Da ich hier schon lang nicht mehr gepostet hab, hab ich gleich paar Filme dabei. Spoiler: Alle lohnen sich.
Diamantino (2018) von Gabriel Abrantes & Daniel Schmidt
Nachdem der portugiesische Top-Fußballer Diamantino (der zwar auf dem Platz ein Wunder ist, aber im Kopf wie ein Kind zu funktionieren scheint) eine innere Erleuchtung erlebt, hört er mit dem Sport auf und adoptiert ein Flüchtlingskind. In dieser Rolle schleicht sich jedoch eine Agentin des Secret Service ein, der gegen den Fußballer wegen Steuerhinterziehung ermittelt. Und parallel hat es noch irgendwas mit Diamantinos boshaften Schwestern auf sich, die dafür bezahlt werden, ihn regelmäßig zu einer dubiosen Ärztin zu bringen…
Es ist schon verrückt, in welche Gefilde sich der Film noch entwickelt und ich untertreibe vermutlich noch, wenn ich sage, dass der Film komplett drüber ist. Ich denke, er wird nur wenigen Leuten gefallen und denen dafür richtig. Die Sozialkritik ist dabei nicht subtil, sondern wird schon mit der Brechstange delivered. Der Anfang des Films hat mich eine Art portugiesischen Spring Breakers erwarten lassen, aber der Film geht dann nochmal ganz andere Wege, die ich aber auch mochte.
Toller Film und vermutlich für alle empfehlenswert, die so „unfolding movies“ gerne mögen a la „Sorry to Bother You“.
Es ist vielleicht noch erwähnenswert, dass der Film in einer eigenen karikaturistischen konsequenzlosen Welt stattfindet und sich sehr in einer fast schon Anti-Dramaturgie schwelgt. Ich liebe sowas, da es dem Film die Freiheit gibt, nicht einfach das Erwartbare zu zeigen, aber ich weiß auch, wie viele Leute sowas befremdlich finden, weshalb ich es noch kurz erwähnen wollte.
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Lucky Chan-sil (2019) von Kim Cho-hee
Filmproduzentin Chan-sil steht nach dem Tod des Regisseurs, mit dem sie immer kooperierte, ohne Job da (da ihre Arbeit als Produzentin im Autorenfilmsegment als überflüssig angesehen wird). Sie ist gezwungen, in ein neues kleines Zimmer außerhalb der Innenstadt zu ziehen und ihr altes Leben hinter sich zu lassen.
Der Film behandelt nun, wie Chan-sil damit klarkommt und was diese radikalen Lebensveränderungen mit ihrem Charakter und den Menschen in ihrem Umfeld anstellen. Das alles kombiniert mit wahnwitzigen Subplots wie zB dass sie mit dem Geist des HK-Schauspielers Leslie Cheung spricht.
„Lucky Chan-sil“ lässt sich in jeder Hinsicht als absolut wholesome beschreiben. Ein Film, der die Schönheit des Alltags zelebriert, der persönliche Krisen als Lebensabschnitte ernst nimmt, in denen es immer etwas neues zu entdecken gibt. Trotz alldem verrennt sich der Film nie in Kitsch, sondern bleibt stets auf philosophischer Ebene interessant oder zumindest wahnsinnig unterhaltsam. Einzelne Szenen sind wirklich ganz ganz groß, zB ein Gespräch in einer japanischen Bar oder die Selbsterkenntnis nach einem Ziehharmonika-Spiel.
Sehr schöner Film, der jedem aus dem Herzen sprechen dürfte, der auch selber nicht ganz weiß, wie das Leben jetzt weitergeht.
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Barking Dogs Never Bite (2000) von Bong Joon-ho
Dass die Warnung „No animals were harmed…“ direkt am Anfang des Films kommt, hat einen guten Grund, denn in Bong Joon-hos Langfilm-Debut geht es um einen Mann, der das laute Hundegebell in seiner Hochhaussiedlung satt hat und beschließt den Vierbeinern die Möglichkeit zum Bellen zu nehmen. Das ruft zum einen die Hundebesitzer auf den Plan, die nach ihren Tieren suchen, als auch die ein oder anderen Feinschmecker, denen die auftauchenden Hundeleichen gar nicht so schlecht gefallen…
„Barking Dogs Never Bite“ ist auf jeden Fall ein sehr weirder Film, z.B. ist es schwer, Sympathieträger unter den Protagonisten auszumachen, was vielleicht auf einige Zuschauer befremdlich wirkt. Bong Joon-hos gewohnt twistreiche, kurzweilige Inszenierung kann bereits hier überzeugen, vor allem aber wenn man auf seine Art, die Genres zu vermischen, steht.
Da es in der Handlung neben interessanten Charakterstudien auch viele unterhaltsame Wendungen und Verwirrungen gibt, ist das Unterhaltungslevel gewohnt sehr hoch, die Kameraarbeit ist für das vermutlich geringe Budget überragend.
Insgesamt wirkt der Film so, als hätten sich einige Filmfans eine Kamera und paar Schauspiel-Freunde geschnappt und in ihrem Wohnblock gedreht. Vermutlich war dem nicht so, aber der Vibe ist da und überzeugt.
Natürlich ist Bong Joon-ho hier noch wesentlich wilder und unausgereifter unterwegs als in den Filmen danach, aber mir hat das schon sehr gut gefallen.
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Cryptozoo (2021) von Dash Shaw
Hands down der beste Film des Jahres, schaut ihn.
Jetzt die ausführlichere Version:
„Cryptozoo“ ist ein Animationsfilm, im Stil sehr psychedelisch, gut vergleichbar in der Animation zB mit „Der phantastische Planet“.
Es geht um eine Welt, in der Kryptiden real sind und versteckt vor der Menschheit leben. Eine Gruppe Menschen hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Tiere zu retten und im sogenannten „Cryptozoo“ einen Zufluchtsort zu bieten. Das ist zB schon sehr interessant, weil hier natürlich die bekannte Minderheiten-Allegorie aufgenommen wird, aber durch den ganzen Film hindurch auch die kommerzielle Ausschlachtung von Minderheiten unter dem Mantel der Awareness thematisiert wird, genau wie die Vergänglichkeit von Utopien oder Träumen. Der Film ist einfach thematisch so vielen Kunstwerken voraus, dass er schon deswegen einer der wichtigsten und größten Filme der letzten Jahre ist.
Aber es geht noch weiter: Der Animationsstil ist superb, wenn man auf diesen Style steht, aber es ist unfassbar, wie dieser Stil zu einer nachvollziehbaren Story-Dramaturgie beitragen kann, OHNE in irgendeiner Weise zB in Charakterbewegungen, -darstellungen oder auch Szenenübergängen, Perspektiven etc in künstlerischer Darstellung einzubüßen. Oder in einfach: Der Film sieht scheiße geil aus.
Auch wie Inhalt, Stil und Dynamik, wie Szenen fließen, aufgebaut sind, ist einfach ganz ganz groß, und es werden links und rechts Perspektiven und Stilmittel benutzt. Es hat mich etwas an „Hausu“ erinnert, in der Weise, dass ich oft dachte, „Das ist SO innovativ, wieso habe ich DIESEN Übergang, diese Perspektive etc nicht schon viel öfter gesehen?“
Es gibt vor allem auch so viele Foreshadowings usw dass man safe bei jedem View einfach noch so viel mehr gewinnen kann.
Zu guter Letzt muss ich auch hinzufügen, dass ich für den Film stilistisch, inhaltlich und thematisch einfach SEHR empfänglich war. Zb habe ich mich mal superlange mit Kryptozoologie beschäftigt und es hat superviel Spaß gemacht, zu sehen welche Kryptiden wie verwendet wurden und wie sie dargestellt werden.
Kurzum: Wenn euch das jetzt alles angefixt hat, schaut den Film auf ALLE Fälle, weil das ist ein Erlebnis, das ihr vermutlich nicht mehr vergesst. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass der Film unter LSD-Fans große Wellen schlagen und ähnlich wie „Der phantastische Planet“ auf Parties laufen wird. Wirklich ganz ganz großes Kino.
Ich hab so viel Filme gesehen, dass es nur selten diese Momente gibt, in denen ich wirklich SO weg von einem Film bin und so viel Neues erleben kann und Dinge sehe, die ich so noch nicht umgesetzt gesehen habe. „Cryptozoo“ war einer der seltenen Fälle, der’s mal wieder echt geschafft hat.
Review auf Letterboxd