tribut einforderte. Als die Krieger die Klagen vernommen hatten, zogen sie Schwert und Axt, hoben Schild und Lanze, legten Pfeile in die Bögen und eilten in alle Himmelsrichtung davon, um Ungeheuer zu erschlagen und dem Land Frieden zurückzubringen.

Als nächstes erreichte eine Gruppe stämmiger Handwerker das Dorf und machten sich ohne viel Federlesens an die Arbeit. Sie reparierten Häuser und Dächer. Besserten die Straße aus, gruben den alten Brunnen frei und halfen den Dorfbewohner, wo immer sie nur konnten. Nie nahmen sie Lohn für ihre Mühe an und erwiderten jeden Dank nur mit einem gelassenen Nicken.

Gegen Mittag kamen die Händler ins Dorf und brachten auf riesigen Pferdewagen Waren aus aller Welt mit. Sie tauschten seltene Handelsgüter aus fernen Ländern gegen einen Teil der Ernte, auf den die Gemeinde verzichten konnte. Viele lobten die guten Geschäfte an diesem Tage und so manches wertvolle Kleinod verschwand in der Tasche seines neuen Besitzers.

Als die Krieger zurückkehrten um von ihren Heldentaten zu künden und die Handwerker und Händler zufrieden mit ihrem Tagwerk waren, begannen Spielleute eine fröhliche Melodie anzustimmen. Anmutige Tänzerinnen in farbenfrohen Gewänder drehten sich im Takt der Musik und schon bald war das gesamte Dorf in ihren Bann. Wein floss in Strömen, die Menschen prosteten sich gegenseitig zu, alle tanzten ausgelassen und besangen den schöne Tag.

Die Sonne hatte den Zenit hinter sich gelassen, als eine Gestalt verhüllt in einem schneeweißen Mantel den Markplatz betrat. Viele Dorfbewohner hatten den hochgewachsenen Mann bereits gesehen. Doch bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich immer im Hintergrund gehalten, nur leise mit den fremden Besuchern gesprochen und freundlich die Einwohner gegrüßt. Aufgeregt begannen die Menschen miteinander zu flüstern. War er es nicht gewesen, der den blutrünstigen Fürsten überwältigt, Kriegshunde und Waldgeister vertrieben und das Wassergespenst eigenhändig erschlagen hatte?
Nun hob der Mann seine Arme und der lange Mantel glitt von seinen Schultern. Mit einem Schlag war es totenstill auf dem Marktplatz. Die Musik verstummte und Gespräche brachen abrupt ab. Alle, Fremde wie Dorfgemeinde, sahen erwartungsvoll zu dem wandernden König hinüber.

Sofort bauten sich eine kleine Gruppe Gefolgsleute hinter dem König auf. Mächtige Krieger und Kriegerinnen, die nur aus Legenden stammen konnten. Stark und edel und wunderschön. Doch der wandernde König überragte sie alle. Auf seinem schlanken, breitschultrigen Leib trug er eine silberne Plattenrüstung bedeckt mit geheimnisvollen Schriftzeichen. An seiner Seite hing ein schmuckloses, aber ohne jeden Zweifel machtvolles Schwert und eine goldene Krone, einem Blätterkranz nachempfunden, zierte sein Haupt. Sein Gesicht wirkte jugendlich, makellos, doch in seinen hellen Augen leuchtet die Weisheit von Jahrhunderten.
Mit freundlichen Worten bedankte der König sich bei der Gemeinde für ihre Gastfreundschaft, verabschiedete sich mit einer knappen Verbeugung und befahl dem Trotz sich zum Aufbruch bereit zu machen. Da trat ein kleines Mädchen aus der Menge.

Niemand im Dorf kannte das Kind, das so plötzlich erschienen war, und niemand sollte es nach diesem Tage jemals wiedersehen. Das Mädchen wirkte mager, fasst ausgezerrt. Es hatte einem einfachen Gewand an, lief barfuß und sein kurzgeschorenes graues Haar war schmutzig. Und doch sprach sie mit klarer, einnehmender Stimme zu dem König.
Sie dankte ihm für all die guten Taten und lud ihn ein, die Nacht in dem Dorf zu verbringen.
Auch wenn keiner der Dorfbewohner wusste, wer das Mädchen war und warum ausgerechnet sie nun für die Gemeinde sprach, waren sie doch von ihren Worten hingerissen und wiederholten die Einladung lautstark. Doch der König schüttelte nur den Kopf. Sein Volk durfte nur im Licht des Tages wandeln, es muss der Sonne folgen und niemals durfte es in die Dunkelheit der Nacht eintauchen, erklärte er freundlich.
Erstaunt fragte das Kind, ob der König und seine Leute denn niemals schlafen würde.
Da lachte der wandernde König und erzählte dem Mädchen, dass sie in ihren Sätteln und Wagen während der Reise ruhen würden. Alles was sie für ihr tägliches Leben brauchten, hatten sie dabei und alles andere, konnten sie in Ortschaften wie diesem eintauschen.
Warum ist das so? Fragte das Mädchen aufgebracht. Warum muss dein Volk immer weiterziehen und konnte nicht einfach an einem schönen Ort bleiben?
Der wandernde König lächelte nachsichtig und erwiderte nur, dass es schon immer so gewesen sei und immer so bleiben müsse, so hatte er es bestimmt und so lautete sein Gesetz.
Warum hast du solch ein Gesetz gemacht? Fragte das Mädchen stur. Warum nur?
Doch der König konnte die Frage nicht beantworten. Er wusste, dass er aus gutem Grund dieses Gesetz erlassen hatte, aber das Warum hatte er vergessen. Er hatte es gewusst – vor langer Zeit einmal.

Unruhe und Zweifel erfassten den König und so befahl er seinem Volk ohne ihn weiterzuziehen. Er würde sich allein der Dunkelheit stellen, um zu erfahren was in der Nacht lauerte. Mit der untergehenden Sonne im Rücken und der Hand auf dem Griff seines Schwertes näherte er sich dem alten Wald am Rande des Dorfes. Immer dunkler wurde es zwischen den Bäumen. Die Tiere verstummten und ein feiner Nebel legte sich über die Wiese.

Was tut’s du da! Erschallte es plötzlich aus dem Dickicht. Flieh, du Narr! Bevor das letzte Licht dich verlässt!

Ein Reiter galoppierte aus dem Unterholz. Ein alter Mann in einer schwarzen Robe und auf einem riesigen dunkelbraunen Schlachtross. Sein Gesicht war unter der Kapuze kaum zu erkennen, nur ein weißer Bart schaute hervor.

Wer seid ihr? Wollte der König wissen.

Ich bin der Hüter des Tages, erwiderte der alte Mann ruhig, und wache darüber, dass niemand aus deinen Volk in die Dunkelheit gerät und verloren geht.

Welche Schrecken lauern in der Nacht, fragte der König, warum müssen wir vor der Dunkelheit fliehen?

Der alte Mann schüttelte nur müde den Kopf. Hast du das schon wieder vergessen? Brummte er leise. Naja, es ist ja schon etwas her, als wir uns zuletzt getroffen haben.

Und so erzählte der alte Mann die Geschichte des wandernden Königs.

Einst begann ein junger Schüler seine Lehrzeit bei einem mächtigen Magier. Doch da der Junge faul war und seine Tag nicht mit der Suche nach Wissen verbringen wollte, stahl er die Geheimnisse seines Meisters und verfuhr so, dass der Magier im Dienste einen allmächtigen und schrecklichen Dämon stand. Dem Dämon des Wandels. Für seine große Macht musste der Magier dem Ungeheuer bis an sein Lebensende grausame Dienste leisten.
In seiner jugendlichen Naivität glaubte der nichtsnutzige Schüler ihm würde gelingen, woran sein Meister vor ihm gescheitert war und er könne den Dämonen betrügen. So beschwor er die unheilige Kreatur. Selbstsicher und ohne Furcht fragte er nach dem Preis für drei Wünsche. Für den ersten Wunsch forderte der Dämon lebenslange Knechtschaft. Für den zweiten Wunsch die Herrschaft über den Geist und für den Dritten den Körper des Knappens. Der junge Schüler willigte, unter der Bedingung ein, dass es keine Beschränkungen für seine Wünsche geben dürfe. Als Erstes wünschte er sich ewige Jugend, Kraft und Schönheit. Niemals durfte er altern oder sein Körper verfallen. Dann wünschte er sich König eines ruhmreichen Volkes zu werden, bewundert und verehrt. Und als Letztes wünschte sich der Schüler, mit einem hämischen Grinsen auf den Lippen, dass der Tag an dem der Dämon seinen Lohn erhalten sollte, niemals kommen möge.
Ohne zu Zögern erfüllte der Dämon die Wünsche und der entsetze Schüler erkannte seinen furchtbaren Fehler. Denn der Dämon des Wandels war keines Wegs allmächtig, aber er besaß die Macht Illusionen, eigentümliche Traumwelten zu erschaffen, in denen er seinen Opfern jeden Wünsch erfüllen konnte, doch nur für kurze Zeit.
Als der Magier von dem Handel erfuhr, beschloss er seinen Herren zu hintergehen, denn er liebte seinen Lehrling wie ein Vater seinen eigenen Sohn liebt. So betrat er die Traumwelt des Dämons und riet seinem Schüler immer der Sonne hinterher zu eilen. Niemals durfte er an einen Ort die Nacht verbringen, denn wenn das letzte Licht verschwand und der Tag endete, konnte der Dämon in der Nacht seinen Lohn einfordern. Dann veränderte der Magier den Traum und sorgte dafür, dass sein Schüler immer den richtigen Weg fand und kein Hindernis ihn zurückhalten konnte.

Ich lebe in einen Traum? Fragte der König erstaunt. Er wusste, dass die Geschichte stimmte, zumindest Größtenteils, ein kleiner Teil fehlte noch und die Ungewissheit nagte an ihm.
Ihr habt mir nicht alles gesagt! Meinte er aufgebracht. Vielleicht seid ihr ja der Dämon aus der Geschichte und versucht mich nur weiter in eure Traumwelt gefangen zu halten?
Es gibt nur einen Weg um die Wahrheit herauszufinden, meinte der alte Mann und deutete auf die näher rückende Dunkelheit. Nur dann ist es zu spät für euch umzukehren.

Der König wirkte unentschlossen, fast hilflos.

Seht es einmal so, sagte der alte Mann gutmütig. Ihr lebt in einem wunderbaren Traum. Ihr werdet verehrt und geliebt. Jeder Schritt auf euer Reise ist ein neues Abenteuer. Solltet ihr aus diesem Traum erwachen, ist das Beste das ihr erhoffen könnt, dass euer wahres Leben genauso schön ist. Doch im schlimmstem Fall werdet ihr von einem wütenden Dämon bei lebendigen Leibe gefressen. Als der König diese Worte vernahm, erfasste ihn das Grauen. Er wand sich um und eilte dem letzten Licht des Tages hinterher.

Wie so hast du das gemacht? Fragte der alte Mann nach einer Weile.

Ich hatte keine Wahl, erwiderte das Mädchen mit den kurzen grauen Haaren und trat hinter dem Unterholz hervor. Ich bin ihm verpflichtet und muss ihm dienen, zumindest ein wenig.
Du hättest ihn vom vierten Wunsch erzählen können, meinte der alte Mann.

Das Mädchen zuckte nur kurz mit den Schultern. Habe ich vergessen, meinte sie lächelt, es war auch ein sehr langer Tag.

Ich danke dir, dass du meine Knechtschaft erträglich gemacht hast, sagte sie schließlich. Aber du weißt, dass er irgendwann diesen Traum verlassen wird und dann müssen wir ihm beide dienen, dann gehören ihm dein Geist und dein Körper.

Und für den vierten Wunsch meine Seele, fuhr der alte Mann fort. Aber wir können hoffen.

Hoffen? Fragte das Mädchen. Worauf hoffen?

Als er diese Traumwelt das erste Mal betrat, wütete er fürchterlich und zog mordend durchs Land. Doch dann vergaß er, wer er wirklich war und mit der Zeit wurde eine Macht des Guten aus ihm, erzählte der alte Mann. Vielleicht bleibt diese Güte in ihm erhalte, wenn er den Traum verlässt. Aber ich schätze, das werden wir nur auf eine Weise herausfinden können.

Beide blickten in die lichtlose Nacht.

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