Eighth Grade
Bo Burnhams Regiedebüt “Eighth Grade” wird in Filmfan-Kreisen des Öfteren weiterempfohlen und als Coming-of-Age-Perle bezeichnet. Coming-of-Age ist jedoch nur bedingt zutreffend, denn in diesem Film geht es hauptsächlich um die Schülerin Kayla Day (Elsie Fisher) und ihre Zeit in der achten Klasse. Der Adoleszenz-Prozess wird hier nur peripher angeschnitten, sodass “Eighth Grade” viel mehr eine Impression von Kaylas Alltag und emotionalem Zustand bereithält.
Die Achtklässlerin lebt in einer Welt, in der Social Media alles ist. Ihre Klassenkameraden können den Blick vom Smartphone kaum abwenden, die beliebten Mädchen unterhalten sich über hippe Instagram-Models, die Jungs versuchen jeden zusätzlichen Gramm an Muskelmasse mit einem I-don’t-care-Gesichtsausdruck auf einem Selfie festzuhalten und die Lehrer sind hoffnungslos überfordert, die Aufmerksamkeit der Teenager länger als drei Sekunden aufrechtzuerhalten. Kayla gibt sich dieser Selbstdarstellung irgendwann auch hin, da sie verzweifelt auf der Suche nach Freunden und ein wenig Anerkennung ist. Ihr alleinerziehender Vater (Josh Hamilton) ist für sie keine richtige Bezugsperson und so gibt das schüchterne Mädchen jeden Tag sein Bestes, das Interesse der anderen Klassenkameraden zu wecken.
Womit “Eighth Grade” meine Neugierde direkt geweckt hat, ist die Tatsache, dass Bo Burnham sich hier auf eine Geschichte in der amerikanischen Middle School konzentriert und einem nicht die drölfzigste High-School-Pampe serviert. Die Teenager in diesem Film kämpfen daher mit Problemen, die primitiverer bzw. oberflächlicherer Natur sind. Pickel auf der Stirn, ein paar überschüssige Pfund um den Bauch, Zahnspangen, (un)coole Klamotten, Mutproben, Anerkennung, aufgebauschte Emotionen und unbeholfenes Rumgeflirte.
Dabei gibt sich Herr Burnham größte Mühe, insbesondere auf die kleinen Dinge des Teenager-Alltags zu achten. Wir sehen Kaylas Morgenroutine, ihre Smartphone-Hüllen, ihren Kleiderschrank und etliche weitere Details. Der Zuschauer soll möglichst nah mit dabei sein, wenn Kayla sich freut oder traurig wird, weswegen auch die Kamera ständig an ihrem Gesicht klebt. Diese intime Darstellung sorgt dafür, dass der Zuschauer die Emotionen des Teenagers besser nachempfinden kann. Wenn Kayla also ihr Smartphone fallen lässt und der Bildschirm Risse bekommt, zeigt Bo Burnham eindringlich, warum das für sie einem Weltuntergang gleicht und lässt uns mitfühlen. Diese Sensibilisierung sorgt in Kombination mit Elsie Fishers hervorragendem Schauspiel für ein sehr authentisches Filmerlebnis. Man hat 94 Minuten lang wirklich das Gefühl, einem dreizehnjährigen Mädchen über die Schulter zu blicken.
Und plötzlich weckt “Eighth Grade” in einem Erinnerungen an die eigene Mittelstufe, wodurch dieser Film an zusätzlicher emotionaler Tiefe gewinnt. Vielleicht gab es früher kein Instagram, keine Snapchat-Filter und keine YouTube-Styling-Tipps, aber die verklemmten Poolpartys, den Small Talk mit deutlich älteren Mitschülern, die Klamotten-Zweifel und das Verknalltsein in das hübsche Mädchen bzw. den coolen Jungen kannte man so auch vor vielen Jahren schon.
Besonders unangenehm wird es, wenn Kayla von einer Fremdscham-Situation in die nächste stolpert. “Eighth Grade” tischt hier und da Momente auf, bei denen man sich die Hand öfter vor die Augen hält als bei Horror-Filmen. Es ist großartig, wie unangenehm Bo Burnham und Elsie Fisher das Ganze hier umsetzen!
Trotz der wunderbaren schauspielerischen Leistungen und der unzähligen authentischen Fremdscham-Momente muss ich diesen Film leider ordentlich kritisieren. Bo Burnham meint es mit den Teenie-Pannen hin und wieder zu gut und lässt Kayla ein wenig zu oft von einer Harke auf die andere treten. Doch auch der tatenlos zusehende Vater ist für meinen Geschmack zu passiv geschrieben. Sicher, man bekommt nicht viel Einblick in sein Leben und seine Probleme, aber es muss ja nicht immer das Ganz-oder-gar-nicht-Prinzip greifen. Das obligatorische Vater-Tochter-Gespräch riecht man hier leider eine gute Stunde gegen den Wind, weshalb es für mich schließlich an Emotionalität einbüßt.
“Eighth Grade” wirkt daher gelegentlich überdramatisiert, was weniger mit Kaylas Gefühlswelt zu tun hat, sondern viel mehr mit der Inszenierung des Films. Es wäre schön gewesen, wenn man auch Kaylas Schulalltag öfters zu sehen bekommen oder dem Nebencharakter Gabe mehr Zeit eingeräumt hätte. Leider fehlen Bo Burnhams Werk die Pausen zum Durchatmen. Wo sind die langen Nachmittage, in denen man als Achtklässler faulenzt? Wo sind die Ferien-Unternehmungen? Wo sind die dummen Experimente mit Essen und Getränken?
Es gibt noch viele weitere Teenie-Dinge, um die “Eighth Grade” einen Bogen macht, um stattdessen Kritik an Themen wie Waffenbesitz, Social Media, Mobbing und altbackene US-Mentalität zu üben. Nicht, dass das unwichtige bzw. unberechtigte Kritik wäre, doch lenkt dies den Fokus von Kaylas Alltag etwas ab und komprimiert die unbeschwerten Momente zu sehr.
Am Ende des Tages ist “Eighth Grade” eine ordentliche Teenager-Dramedy, die unglaublich feinfühlig daherkommt und auf schauspielerischer Front vollkommen überzeugen kann. Gleichzeitig verfängt sich dieser Film in verzichtbarer Überdramatisierung und verläuft etwas zu vorhersehbar. Ein starkes Regiedebüt mit Abzügen in der B-Note.