Schönes Thema. Prog Rock war das erste Musikgenre, das ich ernsthaft gehört habe. Mein Vater hat mich, als ich so 11-12 Jahre alt war, an die alten Klassiker rangeführt: Genesis, Pink Floyd, Yes, King Crimson. Ich hab mir dann die neueren Sachen erarbeitet, bin darüber beim Prog Metal gelanden, und darüber schließlich bei extremerem Metal (Black, Death, Grindcore). Das sind heute eher meine Hauptgenres, aber ich höre immer noch gerne Prog.
Hier mal einige meiner Lieblinge, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder objektive Wichtigkeit:
Genesis (Prog Rock): Meine All-time-favourite-Band, in der ersten Phase mit Peter Gabriel als Sänger. Die Mainstream Pop-Orientierung unter Phil Collins sagt mir nicht sonderlich zu. In den 70ern aber meiner Meinung nach die essentielle Prog Band, mit Albumklassikern wie Foxtrot, Nursery Crime, Selling England by the Pound und natürlich The Lamb Lies Down on Broadway. Sehr verspielter, „klassischer“ Prog, dabei weniger bombastisch als Yes und weniger verkopft als King Crimson. Außerdem mit viel britischem Humor in den Texten.
Anspieltipp: Firth of fifth von Selling England by the Pound. Für mich DIE Blaupause eines Prog-Songs, mit einem unsterblichen Mittelteil: Flötensolo geht über in Keyboardsolo geht über in das beste Gitarrensolo aller Zeiten.
Pink Floyd (Art Rock): Vermutlich die Band, die man am wenigsten vorstellen muss, weil sie am bekanntesten ist. Gestartet als Psychedelic-Band, entwickelten sich dann zu der Art Rock-Band überhaupt. Nach dem Ausstieg von Roger Waters war meiner Meinung nach ein deutlicher Qualitätsabfall zu erkennen, aber mir gefallen auch die späteren Alben noch ganz gut. Auch das letztes Jahr erschienene Abschlussalbum The Endless River fand ich klasse.
Anspieltipp: Die Bandklassiker wie Shine on you crazy diamond, Wish you were here, Another brick in the wall oder Comfortably numb sollte eh jeder kennen, der sich auch nur halbwegs für Rockmusik interessiert. Daher empfehle ich einfach mal Echoes von Meddle. Auch das kein völliger Geheimtipp, aber dem Gelegenheitshörer vielleicht nicht ganz so präsent. Wunderbar sphärisch-meditativer Longtrack.
Porcupine Tree (New Art Rock): Die Band um Steven Wilson war für mich tatsächlich die erste Lieblingsband, mit der ich mitwachsen konnte. Vorher habe ich eher Musik aus den 70ern und 80ern gehört, von Bands, die es schon gar nicht mehr gab, oder die ihre großen Zeiten schon längst hinter sich hatten. Porcupine Tree habe ich tatsächlich entdeckt, als sie noch relativ unbekannt waren. 2003 war ich auf meinem ersten PT-Konzert, in einem kleinen Club in Belgien, vielleicht 150-200 Zuschauer. Das war zur In Absentia-Zeit, bevor PT dann in den Folgejahren immer bekannter wurden (Hipster-Modus: I liked them before they became cool!). Vor ein paar Jahren hat Steven Wilson die Band leider auf Eis gelegt um sich seiner Solo-Karriere zu widmen. In Interviews schließt er eine Reunion zwar nicht aus, aber hält sie zumindest momentan für sehr unwahrscheinlich. Auch die anderen PT-Mitglieder kann man zum Glück noch gut verfolgen: Keyboarder Richard Barbieri macht Solo sehr gutes Ambient/Electronic-Zeug und Drummer Gavin Harrison ist mittlerweile festes Mitglieder in der neuen Inkarnation der legendären King Crimson.
Anspieltipp: Trains von In Absentia. Eher ein Beispiel für die radiotauglichere Seite von Porcupine Tree, aber gut geeignet zum Reinschnuppern, bevor man sich dann an Mammutstücke wie The Sky Moves Sideways wagt.
Opeth (Progressive Death Metal, später Prog Rock): Mein Einstieg in die Welt der etwas härteren Musik. Auf den letzten beiden Alben gibt es lupenreinen Oldschool-Prog, davor waren die Schweden um Mikael Akerfeldt aber die Großmeister des progressiven Death Metal. Markenzeichen sind die Wechsel zwischen knallhartem Geballer mit tiefsten Death-Growls und ruhigen, melodischen Passagen mit cleanem Gesang. Akerfeldt war auf der Höhe seiner Kunst meiner Meinung nach der beste Death-Shouter. Hat leider in den letzten Jahren einiges an Kraft in der Stimme eingebüßt. Dafür ist sein normaler Gesang immer besser geworden. Es gibt übrigens eine enge Verbindung zwischen Opeth und Porcupine Tree: Steven Wilson und Mikael Akerfeldt sind gut befreundet, beide haben zusammen als Storm Corrosion 2012 ein interessantes, aber auch gewöhnungsbedürftiges Album rausgebraucht. Wilson ist schon seit Jahren immer wieder als Produzent und Soundmischer für Opeth tätig. Den wechselseitigen Einfluss hört man auch ganz gut raus: Opeth wurden seit Blackwater Park ein bisschen melodischer und setzten verstärkt auch Keyboards ein. Und Porcupine Tree wurden ein Stück härter, insbesondere ab In Absentia.
Anspieltipp: The Drapery Falls von Blackwater Park. Zeigt meiner Meinung nach am besten die beiden Seiten von Opeth. Der Song beginnt ruhig, mit klarem Gesang, lullt den unwissenden Hörer ein, um ihm dann mit dem Vorschlaghammer richtig einen mitzugeben.
Steven Wilson (Prog/Art Rock): Seit 2009 ist Steven Wilson auch Solo unterwegs. Die unter eigenem Namen entstandenen Sachen sind stärker am traditionellen Prog orientiert als die Musik von Porcupine Tree, aber stammen trotzdem unverkennbar aus der gleichen Feder. In den letzten Jahren hat Wilson ein unfassbar gutes Album nach dem anderen rausgehauen. Für mich momentan der stärkste Player in der Prog-Liga.
Anspieltipp: Ancestral von Hand. Cannot. Erase. Enthält alles, was Wilsons Musik ausmacht: Die Melancholie, den Spannungsaufbau, die schönen Melodien, aber auch die Härte und Düsternis.
Pain of Salvation (Prog Metal/Rock): Wie ihre Landsleute von Opeth haben auch Pain of Salvation zuletzt eher traditionellen Prog/Hard Rock gespielt. Auch davor waren sie aber nicht wirklich mit Genrekollegen wie Dream Theater oder Queensryche zu vergleichen, sondern immer etwas düsterer und stilistisch offener. Hervorheben würde ich auch die Texte: Bei PoS geht es fast immer um die dunklen Seiten von Sex, Liebe und Verlangen, und das wesentlich weniger kitschig als bei anderen Bands. Und dann muss noch Daniel Gildenlöw erwähnt werden. Der Kerl ist einfach der sympathischste und charismatischste Frontmann ever. Da bin ich mir meiner Heterosexualität manchmal nicht so ganz sicher.
Anspieltipp: Rope Ends von Remedy Lane. Großartige Nummer mit einigen überraschenden musikalischen Twists und fantastischen Vocals von Gildenlöw.
Disillusion (Prog Metal): Deutsche Band, die gleich mit ihrem Debütalbum Back to times of splendor 2004 eins meiner absoluten Lieblingsalben herausgebracht haben. Stilistisch eine Mischung aus Thrash, Death und Prog Metal, mit unheimlich genialem Songwriting. Disillusion haben 2006 noch ein sehr gutes, wenn auch nicht mehr ganz so überragendes Zweitwerk nachgeschoben. Und dann wurde es leider viele Jahre still um die Band, bis sie letztes Jahr völlig überraschend wieder einige Konzerte gespielt haben. Da habe ich sie nach all den Jahren endlich auch live gesehen. Bald soll auch ein neues Album folgen.
Anspieltipp: Eigentlich alles von Back to times of splendor. Aber zum Reinkommen vielleicht And the mirror cracked nehmen.
Cynic (Prog Metal): Gegründet von Paul Masvidal und Sean Reinert, zwei ehemaligen Mitgliedern der legendären Death. Waren mit ihrem Debütalbum Focus 1993 ihrer Zeit völlig voraus mit einer Mischung aus Death Metal, Prog und Jazz. Dann kam lange nichts, bis 2008 mit Traced in air ein nicht minder großartiges Zweitwerk folgte. Dann gab es noch zwei EPs und ein eher proggiges drittes Album. Letztes Jahr haben sich Masvidal und Reinert leider im Streit getrennt.
Anspieltipp: Adam’s murmur von Traced in air. In den knapp 4 Minuten steckt mehr Power als in den meisten 15-Minuten-Epen anderer Prog Metal-Bands.